Berlins zentrale Einbürgerungsstelle - Erstmal noch mehr Chaos bei der Einbürgerung
Ab Januar soll es in Berlin schneller und leichter werden, sich einbürgern zu lassen. Dann geht eine zentrale Einbürgerungsstelle an den Start. Doch was gut gedacht ist, ist nicht unbedingt gut gemacht. Noch ist einiges zu tun. Von Franziska Hoppen
- Wartezeit für Einbürgerung beträgt derzeit etwa zwei Jahre
- Bezirk kritisiert fehlende Digitalisierung und zu wenig Personal
- 30.000 Verfahren haben sich in Berlin angestaut
- Geplante Lockerungen bei Einbürgerungsrecht könnten Problem verschärfen
Sozialarbeiter Fehmi Katar hat alle Hände voll zu tun. In der Beratungsstelle Yekmal in Kreuzberg übersetzt er für seine Klienten, tröstet, macht Druck bei den Behörden. "Das ist schon ziemlich chaotisch alles", sagt er. Die Menschen, die nervös vor seinem Schreibtisch sitzen, wollen eigentlich nur eins: endlich Deutsche sein. Doch im Berliner Behördendickicht blicken viele nicht mehr durch.
"Bei einigen Bezirksämtern habe ich das Gefühl, Einbürgerungen sind abgeschrieben", sagt Katar. "Die reagieren nicht mal mehr auf Anfragen für den Ersttermin, das Verfahren kann also nicht anfangen." Andere Bezirksämter wiederum würden zwar einen Termin vergeben, aber erst nach sechs Monaten Wartezeit. Bei wieder anderen, erzählt Katar, könnten Anträge einfach formlos gestellt werden. "Wir müssen kreativ sein", seufzt der Sozialarbeiter.
Im Moment stapeln sich Papierberge
Was Katar vor allem nervt: Wenn das Verfahren zur Einbürgerung einmal läuft, können Antragsteller nicht einfach selbst im Internet nachschauen, wie weit die Bearbeitung ist. "Sie erfahren nur durch die Beratungsstelle, was Sache ist."
Warum das so ist, demonstriert Tim Richter, Bezirksstadtrat für Soziales in Steglitz-Zehlendorf. Im vierten Stock seines Rathauses liegt das Problem - und setzt Staub an. Die Regale der Büros sind voll mit Akten: Jede Papierkladde steht für einen Menschen, der den deutschen Pass haben möchte; und für ein langwieriges Verfahren. Erst überprüfen die Sachbearbeiter die Papiere, dann faxen sie sie beispielsweise an die Bundespolizei oder die Senatsinnenverwaltung, bevor es weitergehen kann. Gut 2.700 Akten haben sich hier angestaut. Wartezeit aktuell: Knapp zwei Jahre. Digitalisiert ist nichts.
Der Flaschenhals ist systemisch: Insgesamt haben sich in Berlin knapp 30.000 Verfahren in Staatsangehörigkeiten angestaut, zu denen auch Einbürgerungen gehören. Wenn Antragsteller nach Monaten wissen wollen, wie es um ihr Verfahren steht, rufen sie beim Bezirk an. Ein Sachbearbeiter muss dann die Akte hervor kramen, womöglich hunderte Papierseiten durchblättern. "Das ist im Jahr 2023 leider in den Einbürgerungen Normalität. Und kostet sehr viel Zeit," sagt Richter. Allein die Fälle zu priorisieren - die Altanträge zuerst, dann die Neuen - koste enorm viel Zeit.
Zahl der Antragssteller in den letzten zehn Jahren verdoppelt
Erschwerend für die Sachbearbeiter kommt hinzu: Immer mehr Menschen in Berlin wollen den deutschen Pass. Allein im letzten Jahr wurden 16.000 Anträge gestellt. Doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Und wenn die Bundesregierung demnächst Einbürgerungen erleichtert, dürften es noch mehr werden. So soll zum Beispiel die Aufenthaltsdauer bis zur Möglichkeit der Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt werden.
"Wir haben also eine ansteigende Zahl an Verfahren. Bei einer kleiner werdenden Anzahl von Mitarbeitern, bei gleichzeitigem technologischen Stillstand", resümiert Tim Richter. Auch in seinem Amt fehlen Mitarbeiter. Der Grund für den Schwund ist ausgerechnet eine Neuerung, die alles besser machen sollte.
Am 1. Januar startet im Landesamt für Einwanderung eine zentrale Einbürgerungsstelle, die den Bezirken die Arbeit abnimmt. Das Gesetz dazu hat am Donnerstag das Abgeordnetenhaus beschlossen. Die Behörde soll 20.000 Menschen pro Jahr einbürgern - deutlich mehr als Berlin aktuell schafft, bei kürzeren Wartezeiten. Möglich machen soll das einerseits die Digitalisierung der Aktenberge und andererseits eine Aufstockung der Stellen. Die insgesamt rund 90 Stellen der Bezirke sollen zum Jahreswechsel an das LEA übertragen werden, das Land finanziert 120 weitere Stellen. Soweit die Theorie.
Wechsel ins LEA "nicht gut organisiert"
"Leider ist die Kommunikation in der Vergangenheit holprig gewesen", sagt Tim Richter. "Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nicht wussten, wie es weitergeht, haben sich auf andere Stellen, oder in andere Bezirke beworben." Denn wer mit Einbürgerungen zu tun hat, sagt Richter, hat meist viel Expertise. Zu lange war wohl unklar, zu welchen Konditionen und wohin genau man ins LEA wechseln sollten. Dass das Land dann noch Emails an Mitarbeiter geschickt hatte, um sie abzuwerben, ohne dass die Bezirke Bescheid wussten, ärgert Richter. "Ich fand das nicht gut organisiert und kommuniziert," sagt er. Nun sei es gerade in Randbezirken wie Steglitz-Zehlendorf schwer, fehlende Mitarbeiter neu zu rekrutieren.
Die Opposition im Abgeordnetenhaus wirft der SPD-geführten Innenverwaltung vor, für die holprige Verlagerung der Zuständigkeiten von den Bezirken ans LEA verantwortlich zu sein. Es sei kein ausreichendes Konzept für den Übergang erarbeitet worden. Jian Omar, migrationspolitischer Sprecher der Grünen, fürchtet, dass das neue Einbürgerungszentrum mit einem Stau von mehr als 30.000 alten Anträgen starten könnte. "Mir fehlt die Fantasie, wie wir die Einbürgerungszahlen in Berlin steigern und all diese Anträge abarbeiten wollen", so Omar.
Er warnt auch vor weiteren Untätigkeitsklagen der Antragssteller gegen das Land. Denn der Gesetzgeber sieht vor, dass vor Gericht ziehen kann, wer länger als sechs Monate auf einen Verwaltungsakt warten muss. Allein in diesem Jahr wurden mehr als 50 solcher Klagen eingereicht. "Sie werden vor Gericht gewinnen", prognostiziert Omar. Auf das Land könnten Strafen zukommen. Und peinlich sei die Sache auch noch: "Wir geben kein gutes Bild ab von unserem Land", sagt der Grünen-Politiker. Denn die Einbürgerungswilligen zahlen Steuern, sind Fachkräfte, haben reguläre Aufenthaltsgenehmigungen. Viele würden nicht verstehen, dass ausgerechnet deutsche Behörden nicht hinterherkämen.
Senat verteidigt Schritt
Die Innensenatorin wiederum nimmt auch die Bezirke in die Pflicht. Einige seien für den Rückstau mit verantwortlich, hätten falsche Prioritäten bei der Verteilung ihrer Sachbearbeiter gesetzt. "Wenn ich jahrelang etwas vor mir hertrage, was ich nicht bearbeite, dann muss ich mehr Personal einsetzen", so Spranger.
Zuversichtlich, dass die Zentralisierung im Laufe dieser Legislatur noch rund laufen wird, ist Burkard Dregger, Innenpolitiker der CDU. "Dass das am Anfang alles holprig ist, dafür habe ich volles Verständnis", sagt Dregger. "Aber wir können ja nicht aus Angst vor Holprigkeit die nötigen Schritte unterlassen."
Fragt man Bezirksstadtrat Tim Richter, welche Schritte nötig gewesen wären, dann zeigt er hinter sich, auf einen Gang. Nur wenige Schritte trennen im Rathaus Steglitz-Zehlendorf die Einbürgerung vom Bürgeramt, wo die deutschen Pässe ausgestellt werden. Die neue zentrale Einbürgerungsstelle hätte er nicht gebraucht, sagt Richter. Mehr Stellen im eigenen Amt hätten ihm gereicht.
LEA muss Papierstau berücksichtigen
Immerhin, mit der Kommunikation des Senats ist Tim Richter zufrieden. Trotzdem hätte er sich mehr Vorausschau in den letzten Jahren gewünscht. Ein Recht auf Einbürgerung hat, wer acht Jahre rechtmäßig in Deutschland lebt. Da sei zum Beispiel 2015 schon klar gewesen, dass heute, acht Jahre später, viele syrische Geflüchtete zu deutschen Staatsbürgern werden wollen würden und mehr Stellen gebraucht würden.
Fechmi Katar von der Beratungsstelle Yekmal wirkt erleichtert, wenn er an die Zukunft mit dem LEA denkt. "Dass endlich zentralisiert wird und es einheitliche Voraussetzungen für die Einbürgerung gibt, begrüßen wir Beratungsstellen." Es hänge aber alles davon ab, ob das LEA auch den Stau an Aktenbergen berücksichtige. Der dürfte bis Januar 2024 noch wachsen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2023, 21 Uhr