Interview | Zeitzeugin über 75 Jahre Luftbrücke - "Die ersten Versorgungsflüge waren ein großer Schrecken"

Sa 24.06.23 | 08:51 Uhr
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Audio: rbb24 Inforadio | 24.06.2023 | Harald Asel

Mercedes Wild hat die Rosinenbomber, die ab 24. Juni 1948 die Versorgung des blockierten West-Berlins sicherstellten, als Kind erlebt. Mit über 80 Jahren blickt sie zurück auf eine unsichere Zeit und eine lebenslange Freundschaft mit dem Piloten Gail Halvorsen.

rbb|24: Frau Wild, wie haben Sie die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in Erinnerung?

Mercedes Wild: Die Zeit nach dem Kriege habe ich als Befreiung angesehen, weil es ja keine Bombenabwürfe mehr gab. Wissen Sie, die Angst, dass das Haus endgültig von einer Bombe zerstört wird, die ist sehr groß bei mir. Und es war Frieden.

Leutnant Gail S. Halverson mit Kindern am Tempelhofer Flughafen (Quelle: dpa/AP)
Candy-Bomber Gail Halverson, umringt von Kindern auf dem Flughafen Tempelhof am 8. Oktober 1948

Im Juni 1948 ändert sich dann vieles. West-Berlin war plötzlich abgeschnitten vom Rest der Welt, die sowjetische Blockade hatte begonnen.

Die große Frage war: Wie geht es weiter? Meine Mutter war schwerst herzkrank, meine Großmutter war auch nicht mehr die Jüngste. Wir hatten kein Einkommen. Wir hatten also nur die Nachbarschaft, die uns helfen musste. Wir hatten hinten im Garten Hühner gehabt. Es wurden Kartoffeln und Mohrrüben angepflanzt. Wir haben uns selbst versorgt und die Blumen wurden auf dem Markt verkauft. Das war einfach notwendig, um zu überleben.

Rosinenbomber in friedlicher Mission über West-Berlin

Kurz darauf gingen die Versorgungsflüge los. Wie haben Sie die wahrgenommen?

Die ersten Versorgungsflüge waren ein großer Schrecken. Ich hatte den Klang der Flugzeuge noch im Ohr, die damals die Bomben abgeworfen hatten. Und ich habe gedacht: Es ist wieder so weit. Meine Großmutter legte damals Wert darauf, dass wir eine Tageszeitung hatten, obwohl wir ja kaum Einkommen hatten. So haben wir die Information bekommen, dass es Versorgungsflüge der US-Amerikaner waren.

Diese Flieger haben ja auch diese kleinen Päckchen mit Süßigkeiten abgeworfen.

Ich habe nie so einen Fallschirm abbekommen. Den ersten Abwurf habe ich in der Schule gesehen. Alle sind rausgestürmt. Aber ich war nicht schnell genug. Ich habe beschlossen, einen Brief zu schreiben. An meinen Schokoladen-Onkel vom Flughafen Tempelhof. Ich hatte geschrieben "Weiße Hühner hinten im Garten. Du fliegst jeden Tag rüber, wirf einen Fallschirm ab! Die Hühner sind eh für den Suppentopf bestimmt."

Mercedes Wild und der Candy-Pilot Gail S. Halvorsen. (Bild: imago images)
Gail Halvorsen war für Mercedes Wild der "Schokoladen-Onkel"

Haben Sie eine Antwort auf Ihren Brief bekommen?

Eines Tages kam ich nach Hause und meine Großmutter hatte einen Brief in der Hand und sagte: "Hier ist etwas für dich". Da stand mein Name drauf und hinten "Leutnant Halvorsen". Ich habe ihn geöffnet und es war ein Lutscher und ein Kaugummi drin. Dieser Brief war für mich das Wichtigste. Der Brief meines Schokoladen-Onkels. Er war für mich wie eine Vaterfigur, ein Symbol der Freundlichkeit, der Mitmenschlichkeit.

Etwa ein Jahr später, im Jahr 1949, endete die Berlin-Blockade. Wie ging es weiter mit Ihrem Kontakt zu Gail Halvorsen?

Halvorsen war ab den 70er-Jahren Commander auf dem amerikanischen Teil des Flughafen Tempelhofs. Und da waren immer Tage der offenen Tür. Und auch mein Mann ist 1972 hingegangen. Mir war der Ansturm zu groß mit zwei Kindern. Bei mir waren die Kriegserinnerungen da. Und mein Mann hat dann einen Offizier stehen sehen und guckte auf das Namensschild. Er fragte ihn dann: "Kann es sein, dass meine Frau einen Brief von Ihnen hat?" Er schilderte kurz den Inhalt und Halvorsen sagte: "Den Brief suche ich schon lange."

Wie lief Ihr erstes persönliches Treffen ab?

Wir sind durch die Sicherheitskontrollen des Flughafens durch und ich habe unheimliche Angst gehabt. Und wir betraten den Raum und es kam ein Offizier auf uns zu und da wusste ich: Das ist dein Vater.

Später habe ich ihn und seine Familie zum Dinner eingeladen, zum Hühnerfrikassee. Er fragte dann: Sind das die Hühner von 1948? Er lachte, umarmte mich. Und ich glaube, seitdem sind wir Freunde gewesen.

14. Mai 1998: Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl danken dem ehemaligen US-Piloten Gal Halverson. Rechts: Mercedes Wild (Quelle: dpa/AP/Michael Probst)14. Mai 1998: Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl danken dem ehemaligen US-Piloten Gal Halverson. Rechts: Mercedes Wild

Wie entwickelte sich Ihre Freundschaft danach?

Gail Halvorsen und seine Familie waren oft hier. Er hat fast immer eine neue Notiz auf dem Brief von damals hinterlassen. Der letzte Eintrag ist 2019 gewesen, da war er das letzte Mal in Berlin. In diesem Jahr habe ich viel Zeit mit ihm verbringen dürfen. Erstens für die Feierlichkeiten der Luftbrücke hier in Berlin, dann in Frankfurt am Main, Wiesbaden, in Faßberg und dann zu seinem 99. Geburtstag in Washington. Und dann kam Corona, dann war es ein bisschen schwieriger geworden. Aber die Verbindung ist geblieben. Wir haben immer miteinander telefoniert. Ich habe kurz vor seinem Tode noch mit ihm gesprochen und für mich kam dann die Nachricht doch sehr, sehr erschreckend. Er fehlt mir sehr. Dieser Vater fehlt mir sehr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Hadnet Tesfai für rbb Kultur.

Sendung: rbb Kultur, 24.06.2023, 18:30 Uhr

11 Kommentare

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  1. 11.

    Vielen Dank für diesen Beitrag, Gerd, da brauche ich mich nicht wieder so weit aus dem Fenster zu lehnen. Nach all dem, was Deutsche getan hatten, war die Behandlung durch die Westalliierten doch geradezu freundlich. Und wer die unglaubliche Leistung der Luftbrückepiloten dikreditiert, der muss schon extreme politische Scheuklappen haben. Natürlich hatten die Amerikaner Interessen in Europa, und wie man aktuell wieder sieht, muss man sagen: Zum Glück!

  2. 10.

    Im Osten feiert niemand Stalin. Hat auch früher niemand. Wassn Quatsch. Als mal wirklich jemand aus der gehobenen Russenriege gefeiert wurde, war es schon 1989. Gorbatschow hat sich im Nachhinein auch als nicht ganz so sauber rausgestellt, aber wie Du auf Stalin kommst …
    Erkläre das mal.

  3. 9.

    Uwe wir im Westen hatten die Freiheit, Danke den Amerikaner, Engländer, Franzosen. Und die Menschen im Osten hatten die Unfreiheit. Punkt

  4. 7.

    Typisch deutsch. Arschkriecherei gegenüber Besatzern. Die Wessies bejubeln Churchill und Bomber-Harris und die Ossies feiern Stalin...

  5. 6.

    Gab's zu den Bombenabwürfen auf verschiedene Deutsche Städte nicht 'nen "kleinen" Vorlauf? Ich meinen mich zu erinnern, darüber mal etwas gelesen zu haben. Und dass Sie die Versorgungsflüge der Alliierten zugunsten der ca. 2. Mio. abgeschnittenen Westberliner mit den Bombardements während des 2. WK in Verbindung bringen und diese Hilfslieferungen als bloßes machtpolitisches Kalkül diskreditieren, ist schon nicht wenig befremdlich, Aaron.

  6. 5.

    Allein schon wegen dieser Aktion sollte man von einer Bebauung des Tempelhofer Feldes absehen. Wie wäre es wohl ohne die Luftbrücke für die Berliner Bevölkerung ausgegangen? Das Tempelhofer Feld ist so ein geschichtsträchtiger Ort, es wäre schon allein wegen der Geschichte eine Schande, das Feld zu bebauen.

  7. 4.

    Es gab auch richtige Bomben auf Deutschland und die trafen vielfach die Zivilbevölkerung und auch meine Familie in Dresden, Cottbus und Hamburg, die sogenannten Rosinenbomber halfen den Amerikanern nur ihre Machtinteressen in Berlin und Europa zu erhalten.

  8. 3.

    Da möchte ich gerne anschließen, ja wir West Berliner haben den Amerikaner, Engländern und auch Franzosen viel zu verdanken. Meine Mutter war hoch schwanger mit mir und hat trotzdem harte am Flughafen Spandau Gatow gearbeitet. Für die West Berliner war es ein graus über die völlig desolaten Autobahnen oder B 5 zu fahren. Die DDR Grenzer haben uns sehr oft grundlos schikaniert, - kann ich bis heute nicht verstehen! Aus diesem Grund vertrage lch die Sachsen Sprache nicht, bekomme ich Gänsehaut!!

  9. 1.

    Die Geschichte erklärt ganz gut die Verbundenheit der älteren Generation zu Amerika. Interessant auch im Vergleich zum Verhältnis der Russen als Besatzungsmacht.

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