Sozialberatung in Berlin - Kindergrundsicherung: weniger Papierkram - gleiche Probleme?

Mi 30.08.23 | 12:22 Uhr | Von Carl Winterhagen
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Symbolbild:Eine Mutter tippt an einem Rechner, während ihr Kind im Hintergrund auf einer Decke liegt.(Quelle:picture alliance/C.Klose)
Audio: rbb24 Inforadio | 30.08.2023 | Carl Winterhagen | Bild: picture alliance/C.Klose

Die neue Kindergrundsicherung soll es Familien einfacher machen, an Geld vom Staat zu kommen. Vor allem Alleinerziehende sollen künftig profitieren. Kann das funktionieren? Von Carl Winterhagen

Eine schöne Idee sei das mit dem Onlineportal für die Kindergrundsicherung, sagt Hajnalka Márkus und fügt an: "Aber die Umsetzung…schwierig."

Hajnalka Márkus ist Sozialberaterin beim Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte. In ihrem Büro in einem Kreuzberger Familienzentrum empfängt sie regelmäßig überfragte Familien und hilft ihnen, Anträge bei der Familienkasse zu stellen oder zum Beispiel beim Jobcenter. Die Familien breiten dann auf dem kleinen Holztisch in ihrem Büro unzählige Dokumente aus.

"Was die Familien oft überfordert", erzählt Márkus, "ist, dass sie gleichzeitig mit drei oder vier Behörden in Kontakt sind, die immer irgendetwas möchten, von dem die Menschen gar nicht verstehen, was es ist."

So wie neulich, da habe sie eine Familie beraten: der Vater berufstätig, die Mutter mit den zwei Kindern zuhause. Weil sie mit dem Elterngeld genau an der Einkommensgrenze lagen, haben sie unterschiedliche Anträge bei verschiedenen Behörden gestellt. Das Resultat: Weil sich die Behörden untereinander nicht einigen konnten, hat die Familie über Monate gar kein Geld bekommen.

"Digital bedeutet nicht einfacher"

Solche Fälle sollen mit der neuen Kindergrundsicherung der Vergangenheit angehören. Ab 2025 soll sie das Kindergeld und in einem Zusatzbetrag zahlreiche soziale Leistungen für Kinder zusammenfassen. Diese Bündelung bei einer einzigen Anlaufstelle begrüßt Márkus sehr. Trotzdem ist sie skeptisch, ob sich die Anträge für die Familien in der Praxis dann wirklich einfacher gestalten, wie sie sagt.

Statt wie bisher mit dutzenden einzelnen Papierformularen - etwa für Kinderwohngeld oder den Kinderzuschlag - soll der Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung bald über ein digitales Portal beantragt werden können. Das sei aber nicht für alle gleichermaßen von Vorteil. "Digital bedeutet aber nicht gleich einfacher", mahnt Hajnalka Márkus. Viele, die zu ihr kommen, hätten keinen Computer zuhause, sondern nur ein Handy. Darüber selbst die entsprechenden Anträge zu stellen, sei für viele eine große Schwierigkeit. "Manchmal helfe ich den Menschen in Beratung nur, eine E-Mail an ein Amt zu verschicken", erzählt die Sozialberaterin.

Symbolbild:Frau saugt Staub mit einem Staubsauger in ihrem Wohnzimmer und ihr Kind schaut zu.(Quelle:picture alliance/U.Grabowsky/phototek.net)

"Auf jeden Fall eine Verbesserung" für Alleinerziehende

Bei der Pressekonferenz zur Einigung in Sachen Kindergrundsicherung hatte FDP-Finanzminister Christian Linder betont, dass es mit dem neuen Modell "keine generellen Leistungserhöhungen" geben soll. Verschiedene Sozialverbände - wie auch die "Arche" in Berlin - hatten das scharf kritisiert, forderten mehr Geld für Leistungsempfänger.

Aber: Für Alleinerziehende soll der Unterhalt in Zukunft laut der Pläne der Bundesregierung nur noch zum Teil auf das Einkommen angerechnet werden. "Das", sagt Hajnalka Márkus, "ist auf jeden Fall eine Verbesserung, weil diese Familien dann mehr Geld zur Verfügung haben."

Marja Ellinghaus ist Vorsitzende des Berliner Verbands alleinerziehender Mütter und Väter. Sie finde diese konkrete Anpassung zwar gut, gibt aber zu bedenken: "Das wird der Lebensrealität vieler Alleinerziehender nicht gerecht." Denn die Neuerung gelte nur für erwerbstätige Alleinerziehende. Viele Alleinerziehende müssten aber Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder seien selbst krank. "Das wird da alles nicht mitgedacht", so Ellinghaus. Insgesamt sei die Kindergrundsicherung aus ihrer Sicht eher eine Verwaltungsreform.

Sozialberaterin Hajnalka Márkus stellt sich deshalb darauf ein, dass auch mit der Kindergrundsicherung weiter viele Menschen ihren Rat suchen werden. Dann werden vielleicht weniger Dokumente auf dem Tisch in ihrem Büro ausgebreitet, aber die Fragen bleiben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.08.2023, 13:00

Beitrag von Carl Winterhagen

10 Kommentare

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  1. 10.

    Geld wie Heu? „Das ist ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen“, sagte die Grüne Ministerin Paus. Sie nennt den Betrag von 636 Euro. Bedeutet dies, dass Kinder im Bürgergeldbezug künftig mehr Geld erhalten sollen als ihre Eltern? Oder werden Teile der 636 Euro doch mit Bürgergeldzahlungen an die Eltern verrechnet?

  2. 9.

    Bitte nicht ganz so ernst nehmen. Soll nur anregen zum nachdenken. In alle Richtungen.

    Denn es gibt 2 Lager:
    Die einen wollen die Allgemeinheit aufkommen lassen, für alles was Kinder kosten.
    Die anderen wollen helfen, wenn es „brennt“.
    Was ist bezahlbar?
    Neulich gehört: „Ich war mein ganzes Leben für meine Tochter da. Und als sie 17 war konnte ich sie mal alleine lassen.“ Das hat Auswirkungen, nicht nur auf die Rente. Gebende war sie eher nicht.

  3. 8.

    Wie meinen Sie das bitte von denen zu geben wo die Kinder raus sind ?

  4. 7.

    CDU Chef Merz kritisiert erhöhte Transferleistungen wie Kindergrundsicherung und erhöhtes Bürgergeld. „Wir müssen vor allem an diejenigen denken, die in den unteren und mittleren Einkommensgruppen unterwegs sind“, betonte Merz, „Die morgens um sieben aufstehen und sich die Frage stellen, warum stehe ich eigentlich auf und gehe arbeiten, wenn ich ohne Arbeit für meine Familie genauso viel bekommen kann.“

  5. 6.

    Die Lebensform „Alleinerziehend“ ist nich zu empfehlen, trotz der vielen Zusatzeinkommen .... Vor allem wenn man Kinder mag.
    Gibt es tatsächlich Leute die anderen dieses Zusatzeinkommen missgönnen? Es ist doch sooo klein. Mindestens 800€/Kind wurde von den Wohlfahrtsverbänden angemahnt. Das wird doch wohl „drin sein“? (Besonders von denen zu geben, wo die Kinder raus sind)

  6. 5.

    Die Komplexität wird dadurch sicherlich nicht beseitigt, auch wenn Digital und aus einer Hand. siehe Steuererklärung über Elster oder neue Grunderwerbsteuerbeantragung online, etc, etc.. Wer das schon mal gemacht hat, weiß wovon ich hier schreibe. Wenn es helfen sollte, dann müßte es ein Antrag sein mit ein paar wenigen Angaben vom Antragsteller zu dem was er möchte für sein Kind(er), am Besten zum ankreuzen und in mehreren Sprachen, und das derzeitige Haushaltsgesamteinkommen inkl. Bankverbindung und das wars,. Den Rest sollte dann die Behörde machen. Aber davon (von so einem Bürokratieabbau) kann man wohl in Deutschland nur träumen .....
    Persönlich bin ich ja der Meinung, dass dies den Kindern auch nicht hilft, denn wo geht das Geld denn hin, zu den Eltern und nicht dort immer zum Wohle des Kindes. Aber das ist ein anderes Thema ....

  7. 4.

    Es werden sehr hohe Summen für Nichtstun gezahlt. Man kann also ein-zwei Mal im Jahr dafür Dokumente vorbereiten und einreichen. Also man soll mal die Kirche im Dorf lassen. Die Menschen werden fürs Faulenzen fürstlich entlohnt. Etwas bemühen kann man sich ja schon.

  8. 3.

    Nein. Am bürgernähesten wäre es, wenn der Vorsatz, durch überborderne Bürokratie die Auszahlung berechtigter Leistungen zu verhindern, staatlicherseits aufgegeben würde. Was würde denn dagegen sprechen, wenn die Ansprüche von Kindern (!) von Amts wegen und antraglos ermittelt werden würden.

  9. 2.

    Am besten wird alles ohne Antrag gezahlt, bzw der Antrag kann formlos per WhatsApp in jeder Sprache gestellt werden. Nur das ist doch Bürgernahe

  10. 1.

    Ich freue mich, hier wieder die -sehr- sozialen Kommentare zu lesen. So, die Hinweise auf die gezahlte Einkommensteuer, die dann alles erklärt und legitimieren. Nun ist so. ...
    Gut beschrieben im Artikel das Beispiel, dass Aufgrund der über bzw unterschritten Einkommensgrenzen erstmal Pingpong der Zuständigkeit auf dem Plan steht. Genau das soll die neue Regelung ab 2025 leisten können. Eine Behörde für die Kinder, die dann alles aus einer Hand organisiert, berät, Bescheide versendet und die gesetzlichen Ansprüche auszahlt. Im Sinne von, Investitionen in die Kinder, ist die Wirtschaftkraft von morgen, und nicht die Kinder haften für ihre Eltern.

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