Senat plant Personalentwicklung 2030 - Surfen auf der Pensionierungswelle
Die Stadt wächst, aber dem Senat geht das Personal aus. Mit einer neuen Personalstrategie will Schwarz-Rot Reserven mobilisieren, aber langfristig soll Berlin mit weniger Beschäftigten im öffentlichen Dienst auskommen. Von Christoph Reinhardt
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat zur Präsentation seines Personalentwicklungsprogramms nicht nur das frisch vom Senat beschlossene Papier mitgebracht, sondern auch eine schlechte Nachricht. Stand heute gebe es 7.600 unbesetzte Stellen, das haben die Statistiker dem für Personal zuständigen Finanzsenator mit auf den Weg gegeben.
Und auch das "PEP 30" genannte Papier beginnt erstmal mit einer personalpolitischen Horrorshow: Die Zahl der offenen Stellen, die "nicht mehr zeitnah adäquat ersetzt" werden könne, wachse. Wertvolles Erfahrungswissen gehe verloren. Die Belastung auf die die Verbliebenen steige, in deren Folge die Gesundheitsquote sinke.
"Großer Druck führt zu größeren Lösungen"
"Die Zeit zum Handeln ist jetzt", ist die Schlussfolgerung des CDU-Politikers Evers, der seit vier Monaten die Verantwortung für die seit Jahren anschwellende Personalkrise trägt. Die verfahrene Situation will er zum Momentum machen: "Ich glaube, dass große Druck auch zu größeren Lösungen führt – und der Druck war niemals größer als jetzt." Nach dem Ende der Sparen-bis-es-quietscht-Politik dauerte es noch mehrere Jahre, bis der ganz auf Personalabbau geeichte Berliner Senat einsah, dass die schon vor zehn Jahren ansteigende Pensionierungswelle nicht die Lösung des Haushaltsdefizits, sondern das Problem einer rasant wachsenden Stadt geworden war. Seit 2015 steigt die Zahl der Stellen erst ganz langsam, dann immer schneller wieder an. Allein in den fünf Jahren zwischen 2018 und 2023 holte das Land fast 14.000 zusätzliche Beschäftigte an Bord.
Aber der Scheitel der Pensionierungswelle ist noch immer nicht erreicht. Rund 40.000 der heute Beschäftigten werden in den nächsten zehn Jahren aus Altersgründen ausscheiden. Die Zahl der Bewerbenden aber stagniert statt zu steigen. Und auch wer einmal an Bord ist, bleibt nicht für ewig bei seinem Dienstherrn. "Jährliche Austritte von über 1.000 unbefristeten Beschäftigten" im besten Alter zwischen 30 und 40 Jahren, zählt die Personalstatistik, "ein alarmierendes Zeichen."
87 Prozent der Ausbildungsplätze im ersten Quartal besetzt
Und ausgerechnet in der strategisch wichtigen Ausbildung hakt es, hat die Jugend- und Auszubildendenvertretung des Landes (HJAV) erst in der vergangenen Woche mit einem Brandbrief öffentlich gemacht. Gerade mal 87 Prozent der Ausbildungsplätze konnten im ersten Quartal besetzt werden. Wer sich bewerbe, müsse im Schnitt vier Monate auf eine Zusage warten, beklagt die HJAV in ihrem Brandbrief – bei der Feuerwehr sogar acht Monate: "Wer kann es einer 18-Jährigen verübeln, dass sie nicht acht Monate auf eine Einstellungszusage bei der Berliner Feuerwehr warten möchte, das sind fast fünf Prozent ihrer bisherigen Lebenszeit."
Mit dem demografischen Wandel und der allgemein schwierigen Situation allein lasse sich die Misere nicht erklären, sagt der Finanzsenator. Um langwierige Stellenbesetzungen abzukürzen, will er das komplizierte Dienstrecht reformieren. Evers: "Ziel ist, das modernste und flexibelste Dienstrecht im Ländervergleich zu entwickeln." Eine Ansage auch in Richtung Gewerkschaften und Personalvertretungen, deren Beteiligungsrechte ebenfalls auf den Prüfstand sollen.
Bessere Bezahlung mit Stufenmodell
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt das neue Programm trotzdem, denkt aber vor allem an bessere Aufstiegschancen, günstige Dienstwohnungen und eine höhere Besoldung auf Bundesniveau. "Das vorgelegte Personalentwicklungsprogramm zeigt, dass der Berliner Senat die seit Jahren anwachsende Handlungsnotwendigkeit endlich erkannt hat und bereit ist gegenzusteuern, bevor Berlins Verwaltung komplett vor die Wand gefahren wird", sagt der GdP-Landesvorsitzende Stephan Weh. Für die Beamten sieht das "PEP 30" ein (erst noch zu entwickelndes) Stufenmodell vor, dass die Berliner auf das Bundesniveau anheben soll. Um die Gehälter der Angestellten zu erhöhen, muss Berlin den Umweg über die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) gehen.
Die Interessen dieser sogenannten Tarifbeschäftigen vertritt vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann teilt die wesentlichen Diagnosen des Personalentwicklungsprogramms. Es enthalte viele Elemente, die Gewerkschaften und Personalvertretungen seit Jahren fordern, "die begrüße ich außerordentlich". Aber insbesondere den Einsatz des Finanzsenators für höhere Gehälter will Kühnemann nicht nur auf dem Papier, sondern in der nächsten Tarifrunde sehen. Sie werde selbst dabei sein, wenn ab Oktober die öffentlichen Arbeitgeber mit den Gewerkschaften über Gehaltssteigerungen verhandeln. "Das Land Berlin ist in dieser Runde ein großer Player und wichtiger Arbeitgeber – ich bin gespannt, ob Berlin diese Forderungen des Finanzsenator auch einbringt."
Opposition bemängelt Umsetzungsproblem
Auch die Opposition will Taten sehen. Die Ankündigung von schnelleren Stellenbesetzungen sei "eine Selbstverständlichkeit", sagt die Sprecherin für Personal und Verwaltung der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Hendrikje Klein. "Man könnte da sehr schnell angreifen, indem man die Personalreferate in den Bezirken und in den Senatsverwaltungen stärkt." Dem Personalentwicklungsprogramm fehle vor allem ein Umsetzungsprogramm.
Die grüne Haushaltspolitikerin Julia Schneider hat inhaltlich nicht viel auszusetzen an dem neuen Papier, kann aber kaum Neuigkeiten entdecken. Sie stört sich vor allem an Evers' Darstellung, dass Berlin langfristig seinen öffentlichen Dienst aufgrund der demografischen Entwicklung mit weniger Personal als bisher planen und schon daher auf Digitalisierung setzen müsse. Diese "fatalistische Sicht" dürfe nicht der Anspruch des Senats sein und werde auch der Digitalisierung nicht gerecht. "Wahrscheinlich ist es richtig, dass wir nicht alle Stellen 1:1 nachbesetzen werden können. Die Anforderungen der Arbeitswelt werden anders und die besetzten Stellen auch." Dafür brauche es vor allem erstmal ein Ausbildungskonzept, das zwischen den Berliner Behörden abgestimmt sei.
Sendung: rbb24 Inforadio, 29.08.2023, 18 Uhr