Grüne, Linke und AfD - 100 Tage neuer Senat: So schlägt sich die Berliner Opposition

Fr 11.08.23 | 07:21 Uhr | Von Sebastian Schöbel, Agnes Sundermeyer und Leonie Schwarzer
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Symbolbild: Der leere Plenarsaal im Abgeordnetenhaus in Berlin (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)
Video: rbb24 Abendschau | 11.08.2023 | Agnes Sundermeyer | Bild: IMAGO/Emmanuele Contini

Der neue Senat hat sich bereits ein gutes 100-Tage-Zeugnis ausgestellt. Die Opposition schätzt die Leistung der Regierung - erwartungsgemäß - weniger positiv ein. Doch wo stehen Grüne, Linke und AfD? Von S.Schöbel, A. Sundermeyer und L. Schwarzer

Die Wände in der Friedrichshainer Landesgeschäftsstelle der Grünen Jugend sind bunt beklebt mit Plakaten, in der Ecke stehen zwei durchgesessene Sofas. Die Bilanz zum Start von Schwarz-Rot fällt eher mäßig aus. "Nichts beschreibt diesen Senat mehr, als dass diese 100 Tage Koalition auch noch in die Sommerpause fallen", sagt Sprecher Kasimir Heldmann und lacht.

Anders als so manche Parteikolleg:innen ist der grüne Parteinachwuchs froh, nicht in einer Koalition mit der CDU gelandet zu sein. Der Jugendverband hatte sich klar dagegen ausgesprochen, als Parteichefin Bettina Jarasch damals am Verhandlungstisch mit Kai Wegner saß. Jetzt also wieder Opposition nach rund sechs Jahren Regierung. Das gebe der Partei Gelegenheit, "neue Ideen zu entwickeln", sagt Sprecherin Leonie Wingerath.

Zuletzt hat die Grüne Jugend eine Kampagne gestartet, die sich gegen die Sicherheitspolitik der neuen Regierung richtet. "Eure Sicherheit macht uns Angst!", steht in großen Buchstaben auf den Plakaten, darunter ist ein Polizeiauto zu sehen. Ausweiskontrollen vor Berliner Freibädern, mehr Kameras im Görlitzer Park: Das sei nicht der richtige Weg. "Wir glauben, dass die Sicherheit des Senats durch verstärkte Polizeipräsenz, durch verstärkte Überwachung, besonders Menschen, die Diskriminierung erfahren, Angst macht", sagt Wingerath. Die Grüne Jugend wolle deshalb einen neuen Sicherheitsbegriff suchen, mehr auf Prävention und soziale Arbeit setzen.

Grüne Selbstkritik wegen der Friedrichstraße

Auch der langjährige Grünen-Politiker Michael Cramer kritisiert die neue Berliner Regierung, vor allem den vorübergehenden Stopp des Radwegeausbaus durch Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU). Doch der frühere Berliner und Europa-Abgeordnete schaut auch selbstkritisch auf die eigene Partei. "Ich hätte 14 Tage vor den Wahlen nicht die Friedrichstraße zu einer Fußgängerzone gemacht", sagt er.

Nach jahrelangem Streit hatte die damalige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch Ende Januar plötzlich die Straße für Autos gesperrt. Inhaltich richtig, sagt Cramer, aber zum falschen Zeitpunkt: "Das war der rote Teppich für diejenigen, die den Grünen sagen, sie wären ideologisch und Nein-Sager."

Jarasch, inzwischen grüne Fraktions- und damit Oppositionsführerin, ärgert sich heute darüber, dass der neue Senat viele rot-grün-rote Projekte zurückdrehe, vor allem in der Verkehrspolitik. "Das nennen wir Rückschritt." Es bringe niemandem etwas, wenn getane Arbeit wieder in Frage gestellt und zunichte gemacht werde. Selbst geschafft habe der neue Senat derweil wenig, sagt sie. "Sie haben einen Haushalt aufgestellt, einen Queerbeauftragten ernannt und viele verkehrspolitische Projekte rückabgewickelt – das ist dünn."

Die neue Regierung werde sie "treiben", sagt Jarasch. Es gebe viele zu tun: "Wie kann in so einer Großstadt wie Berlin, mit demnächst vier Millionen Menschen, das Leben trotzdem so sein, dass alle im Klimawandel hier gut leben können, in Wohnungen, die man bezahlen kann?" Fragen, auf die der Senat aus ihrer Sicht keine überzeugenden Antworten geliefert hat. Drei Jahre lang haben die Grünen nun Zeit, zu beweisen, ob sie es selber können.

Linke nehmen SPD ins Visier

Katalin Gennburg war schon eine Oppositionelle, als ihre Linkspartei noch mitregierte. Man sieht das ganz gut in ihrem Wahlkreisbüro im Ortsteil Plänterwald: An der schweren Stahltür wird man von einem Aufkleber begrüßt, der Ex-Bausenator Andreas Geisel von der SPD kritisiert. Mit ihm und den Sozialdemokraten lag Gennburg in der Mieten- und Wohnungspolitik ständig über Kreuz. "Da haben wir einen handfesten Konflikt", sagt Gennburg heute. Wegen der Frage der Vergesellschaftung habe die SPD die Linke dann auch "aus der Regierung geschmissen". Das sei "eine Kampfansage", so Gennburg.

Die streitbare Abgeordnete aus Treptow-Köpenick steht stellvertretend für die Stimmungslage bei den Berliner Linken: Verantwortlich für das Aus von Rot-Grün-Rot und die gemeinsamen Ziele der Koalition wird die SPD gemacht – und soll das nun zu spüren bekommen.

Vor allem beim Thema Wohnen will die Linke Druck auf die Sozialdemokraten machen. "Wir beobachten gerade, dass Schwarz-Rot hier die Axt anlegt und zum Beispiel beim kommunalen Wohnungsbau Vorschläge wie Eigentumswohnungen vorlegt", sagt Co-Parteichefin Franziska Brychcy. "Das ist nicht mehr der soziale Kern."

Schwarz-Rot spalten, um Rot-Grün-Rot wiederzubekommen

Brychcy, die seit Mai zusammen mit Max Schirmer die Linke in Berlin führt, schaut vor allem auf das jüngste Wahlergebnis. 46.000 Stimmen verlor die Partei im Februar ans Nichtwählerlager – nirgendwo war der Aderlass größer. Über Oppositionsarbeit aus den Kiezen heraus, gemeinsam mit Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern, will sich die Linke nun zurückkämpfen, die eigene Basis mobilisieren und den Negativtrend bei Wahlen beenden.

Die SPD sozialpolitisch herauszufordern ist aber auch der Versuch, die CDU-kritischen Teile der SPD anzusprechen – in der Hoffnung, Rot-Grün-Rot nach der nächsten Wahl wiederzubeleben. Dafür will die Linke von der Oppositionsbank aus einen Keil zwischen CDU und SPD treiben.

Dass jüngst Kai Wegner, der Regierende Bürgermeister von der CDU, sogar linke Positionen unterstützt hat, zum Beispiel bei der Abschaffung der Schuldenbremse oder der Ausweitung des Wohnberechtigungsscheins, quittiert Brychcy mit oppositioneller Vehemenz. Sie verweist auf die jüngste Debatte über Schlägereien in Freibädern, bei der die CDU auf Ausgrenzung und sicherheitspolitische Härte gesetzt habe. "Ich kann mir nicht vorstellen, mit dieser in Teilen rassistischen CDU zusammenzuarbeiten", so Brychcy.

Die AfD hat einen neuen Gegner ausgemacht

Die AfD ist zwar geblieben, wo sie war - in der Opposition - doch für Carsten Ubbelohde hat sich vieles verändert. Er ist jetzt nicht mehr nur Zahnarzt, sondern auch wieder Abgeordneter im Berliner Parlament. Weil die AfD bei der Wiederholungswahl ihr Ergebnis verbessern konnte, hat er sein 2021 verlorenes Mandat zurückgewonnen. In seiner Praxis arbeitet er nun nur noch circa ein Drittel seiner Arbeitszeit. Im Parlament braucht ihn seine Fraktion als gesundheitspolitischen Sprecher.

Neu ist aber auch, dass der politische Gegner nicht mehr der rot-grün-rote Senat ist. Sondern die CDU. "Wir sind im Prinzip die einzige konservative Oppositionskraft im Abgeordnetenhaus", sagt er, während er sich die Einweghandschuhe anzieht. "Das macht es für uns auf der einen Seite natürlich leichter, weil wir die CDU vor uns hertreiben können." Gleichzeitig ist es aber auch ein Dilemma: Denn die CDU ist die Partei, mit der die AfD einmal regieren will.

Ziel der AfD: mitregieren

Radikale Töne, wie beim letzten AfD-Bundesparteitag in Magdeburg, die auch den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen haben, wird man in Berlin deswegen nicht hören. Doch Ubbelohde distanziert sich auch nicht von der teilweise rechtsextremen und verschwörungsideologischen Rhetorik. Es sei eine lange, anstrengende Veranstaltung gewesen, sagt er. "Da kommen Überzeichnungen in der Sprache auch mal vor. Das finde ich völlig in Ordnung, völlig menschlich."

AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker will nun nochmal verstärkt auf das Thema innere Sicherheit setzen - auch ein erklärtes CDU-Thema. "Kai Wegner kündigt viel an“, sagt sie und verweist auf die Debatten nach den Freibad-Schlägereien und den Vorfällen im Görlitzer Park. "Die Frage ist doch: Was ist mit der Umsetzung?" Tatsächlich unterscheidet sich das Konzept der AfD für Freibäder nicht wesentlich von dem der CDU, die Einlasskontrollen und gegebenenfalls Hausverbote, sowie mobile Polizei-Wachen fordert.

Frank-Christian Hansel, AfD-Gründungsmitglied und lange ihr Schatzmeister, weiß, dass die Berliner CDU jede Zusammenarbeit mit der AfD ablehnt. Er ist trotzdem optimistisch. "Ich hätte selber nicht gedacht, dass wir im Westen so schnell auf 20 Prozent kommen." In Berlin will die Partei dem nacheifern, die Regierung beim Klimaschutz und der inneren Sicherheit angreifen.

Doch ob die AfD von dieser Strategie profitiert, kann nur die kommende Wahl zeigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.08.2023, 08:06 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel, Agnes Sundermeyer und Leonie Schwarzer

91 Kommentare

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  1. 91.

    Vielleicht will "Teichert" die rechtsextreme afd von innen zersetzen...? Ich glaube aber eher nicht...

  2. 90.

    Teichert will die AfD doch nicht nur wählen, sondern Mitglied werden und sich dort politisch engagieren. Er schreibt: "Also nach langem hin und her ... möchte ich mich nun der AFD anschließen. . . . Sollte es klappen wird man von mir hören..."

    Da bin ich ja gespannt, was er dbzgl. hier präsentiert. Ich tippe mal auf eine Initiative pro Fahrradsteuer. ;)

  3. 89.

    Ich behaupte sogar, dass Höcke mittlerweile die Richtung vorgibt. Aber "Teichert" scheint den Rechtsextremismus der afd komplett zu leugnen, was sich aktuell in einer anderen Kommentarspalte sehr deutlich nachlesen lässt.

  4. 88.

    Ich behaupte sogar, dass Höcke mittlerweile die Richtung vorgibt. Aber "Teichert" scheint den Rechtsextremismus der afd komplett zu leugnen, was sich aktuell in einer anderen Kommentarspalte sehr deutlich nachlesen lässt.

  5. 87.

    Die deutsche Missgunst/Neid…. Was iich nicht brauche/will braucht auch kein anderer…. Und als letztes mittel muss man das dann eben verbieten, weil es (k)ein Mensch nicht braucht. Ist aber nicht neu… sah man besonders gut während Corona.

  6. 86.

    "den Flügel um Herrn Höcke meine ich damit nicht!"

    Ja nu. Den wählen Sie dann aber mit. Und der operiert auch nicht mehr im Hintergrund der Partei. Überlegen Sie sich das also gut.

  7. 85.

    Darum nutzen auch soviel Menschen auch Carsharing und E Scooter.

  8. 84.

    Ja, aber auch bei denen 3 fällt hoffentlich bald mal der Groschen.

  9. 83.

    Können Sie das auch irgendwie begründen oder sind Sie einfach generell gegen mehr Nachhaltigkeit?

  10. 82.

    Wenn Rechtsextremismus auch als solcher benannt wird, ist das noch lange keine Kampagne...

  11. 80.

    Die Grünen und Linken sind besser in der Opposition, regierungsfähig war die Leistung im AGG nicht. Das haben alle gesehen. Mal sehen wie sich die neue Sarsh Wagenknechtpartei zur nächsten Wahl aufstellen wird.

  12. 79.

    Carsharing und e-Roller sind der letzte Dreck, braucht kein Mensch in Berlin. Sollte man verbieten.

  13. 78.

    Danke für den Kommentar Margot, trotz gewaltiger Kampagnen von ARD und ZDF sowie linken Blättern (Zeit, Taz,usw) gegen die AfD konnte die AfD an Zustimmung gewinnen.

  14. 77.

    Werte Dame,
    Sie sehen Radikalität als Qualitätsmerkmal an?
    Ich nicht. Die AFD ist nach Einschätzung von AFD-Ikone Gauland ein "gäriger Haufen".
    Und so was wollen Sie wählen?
    In Berlin kennt auch kaum jemand den Fraktionsvorsitzenden der AFD.
    Woran liegt das wohl? Meine Vermutung: zu radikal. Ich wähle ja auch keine Kommunisten.

  15. 76.

    "Ich finde auch die einzig wirkliche Opposition ist die AfD. Die hat als einzige den Mut etwas zu ändern. "

    Hmm, spontan fallen mir Mietendeckel, "DW enteignen" und Mobilitätsgesetz ein, bei dem (Teile von) RRG nicht nur den Mut hatten, etwas zu ändern; sondern auch geändert haben.

    "Ohne die AfD würden wir viele Sachen gar nicht erst erfahren. Wie etwa durch unbequeme Anfragen in den Parlamenten,"

    Anfragen sind seit Jahrzehnten übliches Mittel der parlamentarischen Arbeit und wurden/werden ausgiebig genutzt (entsprechende Statistiken liegen als Drucksache vor). Dazu braucht es nicht die AfD.

  16. 75.

    Die jammernden Parteien und schlechten Verlierer sind in der Opposition, weil sie Verk**** haben. Sie haben gedacht, sie können ihr Ideologieding für ihr jeweiliges Minderheiten-Klientel durchziehen, die Beute Berlin unter sich aufteilen und allen anderen hier lebenden an den Koffer Ka**** vergraulen, rausekeln, vertreiben... schikanieren und "bedrohen" bis sich die Balken biegen. Ob Wohnungsbau, Enteignung, Deckel, Parkraumvernichtung, Betonpoller, Sitzecken, Straßensperrungen.. Anwohner gegen Fußgänger gegen Radfahrer gegen Autofahrer... Das ist dann wohl nach hinten los gegangen und darauf kommen die jetzt nicht klar. Wie kann man nur eine Meinung außer ihrer eigenen haben.
    Wie unreif und ungeeignet die Neuopposition ist, sieht jeder, wenn sie nur den Mund auf machen. Ich persönlich finde, beide Parteien sind ein deutlicher Fall für den Verfassungsschutz. ABER... wer entscheidet über Richter, Staatsanwälte oder die Führung des Verfassungsschutzes ??? Tip: nicht die AfD.

  17. 74.

    Das ist keine Opposition, das ist ein rechtsextremer Haufen, der zu recht auf dem Bildschirm des Verfassungsschutzes steht und am Ende auch Ihnen das Fell über die Ohren ziehen wird!
    Wie zitierte schon Bert Brecht den abgewandelten Spruch: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber."

  18. 73.

    Welche Phantasien?
    Car-Sharing gibt es wirklich.
    Das hat auch nichts mit Ideologie zu tun.

  19. 72.

    "Das das hinterlassene Chaos erst einmal sondiert und geprüft werden muss, wird dabei nicht berücksichtigt."

    Welches "hinterlassene" Chaos wird denn sondiert und geprüft? Wenn Sie das mit den Radwegen meinen: da gab es weder ein Chaos, noch wurde geprüft. Das war schlichtweg eine Ausrede. Nur zur Erinnerung: Im ersten schreiben an einige (!) Bezirke hieß es sinngemäß: Stopp bei allen Radwegen; wenn nur ein Parkplatz oder Fahrspur entfällt, dann ist es das finale Stop.
    In welchen Bereichen wird noch "sondiert und geprüft"? Und wie lange? Ist schließlich nur eine verkürzte Legislaturperiode für den Senat.

    Ansonsten: Es ist üblich, dass die Opposition groß Töne spuckt. Das würde z.B. die CDU nicht anders machen (im Bund macht sie es nach 16 Jahren Kanzlerschaft). Und nach dem Desaster von Frau Schreiner erwarten das auch viele.

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