Interview | Queer-Beauftragter Pantisano - "Wir queeren Menschen leben regelmäßig in Angst. Auch in Berlin"
Keine zehn Tage ist Alfonso Pantisano im Amt als erster Berliner Queer-Beauftragter - und hat schon ordentlich Wirbel gemacht. Im Interview spricht er über seine Anzeige gegen Julian Reichelt und wie er den Regierenden zum Gendern ermutigen will.
rbb|24: "Loud and proud" ist ein Schlachtruf der queeren Community, gerade im aktuellen Pride Month. Laut sein und stolz sein – was bedeutet das für Sie ganz persönlich?
Es bedeutet, meine Stimme zur Verfügung zu stellen für die queeren Communities. Ich will ihnen dienen, damit ihre Anliegen dort gehört werden, wo sie gehört werden müssen.
Wie schwierig ist es für Sie, "loud and proud" zu sein? Sie haben in vielen Interviews erzählt, wie traumatisch Ihr Coming-out mit 19 war. Ihre Eltern waren schockiert und haben Sie erstmal vor die Tür gesetzt. Kommt emotional viel hoch, wenn sie in der Nacherzählung jetzt nochmal alles durchleben oder stellen Sie erleichtert fest: Das habe ich verarbeitet?
Ich habe es verarbeitet. Ich habe tatsächlich viele Jahre Therapie gebraucht, um die Wunden, die ich damals hatte, zu Narben werden zu lassen, die werde ich wahrscheinlich nie losbekommen. Aber ich bin seit vielen Jahren ein sehr stolzer schwuler Mann, der sein Leben liebt und ganz glücklich lebt.
Haben die letzten Tage gezeigt, dass Sie vielleicht zu "loud" und zu "proud" für manche Menschen sind?
Das mag sein, aber die queere Community ist noch sehr leise, wenn es darum geht, ihre Anliegen hörbar werden zu lassen. Wir haben ein System in Deutschland, das sich immer noch wohl damit fühlt, wenn Minderheiten Minderheiten bleiben.
Aber als Gesellschaft im Jahr 2023 muss unser Anspruch doch sein, dass alle gleichberechtigt sind und die gleichen Chancen haben. Das gilt nicht nur für queere Menschen, sondern auch für Frauen, Menschen mit Migrations-Biografie oder Ärmere.
Die queere Community kämpft diese Kämpfe nicht nur für sich, sondern auch für die anderen, weil wir wollen, dass alle gleichberechtigt am Tisch der Inklusion sitzen.
Sie haben in ihren anderthalb Wochen im Amt schon Schlagzeilen gemacht, weil sie den früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt angezeigt haben. Er hatte auf Twitter zu einem Foto von der Regenbogenflagge vor dem Berliner Polizeipräsidium geschrieben, vor der Polizei und "den düsteren Fassaden unserer Geschichte" sollten nie wieder die Flaggen einer politischen Bewegung gehisst werden: "Jede totalitäre Ideologie hat schon immer die 'Solidarität' beschworen." Sie sehen darin Volksverhetzung, Ihre Kritiker sehen die Anzeige als Angriff auf die Pressefreiheit.
Mein Auftrag als Demokrat ist es, Desinformation, Falschinformationen, Propaganda und all die anderen Dinge, die unsere Demokratie angreifen, zur Anzeige zu bringen. Das habe ich getan und darauf bin ich stolz.
Aus meiner Sicht hat Julian Reichelt genau das bewirkt, was er bewirken wollte, denn von seinen Anhängerinnen bekomme ich jetzt zu hören, dass die Regenbogenflagge mindestens genauso schlimm sei wie die Hakenkreuzflagge und dass wir mindestens genauso schlimm seien wie die Nazis. Reichelt hat Teile des Volkes aufgehetzt.
Hetze ist sein Geschäft, damit macht er Geld und damit zerstört er unsere Demokratie. Deswegen kann meine Einladung nur sein: Lasst uns zusammenstehen und diesem rechten Terror, der sich auf den Weg macht, Einhalt gebieten.
Einer, der in dieser Angelegenheit nicht mit ihnen zusammenstehen wollte, war CDU-Fraktionschef Dirk Stettner. Er erklärte, sie agierten nicht im Namen des Landes Berlin oder des Senats.
Der Berliner Senat hat mich ernannt, damit ich als Ansprechperson queeres Berlin für die Landesregierung agiere. Und alles, was sich tue, stimme ich mit der Hausleitung meiner Senatsverwaltung ab (Anmerkung der Redaktion: Pantisano ist im Ressort Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung angesiedelt).
Alles andere muss Herr Stettner dann mit den anderen Akteurinnen klären. Ich habe meinen Job getan, so wie es der Senat mir auferlegt hat.
In Ihrer neuen Position wird jede Ihrer Äußerungen sehr genau beobachtet. Unter anderem wurde Ihnen nach einem Interview in der "Welt" vorgeworfen, Sie würden die Homosexuellen-Feindlichkeit in der arabischen und muslimischen Gemeinschaft verharmlosen. Tun Sie das?
Selbstverständlich nicht. Ich lasse mich nicht auf dieses Narrativ der Springer-Presse ein, dass, wenn wir über Homophobie sprechen, immer die anderen schuld sind, immer die Araber und die Türken. Wenn das als Satz fällt, dann schreit im Hintergrund ganz laut das Wort "Rassismus".
Wir haben ein Problem auch in Teilen der muslimisch geprägten Gesellschaft, aber wir haben auch ein großes Problem in anderen Religionen, unter anderem in der katholischen Kirche. Genauso haben wir ein Problem mit Menschen, die Atheisten sind und glauben, dass es falsch ist, wie ich lebe. Wir haben es mit rechten Strukturen zu tun, die ihr Familienbild, ihre Art zu leben, gefährdet sehen.
Wenn wir wirklich wollen, dass sich in Deutschland etwas ändert und sich die Situation von queeren Menschen verbessert, dann müssen wir uns alle an die eigene Nase packen und fragen: Wie homophob bin ich eigentlich?
An diesem Samstag steht der Christopher Street Day an, sozusagen der höchste Feiertag für die queere Community. Es wird Ihr 30. CSD - und vielleicht Ihr langweiligster? Weil Sie sich jetzt, in offizieller Position, etwas zurücknehmen müssen, etwa beim Outfit?
Zurücknehmen war noch nie eine Eigenschaft, die ich mir zu eigen gemacht habe. Aber die Zeiten, in denen ich mit Federboas und Glitzer und kurzen Shorts auf den CSD gegangen bin, sind für mich vorbei. Ich freue mich riesig auf den CSD, gerade auch in dieser Funktion. 30 Jahre nach meinem Coming-out, 30 Jahre, nachdem meine Eltern mich von zu Hause rausgeworfen haben, 30 Jahre, nachdem ich den Wunsch gehabt habe, ins Licht zu gehen, stehe ich jetzt auf den Straßen Berlins und weiß, dass ich mit meiner Stimme etwas beitragen kann. Dass ich den queeren Menschen, die viele Forderungen haben, in den nächsten Jahren dienen kann.
Und ich hoffe tatsächlich, dass die Menschen verstehen, dass wir genug Gründe haben, um auf die Straße zu gehen.
Welche Botschaften wünschen Sie sich von Kai Wegner, der als Regierender Bürgermeister mit einem Grußwort den CSD eröffnet?
Ich finde es toll, wie Kai Wegner sich in der queeren Community zeigt und sie unterstützt. Das begeistert mich tatsächlich. Ich würde mir wünschen, dass wir uns irgendwann mal zusammensetzen, bisher hat das terminlich nicht geklappt.
Dann würde ich bei einer Tasse Kaffee über unsere Hunde sprechen, aber vielleicht auch über die Gender-Sprache. Eventuell hat Kai Wegner da eine Chance, sich noch ein bisschen mehr auf die Community zuzubewegen.
Stichwort Gender-Sprache: Nicht alle aus der queeren Community sind glücklich, dass er den CSD eröffnet. Das Online-Magazin queer.de kritisiert, Wegner habe vor der Wiederholungswahl erklärt, er wolle das Landes-Antidiskriminierungsgesetz abschaffen und er weigere sich, geschlechtergerechte und transinklusive Sprache zu benutzen. An das Thema möchten Sie also gerne ran?
Ja, klar. Ich glaube, dass es für Politiker und Politikerinnen, die unsere Bürgerinnen und Bürger repräsentieren wollen, gut wäre, wenn sie sich wirklich bemühen, alle zu repräsentieren. Und das beginnt eben bei der richtigen Ansprache.
Ich verstehe aber auch, dass viele Menschen ein Leben lang anders gesprochen haben und wir das mit Zwang nicht ändern. Man muss dafür werben und das würde ich gerne bei Kai Wegner tun, denn aus meiner Sicht kann er das in den nächsten Jahren besser hinkriegen.
Also sollte er am Samstag zur Begrüßung nicht sagen "Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer", sondern eher so etwas wie "Yo, Leute"?
Ich glaube nicht, dass Herr Wegener mit "Yo, Leute" um die Ecke kommt, aber wenn er das macht, würde er mich begeistern. Aber Spaß beiseite, ich gehe davon aus, dass er sagt "Liebe Community" und dann hat er alles richtig gemacht.
Wenn Hunderttausende ausgelassen beim CSD feiern, könnte man auf die Idee kommen, dass Berlin kein Problem hat mit der Akzeptanz queerer Menschen. Aber sie sagen, dass Sie im Alltag durchaus Angst verspüren, wenn Sie als schwuler Mann unterwegs sind. Wann ist das der Fall?
Für viele, die zum CSD kommen und sich so ausgelassen zeigen, ist das der einzige Tag in ihrem Jahr, an dem sie so sein können. Wir queeren Menschen leben regelmäßig in Angst. Auch in Berlin. Auch ich. Immer, wenn ich auf der Straße unterwegs bin und die Hand meines Partners anfasse, verspüre ich als allererstes nicht Liebe – wie Hetero-Paare –, sondern ich verspüre zuerst Angst.
Wir checken ständig die Lage, ob uns jemand entgegenkommt, der uns beleidigt, bespuckt, anrempelt, zusammenschlägt. Ganz oft, wenn wir nach rechts oder nach links abbiegen, lassen wir automatisch die Hände unserer Partner los und gucken erstmal, ob die Situation auf der neuen Straße safe ist.
Das ist Gewalt an queeren Menschen. Da fängt es schon an und deswegen weigere ich mich, von Gewalt nur zu sprechen in Form von Gewalt, die uns ins Krankenhaus bringt. Diese emotionale Gewalt reißt so tiefe Wunden, dass sie manchmal schwerer zu heilen sind als die Kratzer, die blauen Flecken oder die doppelten Kieferbrüche, die wir manchmal bekommen.
In den ersten Tagen als Queer-Beauftragter hatten Sie sehr viele repräsentative Termine. Wie geht es jetzt weiter, wie wollen Sie ganz konkret inhaltlich arbeiten?
Ich hoffe, dass ich die meiste Zeit inhaltlich arbeiten kann. Ich werde mich im Laufe der nächsten Woche hinsetzen und mir einen konkreten Plan machen, wie die nächsten Wochen und Monate ausgestaltet werden sollen.
Wir haben einen sehr langen Katalog an Aufgaben, den wir abzuarbeiten haben, um das Leben queerer Menschen in unserer Stadt besser werden zu lassen, auch sicherer werden zu lassen. Dazu gehören unter anderem ein runder Tisch zum Thema Sicherheit vor Hasskriminalität gegen queere Menschen und ein Fonds, den wir einrichten wollen, um queere Strukturen in den Außenbezirken zu unterstützen.
Wieviel Geld werden Sie für Ihre Arbeit zur Verfügung haben?
Der Senat hat meine Stelle geschaffen und Pläne etwa für den Fonds gemacht – das kann nur funktionieren, wenn sie auch Geld reinstecken. Parlament und Senat wissen, welche Projekte wir brauchen, und ich bin mir sicher, dass es genug Geld geben wird, damit wir in der Stadt wirklich etwas gewuppt bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Müller.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.07.23, 09:40 Uhr