Bürgerdialog in Potsdam-Schlaatz - "Herr Woidke, wann wollen Sie da den Deckel drauf machen?"

Mi 11.10.23 | 08:14 Uhr | Von Markus Woller
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Archivbild: Dietmar Woidke ruft am 07.02.2023 unter dem Titel: "Zur Sache, Brandenburg" am Abend in der Oberkirche Cottbus zu einem Bürgerdialog auf. (Quelle: Imago Images/Rainer Weisflog)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 10.10.2023 | Hanno Christ | Bild: Imago Images/Rainer Weisflog

Der Bürgerdialog ist seit dem Ende der Corona-Zeit ein fester Bestandteil der Kommunikationsstrategie des Brandenburger Ministerpräsidenten. Mitten in der Migrationsdebatte ging es nun in einen sozialen Brennpunkt nach Potsdam. Von Markus Woller

Der Ministerpräsident hat sich vorher etwas zurechtgelegt. Dass die Frage nach der Migration Dietmar Woidke (SPD) beim Bürgerdialog im Schlaatz schnell ereilen würde, das war absehbar. Das Potsdamer Plattenbauviertel ist das, was man gewöhnlich einen "sozialen Brennpunkt" nennt.

Im Vergleich mit anderen Stadtteilen der Brandenburger Hauptstadt gibt es dort die meisten Single-Haushalte, die wenigsten Alten, die meisten Empfänger von Transferleistungen und die höchste Konzentration armer Haushalte und armutsgefährdeter Gruppen. Seit 2015 hat sich der Anteil von Ausländern im Viertel fast verdoppelt. Er stieg von 16,2 auf heute 30,4 Prozent.

Woidke mit neuer Strategie

Angesichts der aktuell aufgeheizten Debatte im ganzen Land also keine Überraschung, dass ein Mann, der sich als Herr Schmidt vorstellt, gleich mit der Einstiegsfrage in diese Kerbe schlägt: Die Kosten für Flüchtlinge stiegen, sagt Herr Schmidt. Bezahlen müsse der Steuerzahler. Wann wolle er, Woidke, denn da mal den Deckel drauf machen?

Woidke weiß nicht erst seit den Wahlen vom Wochenende, dass viele Menschen hier, im Land, sogar in seiner Partei schnell und möglichst einfach zu vermittelnde Antworten auf die Frage der zunehmenden Migrationsbewegung erwarten.

Trotzdem macht er es sich zumindest nicht ganz so leicht: Er hat sich einen Doppelklang bereitgelegt. Auf der einen Seite betont er, dass auch weiterhin Menschen ein Recht auf Asyl zustehe. Eine humanitäre Verpflichtung, dazu stehe er ohne Wenn und Aber. Die Zeiten, in denen Migranten als Bedrohung für den heimischen Arbeitsmarkt galten, die seien zudem lange vorbei. Möglichst schnell in Arbeit müssten die Menschen heute gebracht werden, um Kosten für die Unterbringung zu sparen und gleichzeitig das Arbeitskräfteproblem in beinahe allen Branchen zu lindern.

Schleuserkriminalität soll bekämpft werden

Auf der anderen Seite weiß auch Woidke: "Die Leute haben ein Recht auf Antworten." Man müsse dafür sorgen, dass Deutschland "die richtigen Dinge" unternehme. Dafür sei vor allem der Bund in der Pflicht. Die EU-Außengrenze müsse endlich effektiv geschützt, Polen mehr in die Pflicht genommen und die "mafiösen Strukturen" bei der Schleuserkriminalität bekämpft werden, so Woidke. Um Letzteres sicherzustellen, will seine Partei möglichst schnell Bargeld-Zahlungen an Migranten einstellen. Stattdessen sollen sie zukünftig mit einer Kredit-Karte einkaufen gehen.

Die Nachfrage eines Flüchtlingshelfers aus Potsdam, ob das nicht eine Einschränkung von Rechten für Asylsuchende sei, ihnen die Autonomie genommen würde, pariert der Ministerpräsident mit aktuellen Zahlen: Mehr als 7.000 Menschen seien im vergangenen Monat über die Grenze von Polen nach Deutschland gekommen. Es gehe darum, den Abfluss von Geld an die Schleuser zu verhindern, die sich Deutschland als Ziel vor allem aussuchten, weil hier die Sozialleistungen hoch genug seien, um sich danach von den Geschleusten die Flucht finanzieren zu lassen. Eine Kartenzahlung, mit der nur noch dringend benötigte Sachleistungen möglich sind, sei eine gute Lösung. Naivität könne man sich nicht mehr leisten, so Woidke.

"Umfragen sind Umfragen"

Tim Krause, ein Lokalpolitiker der AfD in Potsdam, hat sich vorgenommen, den Ministerpräsidenten nach diesen Ausführungen zu stellen. Jetzt, wo auch die SPD auf den Kurs der Rechtsaußenpartei einschwenke, solle der Ministerpräsident doch seine Blockadehaltung gegenüber der AfD aufgeben, fordert er. Woidke lässt sich nicht aus der Reserve locken: "Sorgen sie erst einmal dafür, dass Rechtsextremisten und Radikale bei ihnen nichts mehr zu sagen haben", raunzt er zurück.

Die AfD war gleich mit mehreren Vertretern auf diesem Bürgerdialog in Potsdam. Insgesamt waren gut 70 Menschen gekommen, viele auch aus anderen Vierteln der Landeshauptstadt.

Eine junge Frau will wissen, ob die Landesregierung angesichts der jüngsten Umfrage, die die Regierungsparteien allesamt weit abgeschlagen hinter der AfD sieht, denn nun wisse, woran das liegt.

Umfragen seien Umfragen, macht sich Woidke selbst Mut. Wahlergebnisse könnten völlig anders aussehen, sagt er auch vor dem Hintergrund, dass seiner Partei bei der Landtagswahl 2019 schon einmal ein Comeback geglückt ist. Man müsse besser erklären und Lösungen für die Probleme der Menschen finden, glaubt er.

SPD gießt Migrationsstrategie in Antrag

Die SPD hat die von Woidke an diesem Abend beschriebenen Maßnahmen dafür nun in einen Antrag für den kommenden Parteitag gegossen. Handlungsfähigkeit soll das suggerieren in einer Zeit, in der der Eindruck entsteht, dass dem politischen System der Rückhalt, den handelnden Politikern das Heft des Handelns aus den Fingern gleitet.

Die Diagnose scheint den meisten Zuschauern offenbar in die richtige Richtung zu gehen: Man müsse den Menschen nach Jahren der Unsicherheiten, mit Corona und Kriegen, ein Stück Sicherheit im Leben zurückgeben, sagt Woidke und erntet im Bürgerhaus im Schlaatz dafür spontanen Applaus.

Ob die nun eingeleitete Wende in der Migrationspolitik dafür taugt? Es wird auch davon abhängen, ob der Ministerpräsident und sein Kabinett jetzt auch liefern können.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 10.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Markus Woller

21 Kommentare

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  1. 21.

    Klingt in der tat nicht plausibel, die Verbindung die allerdings Sie selbst herstellen.
    "Letzteres" wäre doch wohl "mafiöse Strukturen bei der Schleuserkriminalität (mit Kredit-Karte Zahlung) bekämpf(en)". #Migranten_überweisen_Milliarden_nach_Hause
    Da gibt es in der Tat keine Verbindung mit der Lage des Rechtsstaates in Polen, Ungarn und der Slowakai.
    Und inwiefern diese Maßnahmen mit "Rechtsextremismus" in Verbindung zu bringen sind wäre auch mal interessant...
    Und zur letzten Frage (ist ja schon seiten Jahren Thema) - kann er ja gern machen, wie bereits bei der Migrationsfrage:
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/09/brandenburg-woidke-eu-migration-mpk-bruessel.html
    Nur ist Außenpolitik nicht Aufgabe der Ministerpräsidenten der Länder, noch wird das wohl Jemanden interessieren.

  2. 20.

    "Die EU-Außengrenze müsse endlich effektiv geschützt, Polen mehr in die Pflicht genommen und die "mafiösen Strukturen" bei der Schleuserkriminalität bekämpft werden, so Woidke. Um Letzteres sicherzustellen, will seine Partei möglichst schnell Bargeld-Zahlungen an Migranten einstellen. Stattdessen sollen sie zukünftig mit einer Kredit-Karte einkaufen gehen."

    Weil in Polen, Ungarn und in der Slowakei die demokratischen Rechte abgeschafft, bzw. stark eingeschränkt wurden erhalten Migranten jetzt Kreditkarten? Was ist denn das für ein Unfug? Hilflosigkeit par excellence und Zugeständnis an die rechtsextreme AfD und deren Wählern?

    Warum wirkt Woidke nicht auf den Bund ein und fordert die Einstellung aller EU Zahlungen an diese Staaten, bis dort wieder rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen?

  3. 19.

    Asyl oder was auch immer, nur für diejenigen, die dem deutschen Steuerzahler nicht zur Last fallen. Eine erprobte Erfindung der Amerikaner, leicht und schnell umzusetzen. Die gesparten aber witzigen Milliarden könnte man dann für wichtigere dringende Aufgaben sinnvoll verwenden. Das fängt bei der Gesundheit an und bei bei Infrastruktur noch lange nicht auf.

  4. 18.

    Ob man es gut findet oder auch nicht, die AfD wirkt aus der Opposition heraus. Jetzt läuft alles wie bei einem Schweizer Uhrwerk, bei Asylrecht und sonstiges. Der Druck auf die regierenden muss so groß sein vor den nächsten Landtagswahlen, das die gar nicht wissen wo die zuerst anfangen sollen. Da haben die Wähler in Bayern und in Hessen sehr gute Arbeit geleistet!!

  5. 17.

    Asylrecht aus den 50 Jahren reformieren. Asylanträge können nicht mehr auf europäischen Boden gestellt werden. Leistungen erst NACH berechtigten Asylanspruch. Wer sich trotzdem in Europa aufhält muss sich selbst versorgen. Keine Fluchtverursachenden Angriffskriege auf souveräne Staaten.
    Flüchtlingsfinanzierung nicht durch Steuergeld sondern durch freiwillige Finanzierung.

  6. 16.

    Nun ja - was wollen Sie erwarten?
    Herr Woidke ist schließlich bei der SPD, welche im Bund mitverantwortlich für die Lage ist.
    Da müsste er schon austreten, wenn Sie da etwas Anderes hören wollen.
    Aber auch schon beim Satz: "... keine Konkurrenz am Arbeitsmarkt" ist fraglich, inwiefern man da die Jugendarbeitslosigkeit in der EU ignorieren möchte:
    https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/EUArbeitsmarktMonat.html
    Um politisches Asyl (Art 16a GG und Genfer Flüchtlingskonvention) geht es doch gefühlt schon lange nicht mehr.

  7. 15.

    Bei der Kassenlage in allen Ländern und Kommunen kann sich jeder darauf einrichten, es wird richtig tief in unsere Geldbörsen reingegriffen. Nur wenn die Diäten wieder erhöht werden, dann ist immer genug Geld da.

  8. 14.

    Ich muß Ihnen beipflichten, denn dieser Rumgeeiere nervt langsam. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich einen Menschen kennengelernt habe, der berechtigtes Asyl infragestellt, auch nicht die Typen und das Programm der AfD, das ich mir sehr genau durchgelesen habe. Es geht um den wesentlich größeren Teil der Ausreisepflichtigen, der Menschen , die keinen Asylanspruch haben und Diejenigen, die kriminell geworden sind. Woitke tut so und erklärt, als hätte er es mit Schwachsinnigen zu tun.

  9. 13.

    Ich habe im ersten Absatz abgebrochen zu lesen. Wenn unser MP betont, daß Menschen ein Recht auf Asyl zusteht klingt das nach Belehrung. Das Wissen wir alleine, Herr Woidke. Die Menschen in Brandenburg sind nicht doof.
    Aber vermutlich haben Sie die Frage des Herrn Schmidt nicht richtig verstanden. Es geht um Asylmissbrauch. Dagegen unternimmt man nichts. Sich hinter Pauschalantworten zu verstecken, Herr Woidke, ist billig und erzeugt Widerstand.

  10. 12.

    „fester Bestandteil der Kommunikationsstrategie des Brandenburger Ministerpräsidenten“
    Lt. Berichte des rbb24, ist der MP drei (!) mal erwischt worden, wie er sein Amt als Werbung für die SPD im Wahlkampf fälschlich eingesetzt hatte. Heißt: Wir Steuerzahler zahlen das. Nächstes Jahr wird gewählt. Ob die anderen Parteien eine solche „Strategie“ gut finden? „Strategie“ ist schon was Spezielles, wenn man gar keine Strategie erkennen kann. Es hatte ein Auftritt. Oder ist Strategie das neue Wort für...?

  11. 11.

    Also nach meiner Wahrnehmung ist MP Woidke bei der Frage der illegalen Migration einfach abgetaucht. Nur die bekannten und auch für ihn alarmierenden Umfragewerte haben ihn bewogen, inzwischen eine etwas realistischere Sicht einzunehmen. Unter dem Strich ist neben den Grünen die SPD die Partei, die den jetzigen Zustand des Kontrollverlustes an den Grenzen verschuldet.

  12. 10.

    Eine Kartenzahlung, mit der nur noch dringend benötigte Sachleistungen möglich sind, sei eine gute Lösung. Naivität könne man sich nicht mehr leisten, so Woidke."
    Es war/ist die Regierung die naiv gedacht und gehandelt hat. Es gab jahrelang genug Warnungen dass die Migration irgendwann das Land überfordert.
    "Dafür sei vor allem der Bund in der Pflicht. Die EU-Außengrenze müsse endlich effektiv geschützt,"
    Aha, Land schiebt auf Bund, Bund auf EU und dann klappt nix weil Länder dagegen stimmen.
    "Umfragen seien Umfragen, macht sich Woidke selbst Mut."
    Na wenn die Umfragen so zutreffen wie bei Bayern und Hessen ist der Absturz von Rot 28%/Grün 8% sicher,
    Nicht nur bei Migration sondern auch bei Bildung, Wohnungsbau, Verkehr und Infrastruktur hapert es in Brandenburg!

  13. 9.

    Na immerhin ,der stellt sich.
    CDU Innenminister oder die Grüne Ministerin trauen sich das erst gar nicht.

  14. 8.

    Bisher hatte die Bundesregierung,aber auch die Landesregierung nur abgewiegelt. Daher denke ich das dass nur eine Nebelkerze ist.

  15. 6.

    Die Regierungschefs der Bundesländer fordern laut einem Medienbericht vom Bund eine Verpflichtung von Asylbewerbern zu gemeinnütziger Arbeit. Dass MP Woidke dieses Thema proaktiv angeht, habe ich jetzt in diesem RBB Beitrag nicht gelesen. Immerhin soll das inzwischen auch von der SPD unterstützt werden.

  16. 5.

    Herr Woidke hat, wie etliche andere Politiker, immer noch nicht begriffen, dass viele Menschen in diesem Land das ständige Herumgeschwafel, was sie alles tun könnten, leid sind. Die Menschen wollen Maßnahmen zu ihren Gunsten sehen. Und das möglichst schnell.

    Mit einem Antrag, der nur suggerieren soll, dass etwas geschieht, ist es nicht getan. Dann werden die Menschen den etablierten Parteien (nicht nur der SPD) weiterhin in Scharen davonlaufen.

  17. 4.

    Und wieder: "Man müsse besser erklären...." So gehe ich mit Kindern um, die etwas nicht verstehen. Und weiter:" Wir müssen den Menschen EIN STÜCK Sicherheit im Leben zurückgeben". Wie groß soll denn das Stück sein, Herr Ministerpräsident? Die haben echt den Knall nicht gehört und werden sich über kommende Wahlergebnisse noch wundern. Da können die dann wieder erklären und erklären und........

  18. 3.

    Hauptsache es ist Geld für Krieg, Sanktionen und Preisbremsen da.

  19. 2.

    Besser wäre es, wenn er nicht sagt was der Bund, also die Anderen, machen muss, sondern was er selber für die Brandenburger machen kann. Nach mehrmaligem lesen habe ich aufgegeben, da eine Liste zu erstellen :-(
    Bildung, Lehrermangel, Studienplätze, Wohnheime
    Schuldenhaushalt
    Standortfragen
    Bezahleinstufungen, wenn er selber der AG ist.
    Pensionen auf Landesebene
    usw. usf.
    Antworten????

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