Interview | Russischsprachige Telefonseelsorge - "Nach Russland zurück will keiner"
Tajana Michalak betreut die russischsprachige Community in Berlin am Telefon. Nach zwei Jahren Krieg scheint der Patriotismus bei vielen Geflüchteten aus der Ukraine nachzulassen, sagt sie. Bei den Menschen aus Russland sei das noch deutlicher.
rbb|24: Frau Michalak, wer ruft bei Ihnen in der Telefonseelsorge vor allem an?
Tajana Michalak: Bei uns melden sich die Flüchtlinge aus der Ukraine, aber auch Leute, die schon länger hier in Deutschland leben, aus der Ukraine genauso wie aus Russland oder aus verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Mit welchen Anliegen kommen ukrainische Geflüchtete momentan vor allem zu Ihnen?
Viele haben posttraumatische Belastungsstörungen durch den Krieg und die Flucht. Einige melden sich auch, weil sie finanzielle Probleme haben oder keine Wohnung finden. Und natürlich machen sich sehr viele Menschen Sorgen um ihre Verwandtschaft in der Ukraine in umkämpften Gebieten.
Besonders viele melden sich auch, wenn sich zum Beispiel die Gesetzeslage ändert. Zum Beispiel im Dezember, als bekannt wurde, dass die ukrainische Regierung auch Menschen im Ausland in den Wehrdienst einberufen möchte, da haben sich viele gemeldet. Die haben Angst.
Wie versuchen Sie denen in so einer Situation am Telefon weiterzuhelfen ?
Wir können den Menschen nicht helfen, die sich dort befinden, aber wir können ein bisschen emotionale Entlastung für die Menschen bieten, die hier sind. Sie können sich bei uns über ihre Sorgen und ihr Leid aussprechen. Sie bekommen mentale Unterstützung von uns, und dann geht es vielen schon etwas besser.
Hat sich an den Sorgen der ukrainischen Geflüchteten in den letzten zwei Jahren seit Kriegsbeginn Ihrer Meinung nach etwas verändert?
Die Stimmung bei den Ukrainern hat sich ein bisschen geändert. Viele waren am Anfang des Krieges patriotisch eingestellt. Mittlerweile ist bei vielen Menschen eine gewisse Kriegsmüdigkeit spürbar. Sie wollen jetzt nicht mehr darüber diskutieren, wer Recht oder Schuld hat. Sie wünschen sich einfach das Ende des Krieges herbei.
Zweitens entsteht Frust und Verzweiflung an der ukrainischen Regierung. Viele wünschen sich eben, dass der Krieg aufhört und nicht immer mehr Menschen hineingeschickt werden, selbst wenn es um die Verteidigung des Landes geht. Das hat zwei Jahren lang nichts gebracht, es sterben Menschen und viele sehen darin keinen Sinn mehr.
Sprechen Sie mit vielen ukrainischen Menschen, die eigentlich gern in ihr Heimatland zurückgehen würden?
Ja, auf jeden Fall. Die meisten sagen schon, dass sie gern zurückkehren möchten, wenn alles vorbei ist.
Was denken Ihrer Erfahrung nach russischstämmige Menschen über den Krieg?
Manche, die schon länger hier sind, sind froh, dass sie schon länger aus Russland ausgewandert sind und in Deutschland leben. Dass sie das Regime nicht miterleben müssen. Diejenigen, die jetzt kürzlich von Russland nach Deutschland geflohen sind, erzählen, dass dort eine Diktatur herrscht. Die Menschen dort haben Angst, ihre ehrliche Meinung zu sagen, weil ihnen sonst Strafen drohen. Deswegen schweigen sie einfach.
Wir hatten noch nie jemanden aus Russland am Telefon, der gesagt hat, dass er zurück nach Russland möchte. Nach Russland zurück will keiner. Noch nicht mal in den Urlaub oder zu Besuch.
Eher andersherum: Ich bekomme auch von unseren ehrenamtlichen Mitarbeitern mit, dass viele Verwandte und Bekannte in Russland sehr gern nach Deutschland ausreisen würden. Aber sie können hier ja ohne Visum nicht bleiben. Wenn russische Bürger in Deutschland aufgenommen würden, würden sehr viele auswandern, glaube ich.
Hatten Sie schon Anrufer, die dafür angefeindet wurden, aus Russland zu stammen?
Wir hatten viele solche Anrufe von Menschen, die Diskriminierung erlebt haben. Aber das war vor allem zu Anfang des Krieges. Manche wurden im Café nicht bedient, sobald die Bedienung festgestellt hat, dass sie Russisch sprechen. Manche Hotels haben sich geweigert, Menschen mit russischen Pässen aufzunehmen. Einigen wurde gekündigt, sogar Menschen, die schon lange in Deutschland leben. Kinder, die in der Schule Russisch gesprochen haben, wurden gemobbt.
Mittlerweile sind solche Sachen aber offenbar abgeklungen. Solche Anrufe bekommen wir nicht mehr.
Wie blicken Ihrer Erfahrung nach die Geflüchteten in die Zukunft?
Viele haben sehr große Angst. Ihnen macht die Ungewissheit zu schaffen, weil sie nicht wissen, was passieren wird. Sie wissen nicht, ob sie zurückgehen werden oder zurückgehen müssen oder ob sie für immer in Deutschland bleiben. Sie wissen nicht, wie sie ihre Leben planen und wo sie ihre Zukunft aufbauen sollen.
Wir versuchen den Menschen dann zu sagen, dass sie hier und jetzt leben sollen. Wir versuchen ihnen klarzumachen: Wenn Sie hier momentan gut leben, und sich nicht in Bunkern verstecken müssen, dann ist das schon ein Erfolg.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anna Bordel für rbb|24.