Ein Jahr Verkehrspolitik von Schwarz-Rot - Das Rad zurückgedreht?

Mo 22.04.24 | 07:29 Uhr | Von Jan Menzel
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Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreier, CDU (Bild: imago images/Funke Foto Services)
Video: rbb24 Abendschau | 23.04.2024 | Sebastian Schöbel | Bild: imago images/Funke Foto Services

Mehr Miteinander auf Berlins Straßen hat Verkehrssenatorin Manja Schreiner versprochen. Polarisiert hat sie aber mit ihrem Radwege-Stopp. Kritiker sehen in ihr eine reine Auto-Senatorin. Zum Amtsjubiläum will Schreiner mit Zahlen gegenhalten. Von Jan Menzel

  • Senatsverwaltung: Schreiner ist bei Länge der Radwege gleichauf mit grüner Vorgängerin
  • Prüf-Stopp wirkt gleichwohl nach, monieren Bezirke - sie fühlen sich ausgebremst
  • Behörde will im laufenden Jahr große Radwegepläne verwirklichen
  • Fahrgastverband lobt Schreiner für Straßenbahnvorhaben
  • Linke und Grüne stellen Schreiners Politik schlechte Noten aus

Die Mitarbeiter in der Mobilitätsverwaltung haben noch einmal nachgemessen und nachgerechnet. Und siehe da: Sie sind fündig geworden. Drei Kilometer Radweg mehr als bislang offiziell ausgewiesen kommen noch dazu. Die Bilanz für das Jahr 2023 kann damit nachträglich auf 26 Kilometer aufgebessert werden.

Diese Kilometer-Zahl ist deshalb politisch so bedeutend, weil die Christdemokratin Manja Schreiner damit fast gleichauf mit ihrer Amtsvorgängerin Bettina Jarasch liegt. Die Grüne hatte 2022 mit 26,5 Kilometern ähnlich viele Radwege an den Start gebracht. Entsprechend offensiv geht Schreiner nun mit der Kritik um, die sie im ersten Amtsjahr auf Schritt und Tritt begleitet hat.

"Ich mache eine Verkehrspolitik, die alle Verkehrsteilnehmer gleichermaßen in den Blick nimmt. Von einer einseitigen Politik zugunsten des Autos zu sprechen, ist allerdings reiner Populismus", erklärt sie. Rad-Aktivistinnen wie Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities beeindrucken aber weder die neuesten Zahlen noch die demonstrativ kämpferische Senatorin. "Die Verkehrswende soll nicht kommen. Das ist ein Ausbremsen!", lautet Sørensens Urteil nach einem Jahr Schwarz-Rot.

Schreiners Prüf-Stopp wirkt nach

Dass sich mit dem Regierungswechsel auch die Verkehrspolitik ändern würde, hatte die CDU schon im Wahlkampf angekündigt. "Dass man jetzt auch wieder Autofahrinnen und Autofahrer in den Blick nimmt - dafür wurde die CDU gewählt", bekräftigt Verkehrssenatorin Schreiner. Sichtbar wurde der neue Kurs als sie im vergangenen Sommer 19 schon fertig geplante Radweg-Projekte kurzerhand stoppte und eine Überprüfung anordnete.

Zwar wurden alle Projekte bis auf eines nach mehreren Wochen wieder freigegeben. Schreiners Prüf-Stopp wirkt aber nach. So hatte Treptow-Köpenicks grüne Verkehrsstadträtin Claudia Leistner den Bau von 2,4 Kilometer Radweg entlang der Köpenicker Landstraße fest eingeplant. "Wir hätten beginnen können, wenn die Senatsverwaltung nicht plötzlich Umplanungsbedarf gesehen hätte und die Anordnung daher nicht erfolgt ist", sagt Leistner.

Deutlich mehr wäre auch in Tempelhof-Schöneberg möglich gewesen. Radwege entlang der Haupt-, der Grunewald- und der Handjerystraße sollten schon 2023 fertig sei. Doch daraus wurde nichts. Alle drei Vorhaben sollen aber in diesem Jahr angefangen oder beendet werden. In Neukölln wartet der grüne Stadtrat Jochen Biedermann dagegen bislang vergeblich darauf, dass insgesamt 2,5 Kilometer Radweg auf beiden Seiten der Stubenrauchstraße doch noch gebaut werden.

Verwaltung will 2024 bauen wie noch nie

Für dieses Jahr kündigt die Verkehrsverwaltung nun allerdings rekordverdächtige 38,7 Kilometer Radweg an. Für diese Projekte in 11 Bezirken liege eine Finanzierung vor und es sei ein "Bauende im Jahr 2024 avisiert", teilt die Verwaltung mit. Bezirke, Opposition und Vereine wie Changing Cities beruhigt das aber keineswegs. Sie blicken mit Sorge auf das, was danach kommt.

"Was jetzt realisiert wird, sind alles noch Alt-Projekte des Vorgängersenats", warnt Ragnhild Sørensen. Die Situation im Jahr 2025 sei "schwierig", sagt Treptow-Köpenicks Verkehrsstadträtin Claudia Leistner. Ihr fehlten nicht nur die notwenigen Genehmigungen der Senatsverwaltung. Die Auflösung der Radverkehrseinheit in der Senatsverwaltung durch Senatorin Schreiner wirke sich auch negativ auf ihren Bezirk aus, der selbst nicht ausreichend Mitarbeiter für den Radwegebau habe, erklärt sie.

In Neukölln kann sich Stadtrat Jochen Biedermann zwar über eine Zusage für den 3. Bauabschnitt des Radwegs an der Weserstraße freuen. Weitere "dringend benötigte Radprojekte" drohten aber unter die Räder zu kommen, so seine Einschätzung. Saskia Ellenbeck, grüne Verkehrsstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, befürchtet zudem, dass aufgrund neuer Verwaltungsvorgaben aus dem Hause Schreiner keine geschützten Radfahrstreifen an Hauptstraßen angeordnet werden. In den Nebenstraßen könne ihr Bezirk dank eigener Zuständigkeit zwar weiter planen. "Auch hier sind wir aber auf die Finanzierung durch die Senatsverwaltung für Mobilität angewiesen."

Verkehrspolitik unter Spardruck

Beim Geld jedoch werden die Spielräume absehbar immer enger. Da ist zum einen der Landeshaushalt mit seinen Milliardendefiziten, den die Koalition für dieses Jahr nur mühsam zusammengekürzt bekommen hat. Allein Schreiner muss aus dem Verkehrsetat noch einen dreistelligen Millionenbetrag herausschneiden. Mehrere Bezirke haben bereits Alarm geschlagen, dass Planungsmittel für Verkehrsberuhigung und Kiezblocks reduziert worden sind. Schon 2023 war mehr als die Hälfte der Mittel für die Verbesserung das Radverkehrs nicht ausgegeben worden.

Der zunehmende Spardruck wird aber nicht nur den Radverkehr treffen, sondern sich auch auf den Öffentlichen Personennahverkehr auswirken, warnt der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion Kristian Ronneburg. Er kritisiert, dass die Verkehrssenatorin vor dieser Finanzkulisse ausgerechnet den extrem kostspieligen Ausbau der U-Bahn vorantreibt. Erst in der vergangenen Woche hatte sie der BVG einen Finanzierungsbescheid überreicht. Die Verkehrsbetriebe sollen mit der Planung für eine Verlängerung der U8 ins Märkische Viertel beginnen.

"Gemischte Bilanz" bei der Tram

"Da macht die Senatorin Schreiner natürlich ein riesiges Fass auf. Das ist alles unrealistisch, was da geplant und angefasst wird. Und unsere Kritik ist: Sie soll sich nicht verzetteln, sie soll sich auf die Dinge konzentrieren, die machbar sind mit den Ressourcen, mit den Finanzen", moniert Ronneburg. Aus Sicht der Linken ist das Mach- und Leistbare die Tram. Sie wäre deutlich kostengünstiger zu haben. Bau und Planung gehen zudem schneller als bei der unterirdischen U-Bahn.

Allerdings bescheinigt Ronneburg der Senatorin im Bereich der Straßenbahn durchaus "eine gemischte Bilanz". So habe sie einige Planungen des Vorgängersenats "verteidigt". Dazu zähle eine Tram-Verbindung durch das neue Stadtquartier, das auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel entstehen soll. Auf der anderen Seite bremse Schreiner aber, wenn es darum gehe, die Straßenbahn endlich zum Potsdamer Platz und nach Neukölln zum Hermannplatz fahren zu lassen. "Das zeigt, es gibt ausgewählte Projekte, die der Senatorin und ihrer Partei nicht passen. Die werden auf die lange Bank geschoben."

Auch Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB lobt, dass Schreiner in ihrem ersten Jahr Straßenbahnplanungen fortgesetzt habe. Insgesamt sei "einiges Positives" zu erkennen, sagt er. Und es sei ja nun einmal klar, dass die CDU-Politikerin Schreiner "keine grüne Verkehrspolitik mache". Sein Verband stehe beispielsweise bei der geplanten Anbindung der U3 an die S-Bahn am Mexikoplatz hinter den Senatsplänen.

Opposition sieht kein neues Miteinander auf den Straßen

Ob mit diesen Schwerpunkten und mit dem Regierungswechsel wie angekündigt auch die Verkehrsteilnehmer auf Berlins Straßen wieder versöhnt sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Diese "Erzählung" der CDU sei doch "völlig substanzlos", so der Linken-Abgeordnete Kristian Ronneburg. Die rot-grüne-rote Koalition habe bewusst mit Fußgängern und Radfahrern die schwächsten Verkehrsteilnehmer besonders in den Blick genommen. "Das ist eine echte Miteinanderpolitik und das, was Senatorin Schreiner versucht, ist eine Rückabwicklung", sagt der Verkehrsexperte.

Ein regelrecht verheerendes Fazit zieht Antje Kapek. Die ehemalige Fraktionschefin der Grünen und verkehrspolitische Sprecherin sieht die Weichen nach einem Jahr Schwarz-Rot komplett falsch gestellt: "Wir haben einen Radwegestopp, einen Tramstopp, ein Buslinienstopp, ein Spielstraßen-Stopp und vor allem einen großen Investitions-Stopp in den Öffentlichen Personennahverkehr und damit die größte BVG-Krise, die wir seit 20 Jahren haben." Auch für Radaktivistin Ragnhild Sørensen ist die Verkehrswende erst einmal abgewürgt: "Diese Legislaturperiode ist verloren."

Manja Schreiner lächelt diese kritischen Stimmen inzwischen einfach weg. "Na ja, das ist natürlich Opposition", sagt die Verkehrssenatorin und schiebt hinterher: "Ich glaube, ich zeige mit meiner Bilanz 2023, dass ich wirklich alle Verkehrsträger im Blick habe."

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Beitrag von Jan Menzel

113 Kommentare

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  1. 113.

    Wie praktisch. Wenn der Golf in 45 Jahren nur um 20cm breiter geworden ist, der Straßenquerschnitt für eine sechsspurige Straße aber seit 70 Jahren gleich bleibt, ist es nur fair, wenn die Radfahrer von 80cm Altradweg jetzt ebendiese 60cm einbüßen. Wenn sie Platz wollen, sollen sie sich halt ein Auto kaufen …

  2. 112.

    Spannend. Wer die Kommentarspalte hier verfolgt, bekommt einen ungefähren Eindruck, wie es in Berlin auf den Straßen zugeht. Na dann - allzeit gute Fahrt

  3. 111.

    Und die darüber liegenden Häuser gleich mit ?
    Meinen sie nicht vielleicht die Brücke am Breitenbachplatz ?

  4. 110.

    Ein Totalausfall. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

  5. 109.

    Und was haben Sie jetzt widerlegt? Natürlich ist es ein Testlauf, da hat niemand was anderes behauptet. Aber bekanntlich sind Testläufe dafür da, um auszuloten, ob man etwas dauerhaft umsetzen kann und FALLS das tatsächlich umgesetzt würde, wäre das eben ein Rückschritt in vielen Außenbezirken. ÖPNV muss vor allem zuverlässig sein, damit er genutzt wird. Pendler können es sich nicht leisten, sich nicht darauf verlassen zu können, wann der nächste Bus oder die nächste Bahn kommt. Das ergibt nur dann Sinn, wenn die nächste Abfahrtzeit nur drei oder vier Minuten in der Zukunft liegt. Das ist in fast allen Außenbezirken völlig utopisch, da freut man sich schon über 10-Minuten-Takte. Nicht selten sind 20 Minuten immer noch der Standard, manchmal noch mehr.

  6. 108.

    Lieber Senat, bitte spart die halbe Milliarde für die sinnlose Schnellstraße TVO und baut stattdessen den Berliner Güteraußenring für den Personennahverkehr um. Alles andere ist Politik von vorgestern und den jungen Generationen nicht.

  7. 107.

    Definitiv macht Frau Schreiner die bessere Verkehrspolitik. Das was die Grünen unter RRG betrieben haben, war Klientelpolitik für die Grünenwähler, die aus ihrem kleinen Kiez nicht rauskommen, aber keineswegs geeignet für eine Verkehrswende in ganz Berlin. Natürlich und ohne Frage ist es sinnvoll, Kurzstrecken für das Fahrrad attraktiver zu gestalkten und damit im jeweiligen Mikrokosmos den Kurzstreckenautoverkehr zu verringern. Aber bereits ab mittleren Strecken und bei ungünstigen Wetterverhältnissen sieht das ganz anders aus. Dafür bräuchte es einen massiv ausgebauten Öffentlichen Nahverkehr und das nicht nur innerhalb des Rings, wo das heute schon sehr gut ist. Die nicht optimalen Strecken darüber hinaus sind das Problem, lange Taktzeiten, viele Umstiege und Ausfälle, die wegen der Takte unheimlich Zeit kosten. Das alles ist richtig teuer und kann nicht einfach billig mit dem Verweis aufs Fahrrad abgetan werden.

  8. 106.

    Ich bin so froh,daß es nach langer Zeit des nichtstuns,eine Radverkehrsanlage in der KaiserWilhelm;Atillastraße;Steglitzer Damm gibt.Eine eigene Radspur erhöht die Sicherheit und hebt die vorangehenden Mobiltätseinschränkung auf!Ich nehme die Senatorin beim Wort,in dem Versprechen bessere Haltecaps sowie sichere Kreuzungen für Fuß&Radverkehr einzurichten! Doch dafür muß man auch Geld in die Hand nehmen!

  9. 105.

    Der RRG Senat wollte diesen Tunnel zurückbauen, damit dieser Abschnitt nicht mehr befahrbar ist. Kann man alles auf der Internetseite Fahrkehr Berlin lesen.

  10. 104.

    Frau Schreiner passt hinsichtlich Kompetenz und Ideologie nahtlos in die Bundesverkehrministerriege. So traurig dass am Ende auch ist.

  11. 102.

    Dieser Weg ist Teil eines Zielnetzes und da leider erst der Anfang. Was in dessen Realisierung schon unter dem Vorsenat schleppend voranging, kommt jetzt bis auf bereits ausgeplante Vorhaben vollends zum Erliegen. Jetzt den Rückbau einzuleiten wäre sicher unter Frau Schreiner nicht ganz überraschend und würde in die "Verkehrspolitik für alle" (Autofahrer) passen. Nur: ein Nettz muss irgendwo mal begonnen werden und relativ einfach umzusetzende schnelle Lückenschlüsse stehen vorzugsweise am Anfang. Sehen Sie den Radweg als Denkanstoß für dei Frage, ob immer mehr beanspruchter Straßenraum je MiV-Nutzer in einer flächenmäßig begrenzteh Stadt auch nur rein mathematisch funktioniert.

  12. 101.

    Wenn sie es nicht mitbekommen haben, der Schlagenbader Tunnel wir Saniert und dann wieder geöffnet unter RRG wäre dieser abgerissen worden. Fr. Schreiner hat dafür gesorgt, das dieser wieder eröffnet wird Anfang 2028.

  13. 100.

    Ich sehe die gute Senatorin zukünftig als Bundesministerin und Bundeskanzlerin. Jeder Person wird sie es nie recht machen können. Aber das kostenlose WLAN in allen öffentlichen Verkehrsmitteln sollte sie noch zum Abschluss in Berlin bringen. Jeder Dorfbus in Südkorea bietet und hält eine konstant, kostenlose Internetverbindung.

  14. 98.

    Bei der Europawahl wird's eine drastische Wahlniederlage für die Grünen geben.
    Und ich sag Euch was: Ich freu mich drauf.

  15. 97.

    Endlich kümmern sich Politiker auch mal um die Satelliten-Viertel bzw. ärmere Gegenden am Stadtrand.
    Die U8 zum Senftenberger Ring spart für Menschen dort Richtung Innenstadt täglich 20 Minuten.
    Rückweg auch noch mal 20=40 Minuten.
    Gerade Verlängerungen in die Außenbezirke machen erst das Umsteigen von Auto auf Bahn attraktiv.
    Giffey und Schreiner haben den notwendigen Weitblick dafür.
    Danke!

  16. 96.

    Ohje, war der morgenkaffee zu stark oder wie kommt der Schaum hier in die Kommentare.... Netiquette. Bitte.

  17. 95.

    Fahrverbot für die Nichtarbeitende Bevölkerung würde ich vorschlagen, vor 15 Jahren gab es noch Rentner ohne Auto. Da müssen wir wieder hin!

  18. 94.

    Wer sich neutrale Daten der automatischen Zählstellen für Radverkehr z.B. auf der Jannowitzbrücke anschaut, erkennt schnell, dass das Rad nur wenig zu einer Verkehrswende beiträgt. Auch das coronabedingte Hoch scheint Vergangenheit. Dem gegenüber befördert die BVG wieder so viele Fahrgäste wie vor der Pandemie. Der ÖPNV wurde aber unter RRG sträflich vernachlässig und sogar mit Radinfra ausgebremst. Erst unter Schreier wurde endlich der Personalmangel ernst genommen. Vorher sind diverse Dinge wichtiger gewesen.

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