Neuer BSW-Landesverband Berlin - Wenn die Mitte da sein soll, wo man selber steht
Nach der erfolgreichen Europawahl baut das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) weiter Strukturen auf. Nun wird in Berlin der Landesverband gegründet. Die Personalien sind vorab schon geklärt – das kommunalpolitische Programm aber nicht. Von Sebastian Schöbel
Um gute Stimmung muss sich Alexander King, der designierte erste Vorsitzende des Berliner BSW-Landesverbandes vor dessen Gründung schon mal nicht kümmern: Gemessen an den jüngsten Wahl- und Umfrageergebnissen startet das Bündnis Sahra Wagenknecht mit einem bemerkenswerten Vertrauensvorschuss. Bei den Europawahlen ging es aus dem Stand auf 8,7 Prozent, in Brandenburg sogar auf 13,8 Prozent, und im aktuellen BrandenburgTrend landet die Partei sogar bei 16 Prozent. Die Stimmung wird also gut sein, wenn am Sonntag der Berliner BSW-Landesverband gegründet wird.
Dabei ist das BSW programmatisch bislang noch relativ dünn aufgestellt, vor allem jenseits der großen Bundes- und Weltpolitik. Das gerade einmal 4-seitige Grundsatzprogramm der Bundespartei werde man dennoch erstmal übernehmen, ohne eigene Berliner Schwerpunkte, sagte King nun dem rbb. Ein Programm über die Themen Berlins komme später. "Dafür lassen wir uns Zeit."
Das Spitzen-Duo steht vorab fest
Erstmal soll am Sonntag das Führungspersonal gewählt werden. Die Frage des Landesvorsitzes ist allerdings schon im Vorfeld beantwortet worden: Neben King, ehemals Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, soll Josephine Thyrêt, die Betriebsratschefin des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes, das BSW in Berlin führen. Gegenkandidaten gibt es keine. Geräuschlos wird wohl auch die Wahl der weiteren Vorstandsmitglieder ablaufen: So wie schon beim Gründungsparteitag des BSW im Januar ist mit innerparteilichem Streit oder Widerspruch nicht zu rechnen. Und falls doch, wird es hinter verschlossenen Türen passieren: Die Öffentlichkeit ist weitgehend ausgeschlossen. "Die neuen Mitglieder sollen nicht eingeschüchtert werden", sagt King.
Rund 80 Mitglieder hat das BSW inzwischen nach eigener Aussage in Berlin. Kamen die ersten Neumitglieder noch hauptsächlich von den Linken, seien es inzwischen auch viele ehemalige Sozialdemokraten, Christdemokraten und FDP-Mitglieder. "Die meisten waren vorher sogar in gar keiner Partei", sagt King. In der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung konnte die BSW ihre erste und bislang einzige kommunalpolitische Fraktion in Berlin bilden. Man wolle sich als Vertreter der "normalen, arbeitenden Leute" etablieren, als neue Kraft "in der Mitte der Gesellschaft", erklärt King. "Wir machen ein Angebot für die, die bislang zu kurz kommen."
Das BSW schwächt vor allem die Linken
Welche Leerstelle in der politischen Landschaft das BSW besetzt, ließ sich gut bei den Europawahlen beobachten. Die Theorie, dass Wagenknechts Bündnis die rechtspopulistische AfD klein halten könne, wurde widerlegt: In Berlin zum Beispiel war das BSW überall dort besonders stark, wo auch die AfD ihre besten Ergebnisse holte: in den Ost-Bezirken der Stadt. Stattdessen schwächte die neue Partei vor allem das linke Lager - und da besonders Die Linke. Die verlor in ihren alten Hochburgen Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick zum Teil dramatisch an Zuspruch.
Die Zuschreibung "links-konservativ" macht sich King durchaus zu eigen: kompromissloser Pazifismus gepaart mit restriktiver Migrationspolitik, Wirtschaftsnähe und Ablehnung von allem, was "woke" ist, etwa "Gendersprache". "Unsere Wähler sind eher nicht interessiert an progressiver Politik", so King. Verweise auf Ähnlichkeiten mit der AfD-Rhetorik weist er allerdings vehement zurück: Mit den Rechtspopulisten schließe das BSW jede Zusammenarbeit aus.
Mit den Grünen allerdings auch. Deren Verkehrspolitik, etwa verkehrsberuhigte Kiezblocks und Radwege in Berlin, kritisiert King als "ideologisch", um "gentrifizierte Kieze noch schöner zu machen". Das ist inhaltlich nicht weit weg von der CDU.
Verhältnis zu Russland bleibt Kern des BSW
Zentrales Thema aber bleibt die Außenpolitik, vor allem die Frage von Krieg und Frieden. Die Forderung nach einem Waffenstillstand in Gaza zum Beispiel habe dem BSW viel Zuspruch von Menschen mit Migrationshintergrund eingebracht, so King. Von der Haltung der Bundesregierung aber unterscheidet sich seine Partei da kaum.
Anders sieht es beim Krieg in der Ukraine aus. "Russland ist im Unrecht", beeilt sich King zu betonen, um dann allerdings hinterherzuschieben, dass das Leid nur ein Ende habe, wenn man mit dem Kreml über Frieden verhandle. Die Frage, warum die Ukrainer und der Westen der russischen Aggression nachgeben und auf das Recht der territorialen Unversehrtheit verzichten sollen, beantwortet King mit Pragmatismus: "Frieden ist oft ungerecht. Wie viele Menschen sollen noch sterben, um dieses Recht durchzusetzen?"
Aus dem Stand koalitionsfähig?
In einem Gastbeitrag in der "Berliner Zeitung" schlug King zuletzt auch noch andere, schärfere Töne an. Da warf er der NATO vor, Deutschland einem "Krieg mit Russland immer näher" zu bringen. Und das BSW sei die Kassandra, deren Warnungen mit "Denkverboten" zum Schweigen gebracht werden sollten. Behauptungen, die so auch schon die AfD aufgestellt hat - und die angesichts der Chronologie des russischen Angriffskrieges und der medialen Präsenz der BSW-Gründerin durchaus hinterfragt werden können.
Kommunalpolitisch lösen lassen sich solche Probleme freilich nicht - Stimmen gewinnen aber schon. Und so schickt sich das BSW durchaus an, die politische Landschaft durcheinanderzuwirbeln, auch in Berlin. Wie sehr, lässt sich gerade in Brandenburg sehen: Dort hat der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD gerade erklärt, dass nichts gegen eine Koalition mit dem BSW stehe.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.07.2024, 15:00 Uhr