Interview | Deutsch-Polnisches Haus - "Polen hatte sehr viel mit deutscher Geschichte zu tun"

Do 29.08.24 | 15:16 Uhr
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Agnieszka Wierzcholska, Co-Leiterin des Projektes Deutsch-polnishes Haus. (Quelle: Agnieszka Hreczuk)
Bild: Agnieszka Hreczuk

Mit Hitlers Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Nach wie vor gibt es keinen Erinnerungsort für die polnischen Opfer. Ein neues Projekt in Berlin soll das ändern, hofft Co-Leiterin Agnieszka Wierzcholska.

rbb|24: Frau Wierzcholska, seit Jahren fordert Polen einen Erinnerungsort für seine Opfer des Zweiten Weltkriegs. Das Deutsch-Polnische Haus ist eine Antwort auf die Forderungen. Warum ist es wichtig?

Agnieszka Wierzcholska:
In Deutschland wird viel über den Zweiten Weltkrieg gesprochen, aber das Ausmaß der Verbrechen in Polen ist immer noch wenig bekannt. Einer der Gründe ist sicherlich, dass zum Beispiel Haupttäter, die für die Verbrechen bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 verantwortlich waren, nie in Deutschland vor Gericht standen. Heinz Reinefarth, der "Henker von Warschau", war maßgeblich an der Niederschlagung des Warschauer Aufstands beteiligt. Es ist wichtig, noch mal daran zu erinnern, was konkret passiert ist und inwiefern Polen, aber auch Ukrainer und Belarussen unter dem deutschen Terror gelitten haben. Der Antislawismus war im Nationalsozialismus sehr verbreitet.

zur Person

Büro des Deutsch-polnischen Hauses. (Quelle: Agnieszka Hreczuk)
Agnieszka Hreczuk

Die Historikerin Dr. Agnieszka Wierzcholska arbeitet seit März 2023 in der Stabsstelle Deutsch-Polnisches Haus bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Sie forscht zu polnisch-jüdisch-deutschen Beziehungen und der Shoah. Ihre Studie "Nur Erinnerungen und Steine sind geblieben. Leben und Sterben einer polnisch-jüdischen Stadt, Tarnów 1918–1945" wurde 2019 mit dem Förderpreis des polnischen Botschafters in Deutschland als beste Dissertation ausgezeichnet.

Im Juni hat das Bundeskabinett den Realisierungsentwurf für das Deutsch-Polnische Haus beschlossen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat ihn vorgelegt. Wie gehts weiter?

Mit dem Realisierungsentwurf soll sich im Herbst der Bundestag weiter befassen. Für uns ist es wichtig, dass das Projekt mit einem Budget hinterlegt wird, und es einen Standort für das Deutsch-Polnische Haus gibt. Dann können wir einen Zeitplan festlegen.

Wie soll die Projektidee konkret umgesetzt werden?

Das Haus soll auf drei Säulen basieren. Die erste Säule ist das Gedenken, also ein Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung Polens. Die zweite Säule ist eine Dauerausstellung zum Thema. Die dritte Säule soll ein Bildungsprogramm sein. Ich glaube, in diesem Dreiklang, "gedenken", "verstehen" und "begegnen", wird erst ein zukunftsgewandter Gedenkkomplex und auch ein gemeinsames Gedenken möglich sein. Es wird ein Ort des Austauschs, der Diskussion und der Auseinandersetzung sein. Innovativ finde ich daran, dass wir von der Geschichte der gemeinsamen Nachbarschaft ausgehen: Dieser Nachbarschaft, die so viele Tiefpunkte hatte, die von asymmetrischen Machtverhältnissen geprägt ist und mit einer unglaublichen Gewalt verbunden ist, die von der deutschen Seite ausging.

Hintergrund

In Polen halten viele an einem konventionellen Denkmal fest, an dem man Kränze niederlegen könnte. Vor allem konservative Politiker möchten einen solchen Erinnerungsort in Berlin haben, ein Begegnungsort ist ihnen zu wenig sichtbar.

In Polen ist das Wissen darüber, was während deutscher Besatzung passiert ist, sehr präsent. Es ist im Familiengedächtnis, im Film, in der Literatur, im Schulprogramm verankert. Aber es geht um ein Denkmal in Berlin, das sich an das deutsche Publikum richtet. Das Gedenken ohne Wissen kann wenig Empathie für die Opfer bewirken, weil man eben nicht weiß, wer die Opfer waren und was eigentlich passiert ist. Deswegen ist das Haus so wichtig. Sonst bleibt ein Denkmal eben nur ein Ort ohne eine emotionale Bedeutung.

Worüber soll die Dauerausstellung im Haus erzählen?

Im Mitttelpunkt steht die deutsche Besatzung Polens. Zum einen geht es um die Opfer selbst, zum anderen um die polnische Kultur, also darum, was zerstört wurde. Es sollte auch einem deutschen Besucher helfen, konkret zu verstehen, was seine Vorfahren womöglich im Osten erlebt haben. Die meisten wissen, dass zum Beispiel der Opa während des Krieges irgendwo im Osten war. Aber selten wissen sie, wo er denn genau war. Was hat er konkret gemacht? Wer hat an diesem Ort gelebt? Wie sah das Leben dort vor dem Krieg aus? Diese konkrete Beschreibung ist, glaube ich, sehr wichtig. Damit dieser Osten nicht so abstrakt wirkt.

Bei der Ausstellung soll es auch um die jahrhundertelange deutsch-polnische Nachbarschaft gehen.

Ja, das ist sehr wichtig. Wir müssen uns vorstellen, dass nach den Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts, circa 50 Prozent des preußischen Territoriums polnisch war und die Bevölkerung Preußens zu 40 Prozent polnischsprachig. Polen hatte sehr viel mit deutscher Geschichte zu tun. Preußen wurde überhaupt erst nach den Teilungen Polens zu einem europäischen Player. In der Zeit haben sich die Beziehungen zwischen Preußen und Russland gefestigt. Und wenn wir wiederum heute darüber sprechen, wer der relevante Andere für die deutsche Nationswerdung ist, dann ist es natürlich immer Frankreich. Aber Polen ist mindestens genauso wichtig für die deutsche Geschichte.

Was bedeutet das deutsch-polnische Haus für Sie persönlich?

Ich komme aus Polen, meine Eltern und Großeltern haben den Krieg in Warschau erlebt. Diesen Blick in die breitere Öffentlichkeit zu bringen und einen ganz ehrlichen, einen schwierigen Dialog anzufangen, sehe ich auch als Pflicht. Ich bin dankbar, dass ich meinen Teil für die Brücke zwischen der deutschen und der polnischen Gesellschaft leisten kann. Das ist ein ganz wunderbares Gefühl, einen Ziegelstein mitzugeben, damit diese Brücke stabiler ist. Wir haben mal bei uns einen Studierenden gehabt, der seiner ukrainischen Freundin vom Deutsch-Polnischen Haus erzählt hat, und darüber, was hier gemacht wird. Sie habe dann gesagt: "Ich hoffe, dass das eines Tages vielleicht nicht für meine Kinder, aber für meine Enkelkinder möglich sein wird, zwischen Ukrainern und Russen, sich so mit der Geschichte des Krieges auseinanderzusetzen".

Vielen Dank für das Gespräch!

Mit Agnieszka Wierzcholska sprach Agnieszka Hreczuk, Team Kowalski, für rbb|24

4 Kommentare

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  1. 4.

    Angesicht des Leides, welches Deutsche über Polen gebracht haben steht für mich die Vertreibung nicht auf der gleichen "Stufe ", zumal Polen auch im Osten Gebiete an die Sowjetunion verloren hat.

  2. 3.

    Das Deutsch-Polnische Haus befindet sich... wo?
    Anschrift?
    Müsste das dann nicht korrekterweise diesen Artikel überdas Interview abrunden? Ich meine so "Tüt an Tür" mit dem polnischen Nachbarn?Die gemeinsame Geschichte ist mehr als 1000 Jahre alt. Welche beiden Nachbarn können das schon von sich behaupten? Wobei das "Kapitel der Jahre 1933-1945" ein sehr schwer wiegendes dunkles Kapitel in den beiderseitigen Beziehungen wr.
    Aber ich finde, so wichtig und aktuell es wieder ist, man sollte als Historikerin berücksichtigen, dass es auch ein Danach gibt. Und gerade das 'Aufatmen' nach der Wahl in der D. Tusk wieder mit hörbarer Szimme sprechen kann, sollte auch gedacht werden: Die Freundschaft lwar tüchtig angeschlagen, berappelt sich nun GsD wieder und ist offen für neue europäische/dt.-poln. Prokjekte, was ich auch für sehr wichtig erachte..

  3. 2.

    Angesichts der damlals geschehenen deutschen Verbrechen durch Massenmord sowie großflächige Zerstörung und der polnischen Verbrechen im Rahmen der Vertreibung sowie der bestehenden Reparationsforderungen wird es wohl noch mindestens eine weitere Generation dauern, bis das deutsch-polnische Verhältnis zu einem von normalen Nachbarländern wird.

  4. 1.

    Ein Ort der Erinnerung, des Versöhnens, des Miteinander. Es gab und gibt viele schöne Beispiele dazu. Auch zur gemeinsamen, oft verwobenen Geschichte der Völker in den Grenzen der jeweiligen Zeitgeschichte. Ein großes Feld, auch für spätere Generationen. Ich schreibe dies im Bewusstsein einer DDR-Kindheit und Jugend, in welcher wir unsere polniscgrn Nachbarn ziemlich gut gekannt haben und uns manchmal auch näher kamen....

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