Nachwuchsmangel - Juristen in Berlin können auch ohne Bestnoten Staatsanwalt werden

Mo 11.11.24 | 13:42 Uhr | Von Sabine Müller
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Symbolbild: Anwältin arbeitet in Hintergrund; im Vordergrund Justitia. (Quelle: dpa/Wodicka)
Audio: rbb24 Abendschau | 11.11.2024 | B. Hermel/D. Knieling | Bild: dpa/Wodicka

Mit abgesenkten Einstellungskriterien will Berlins Justizsenatorin mehr Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den Landesdienst holen. Der Plan scheint aufzugehen. Aber es gibt auch Kritik an dem Vorgehen. Von Sabine Müller

Es ist eins der zentralen Versprechen von CDU-Justizsenatorin Felor Badenberg: Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK) soll verschärft werden, unter anderem will Berlin verstärkt illegal erworbenes Vermögen einziehen. Ziel ist, in diesem Jahr insgesamt mehr als 100 neue Richterinnen und Staatsanwälte auf Probe einzustellen, vor allem für den Bereich OK.

Doch gerade auf die Stellen bei der Staatsanwaltschaft gab es in den ersten Monaten 2024 nicht genug Bewerbungen. "Fachkräftemangel, demografischer Wandel und die zunehmende Konkurrenz von Großkanzleien haben Auswirkungen auf die Personalgewinnung", sagt Felor Badenberg dem rbb.

Anforderungen in Berlin besonders niedrig

Berlin ist zwar ein attraktiver Standort, aber die Konkurrenz groß, auch von Bundesministerien und -behörden, die besser bezahlen als das Land. Um das Bewerberfeld zu erweitern, hat die Justizsenatorin deshalb an den Einstellungskriterien geschraubt und die Notenvorgaben abgesenkt.

Im zweiten Staatsexamen sind jetzt noch 6,5 Punkte gefordert (bisher 7,5) und aus beiden Staatsexamen zusammen 14 Punkte (bisher 15). Damit sind die Anforderungen in Berlin in Zukunft noch weiter als bisher von einem sogenannten Prädikatsexamen entfernt, das es im strengen Jura-Bewertungssystem ab der Note "Vollbefriedigend" gibt.

Auch andere Bundesländer haben die Einstellungsnoten in den vergangenen Jahren abgesenkt und laden ebenfalls Bewerber jenseits von Prädikatsexamen ein. In Berlin liegt die Notenanforderung aber besonders niedrig.

Wir suchen ja nicht Sachbearbeiter, die gesagt bekommen, wann sie welche Akte umzublättern haben.

Stefan Schifferdecker, Vorsitzender des Richterbunds Berlin

Absenkung von Jura-Noten stößt auf Verständnis und Kritik

Aus der CDU-Fraktion, die sich in der Vergangenheit oft klar gegen Notenabsenkungen ausgesprochen hatte, kommt Unterstützung für den Schritt. "Wir sind über unseren Schatten gesprungen", sagt der rechtspolitische Sprecher Alexander Herrmann. Sven Rissmann, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Abgeordnetenhaus, betont: "Wir müssen dringend Stellen besetzen, daher war diese Notenabsenkung notwendig."

Wichtig ist der CDU, dass die geänderten Einstellungskriterien mit einem potenziellen Ablaufdatum versehen sind. Laut Justizverwaltung ist die aktuelle Stellenausschreibung, die am 9. August veröffentlicht wurde, zunächst auf ein Jahr befristet und wird danach evaluiert.

Wenig Verständnis zeigt trotz der schwierigen Rahmenbedingungen Stefan Schifferdecker, Vorsitzender des Richterbunds Berlin. Schon bei der vorangegangenen Notenabsenkung hatte er kritisiert, Berlin suche nur noch "Mittelmaß". Jetzt befürchtet er, dass neben guten Absolventen viel "Drittelmaß" nach Berlin kommt – sprich: unteres Drittel. "Wir suchen ja nicht Sachbearbeiter, die gesagt bekommen, wann sie welche Akte umzublättern haben", moniert Schifferdecker. "Wir suchen Leitungsfiguren und herausragende Persönlichkeiten, die im Prozesskampf die Oberhand behalten." Der Richterbund-Vorsitzende weist darauf hin, dass Berlin seine Anforderungen in einer Zeit senkt, wo die Abschlussnoten im Jura-Studium insgesamt besser werden.

Senatorin verweist auf weitere Einstellungskriterien

Justizsenatorin Felor Badenberg sagt, sie könne Bedenken gegen eine Notenabsenkung grundsätzlich nachvollziehen. Allerdings sehe sie keine Gefahr, dass Berlin nur noch Mittelmaß einstellt. "Es ist nur eine ganz leichte Notenabsenkung, die gleichzeitig zu kompensieren ist durch andere Qualifikationen", betont Badenberg. In der Stellenausschreibung werden als Einstellungsvoraussetzung unter anderem "besondere strafrechtliche Qualifikationen" gefordert, etwa ein Ausbildungsschwerpunkt im Strafrecht, überdurchschnittliche Stationsnoten im Referendariat oder anwaltliche/wissenschaftliche Tätigkeiten vor der Bewerbung.

Der CDU-Abgeordnete Sven Rissmann verweist außerdem auf die dreijährige Probezeit für die neuen Staatsanwältinnen und -anwälte. "Es sind also weitere Mechanismen vorhanden, um sicherzustellen, dass am Ende nur die Besten in den Dienst kommen."

Nicht alle Absolventen mit guten Examensnoten sind für den Dienst bei der Staatsanwaltschaft geeignet.

Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte

Oberstaatsanwalt: Noten sind nicht alles

"Wir haben uns jahrelang auf Noten fixiert, aber die Erfahrung zeigt, dass nicht alle Absolventen mit guten Examensnoten für den Dienst bei der Staatsanwaltschaft geeignet sind", sagt Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte.

Er habe in seiner Laufbahn viele Referendare erlebt, die höchst geeignet gewesen wären für den Dienst, aber an den Noten gescheitert seien. "Das wären ganz hervorragende Kollegen geworden", ist sich Knispel sicher. Gesucht würden Leute mit großem Interesse an Strafverfolgung und viel Engagement, die müsse die Auswahlkommission herausfiltern.

Die Kritik, durch eine Notenabsenkung sinke die Qualität, nennt der Oberstaatsanwalt "borniert" und führt sich selbst als besten Gegenbeweis an. Der junge Knispel wollte Ende der 1980er Jahre unbedingt Staatsanwalt werden, aber ein Bekannter aus der Justizverwaltung machte ihm klar, mit seinen Noten brauche er sich gar nicht erst bewerben. Knispel hatte das erste und zweite Staatsexamen mit befriedigend beziehungsweise ausreichend bestanden. Nur der Mauerfall und die daraus resultierende Notenabsenkung ebneten ihm den Weg zu seinem Traumjob. "Ganz vermessen" sage er heute rückblickend, so Knispel: "Wenn ich meine Karriere bei der Staatsanwaltschaft betrachte, muss ich mich nicht zu den Schlechtesten zählen."

Berliner Justizverwaltung: Überdurchschnittliche viele Bewerbungen seit August

Laut Justizverwaltung geht die Rechnung, durch abgesenkte Noten die Bewerberzahl für die Berliner Staatsanwaltschaft zu erhöhen, bisher auf. Im Zeitraum von August bis Oktober seien mehr Bewerbungen eingegangen als in den sieben Monaten davor. Seit September laufen Auswahlgespräche und die Verwaltung zeigt sich zufrieden. "Der Bewerberkreis zeichnet sich durch einen deutlichen Strafrechtsfokus sowie eine sehr hohe Motivation für die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit aus."

Justizsenatorin Felor Badenberg ist zuversichtlich, dass bis Ende des Jahres zu den bisherigen rund 350 Staatsanwältinnen und -anwälten mindestens 40 neue dazukommen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 11.11.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

93 Kommentare

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  1. 93.

    "Der Jurist würde sagen „Trwfder versenkt“"
    Haben sie schon mal versucht, Juristendeutsch zu verstehen? Ich bin der Meinung, das liest sich genau so. ;-)

  2. 92.

    Das Warten auf eine Referendariatsstelle nach dem 1. Staatsexamen dauert in Berlin satte 2 Jahre ! Tendenz negativ !

  3. 91.

    „Mittleres Drittel, Durchschnitt halt. Ähnlich, glaub ich, wie dieser Brandner.“

    Also ist Brandner (AfD) im Vergleich zu Juristen anderer Parteien nicht unterdurchschnittlich schlecht, sondern durchschnittlich stark ist.

    Danke für die Klarstellung eines Volljuristen!

    Das meine ich ernst !

  4. 90.

    Vor allem Bedarf es dann auch einem entsprechenden Unterbau bei der StA. Was nützen die vielen neuen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, wenn deren Entscheidungen aufgrund von Personalmangel im gehobenen und mittleren Dienst nicht vollstreckt werden können. Im Vollstreckungsbereich arbeiten ja sogar die Dezernenten dauerhaft in Notvertretung.

  5. 89.

    Leute die Durchschnittsnoten in Jura mit der AfD oder einzelnen Abgeordneten in Verbindung stellen sind mit Verlaub nicht zurechnungsfähig und können auch nicht ernst genommen werden.

  6. 88.

    P. S.

    Sie glauben übrigens zu viel.

    Keine Fakten, nur Glaube, so wie in der Kirche. You made my day

  7. 87.

    Sie jedenfalls wären gerne Volljurist, sind aber offenkundig gescheitert und können noch nicnt mal mehr eine Frage beantworten.

    Der Jurist würde sagen „Trwfder versenkt“.

    Natürlich studieren Durchschnittsabsolventen neben einem Vollzeitjob Jura und schließen das Grundstudium dann auch in 2 Semestern ab.

    Übrigens, die Regel ist, dass die Mehrheit der Juraabsolventen das Grundstudium nicht schafft oder nach 4 Semestern erfolgreich beendet.

    Sie sind wirklich offenkundig gescheitert und erhalten dafür mein aufrichtiges Mitleid.

    Aber es gibt Hoffnung, strengen Sie sich an und erhöhen Ihre soziale und fachliche Kompetenz.

    Dann klappt es auch mit Ihrem Traum des „Volljuristen“.

    Für diesen steinigen Weg wünsche ich Ihnen alles Gute.

  8. 86.

    Leitungsfigur und herausragende Persönlichkeit ist man doch grundsätzlich nach einem abgeschlossenen Jurastudium. Sonst wäre ja das ganze Studium nicht viel wert. Wie viel es ggf. wert ist, sieht man ja an Schummlern wie Karl Theodor zu Guttenberg, aber der macht ja heute was anderes.

  9. 83.

    Läuft. Hauptsache der Anwalt versteht sein Handwerk 1A.

  10. 82.

    Alle Bewerber haben Studium und Referendariat absolviert und zwei extrem schwere Staatsexamina abgelegt. Bis zu den Auswirkungen der Hochschulöffnung in den 70er Jahren war es übrigens ganz normal, mit durchschnittlichen Noten Staatsanwalt oder gar Richter werden zu können.

  11. 81.

    Es ist wirklich beschämend, dass das Land Berlin die Standards im Öffentlichen Dienst immer weiter runterschraubt. Im normalen Verwaltungsdienst nicht hin nehmbar, aber jetzt auch noch in der Justiz?! Das Land Berlin wird immer peinlicher!

  12. 79.

    Gute Zensuren sind hier doch zweitrangig. Viel wichtiger ist dass die Anwärter eine stramme linientreue Gesinnung als Maßstab all ihres Denken und Handelns haben.

  13. 78.

    Der Spruch über die Sachbearbeiter grenzt an Beleidigung. Ohne gute Sachbearbeiter wären die tollen Juristen ganz schön aufgeschmissen.

  14. 77.

    Wow, das ist hart. Ich würde den Spieß eher umdrehen: wer will schon mit Spitzenabschluss in einer unterbezahlten Funktion im öD enden? Als Rechtsanwalt kann man in der freien Wirtschaft zig mal so viel verdienen. Und nur so nebenbei: dies betrifft auch andere Berufsgruppen im öD. Ich kenne einen Programmierer, der lacht ganz herzhaft wenn er die Gehälter sieht. Es werden händeringend Ärzte in den Gesundheitsämtern gesucht aber keine/r will das machen. Also muss der Anspruch (bezgl der Abschlussnote) gesenkt werden, ganz leicht. Und im Übrigen sagt eine Note nichts über die Fähigkeiten aus, dafür wurde aber die Probezeit erfunden.

  15. 76.

    Wenn ich es richtig sehe, sind 6,5 Punkte ein Befriedigend, eine Punktsumme von 14 entspricht sogar einem „nicht gerade so Befriedigend“, also doch eher Durchschnitt als unteres Drittel. Wenn ich mir die Ergebnisse der Prüfungskampagne 2022 ansehe, so haben im ersten Examen deutschlandweit 73,8% der Geprüften bestanden, davon 15,7% mit Ausreichend ( d.h. < 6,5 Punkte). Im zweiten Staatsexamen haben 87,7% bestanden, davon 24,9% mit Ausreichend, also < 6,5 Punkte. Folglich gehören Absolventen mit 6,5 Punkten im Zweiten Examen und einer Punktsumme von 14 Punkten in beiden Examina zum mittleren Drittel, weisen also durchschnittliche Leistungen auf.

  16. 75.

    Wie lange haben Sie gebraucht?

    Ich habe das Grundstudium nebenbei, also neben meinem Vollzeitjob während der Coronazeit, erfolgreich absolviert.

    7 Klausuren mit 4-7 Punkten und drei mit 12-16 Punkten.

    Zwischendurch in einzelnen Klausuren durchgefallen.

    Wie schätzen Sie meine Leistung ein? Die eines zukünftigen Richters würdig oder eher eher Mittelklasse?

  17. 74.

    Wir überschätzen Formalabschlüsse Maßlos. Dabei strengt sich mancher (und hier gebrauche ich absichtlich die männliche Form, Frauen sind da zumeist engagierter) nur so lange an, bis er eine gesicherte Position erreicht hat. Anschließend geht er seinen Interessen nach und delegiert seine Aufgaben, ohne der Führungsverantwortung gerecht zu werden.

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