Pro-palästinensische Demonstrationen - Berliner Justiz "irritiert" über Polizei-Aussagen zu ihrer Arbeit

Mi 16.10.24 | 16:27 Uhr
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Archivbild: Verbotene Pro-Palästina-Demo auf der Sonnenallee Ecke Reuterstraße im Bezirk Neukölln; es haben sich rund 200 Menschen versammelt, Polizisten vor Ort und nehmen einen Mann vorläufig fest. (Quelle: dpa/dts)
Audio: Fritz vom rbb | 15.10.2024 | Sabine Müller | Bild: dpa/dts

Wiederholt hat die Berliner Polizei bei pro-palästinensischen Demonstrationen Menschen festgenommen. Wie die Justiz anschließend mit den Straftätern umgeht, sieht die Polizei kritisch. Die Aussagen stoßen in Justizkreisen auf Unverständnis.

Äußerungen von Berliner Senat und Polizei zur Arbeit der Justiz rund um die Nahost-Demonstrationen sorgen offensichtlich für Verärgerung auf Seiten der Justiz.

Wie der rbb erfuhr, zeigen sich Gerichtskreise "irritiert" darüber, dass sowohl Polizeipräsidentin Barbara Slowik als auch Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) am Montag im Innenausschuss den Wunsch äußerten, Richter sollten die rechtlichen Möglichkeiten etwa zur Ingewahrsamnahme von Straftätern bei pro-palästinensischen Demonstrationen "öfter ausschöpfen". Slowik sagte zudem, die Polizei warte "dringend auf mehr Urteile".

Polizei enttäuscht bei Anschlussgewahrsam

In Justizkreisen werden diese Aussagen als unzulässige Einmischung in die Unabhängigkeit der Gerichte gesehen. Von offizieller Stelle kommt außerdem inhaltlicher Widerspruch.

Staatssekretär Hochgrebe hatte erklärt, bei den Demonstrationen rund um den Nahost-Krieg habe es nur einmal Anschlussgewahrsam gegeben und hinzugefügt, das sei "weniger als das, was wir vorbereitet und beantragt hatten." Dem widerspricht die Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Lisa Jani. Sie sagte dem rbb, die Polizei habe lediglich den einen Antrag gestellt und diesem sei entsprochen worden. Durch Anschlussgewahrsam können Wiederholungstäter vorsorglich für einige Tage eingesperrt werden, um etwa ihre Teilnahme an zukünftigen Demonstrationen zu verhindern.

"Besser richtig als schnell"

Auch die Aussage von Polizeipräsidentin Slowik, es gebe bisher nur eine "sehr, sehr geringe Anzahl von Urteilen" rund um den Nahost-Komplex, während die Polizei "dringend" auf weitere warte, rief Reaktionen hervor. Es gehe darum, Rechtssicherheit zu haben, hatte Slowik gesagt, etwa bezüglich der Strafbarkeit gewisser Protestrufe.

Michael Petzold, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, wies gegenüber dem rbb darauf hin, bei Strafverfahren sei "jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob der hinreichende Tatverdacht vorliegt". Erst dann könne Anklage erhoben beziehungsweise ein Strafbefehl beantragt werden. Laut Petzold gingen bei der Staatsanwaltschaft bisher 3.197 Verfahren mit Bezug zu Nahost und dem Demonstrationsgeschehen ein, mehr als 80 Prozent davon seien bereits abgeschlossen. 363 Mal habe es Anklagen gegeben, bisher seien 20 Urteile rechtskräftig. Vier Mal entschieden die Richter auf Freiheitstrafe mit Bewährung, der Rest waren Geldstrafen. Mit Blick auf die Forderung der Polizeipräsidentin nach mehr Urteilen heißt es aus Justizkreisen: "Besser richtig als schnell".

Justizsenatorin Badenberg: "Jegliche Einflussnahme seitens der Politik verbietet sich"

In der Debatte stellt sich Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) schützend vor die Justiz. "Jegliche Einflussnahme seitens der Politik verbietet sich", schreibt die Justizverwaltung auf rbb-Anfrage und verweist darauf, die Unabhängigkeit der Justiz sei "der Kern des Rechtsstaates".

"Der Rechtsrahmen wurde voll ausgeschöpft", betont die Justizverwaltung. Laut ihren Informationen hat die Polizei im Nahost-Kontext nur einmal Unterbindungsgewahrsam beantragt, diesem wurde auch entsprochen.

Auch zu Kritik an der Menge der abgeschlossenen Strafverfahren findet die Justizverwaltung deutliche Worte. Sie teilte dem rbb mit, die Justiz arbeite "mit Hochdruck daran, diese Verfahren zeitnah zum Abschluss zu bringen". Etwa die Hälfte der registrierten rund 3.200 Verfahren richteten sich aber gegen Unbekannt, in diesen Fällen sei "die Anklageerhebung naturgemäß ausgeschlossen". In den Verfahren mit bekannten Beschuldigten gehe es um "sehr aufwendigen Beweiserhebung".

Laut Staatsanwaltschaft Berlin gibt es rund um die Nahost-Demonstrationen aktuell 20 rechtskräftige Urteile.

Innenverwaltung und Polizei: Unabhängigkeit nicht in Frage gestellt

Die Senatsverwaltung für Inneres und die Polizei wiesen wiederum den Vorwurf der ungebührlichen Einflussnahme zurück. Auf rbb-Anfrage antworten sie gleichlautend: "Die richterliche Unabhängigkeit ist ein Kernelement unseres Rechtsstaats und wurde durch die entsprechende Aussage keineswegs infrage gestellt."

Zur Frage, wie viele Anträge auf Ingewahrsamnahme gestellt wurden, gibt es laut Polizei keine statistische Auswertung. Diese wäre aber auch nicht aussagekräftig, wird betont. Denn solche Anträge seien für die Polizei "überaus arbeitsintensiv", da sie "mit umfangreichen schriftlichen Arbeiten zur Begründung der bestehenden Erforderlichkeit der Maßnahme" einhergingen. Deshalb werde im Vorfeld regelmäßig Rücksprache mit der Justiz gehalten. Zeichnete sich dabei ab, dass ein Antrag keine Erfolgsaussicht habe, stelle man ihn erst gar nicht schriftlich. Wie viele solcher Gespräche es gab, kann die Polizei nicht sagen, dazu würden "keine Daten erhoben".

Sendung: Fritz vom rbb, 15.10.2024, 17:30 Uhr

67 Kommentare

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  1. 66.

    hat keine Zeit für Demos, nach der Arbeit gilt es Kraft für den nächsten Tag zu sammeln.

  2. 65.

    Die FAZ schrieb am 14.10.2024:
    "Jeden Tag werden in Deutschland im Schnitt 290 Polizisten Opfer von Gewalt. Das geht aus dem am Montag vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte 2023“ hervor. Demnach ist es im vergangenen Jahr zu 46.218 registrierten Gewalttaten gegen Polizisten gekommen – das ist der höchste Stand bislang. Die Zahl der Taten ist dem Bundeslagebild zufolge um acht Prozent gestiegen, was der stärksten Zunahme seit 2017 entspreche. Jeden Tag werden in Deutschland im Schnitt 290 Polizisten Opfer von Gewalt. Das geht aus dem am Montag vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Bundeslagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte 2023“ hervor. Demnach ist es im vergangenen Jahr zu 46.218 registrierten Gewalttaten gegen Polizisten gekommen – das ist der höchste Stand bislang. Die Zahl der Taten ist dem Bundeslagebild zufolge um acht Prozent gestiegen."

  3. 64.

    Unabhängige Justiz ? Wohl eher, wie Sie richtig vermuten, ein theoretisches Glaubenskonstrukt.

  4. 63.

    Es gibt dem Stil und der Qualität nach, mindestens zwei Steffen.

  5. 62.

    Glauben Sie, dass das mit dem Entgegenwirken wirklich mal irgendwann kommen sollte ? Der Drops ist doch längst gelutscht.

  6. 61.

    Die Justiz ist nicht so unabhängig wie sie glauben. Weisungsrecht des Justizminister gegenüber Staatsanwalt. Abendessen von Verfassungsrichtern im Kanzleramt.
    Viele Straftäter, insbesondere mit Migrationshintergrund, fühlen sich bestärkt bei Urteilen auf Bewährung. Dem muß man entgegenwirken.

  7. 60.

    Die Justiz und ihr Verhalten sehe ich schon lange kritisch. Viele Straftäter fühlen sich bestätigt alles richtig gemacht zu haben wenn sie die Urteile entgegennehmen.
    Die Justiz ist nicht unabhängig. Fängt mit dem Weisungsrecht des Justizminister gegenüber der Staatsanwaltschaft an und endet beim Abendessen im Kanzleramt.

  8. 59.

    Wenn Sie wüssten, wie sich "Steffen" hier seit eh und je in den Kommentarspalten äußert, wären Sie nicht überrascht...

  9. 58.

    "Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt, in großen Teilen nicht zum Positiven. Dem muss auch die Justiz ins Auge blicken und Rechnung tragen. "

    Sie wollen also eine Justiz nach politischer "Kassenlage"? Sie fordern nichts anderes wie die Abschaffung der unabhängigen Justiz, die sich ihrer Meinung nach an den gesellschaftlichen Wandel zu richten hat und damit nichts geringeres als die Abschaffung des GG.

    Sie wollen eine Art Volksgerichtshof.

  10. 57.

    Sie bauen einen Strohmann auf. Ich habe weder das Eine, noch das Andere zum alleinigen Standard erhoben und gleich gar nicht Low&Order gefordert. Ein Urteil muss aber tatangemessen sein und um den Willen zur Resozialisierung zu erreichen, muss die Sanktionierung auch als Bestrafung empfunden werden. Wenn man gefestigte kriminelle Laufbahnen oder mildeste Urteile für schwerste Straftaten betrachtet, dann versagen Ihre empirischen Studien grandios, weil dann erst gar keine Resozialisierung beginnt. Low & Order wäre das genaue und genau so falsche Gegenteil, weil die Chance auf Resozialisierung genommen würde. Die gesunde Mischung zwischen Strafe und Resozialisierung ist der richtige und wichtige Weg. Je früher die kriminelle Karriere und je kleiner die Straftat, um so mehr kann der Schwerpunkt auf Resozialisierung liegen. Bei unzähligen Vorstrafen und schwersten Straftaten muss aber der Schwerpunkt zur Bestrafung wandern, zum Schutz der Gesellschaft und des Straftäters vor sich selbst.

  11. 56.

    "Das klappt aber nur, wenn das Gefängnis ein Gefängnis ist und kein Wohlfühlaufenthalt wie heutzutage in der BRD üblich."

    Welche Art von Gefängnis wünschen sie sich denn zurück? Das der DDR Diktatur oder in der Geschichte noch ein bißchen weiter zurück?

  12. 55.

    Das Problem liegt noch völlig woanders. Die Studienlage ist keineswegs so klar und eindeutig, wie der Kommentator mit "empirisch belegt" behaupten will. Das trifft nämlich nur auf einen Teil der Straftäter und vor allem nur in einer frühen Phase der kriminellen Laufbahn zu. Eine gefestigte Laufbahn oder Menschen, denen Regeln und Gesetze vollkommen egal sind, erreicht man mit "Wárnschüssen" eben nicht bzw. nicht mehr. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt, in großen Teilen nicht zum Positiven. Dem muss auch die Justiz ins Auge blicken und Rechnung tragen. Einige sehr umstrittene Urteile der letzten Monate zeigen aber, dass dies dort noch nicht angekommen ist und damit die Opfer noch ein zweites Mal erniedrigt werden. Sanktionierung besteht aus Strafe und Resozialisierung. Der Teil der Strafe kommt aber inzwischen oft zu kurz und das kann langfristig das Vertrauen in den Rechtsstaat zerstören.

  13. 54.

    Woher haben Sie Ihr Wissen? Ihre subjektive Meinung finde ich nirgends empirisch bestätigt.
    Meinungssache eben, jeder kann alles sagen und es als Meinung stehen lassen. Aber Meinungen müssen mit Fakten belegt werden können, um zu beweisen, dass die Meinung auf Fakten basiert oder nur eine fantasievolle und subjektive Aussage darstellt, direkt aus Ihrem Wohnzimmer zu uns, ins Wohnzimmer transportiert. Früher kam so etwas nicht weiter als bis zum Stammtisch.

  14. 53.

    "Wenn etwas "empirisch belegt ist", dann sollte man auf jeden Fall nach der Quelle sehen. Es gibt schließlich z.B. auch Gefälligkeitsgutachten."

    Klingt ein bisschen nach Wissenschaftsfeindlichkeit. Fakten akzeptieren ist halt nicht Jedermanns Sache.

    "Und gerade bei "Ersttaten" ist hartes Durchgreifen gerade wichtig. Damit kann man bei den meisten weitere Straftaten verhindern."

    Ist empirisch widerlegt, wird aber von Ihnen ignoriert oder gar geleugnet. Sind ja nur Fakten...

    "Das klappt aber nur, wenn das Gefängnis ein Gefängnis ist und kein Wohlfühlaufenthalt wie heutzutage in der BRD üblich."

    Und noch ein bisschen unseren Rechtsstaat diffamieren. Zu einem AFD-Bingo haben Ihnen leider noch zwei Sätze gefehlt...

  15. 52.

    Ui, hier geben sich mal wieder Foristen voller Vorurteile die Klinke in die Hand. Wenn Sie es logisch finden, dass es sich bei Demonstranten grundsätzlich oder überwiegend um Bürgergeldempfänger handeln würde, sollten Sie vielleicht Ihr vermeintlich logisches Denken hinterfragen. Ihre Annahme erscheint nämlich überhaupt nicht logisch, zumal Sie ja nicht einmal versucht haben, Ihre Annahme zu begründen.

  16. 51.

    Wenn etwas "empirisch belegt ist", dann sollte man auf jeden Fall nach der Quelle sehen. Es gibt schließlich z.B. auch Gefälligkeitsgutachten. Und gerade bei "Ersttaten" ist hartes Durchgreifen gerade wichtig. Damit kann man bei den meisten weitere Straftaten verhindern. Das klappt aber nur, wenn das Gefängnis ein Gefängnis ist und kein Wohlfühlaufenthalt wie heutzutage in der BRD üblich.

  17. 50.

    Das ist doch ganz einfach eine Frage der Logik. Die haben doch keine anderen Bezahlmöglichkeiten. Und warum, können Sie sich vielleicht auch selbst beantworten.

  18. 49.

    Diejenigen, die eine gerichtliche Bestrafung erhalten sollten, sind die Berliner Polizei. Jeder hat gesehen, wie sie handeln: Es erinnert an Bilder eines diktatorischen Systems. Es ist verabscheuungswürdig. Als Institution und als Menschen haben sie meinen Respekt und mein Vertrauen verloren

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