Pro-palästinensische Demonstrationen - Berliner Justiz "irritiert" über Polizei-Aussagen zu ihrer Arbeit

Di 15.10.24 | 17:06 Uhr
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Archivbild: Verbotene Pro-Palästina-Demo auf der Sonnenallee Ecke Reuterstraße im Bezirk Neukölln; es haben sich rund 200 Menschen versammelt, Polizisten vor Ort und nehmen einen Mann vorläufig fest. (Quelle: dpa/dts)
dpa/dts
Audio: Fritz vom rbb | 15.10.2024 | Sabine Müller | Bild: dpa/dts

Wiederholt hat die Berliner Polizei bei pro-palästinensischen Demonstrationen Menschen festgenommen. Wie die Justiz anschließend mit den Straftätern umgeht, sieht die Polizei kritisch. Die Aussagen stoßen in Justizkreisen auf Unverständnis.

Äußerungen von Berliner Senat und Polizei zur Arbeit der Justiz rund um die Nahost-Demonstrationen sorgen für Verärgerung.

Wie der rbb erfuhr, sind Gerichtskreise "irritiert" darüber, dass sowohl Polizeipräsidentin Barbara Slowik als auch Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) am Montag im Innenausschuss den Wunsch äußerten, Richter sollten die rechtlichen Möglichkeiten etwa zur Ingewahrsamnahme von Straftätern bei pro-palästinensischen Demonstrationen "öfter ausschöpfen". Slowik sagte zudem, die Polizei warte "dringend auf mehr Urteile".

Polizei enttäuscht bei Anschlussgewahrsam

In Justizkreisen werden diese Aussagen als unzulässige Einmischung in die Unabhängigkeit der Gerichte gesehen, von offizieller Stelle kommt außerdem inhaltlicher Widerspruch. Staatssekretär Hochgrebe hatte erklärt, bei den Demonstrationen rund um den Nahost-Krieg habe es nur einmal Anschlussgewahrsam gegeben und hinzugefügt, das sei "weniger als das, was wir vorbereitet und beantragt hatten."

Dem widerspricht die Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Lisa Jani. Sie sagte dem rbb auf Nachfrage, die Polizei habe lediglich den einen Antrag gestellt und diesem sei entsprochen worden. Durch Anschlussgewahrsam können Wiederholungstäter vorsorglich für einige Tage eingesperrt werden, um etwa ihre Teilnahme an zukünftigen Demonstrationen zu verhindern.

"Besser richtig als schnell"

Für Irritationen sorgt auch die Aussage von Polizeipräsidentin Slowik, es gebe bisher nur eine "sehr, sehr geringe Anzahl von Urteilen" rund um den Nahost-Komplex, während die Polizei "dringend" auf weitere warte. Es gehe darum, Rechtssicherheit zu haben, so Slowik, etwa bezüglich der Strafbarkeit gewisser Protestrufe.

Michael Petzold, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, weist gegenüber dem rbb darauf hin, bei Strafverfahren sei "jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob der hinreichende Tatverdacht vorliegt". Erst dann könne Anklage erhoben beziehungsweise ein Strafbefehl beantragt werden. Laut Petzold gingen bei der Staatsanwaltschaft bisher 3.197 Verfahren mit Bezug zu Nahost und dem Demonstrationsgeschehen ein, mehr als 80 Prozent davon seien bereits abgeschlossen. 363 Mal habe es Anklagen gegeben, bisher seien 20 Urteile rechtskräftig. Vier Mal entschieden die Richter auf Freiheitstrafe mit Bewährung, der Rest waren Geldstrafen. Mit Blick auf die Forderung der Polizeipräsidentin nach mehr Urteilen heißt es aus Justizkreisen: "Besser richtig als schnell".

Sendung: Fritz vom rbb, 15.10.2024, 17:30 Uhr

Kommentar

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30 Kommentare

  1. 30.

    Es ist gar nicht mehr nachvollziehbar, dass

    einerseits Leute mit im Kern positiven Absichten für Sitzblockaden an Ampeln relativ hohe Strafen zahlen/absitzen müssen und sogar Präventivhaft verhängt wird,

    und andererseits Leute, die Journalisten bedrohen, Polizisten angreifen, Juden in Todesangst versetzen und faktisch deren Freiheit massiv einschränken und mit offensichtlichen Vernichtungswünschen und ausgesprochenen Morddrohungen nahezu keine ernsten Konsequenzen fürchten müssen.

  2. 29.

    Im Rechtsstaat hat politischer oder ideologischer Einfluss auf die richterlichen Entscheidungen nichts zu suchen. Die Gesetze machen die Parlamente und nicht die Senatoren, Staatssekretäre und sonstige Parteipolitiker. Einfluss und Druck auf die Rechtsprechung durch die Politik sind Kennzeichen von Diktaturen und autokratischen Systemen.

  3. 28.

    Dann sollen Sie doch demokratisch Rechts wählen. Dazu sind Wahlen ja da, damit man etwas ändert. Zumindest so die Theorie...

  4. 27.

    Langsam aber sicher verkommt Berlin zu einer rechts freien Stadt.
    Demokratie heißt auch, die Bevölkerung vor solchen Auswirkungen zu beschützen.

  5. 24.

    Die Polizei als staatliche Institutionen hat gar keine eigene Meinung, die hat Gesetze und Rechtsvorschriften an die sie sich zu halten hat PUNKT
    Und schon mal was von Gewaltenteilung gehört?

  6. 23.

    Majestätsbeleidigung? Auch die Polizei darf mal Ihre Meinung äussern. Fr. Spanger machts ja nicht weil sie ihren Job behalten will.

  7. 22.

    Woher wissen Sie, dass die Demonstranten kein Bürgergeld beziehen und wenn sie es beziehen, was ändert das an der Situation?
    Ist doch völlig irrelevant.

  8. 21.

    Ist es nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn man Steine, Kracher und ähnliche nette Dinge auf Polizisten wirft ? Auch Fahrzeuge attackieren, in Brand stecken oder andere Sachbeschädigungen nur unbedeutender Schabernack ?

  9. 20.

    Wie finden Sie persönlich denn die Meinung, dass eine Demokratie von der Landkarte verschwinden soll? Erst die Ukraine, jetzt Israel?
    Welche Demokratie ist die nächste, die vernichtet werden soll?

  10. 19.

    Wie kommen Sie zu der pauschalen Aussage, dass Demonstranten Bürgergeld beziehen und davon Strafen bezahlen können? Ziemlich vereinfachtes Weltbild, was Sie da zeigen.

  11. 16.

    Nun, wenn ein Polizist keine Lust mehr hat, das zu tun, was er gelernt hat, sollte er einen anderen Beruf erlernen. Und wer keinen Einblick hat, sollte nicht seine eigenen Wünsche mit der Polizeiarbeit vermischen, das bringt nichts. Es ist doch nur die Sicht von außen auf das Geschehen.


  12. 15.

    Sie behaupten, ich hätte irgendetwas gefordert und konstruieren aus der vermeintlichen Forderung eine mangelnde Nähe zur Rechtsstaatlichkeit meinerseits. Fakt ist: Ich habe überhaupt nichts gefordert, sondern lediglich wertfrei kommentiert. Aber das sind genau die Methoden, die mir in unserem Land so langsam Angst machen, Frau Justiziarin!

  13. 14.

    Haben Sie persönliche negative Erfahrungen gemacht oder einfach nur so? Worauf bezieht sich ihre Aussage? Wollen Sie einfach nur die Diskussion erhitzen mit ein bisschen Stichelei?

    Die Polizei beschützt uns Juden und das ist kein Witz. Dafür bin ich sehr dankbar, ohne die Polizei und den Schutz durch die Polizei hätten wir hier in Deutschland keine Chance. Es gibt in der Gesellschaft wieder Menschen, die uns bedrohen.

  14. 12.

    Es muss frustrierend sein für unsere Polizei,zu zusehen wie unverhältnismäßig unsere Justiz agiert.
    Auch für die Bürger ist das nicht nachzuvollziehen.
    Wenn die Polizei so unglaubwürdig bei ihren Festnahmen ist dann sollten sie ein paar Staatsanwälte mit zur Demo nehmen. Ich hätte gar keine Lust mehr meinen Kopf hin zu halten.

  15. 11.

    Deutschland und Meinungsfreiheit. Ein Witz.
    Was sich die Polizei hierzulande erlaubt ist erschreckend und beängstigend.

  16. 9.

    Ich habe das kurz durchgerechnet...2834 Delikte wurden nicht als solche durch die Gerichte geführt...

  17. 8.

    Die Polizei meint, dass der Ruf " From the River to the sea" strafbar ist und stellt Strafanzeigen. Die Gerichte meinen jedoch zu Recht, dass dieser Ausruf unter die Meinungsfreiheit fällt. Daher gibt es auch keine diesbezüglichen Urteile.

  18. 7.

    Die Gerichte kamen zu der Auffassung, dass es sich nicht um "schwere" Straftaten handelte. Das festzustellen ist nicht Aufgabe der Polizei. Die Verurteilung ist keine Belohnung von gewiss mühseliger Polizeiarbeit, sondern gilt der jeweiligen Individuellen Schuld. Was sie da fordern, hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

  19. 6.

    Eine gefährliche und inakzeptable Einmischung der Polizei in Justizangelegenheiten!

  20. 4.

    Berliner Justiz "irritiert" über Polizei-Aussagen zu ihrer Arbeit

    Es gingen also Beschwerden von „unten nach oben“, und die oben wundern sich…
    Geht mir als Arbeiter nicht anders. Ich selbst muss die schmutzige Arbeit machen und die anderen haben ihre Vorschriften. Und das die Vorschriften meine Arbeit sinnlos erscheinen lassen bringt andere zum wundern bzw. zum irritieren. Genau mein Humor

  21. 2.

    " Vier Mal entschieden die Richter auf Freiheitstrafe mit Bewährung, der Rest waren Geldstrafen. "

    diese Strafen beeindrucken die Täter nicht nennenswert, und die Geldstrafen werden evtl vom Bürgergeld bezahlt ?

  22. 1.

    Ich kann die Polizei verstehen. Sie steht jeden Tag im Auge des Orkans und hält den Kopf hin. Dann immer wieder zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass schwere Straftäter dann von der Justiz mit Samthandschuhen angefasst werden, muss schon sehr frustrierend sein.

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