Interview | Landeswahlleiter Stephan Bröchler - "Ich bin häufiger in der Rolle des Mahners, als ich mir das eigentlich wünschen würde"
Der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler musste schnell eine Wiederholungswahl in Teilen organisieren und versucht gleichzeitig, Strukturen aufzubauen, die so ein Chaos in Zukunft verhindern sollen. Ein Interview über diesen Spagat.
Rbb|24: Herr Bröchler, es waren nur 55 Tage von der Entscheidung, dass wieder gewählt wird bis zur Wahl am Sonntag. Sind Sie gut gerüstet, vor allem was die Probleme angeht - Wahlzettel, Wahlkabinen, Helfer und so weiter?
Stephan Bröchler: Ja, das ist alles in Ordnung. Was wir im Augenblick viel machen, ist der Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, die sich in den Bezirken oder auch bei uns an der Landeswahlleitung melden und sagen: Ich habe noch keine Benachrichtigung bekommen, was ist da los? Dann versuchen wir erst mal zu schauen, liegt eine Wahlberechtigung vor und in den Fällen, wo es tatsächlich nicht geklappt hat, sorgen wir dann dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger dann auch wählen können.
Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag werden sich durch die Wiederholungswahl nicht mehr entscheidend ändern. Warum ist es trotzdem wichtig, dass Berlinerinnen und Berliner zur Wahl gehen?
Es gibt, glaube ich, drei Gründe: Der erste ist, dass es ein Privileg ist. Wir haben die Möglichkeit durch unsere Wahl das Wahldebakel der Bundestagswahl 2021 zu heilen. Der zweite Grund ist, dass eine, ich nenne es mal anspruchsvolle Wahlbeteiligung dazu führt, dass sich die Repräsentanz der Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag nicht ändert. Und der dritte Grund lautet: Wählen ist einfach.
Die Wichtigkeit der Berliner im Bundestag ist ein spannender Punkt. Es sitzen im Moment 29 Abgeordnete aus Berlin im Bundestag. Warum werden das möglicherweise weniger, wenn weniger Leute zur Wahl gehen?
Das hängt mit der Zweitstimme zusammen. Wir wählen zwar in Berlin, aber es muss auch das Ergebnis des gesamten Bundes neu festgestellt werden. Und dieses Auswahlverfahren sieht eben vor, dass die Zweitstimme nach den Landeslisten dann neu festgelegt wird. Da kann es durchaus dazu kommen, dass es noch Verschiebungen gibt.
Kommen wir zu einem Thema, was über diesen Wahlsonntag hinaus geht. Nach der Pannenwahl 2021 haben Sie Alarm geschlagen. Damit sowas nicht wieder passiert, gab es eine Expertenkommission, in der haben Sie gesagt, Sie bräuchten mehr Durchgriffsrechte. Jetzt soll ein Landeswahlamt kommen, aber das verschiebt sich immer mehr. Inzwischen reden wir von März. Was läuft da schief?
Das sind verschiedene Faktoren. Ein ganz wichtiger ist, dass dieser Reformprozess kein kontinuierlicher Reformprozess ist, wo man das Ergebnis der Expertenkommission nimmt und es jetzt umsetzt. Das wäre natürlich viel schneller, aber wir haben die Wiederholungswahl hier im Land Berlin gehabt, wir haben den Volksentscheid gehabt. Die Reformanstrengungen werden immer ein Stück weit zurückgestellt hinter den aktuellen Aufgaben der Wahlorganisationen. Das verzögert den Reformprozess.
Aber wenn Sie sehen, dass im Haushalt von Berlin ursprünglich nicht mal Geld für Sie und dieses Landeswahlamt eingeplant war, spricht das nicht unbedingt dafür, dass man das richtig wichtig nimmt, oder?
Wir konkurrieren mit anderen Themen. Wir konkurrieren mit landespolitischen und bundespolitischen Themen, sei es der Bauernprotest, sei es der Ukraine-Krieg und mit Prioritäten, die die Politik setzt, wo sie denkt, das ist wichtiger. Da gehe ich natürlich immer rein und sage: nein, die Wahlorganisation und die Reform der Wahlorganisation, das ist das Allererste für die Demokratie, aber das ist immer wieder ein Durchsetzungsprozess.
Fühlen Sie sich da im Stich gelassen?
Nein, ich fühle mich nicht im Stich gelassen, aber ich bin schon häufiger in der Rolle des Mahners, als ich mir das eigentlich wünschen würde. Gerade die Frage der Besetzung dieser drei ständigen Stellen in den Bezirkswahlämtern, das war wirklich eine harte politische Auseinandersetzung. Weil seitens des Finanzsenators gesagt wurde, so sind wir eigentlich nicht davon überzeugt, dass das passiert - da waren wir kurz davor, dass das gescheitert wäre. Verhindert hat das das Eingreifen des Regierenden Bürgermeisters, der diese Mittel dann aus seinem eigenen Etat zur Verfügung gestellt hat. Daran sieht man schon, es ist Verhandlungsmasse, aber es braucht auch eben starke politische Akteure und die haben wir mit dem Regierenden Bürgermeister Gott sei Dank gefunden, der das dann ermöglicht hat.
Kai Wegner steht also hinter Ihnen und dem Landeswahlamt. Sie brauchen aber Durchgriffsrechte und die müssten durch eine Änderung der Landeswahlordnung beziehungsweise des Landeswahlgesetzes kommen. Da ist das Parlament total langsam. Sollte das bis zur Europawahl im Juni in trockenen Tüchern sein?
Das ist das, was ich als Landeswahlleiter mir sehr, sehr wünsche, damit wir diese Strukturen haben, um wieder zum neuen Normal zu kommen für die Wahlen. Die anderen Bundesländer bekommen das auch hin, wir müssen hier erstmal wieder aufholen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir das auch in einer zeitlichen Perspektive schaffen, die für die Bürgerinnen und Bürger überschaubar ist. Wir wollen ja gerade nicht durch die Wahlreform die Politikmüdigkeit verstärken, sondern wir wollen zu Politik und Politikengagement aufrufen.
Was konkret bräuchten Sie als Durchgriff?
Was ich brauche, ist an Weisungsrechten in erster Linie ein gar nicht mal so formal rechtliches Instrument. Das ist die Rute im Fenster sozusagen - also wenn es gar nicht mehr anders geht, dass ich dann sagen kann: Gut, jetzt mache ich von meinem Weisungsrecht Gebrauch. Es geht da um Fragen zum Beispiel bei der Schulung, dass wir dort einheitliche Standards haben, bei der Ausstattung der Wahllokale, bei der Frage, wie werden Stimmzettel in die Wahllokale gebracht. Das ist eigentlich so, wie ich bisher dieses Amt auch ausfülle, mit einer Mischung aus Softpower durch Argumentation und zweitens, dass man dann eben noch die Überzeugungselemente hat.
Sie haben diese Durchgriffsrechte jetzt noch nicht und das kann sich ja auch noch hinziehen. Warum braucht es dann überhaupt schon ein Landeswahlamt?
Weil das eine symbolische Komponente hat und eine organisatorische. Die symbolische ist, dass wir zeigen, wir haben jetzt eine ganz wesentliche Forderung der Expertenkommission umgesetzt. Es wird jetzt dieses Landeswahlamt kommen und das ist auch durch die personelle Ausstattung besser in der Lage, seine Aufgabe zu erfüllen. Und der organisatorische Aspekt ist dann, dass wir dieses Instrument eben auch nutzen können für Standardisierungsprozesse. Wobei Landesebene und Bezirksebene da ineinander greifen müssen. Wenn wir das Landeswahlamt haben, dann müssen in den Bezirken ebenfalls diese Strukturen geschaffen werden, sonst wird das eine halbfertige Reform und dafür stehe ich nicht zur Verfügung.
Wie weit sind die Bezirke da?
Sehr unterschiedlich. Ich glaube, im Kern sind sich die Bezirke einig, dass wir eine gesamtstädtische Perspektive haben. Nur wenn es um die Fragen der konkreten Stellenausschreibungen, um die Frage des Personals geht, da fängt es wieder an zu bröckeln und da ist es dann immer wieder wichtig, die gesamtstädtische Perspektive ins Spiel zu bringen. Das wird ein ganz wichtiger Punkt bei der Reform des Landeswahlgesetzes, dass wir diese Perspektive eben durchsetzen und dass es nicht zwölf Partikularinteressen sind.
Wenn Sie jetzt nicht gerade Wahlen vorbereiten, dann wollen Sie auch demokratiefördernd unterwegs sein als Landeswahlleiter. Wie wollen Sie das machen?
Wir haben das im letzten Jahr schon gemacht, da haben wir mit der Bertelsmann Stiftung zusammengearbeitet, mit deren Projekt "Erstwahlprofis", wo junge Leute zwischen 18 und 25 als Wahlhelfende ausgebildet wurden. Das war ein ganz hervorragendes Projekt, mit vielen engagierten jungen Leuten, die sich auch jetzt übrigens wieder engagieren. Da haben wir sehr gute Erfahrungen mitgemacht. Im Blick auf die Europawahl bin ich gerade an einem Projekt beteiligt, bei dem es darum geht, junge Menschen für die Wahl zum Europäischen Parlament zu begeistern. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich dann auch mal Klassen besuche, das macht mir ohnehin viel Freude - zu diskutieren und eine gute Idee eben zu transportieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn uns bricht ja in der Wählerschaft ein Teil des Elektorates weg, weil dort Themen wie Politik gar nicht mehr vorkommen. Da müssen wir auch als Landeswahlleiter - und das ist eine neue Kompetenz, das hat bis dato keiner gemacht - die Werbetrommel rühren.
Wenn Sie jetzt sehen, dass viele Menschen auf die Straße gehen gegen Rechtsextremismus, wo das Ganze auch wieder wahrscheinlich als wichtiger erachtet wird, wie sehen Sie da Ihre Rolle?
Meine Rolle ist, dass ich sage, Demokratie zählt. Wir müssen Demokratie stärken und wenn wir Demokratie stärken wollen, dann müssen wir von unserem Wahlrecht Gebrauch machen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Angela Ulrich für das rbb24 Inforadio "vis à vis". Dies ist eine gekürzte Fassung, das vollständige Gespräch ist als Audio oben in diesen Artikel eingebaut.