Interview | Ex-Fußballer Bryan Roy - "Im Moment hat Union die besseren Chancen"
Bryan Roy war als Profi für Hertha aktiv und hat in der Ajax-Jugend Sheraldo Becker trainiert. Im Interview spricht er über die Gründe für Herthas sportliche Lage, Beckers Talent und Unions Chancen auf ein Weiterkommen in der Europa League.
Wir erreichen Bryan Roy in seiner Heimat in den Niederlanden. Für den in Amsterdam geborenen 53-Jährigen ist das anstehende Spiel zwischen Ajax und Union ein ganz Besonderes. Roy hat zu beiden Klubs eine Verbindung und nach seiner Zeit als Herthaner vor allem auch zur Stadt Berlin. Ein Rückblick auf seine Zeit in der Hauptstadt - und in die Vergangenheit von Unions Top-Stürmer.
rbb|24: Herr Roy, neben Stationen bei Ajax, US Foggia und Nottingham Forest haben Sie zwischen 1997 und 2001 auch für Hertha BSC gespielt. Sie hatten in diesen Jahren vor allem mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. Wie war für Sie die Zeit in Berlin?
Bryan Roy: Ich habe viel gelernt. Ich habe die deutsche Mentalität kennengelernt. Wie die Deutschen sich immer durchsetzen können, auch wenn es mal nicht ganz rund läuft. Ich habe den Unterschied zur holländischen Mentalität dadurch erkannt. Bei uns ist das ganz anders. Mir ist dann schnell aufgefallen, wieso die Deutschen in fast allen Sportarten immer so erfolgreich sind.
Sie spielten damals noch unter Trainer Jürgen Röber. Wie war die Zusammenarbeit und was haben Sie unter ihm gelernt?
Was ich vor allem gelernt habe, ist, dass man sich immer durchsetzen muss. Ich war nach meiner Karriere als Trainer bei Ajax Amsterdam aktiv und habe da so einiges mitgenommen. Den jungen Spielern zu lehren, sich durchzusetzen, auch wenn es richtig schwer ist. Meine Zeit bei Hertha war hervorragend. Ich hatte aber leider viel Pech. Es gab Momente, wo ich meinen Platz erobert hatte, und dann kam die nächste Verletzung. Dennoch habe ich meine Zeit in Berlin genießen können. Mit dem Trainer, mit der Mannschaft und vor allem mit den Jungs. Ja, die Atmosphäre im Verein und allein auch die Stadt Berlin waren einfach überragend.
Mit den Berlinern spielten Sie damals noch um Meisterschaften und kamen sogar in der Champions League zu Einsätzen. Heute sieht es ganz anders aus und Hertha kämpft wieder gegen den Abstieg. Wie sehen Sie die aktuelle Lage Ihres ehemaligen Vereins - glauben Sie, dass die Mannschaft sich noch retten kann?
Das Problem liegt nicht bei der Mannschaft oder bei dem Trainer. Das gleiche Problem gab es vor zehn Jahren auch bei Ajax. Cruyff hat Mal gesagt, dass wenn es im Kopf des Vereins, also beim Mannschaftsvorstand nicht funktioniert, dann wirkt sich das auch auf die Spieler und den Trainer aus. Und leider sehe ich auch genau hier das Problem bei Hertha. Es muss sich dort einiges ändern. Wenn sie das umsetzen können, dann wird man auch die Hertha wie vor zwanzig Jahren wieder erleben.
Beim Stadtrivalen, dem 1. FC Union, läuft es hingegen deutlich besser. Diese Saison spielen die Unioner sogar ganz oben mit und haben nach 21 Spieltagen genauso viele Punkte wie die Bayern und der BVB. Was macht die Unioner so gefährlich?
Aus der Ferne kann ich das nicht so gut beurteilen. Aber ich weiß von Sheraldo Becker, den ich damals bei Ajax coachen durfte, dass der Trainer ein ganz guter Mann ist. Er ist wie eine Art Vaterfigur für die Spieler. Er hat eine gute Spielphilosophie, und die Disziplin und der Zusammenhalt in der Mannschaft sind sehr gut. Wenn man ganz oben mitspielt in der Bundesliga, dann muss etwas richtig laufen.
Nun spielt Union am Donnerstag in der Europa League gegen Ihren Heimat-Klub Ajax Amsterdam. Im Hinspiel in Amsterdam ging die Partie 0:0 aus. Die Unioner hatten aber deutlich mehr Torchancen. Wie fassen Sie das erste Aufeinandertreffen zusammen?
Union war in der Verteidigung sehr diszipliniert und konnte die Schlüsselspieler bei Ajax gut verteidigen. Diese Spieler müssen auch gut spielen, um gegen eine Mannschaft wie Union zu gewinnen. Spieler wie Mohammed Kudus, Dusan Tadic und Steven Bergwijn müssen im Rückspiel in ihrer bestmöglichen Form auftreten, sonst wird Ajax gegen Union nicht gewinnen.
Das Rückspiel findet am Donnerstag in der Alten Försterei bei Union statt. Die Unioner zählen zu den stärksten Heimmannschaften der Bundesliga. Wie sehen Sie die Chancen beider Teams?
Im Moment hat Union die besseren Chancen. Sie spielen zuhause und sind gerade Dritter in der Bundesliga. Und wenn man Dritter in der Bundesliga ist, dann ist das nicht umsonst. Sie haben also einen leichten Vorteil gegenüber Ajax. Aber nochmal, wenn ein Tadic, Kudus oder ein Bergwijn ein perfektes Spiel macht, dann ist Union nahezu chancenlos.
Mit Sheraldo Becker haben die Unioner auch einen Spieler, wie Sie bereits erwähnt haben, den Sie sehr gut kennen. Sie haben ihn von der U11 bis zur U14 bei Ajax in der Jugend betreut. Wie haben Sie ihn als Kind in Erinnerung?
Als Kind begann Sheraldo jedes Mal zu lachen, wenn er den Ball an seinen Füßen hatte (lacht). Er hatte immer ein breites Grinsen im Gesicht, weil ihm das Fußballspielen einfach Spaß gemacht hat. Er begann bei mir mit elf Jahren wie ein zentraler Verteidiger, aber schnell haben wir ihn vorne wie ein Flankenspieler eingesetzt. Seitdem haben wir mit ihm viel die Flanken trainiert und wie er sich in den Räumen hinter der Verteidigungslinie bewegen muss. Und man sieht jetzt bei Sheraldo, dass er bei mir gut geübt hat (lacht).
Wo sehen Sie seine Stärken und wussten Sie damals schon, dass er es so weit schaffen könnte?
Ja, absolut. Ich habe es immer geglaubt. Sheraldo zählt zu den Spielern, bei denen andere Länder, andere Ligen einem Spieler besser liegen als die Heimat. In Deutschland spielt er so gut, weil es viele Räume gibt, wo er seine Schnelligkeit ausnutzen kann. Er kann sogar noch mehr Räume finden als andere, weil er genau weiß, wie die Verteidiger stehen. Dazu zählt aber natürlich auch, dass die Mitspieler, und vor allem das Mittelfeld, ihn gut einsetzen. Genau das geschieht auch bei Union. Sie wissen, wo er wann seinen Lauf machen wird.
Mit sieben Toren und fünf Vorlagen in 21 Einsätzen ist Becker Unions bester Torschütze und einer der besten Vorlagengeber. In den letzten 7 Bundesligaspielen konnte er jedoch kein Tor erzielen und obwohl er gegen Ajax ein super Spiel gemacht hat, auch hier kein Tor schießen. Was glauben Sie wieso es bei Ihm gerade nicht sein will, und worauf muss er achten, damit der Knoten platzt?
Wie gesagt, es liegt nicht nur an ihm, sondern auch an den Mitspielern. Sheraldo wird nicht so oft in den letzten Spielen gefunden wie noch am Anfang der Saison. Aber sobald er das nächste Tor schießt, werden die anderen Tore auch nachkommen.
Glauben Sie, dass Becker am Donnerstag den Unterscheid machen kann? Wenn nicht er, wer dann?
Naja, wenn die Leistungsträger bei Ajax nicht ihr bestes Spiel machen, dann bin ich fest davon überzeugt, dass Sheraldo in der Lage ist, den Unterschied für Union zu machen.
Wo werden Sie das Spiel gucken?
Am Donnerstagabend? Zuhause in Holland. (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jordan Müller, rbb Sport.
Sendung: rbb24, 22.02.2023, 18 Uhr