Lizenz für die zweite Liga in Gefahr - Herthas Horror-Saison geht abseits des Platzes in die Verlängerung
Nach dem sportlichen Abstieg kommt Hertha noch lange nicht zur Ruhe. Der Aufschub einer 40-Millionen schweren Anleihen-Rückzahlung soll die Lizenz retten. Papiere mit der entsprechenden Bitte an die Gläubiger bieten Einblicke in die Planungen des Klubs. Von Simon Wenzel
Die Laufzeit-Verlängerung einer Anleihe wird zum entscheidenden Baustein für Herthas Lizenz für die zweite Bundesliga. So verkaufen es zumindest die Verantwortlichen des Klubs ihren Gläubigern. Hertha muss im Lizenzverfahren der Deutschen Fußball Liga (DFL) nachweisen, dass die kommende Spielzeit bis zum Ende durchfinanziert ist - nur dann gibt es eine Lizenz für die zweite Liga. Wegen Schulden in Höhe von über 85 Millionen Euro, die Hertha innerhalb der kommenden Spielzeit abbezahlen muss und immens hoher Verluste ist das längst nicht selbstverständlich.
Wenn aber die Gläubiger der insgesamt 40 Millionen Euro schweren Anleihe zustimmen, Hertha einen zweijährigen Zahlungsaufschub zu gewähren, dann - so das Versprechen des Klubs - könnte Hertha das Lizensierungsverfahren der Deutschen Fußball Liga (DFL) doch noch erfolgreich durchlaufen und künftig in der zweiten Liga spielen. Statt im November 2023 will Hertha das Geld erst 2025 zurückzahlen. Andernfalls - so die Drohung - könnte die Lizenz in weite Ferne rücken. Dann würde Hertha nochmal absteigen, möglicherweise bis in die Regionalliga.
Eine Alternative zu diesem Plan, so steht es in der Präsentation an die Gläubiger, gebe es derzeit nicht. Die "Bild" berichtet allerdings, Investor 777 habe sich für diesen Fall bereits "verpflichtet" einzuspringen. Das Unternehmen hat erst vor kurzem einen beträchtlichen dreistelligen Millionenbetrag ausgegeben und 78,8 Prozent an Herthas Profiabteilung erworben. Insofern ist es alleine schon aus logischen Gründen schwer vorstellbar, dass der neue Investor Herthas Absturz in den Amateurfußball zulassen würde.
Die Zeit drängt im Lizensierungsverfahren
Seit Wochen verhandelt Hertha schon mit der DFL über seinen Haushaltsplan für die kommende Saison. In der ersten Entscheidungsrunde wurden dem Verein Bedingungen auferlegt, die Hertha erfüllen muss - sonst gibt es keine Spielerlaubnis. Nach Klubangaben soll die Entscheidung der DFL am 7. Juni fallen. Seinen Gläubigern räumte Hertha in der Anleihen-Frage nun allerdings Bedenkzeit bis zum 19. Juni Zeit ein. Auch das könnte für einen Back-Up-Plan mit dem Investor sprechen. Die DFL wollte sich auf Nachfrage nicht zu den genannten Fristen äußern.
Hertha hat aber noch mehr Probleme zu lösen. Denn selbst eine Lösung für das Anleihen-Problem wäre nicht zwangsläufig die Rettung. Mindestens 60 Millionen Euro sollen Hertha nach einer Hochrechnung des Sportökonom Christoph Breuer im "Kicker" fehlen. In seiner Präsentation schreibt der Klub selbst, er brauche weitere Einnahmen oder Finanzmittel, über die Anleihen-Verlängerung hinaus. Dazu müssen die Ausgaben drastisch gesenkt werden.
Hertha will einen beispiellosen Gehaltssparkurs schaffen
Vor allem die bis zuletzt üppig entlohnten Profis bieten Sparpotential. Im Rahmen der Mitgliederversammlung Anfang Mai hatte Geschäftsführer Thomas Herrich erklärt, Hertha wolle die Gehälter der Profimannschaft im Falle eines Abstieg halbieren. Seinen Gläubigern kündigte der Klub nun sogar an, 60 Prozent der Spielergehälter einsparen zu wollen. Ein nahezu beispielloser Sparkurs wäre das, selbst im Vergleich mit anderen abgestürzten Traditionsvereinen. Der Hamburger SV, VfB Stuttgart oder Schalke 04 reduzierten ihre Gehälter nach den letzten Abstiegen deutlich weniger. In Hamburg sparte man rund ein Drittel ein, bei Schalke und Stuttgart nicht mal ein Viertel.
Hertha gibt nach Angaben in besagter Präsentation mehr als 80 Millionen Euro pro Saison für seine Profigehälter aus. Der Spieleretat soll demnach auf zwischen 30 bis 40 Millionen Euro sinken. Selbst damit wäre Herthas Kader allerdings noch einer der teuersten in der zweiten Liga.
Verkäufe sollten besser heute als morgen fixiert werden
Medienberichten zufolge soll Hertha einen Großteil der Spielerverträge bereits so strukturiert haben, dass sich die Gehälter in der zweiten Liga automatisch um 40 Prozent reduzieren. Auch der Verkauf von Stammspielern wie Dodi Lukebakio oder Lucas Tousart erscheint realistisch. Nicht jeder mutmaßlich hoch bezahlte Profi im Kader dürfte allerdings so leicht vermittelbar sein und alle verkaufen geht ohnehin nicht, irgendwer muss ja auch in der kommenden Saison noch im Westend Fußball spielen. Erfolgreich noch dazu, denn Hertha kalkuliert in seiner Gläubiger-Präsentation bereits mit dem direkten Wiederaufstieg.
Ob sich so ein Kaderumbau und vor allem diese Kostenreduktion in nur einem Transfersommer bewerkstelligen lässt? Möglicherweise zweifelt selbst die DFL daran. Zumindest liest sich so ein Absatz in Herthas Präsentation. Da heißt es, der Lizensierungsausschuss habe Planungsannahmen hinsichtlich der Gehaltseinsparungen des Klubs nicht akzeptiert.
Eine Erklärung für diese Ablehnung könnte sein, dass die vage Idee von Spielerverkäufen bei der DFL üblicherweise auf wenig Akzeptanz stößt. Der Lizensierungsausschuss will unterschriebene Verträge oder vergleichbares sehen, bevor ein Deal in die Kalkulation einfließen kann. Das Argument führt auch Hertha gegenüber seinen Gläubigern an.
Bobics Leih-Deals und ein Ex-Spieler bringen erste Transfereinnahmen
Ein Anfang ist immerhin gemacht: Dem ungeliebten Ex-Manager Fredi Bobic scheinen vor seinem Rauswurf einige Deals mit Weitsicht gelungen zu sein. Durch Kaufklauseln in den Leihverträgen von Santiago Ascacibar und Omar Alderete sowie eine Weiterverkaufsbeteiligung an Matheus Cunha, erhält Hertha dem Vernehmen nach insgesamt zwölf Millionen Euro. Eine erste gute Nachricht. Wobei, ganz so einfach ist es auch hier wieder nicht.
Während die Deals für Alderete und Cunha in der Tat eine beachtenswerte Einnahme für Hertha bedeuten, ist der Transfer von Ascacibar eher in der Kategorie Schadensbegrenzung anzusiedeln. Die vermeintliche Einnahme von rund 2,5 Millionen Euro dürfte bilanziell fast zum Nullsummenspiel werden. In den Büchern von Fußballvereinen werden die Werte von Spielern nach ihren Transfers nämlich noch über Jahre abgeschrieben - es wird also jedes Jahr ein Wertverlust verbucht. Dieser berechnet sich aus der gezahlten Transfersumme und der Dauer des Spielervertrages. Ascacibar müsste demnach bei Hertha mit einem Restwert von rund 2,2 Millionen Euro in der Bilanz stehen, die Summe muss beim Transfer nun ausgebucht werden. Bilanziell betrachtet bleiben von diesem Deal also rund 300.000 Euro Plus übrig.
Solche Rechnungen werden auch bei den wahrscheinlichen Verkäufen der einstigen Rekordtransfers Dodi Lukebakio, Krzysztof Piatek und Lucas Tousart aufzustellen sein. Lukebakio steht noch mit rund vier Millionen Euro Restwert in der Bilanz, Tousart mit etwa neun, Piatek sogar mit zehn. Niedrigere Verkaufssummen als diese sollten es bilanziell betrachtet also besser nicht sein.
Die letzten Abstiege kosteten Hertha rund 20 Millionen Euro zusätzlich
Nötig werden der radikale Kaderausverkauf und das Betteln bei den Gläubigern aufgrund des riskanten Geschäftsmodells in den letzten Jahren. Auch die Abstiegssaison soll wieder mit einem hohen Minus beschlossen werden: Im März kalkulierten die Verantwortlichen mit 64 Millionen Euro Verlust für die laufende Spielzeit. Dabei dürfte es sich sogar noch um eine optimistische Schätzung handeln. Die Halbjahresbilanz, mit bereits 44 Millionen Euro Minus, lässt noch Schlimmeres vermuten. Im Dezember, vor dem Investment von 777, wies Hertha bereits ein negatives Eigenkapital aus, es drohte also die Insolvenz.
Der Abstieg wird Herthas Lage finanziell auch - wenig überraschend - nicht verbessern. Die wichtigsten Einnahmen aus TV-Geldern, Ticketing und Werbung werden deutlich sinken. Für die TV-Einnahmen der kommenden Saison gibt es bereits eine erste Hochrechnung: Hertha könnte demnach rund 25 Millionen Euro weniger erhalten als in dieser Spielzeit. Einige Kosten werden zwar ebenfalls sinken, so wurde Hertha die Stadionmiete für das Olympiastadion beispielsweise bei vorherigen Abstiegen teilweise erlassen und auf Anfrage bestätigte die Stadionverwaltung, dass es auch diesmal Verhandlungen darüber gebe. Ein Blick auf die letzten Zweitliga-Spielzeiten der Alten Dame zeigt dennoch, dass der Abstieg einen zweistelligen Millionenbetrag kosten dürfte: 2010 und 2012 verlor Hertha 19 Millionen beziehungsweise 26 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr.
Auch im nächsten Jahr könnte die Lizenzierung ein Kraftakt werden
Schwarze Zahlen wird der Klub trotz der Gehaltssenkungen und einiger Transfers also auch in der zweiten Liga nicht schreiben. Selbst die Verantwortlichen planen mit weiteren Verlusten. Geschäftsführer Thomas Herrich rechnet frühestens im Sommer 2026 mal wieder mit einem positiven Geschäftsergebnis. Bis dahin sollen die Verluste durch Transfereinnahmen und das Investorengeld ausgeglichen werden. Die 100 Millionen Euro von 777 sollen verteilt über die nächsten zwei Jahre fließen, größtenteils aber in der kommenden Saison.
Seinen Anleihe-Gläubigern hat Hertha übrigens ein etwas schöner klingendes Ziel präsentiert: Bereits ein Jahr früher, im Sommer 2025, soll wieder ein positives Geschäftsergebnis erzielt werden. Allerdings nur vor Abzug von Steuern, Abschreibungen und Zinsen; Und selbst das nur dann, wenn der direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga gelänge. Der Kraftakt, den das Lizensierungsverfahren in diesem Jahr darstellt, könnte sich also in den nächsten beiden Jahren wiederholen. Ein Aufschub der Anleihe würde das Problem schließlich nur verschieben.
Sendung: rbb24, 25.05.2023, 22:40 Uhr