Großer Umbruch beim SC Potsdam - Der Fluch des Erfolges
Die Volleyballerinnen des SC Potsdam haben die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte hinter sich. Doch der Klub steht vor einem gewaltigen Umbruch: Zahlreiche Spielerinnen und der Trainer verlassen Potsdam. Warum? Von Lars Becker
Toni Rieger muss nicht lange überlegen. Gefragt nach einem Fazit der vergangenen Saison überwiegt beim Sportdirektor des Volleyball-Bundesligisten SC Potsdam ganz eindeutig der Stolz: "Wir standen in drei nationalen Finals, haben einen Pokal mit nach Hause gebracht, den Supercup, drei Siege in der Champions League, darunter beim aktuellen Champions League-Sieger, als erste deutsche Mannschaft in der Türkei gewonnen. Da kann man eigentlich nur sagen, dass es eine fantastische Saison war. Und dass es auch die bisher beste Saison des SC Potsdam war."
Eine kleine sportliche Delle, auch wegen der ungewohnt hohen Belastung in Champions League und CEV-Pokal, führte zur einzigen Enttäuschung der Saison, der ärgerlichen Niederlage im Pokalfinale gegen Schwerin. Im Laufe der Playoffs um die Meisterschaft bekam das Team um Kapitänin Laura Emonts dann gerade noch rechtzeitig wieder die Kurve, bot im Halbfinale gegen Schwerin und im Finale gegen Stuttgart herausragende Leistungen. Nur im vierten und letzten Spiel der Final-Serie war die Mannschaft des spanischen Trainers Guillermo Naranjo Hernandez dem Titelverteidiger nicht gewachsen.
Mit der abgelaufenen Saison ist aber auch dieses besondere Team Geschichte. Ein Team, das mit seiner Leidenschaft und Freude, mit überragendem Spirit, positiver Ausstrahlung und spielerischer Klasse die eigenen Anhänger und generell Volleyball-Fans begeistert hat.
Die Abgänge: Trainer und elf Spielerinnen verlassen den Klub
Der Fluch des Erfolges führt dazu, dass der SC Potsdam jetzt einen gewaltigen, in diesem Umfang keinesfalls gewollten Umbruch meistern muss. Neben Trainer Hernandez werden gleich elf Spielerinnen den Klub verlassen, darunter fünf prägende Stammkräfte. Der Verein, sagt Sportdirektor Rieger, sei seit Monaten mit den Spielerinnen in Gesprächen gewesen, "aber wenn man dann so eine Saison spielt und dann auch mal ein anderer Klub anklopft, kann man das auch verstehen. Und dann kommt es eben auch zu dem einen oder anderen Wechsel. Dann muss man damit klarkommen, sich was Neues überlegen und den Kader umstrukturieren."
Zuspielerin Sarah van Aalen nutzte etwa eine Ausstiegsklausel in ihrem Vertrag und nahm wie Coach Hernandez ein lukratives Angebot bei einem europäischen Top-Klub in der Türkei an. Für die Niederländerin erhält Potsdam eine Ablösesumme. Auch Anett Nemeth war nicht zu halten, die Diagonalangreiferin spielt zukünftig in Italien. Libera Aleksandra Jegdic und Außenangreiferin Hester Jasper wechseln – besonders bitter für Potsdam - innerhalb der Bundesliga zur finanzkräftigeren Konkurrenz nach Dresden. Auch mit Mittelblockerin Maja Savic konnte sich der Verein nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen.
Der Trainer: Von Guillermo Hernandez zu Riccardo Boieri
Eines ist Toni Rieger aber wichtig zu betonen: Die serbische Europameisterin Jegdic war vor fünf Jahren als talentierte, aber wenig prominente Spielerin nach Potsdam gekommen, habe sich in einem für Volleyball ungewöhnlich langen Zeitraum enorm entwickelt und dadurch erst das Interesse größerer Klubs geweckt: "Natürlich war das auch für uns finanziell ein großes Glück gewesen", betont Rieger, "wir haben einen Mega-Deal gemacht. Und da muss man auch dankbar sein."
Auch die heftig umworbenen und noch deutlich jüngeren Nemeth und van Aalen waren sportliche wie finanzielle Glücksgriffe für Potsdam. Beide hatten vor zwei Jahren längst nicht das heutige Renommee, das sie sich unter Hernandez erarbeitet und erspielt haben.
Nachfolger des Spaniers als Chef-Coach wird sein bisheriger Co-Trainer Riccardo Boieri. Der 35-jährige Italiener ist ähnlich leidenschaftlich, aber deutlich weniger impulsiv und aufbrausend als Hernandez. "Guillermo wird uns als Verein natürlich fehlen mit seinem Auge und Gespür für Talente", bedauert Rieger den Abschied, traut aber auch dem Neuen viel zu: "Riccardo ist schon ein anderer Typ. Es ist vielleicht auch leichter für ihn, weil das Team fast komplett neu ist. Somit kann er unserem Team eine eigene Handschrift verpassen."
Die Kapitänin: Laura Emonts gestaltet den Neuaufbau
Die Konstante im unwägbaren Potsdamer Umbruch bleibt Laura Emonts. Die Kapitänin und Integrationsfigur hat vor allem in den Playoffs ihre Bedeutung für das Team unterstrichen, Verantwortung übernommen und entscheidende Punkte erzielt. Für die deutsche Nationalspielerin stand eine Vertragsverlängerung außer Frage: "Potsdam ist mein Zuhause geworden, ich fühle mich hier sehr wohl. Ich weiß, was ich an dem Verein habe, was ich an dem Umfeld habe. Und ich denke auch, dass der Verein weiß, was er an mir hat."
Neben Emonts bleibt mit Nationalmannschaftskollegin Anastasia Cekulaev eine weitere Stammspielerin dem Klub erhalten. Auch die Mittelblockerin wird zukünftig mehr Verantwortung übernehmen müssen, denn der "Potsdamer Weg" bleibt auch unter Boieri das entscheidende Credo: das Potenziial von Talenten und noch nicht im Rampenlicht stehenden Profi-Spielerinnen erkennen und weiterentwickeln.
So ist der bisher einzige Neuzugang die 20 Jahre alte hochveranlagte Tara Taubner. Die serbische Nationalspielerin soll Nemeth auf der Diagonalposition ersetzen. Aber, verrät Toni Rieger, das neue Team stehe im Hintergrund bereits: "Wir werden jetzt nach und nach unsere Spielerinnen veröffentlichen. Die eine oder andere Überraschung wird sicherlich auch dabei sein", kündigt der Sportdirektor an.
Laura Emonts kennt die Neuzugänge und geht davon aus, dass "wir die Abgänge gleichwertig ersetzen können und konkurrenzfähig bleiben werden. Der Verein hat gute Transfers machen können."
Der Umbruch: Risiko und Chance für die kommende Saison
Vom passenden Scouting, von der Zusammenstellung des Kaders und der Integration der Neuzugänge wird maßgeblich abhängen, ob der SC Potsdam auch in der kommenden Saison an die herausragenden letzten beiden Spielzeiten anknüpfen kann. "Es ist jedes Jahr bisher bei uns so gewesen, dass der Kader von Beginn an stimmen muss", sagt Toni Rieger, "wir haben nicht die finanziellen Mittel, um nochmal jemanden nachzukaufen wie Schwerin oder Stuttgart."
Für den Sportdirektor des SC Potsdam bleibt der gravierenden Umbruch Risiko und Chance zugleich. Bei der abschließenden Frage nach den Zielen für die kommende Saison fällt die Antwort zugleich vorsichtig wie optimistisch aus: "Wir backen die Brötchen immer relativ klein. Wir sagen immer, wir wollen Top-Vier spielen. Und wenn wir attraktiven Volleyball spielen, haben wir auch die Chance erfolgreichen Volleyball zu spielen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.06.2023, 14:00 Uhr