Vor 30 Jahren - Als der DFB ein Länderspiel an Hitlers Geburtstag im Olympiastadion plante
Deutschland gegen England im Berliner Olympiastadion - klingt wie eine gute Idee. Nur nicht am 20. April, Adolf Hitlers Geburtstag. Genau das planten aber vor 30 Jahren der DFB und Berlin, bis kurz vor dem Spiel die Engländer absagten. Von Simon Wenzel
Der amtierende Weltmeister testet gegen das "Mutterland" des Fußballs: Deutschland gegen England unter Flutlicht, an einem Mittwochabend im Berliner Olympiastadion - was für ein Klassiker. Ausverkaufte Tribünen und noch viel mehr Menschen auf dem Maifeld, vor dem Stadion - ein Volksfest zweier großen Fußballnationen. Soweit die Idee des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Stadt Berlin im Frühjahr 1994.
Der einzige Haken: das Datum. Der 20. April, der Geburtstag von Adolf Hitler, in diesem Fall der 105. In Neonazi-Kreisen ein symbolischer Tag, gern genutzt für ihre rechtsradikale Propaganda. Bevor das beim Verband ankam, waren bereits 50.000 Karten verkauft.
Wie das Spiel im Berliner Olympiastadion landete
Dabei hätte es Anzeichen gegeben: Berlin war nämlich nicht die erste Wahl des DFB. Die Partie sollte zunächst in München stattfinden, dann in Hannover, beide Städte sagten ab. Konkret wurden die Planungen erstmals für Hamburg. Dort sollten also am 20. April die A-Nationalmannschaften Deutschlands und Englands aufeinander treffen, am 19. April bereits ihre Jugendnationalteams. Der DFB wähnte sich offenbar in dem Glauben, einen tollen Testgegner für die ambitionierte Mannschaft von Trainer Berti Vogts gefunden zu haben, die im folgenden Sommer mit dem Ziel Titelverteidigung zur Weltmeisterschaft in die USA reisen würde.
Das Problem wurde ihnen von den Fans des FC St. Pauli vor Augen geführt. Das Jugendländerspiel zwischen Deutschland und England sollte im Stadion am Millerntor stattfinden, der Heimspielstätte St. Paulis. Deshalb sah sich die antifaschistische Fanszene des Hamburger Klubs in der Verantwortung, "ihr" Stadion zu verteidigen. In der Fanzeitung "Übersteiger" riefen die Fans dazu auf, nicht zuzulassen, dass ihr Millerntor zur "mediengerechten Bühne prügelgeiler Faschisten umfunktioniert wird", schilderte ein ehemaliger Fanzine-Redakteur im österreichischen Fußballfachmagazin "Ballesterer".
Die Stadt Hamburg schaltete zumindest danach schnell und versagte dem Spiel die Ausrichtung. Hamburgs damaliger Innensenator Werner Hackmann (SPD) sagte, es sei bekannt, dass Rechtsextreme den 20. April als Datum für ihre Propaganda nutzten und dass sie das Länderspiel ebenfalls dazu nutzen wollen würden. Weil es zudem sowohl bei deutschen als auch bei englischen Fußballfans ein Hooligan-Problem gab und Gegendemos antifaschistischer Gruppen zu erwarten gewesen wären, sah sich die Stadt nicht in der Lage, für die nötige Sicherheit rund ums Spiel zu sorgen.
"Beim DFB scheint es nicht im geringsten ein Bewusstsein dafür gegeben zu haben"
Kein Grund für den DFB, die Sache abzublasen - im Gegenteil. Nachdem das Datum und die Spielpaarung schon von Medien als gewagte Idee bewertet worden war, setzte der Verband mit der Wahl seines Ersatz-Spielortes einen drauf: Berlin sollte es werden. Das Olympiastadion, bekanntermaßen für die Propagandaspiele der Nationalsozialisten 1936 errichtet, als Austragungsort für ein Spiel am Tag von Hitlers Geburtstag gegen England. Was sollte schon schief gehen ...
"Beim DFB scheint es nicht im geringsten ein Bewusstsein dafür gegeben zu haben, dass das überhaupt eine Rolle spielen könnte", sagt der Berliner Kulturwissenschaftler und Fußballhistoriker Thomas Schneider. Auch eine Aussage des damaligen DFB-Präsidenten Egidius Braun belegt das; er sagte dem "Spiegel", bis zum Protest der St. Paulianer Fans habe im Verband "niemand an Politik gedacht". Dabei war das Neonazi-Problem bereits Anfang der 1990er Jahre offenkundig. Die rechtsextremen Anschläge und Ausschreitungen in Mölln, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen lagen wenige Jahre zurück. "Es war nicht im Bewusstsein der Funktionäre, dass das im Fußball ein Problem ist", sagt Thomas Schneider. Und offenbar erinnerten sie sich auch nicht an historische Daten, obwohl einige der damaligen DFB-Verantwortlichen alt genug dafür waren.
Berliner Größenwahn trifft Realität
"Berlin als Spielort mit dem Olympiastadion verschlimmerte die Sache eher, da nun nicht nur das Datum, sondern auch der Ort problematisch war", sagt Historiker Schneider. Wegen der Geschichte des Stadions und wegen eines Länderspiels der beiden Nationen im Jahr 1938, "bei dem die englische Nationalmannschaft auf politischen Druck hin in diesem Stadion den Hitlergruß zeigte. Die mögliche Anspielung darauf wäre denkbar unangenehm geworden", sagt Schneider.
Damals sah man das in Berlin ganz anders. "Ich bin der Meinung, dass das Spiel maßgeschneidert ist für Berlin", sagte etwa der Präsident des Berliner Fußballverbands Otto Höhne, später legte er nochmal nach und fand: Wenn der DFB das Länderspiel absagen würde, könnte er auch gleich Berlin das Pokalfinale entziehen (was auch immer das eine mit dem anderen zu tun hat). Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky plante in Gedanken schon ein Volksfest auf dem Maifeld (historisch bedingt ein schwieriger Ort dafür), zu dem auch Teile der britischen Armee kommen sollten, die in diesem Jahr ihre Stationierung in Berlin beendeten. Und der Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinski fand, die Menschen könnten von der Hauptstadt erwarten, dass sie "nicht kneife und Extremisten das Feld überlasse".
Berlin ist anders, erst recht in den 1990ern. "Es gab eine Euphorie in der Stadt, mit der Wiedervereinigung und der Aussicht, wieder Hauptstadt und Regierungssitz zu werden. Man ging von einer glorreichen Zukunft aus", sagt Schneider. Kurz zuvor war die Stadt mit ihrer Olympiabewerbung gescheitert, man wollte vielleicht jede Gelegenheit nutzen, dass große Sportereignisse in Berlin funktionieren – auch sicherheitspolitisch.
Eine drei Millionen D-Mark teure Fehlplanung
Angekündigte Versammlungen Rechtsradikaler aus Deutschland und England sowie antifaschistische Gegendemonstrationen konnten die Polizei, den DFB und den BFV nicht zur Absage bewegen. Erst nachdem rund einen Monat vor dem geplanten Spieltermin auch noch ein Anschlag auf den Berliner Fußballverband verübt wurde, kippte die Stimmung. Allerdings nicht in Deutschland, sondern in England.
Der englische Fußballverband (FA) beschloss, sich vom Spiel zurückzuziehen. Aus Angst, die rechtsradikalen Hooligans nicht kontrollieren zu können und zwei Jahre vor der Europameisterschaft in England unschöne Bilder im Zusammenhang mit der eigenen Nationalmannschaft zu produzieren. Man habe dem DFB die Entscheidung abgenommen, die er selbst hätte treffen sollen, hieß es damals vom englischen Verband. BFV-Präsident Otto Höhne war "betroffen, enttäuscht und empört". Der DFB war vor allem beschäftigt – nämlich damit, die Menschen zu entschädigen, die bereits Tickets gekauft hatten. Rund drei Millionen D-Mark und viele bissige Schlagzeilen soll diese Fehlplanung den Verband gekostet haben.