Datenscouts, Manipulation und Ermittlungsverfahren - Die bedenklichen Folgen von Sportwetten im Amateurfußball
Obwohl sie in Deutschland illegal sind, boomen Wetten auf Amateurfußball. Dubiose Methoden machen sie möglich, ihre Folgen machen Sorgen. Die Größte: Verdachtsfälle von Wettmanipulation - auch bei Spielen von Energie Cottbus. Von Jakob Lobach
Es war ein schwer zu durchblickender Wirrwarr an Zahlen, das sich einem offenbarte, wenn man Ende der vergangenen Woche eine der vielen Webseiten mit den zahlreichen Quotenvergleichen besuchte. Eine Quote von 2,20 auf einen Auswärtssieg von Altglienicke in Leipzig, 130 Euro Gewinn für zehn Euro Einsatz bei einem korrekt getippten 0:0 zwischen Babelsberg und Eilenburg – oder aber eine Verdreifachung des Einsatzes, wenn die Gäste das erste Tor des Spiels schießen. Bei über 50 verschiedenen Wettanbietern konnte man vergangenes Wochenende auf den zehnten Spieltag der Regionalliga Nordost wetten
Dutzende verschiedene Wetten konnte man platzieren – von Siegwetten über exakte Ergebniswetten bis hin zu Wetten auf die Zeitpunkte einzelner Tore. Auch kommendes Wochenende, dann anlässlich des elften Spieltages, wird es all diese Wetten wieder geben. Unabhängig von Einsatz, Quote und Anbieter haben sie eines gemeinsam: Zumindest in Deutschland sind die Wetten, wie auch andere Wetten auf deutschen Amateursport, allesamt illegal. Dass sie dennoch angeboten werden, auf welchem Weg und mit welchen Folgen, sorgt dieser Tage für Diskussionen.
Angestoßen wurden diese Mitte September durch eine gemeinsame Dokumentation des NDR und des BR. In dieser zeigte ein ARD-Rechercheteam auf, wie hunderte Spiele aus den deutschen Amateurfußballligen auf teils zwielichtigen Wegen auf dem internationalen Wettmarkt landen. Befeuert wurden die Diskussionen dadurch, dass ein Heimspiel des SV Babelsberg gegen die VSG Altglienicke am 14. September nur Tage später ein Paradebeispiel für diese Wege bot.
Der beispielhafte SV Babelsberg
"Wir haben einen Tipp aus dem Vereinsumfeld erhalten", erzählt Paul Bachmeyer, Vorstandsmitglied des SV Babelsberg. Ein sogenannter Datenscout würde im Karl-Liebknecht-Stadion sitzend dafür sorgen, dass sogar live umfangreich auf die Partie gewettet werden kann. Wie das abläuft, ist schnell erklärt: Mit zumeist zwei Smartphones und im Auftrag eines Sportdatenunternehmens tracken Datenscouts ihr jeweiliges Spiel.
Einwürfe, Balleroberungen, Abschlüsse, Tore – all das und noch mehr wird protokolliert und in Echtzeit an verschiedene Wettanbieter weitergegeben. Deren Kunden wiederum können dann dank dieser Daten Live-Wetten auf die Partie abschließen. Dass dabei bereits die Art der Datenerhebung problematisch ist, liegt an einem Verbot von Datenscouts in der Hausordnung des SV Babelsberg. "Also haben wir die Polizei und unseren Sicherheitsdienst gebeten, uns Bescheid zu geben, wenn ihnen etwas auffällt", sagt Bachmeyer.
Gesagt, getan: Zusammen mit der Polizei entdeckte und verwies der Verein den Datenscout des Stadions. Eine Anzeige und Ermittlungen wegen des Verdachts der Beteiligung an unerlaubtem Glücksspiel folgten. Zwei Wochen später gibt es in der Sache laut der brandenburgischen Polizeidirektion West noch "keine neuen Erkenntnisse". Vielleicht auch, weil es bereits beim Vorwurf kompliziert wird: Während das Tracken der Spieldaten einen klaren Verstoß gegen die Babelsberger Hausordnung darstellte, waren die dadurch ermöglichten Wetten nicht illegal.
In Deutschland streng verboten
Womit wir bei der komplizierten Rechtslage zu den besagten Wetten auf deutsche Amateurspiele wären. In Deutschland ist die in Paragraf 21, Absatz 1a des Glücksspielstaatsvertrags von 2021 klar geregelt: "Sportereignisse, an denen ausschließlich oder überwiegend Amateure teilnehmen" werden dort für "unzulässig" erklärt. Nicht zuletzt, weil sie zu den Wetten zählen, "die in erheblichem Maße anfällig für Manipulation sind". Wie also konnte am vergangenen Wochenende dennoch auf alle neun Spiele der Regionalliga Nordost und bundesweit Dutzende andere Partien in teils noch tieferen Ligen gewettet werden?
Statt des Glücksspielstaatsvertrags ist es in diesem Fall die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL), die die Antwort gibt. Die Behörde wurde 2021 gegründet und verwaltet die deutschen Lizenzen für Glücksspielanbieter. Laut ihrer sogenannten 'Whitelist' dürfen aktuell 30 Wettanbieter in Deutschland Sportwetten anbieten. Dazu gehören neben dem Bundesliga-Partner Tipico auch die umstrittenen ehemaligen Hertha- und Union-Sponsoren Crazybuzzer und Bwin.
Im Ausland erlaubt und "legitim"
"In der EU besteht keine Harmonisierung des Glücksspielrechts" schreibt die GGL auf ihrer Webseite, auf die sie nach einer rbb|24-Anfrage verwies. In anderen Worten: "Spielende im Ausland können gegebenenfalls legal bei ausländischen Wettanbietern auf deutsche Amateurspiele wetten." So gibt es zahlreiche Anbieter, die zwar auf ihrer deutschen Website keine Amateurspiele führen, sehr wohl aber auf ihren internationalen Seiten – die sich ohne große Mühe bspw. mit einem VPN-Zugang auch aus Deutschland erreichen lassen.
Die Glücksspielbehörde der Länder hat außerhalb der physischen und digitalen deutschen Landesgrenzen keine Handlungsgewalt. Sie erklärte BR und NDR gegenüber allerdings auch, dass sie gar keinen Handlungsbedarf sehe. Auch der für den Amateursport zuständige DFB-Vizepräsident Ronny Zimmerman attestierte den Wetten "Legitimität", solange sie sich in den im Ausland geltenden Gesetzen bewegten. Und der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) betonte zuletzt, dass man zwischen legalen Sportwetten und illegaler Manipulation differenzieren müsse.
Das Dilemma mit den Datenscouts
In einem Antwortschreiben an den SV Babelsberg bezog der Verband nach dem Rausschmiss des Datenscouts Stellung hierzu. "Wir gehen aktuell davon aus, dass ca. 90 Prozent der Spiele der Regionalliga Nordost von Datenscouts besucht werden", schrieb NOFV-Geschäftsführer Till Dahlitz. Die tracken allerdings nicht nur für Wettanbieter, sondern auch für andere Unternehmen Daten. So ist der Anteil an Regionalliga-Spielen, auf die sich live wetten lässt, deutlich geringer als 90 Prozent.
Das Problem ist, dass für die Vereine oft nur schwer feststellbar ist, wer in welcher Funktion für wen bei ihren Spielen Daten trackt. So war beispielsweise der Datenscout in Babelsberg sogar offiziell für das Spiel gegen Altglienicke akkreditiert – wie viele andere Datenscouts auf anderen Plätzen auch für Sportradar. Das Unternehmen ist ein Marktführer in Sachen Datenerhebung im Sport und trackt gleichermaßen Spiele in großen und kleinen Ligen. Zu seinen Kunden im Fußball gehören die FIFA, die UEFA und die Bundesliga – aber eben auch zahlreiche große Wettanbieter, die kritische Regionalliga-Wetten in ihrem Angebot haben.
In diesem Spannungsfeld wünschen sich die Vereine nun – vermehrt öffentlich – Orientierung und bestenfalls Handlungsanleitungen von ihren Verbänden. "Es wäre sehr hilfreich, wenn der DFB, aber auch der NOFV oder Fußball-Landesverband Brandenburg klare Regularien aufstellen, was erlaubt ist und was nicht", sagt Paul Bachmeyer vom SV Babelsberg. Auch deswegen suchte der Verein zuletzt den Kontakt zu den Verbänden.
NOFV-Geschäftsführer Dahlitz erklärte daraufhin, dass man sich aktuell mit dem DFB, aber auch mit der Staatsanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt zum Umgang mit Datenscouts berate. Den zu finden sei angesichts der Rechtslage rund um die Wetten auf Amateurspiele nicht einfach. Dahlitz betonte allerdings auch, wie wichtig ein "rechtlicher Rahmen" wäre, in dem Verband und Vereine mit "möglicherweise schweren und teils länderübergreifenden" Straftaten umgehen können.
Datenscouts hin oder her – Gefahr von Manipulation
In der aktuellen Diskussion rund um die Datenscouts darf allerdings nicht vergessen werden, dass diese nur ein Symptom der Wetten auf Amateursport sind. Selbst wenn die Vereine oder Verbände sie fortan von allen Amateurplätzen verbannen würden, wäre der unterklassige Fußball damit keinesfalls frei von der Gefahr der Wettmanipulation. Für die braucht es schließlich keinen Liveticker in Echtzeit.
Wie real diese Gefahr an der Grenze des Profifußballs ist, zeigen zahlreiche Verdachtsfälle aus jüngerer Vergangenheit. Anfang September berichtete etwa die Hamburger Morgenpost [Bezahlinhalt] von 17 mutmaßlich manipulierten Spielen in der 3. Liga sowie mehreren deutschen Regional- und Oberligen seit November 2022. Verdachtsfälle, bei denen Spielergebnisse vorab im Darknet verkauft worden sein sollen und mit denen sich auch der DFB und das Bundeskriminalamt bereits beschäftigen. "Belastbare Erkenntnisse" gäbe es bislang allerdings noch nicht, erklärte der DFB nach Bekanntwerden der Fälle auf eine ARD-Anfrage.
Energie Cottbus im regionalen Fokus
Gleiches gilt für den Verdacht rund um den 3:0-Auswärtssieg von Energie Cottbus beim SC Verl am 15. September. Ein anonymer Informant hatte diesen vorab – auch in der Höhe korrekt – der Hamburger Morgenpost prophezeit. Zusammen mit einem weiteren korrekten Ergebnis aus der 3. Liga und dem Hinweis, dass es sich dabei um Wettmanipulation handeln würde. Der DFB berichtete anschließend, dass das Monitoring der Wettanbieter keine außergewöhnlichen Einsätze gezeigt hätte, schaltete allerdings dennoch das Landeskriminalamt ein.
"Da gibt es bislang keinerlei neue Erkenntnisse", sagt der Cottbuser Pressesprecher Stefan Scharfenberg-Hecht und ergänzt: "Wir hatten im Nachgang eine kurze Korrespondenz mit dem DFB, haben seitdem aber nichts mehr gehört." Ganz allgemein bezweifelt er die Stichhaltigkeit des Verdachts. Er verweist – wie zuletzt schon zahlreiche andere Verantwortliche – auf die Schwierigkeit, selbst mit punktueller Einflussnahme exakte Ergebnisse vorherzusagen.
Gleichzeitig war es der FC Energie Cottbus selbst, der 2021 den bis dato letzten größeren Fall versuchter Wettmanipulation in Berlin und Brandenburg öffentlich machte. Vor einem Spiel im Landespokal gegen den Ludwigsfelder FC machte der Verein publik, dass mehreren seiner Spieler via Instagram "große Geldsummen" angeboten wurden. Im Gegenzug sollten sie den Verlauf der Partie bewusst beeinflussen. Kurz darauf meldeten zwei weitere Regionalligisten ähnliche Fälle und Nachrichten beim NOFV. Es folgten auch damals behördliche Ermittlungen, die allerdings später eingestellt wurden.
Keine bekannten Verdachtsfälle im Berliner Amateurfußball
Deutlich mehr Erkenntnisse lieferten hingegen die Untersuchungen zu einem weiteren Fall im Zuständigkeitsgebiet des NOFV im Jahr 2019. Da versuchte ein chinesischer Sportvermarkter, als Sponsor von Germania Halberstadt getarnt, Einfluss auf Spiele der Regionalliga Nordost zu nehmen. Ähnliche Avancen beim pflichtbewussten Chemnitzer FC ließen das dubiose Unternehmen auffliegen.
Unterhalb der vom NOFV verwalteten Oberliga und Regionalliga Nordost sind in der Region in den vergangenen Jahren keine ähnlichen Fälle publik geworden. Der Fußball-Landesverband Brandenburg bestätigte dies jüngst rbb|24 gegenüber, und auch sein Berliner Pendant erklärte: "Dem Berliner Fußball-Verband sind keine Verdachtsfälle von Spielmanipulation bekannt."
Die Frage, ob es unbekannte Fälle gegeben hat, bleibt natürlich dennoch offen. Und dadurch, dass man weiterhin ohne große Mühen auf Sieger, Ergebnisse und Tore in den regionalen Amateurligen wetten kann, wird sie das wohl auch bleiben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2024