Stromstau in den Süden - Anstatt Leerlauf und Entschädigung Windstrom zum Heizen nutzen
Wie kann intelligent mit Erneuerbaren Energien umgegangen werden? Das ist auch Thema auf der Klimakonferenz des Europarat-Ausschusses in Potsdam. Dabei könnte das 125-Seelen-Dorf Nechlin in der Uckermark Schule machen.
Nach wie vor wird im Nordosten Brandenburgs mehr Strom von Windenergieanlagen erzeugt, als überhaupt in den Süden geleitet werden kann. Wenn diese Spanne zu groß wird, es also zu Netzengpässen kommt, werden Windräder in der Stromproduktion gedrosselt. Die Betreiber der Windradanlagen erhalten für den nicht produzierten Strom eine Entschädigung.
Fast eine Milliarde Euro gezahlt
Nach Angaben der Bundesnetzagentur erhielten deutschlandweit Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen 2021 mehr als 807 Millionen Euro an Entschädigungen. Bei diesem sogenannten Einspeisemanagement handelt es sich um eine Sicherheitsmaßnahme zur Entlastung von Netzengpässen. Den Ausgleich müssen die Netzbetreiber zahlen. Sie legen das Geld über die Netzentgelte auf die Stromkunden um.
Abschaffung der EEG-Umlage sicherte Fortbestand von ehemaligem Pilotprojekt
Anstatt Leerlauf und Entschädigungszahlungen könnte der "Nicht-Weitergeleitete-Strom" aber dort verbraucht werden, wo er erzeugt wird. "Geht nicht!", sagte der Gesetzgeber früher. "Geht doch!", argumentierte man in der Uckermark.
In dem kleinen Ort Nechlin mit rund 125 Einwohnern wird der Strom aus Windenergie zum Heizen verwandt. Hintergrund war ein Pilotprojekt der Enertrag aus dem Jahr 2019, die im Power-to-Heat-Verfahren Erfahrungen sammeln wollte. Ihm Rahmen des Sinteg-Förderprogramms [bmwk.de] hatte das Bundeswirtschaftsministerium eine Ausnahmereglung geschaffen. Damit wurden Speicherbetreiber von der EEG (Erneuerbare-Energien)-Umlage befreit.
Vor anderthalb Jahre lief das Projekt aus und in Nechlin drohte das Ende des Heizprojekts. Allerdings schaffte die neue Bundesregierung die EEG-Umlage Mitte 2022 ab. Seitdem lohnt sich das Heizen mit grünem Strom im Power-to-Heat-Verfahren wieder.
Das uckermärkische Nechlin im äußersten Nordosten Brandenburgs gelegen und nur einen wenige Kilometer von der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern gelegen, ist in Sachen Kohlendioxid-neutralen Heizens ein Vorzeige-Ort. Denn dort setzt man auf grünen Strom aus Windrädern. Diese Energie entsteht in Windkraftanlagen, die am Dorfrand stehen.
Einmal aufgeheizt reicht ein Tank zwei Wochen
Die Anlage funktioniert denkbar einfach: Kann der Windstrom nicht abgeführt werden, springen in der Dorfanlage die Durchlauferhitze an und erwärmen das Wasser im Wärmespeicher auf 93 Grad. Das läuft alles automatisch, dafür muss niemand einen Knopf betätigen. Sobald der Übertragungsnetzbetreiber ein Abschaltsignal gibt, schaltet sich ein von Enertrag entwickeltes Steuersystem automatisch ein.
Der Wasserbehälter des Speichers fasst eine Million Liter. Für das Erhitzen benötigen die Heizstäbe nur wenige Stunden. Das einmal erwärmte Wasser reicht dann mehr als zwei Wochen aus. Über ein Nahwärmenetz werden circa 50 Grundstücke versorgt.
Auch das Haus von Bernhard Schultz ist angeschlossen. "Ich bin zufrieden. Das ist gleichmäßige Wärme. Die kommt konstant, ist ausreichend und es wird dicke warm", so Schultz.
Bürgermeister: Bürger vor Ort müssen profitieren
Matthias Schilling, Bürgermeister der Großgemeinde Uckerland, zu der Nechlin gehört, sieht die Energiewende nur geglückt, wenn auch die Bürger vor Ort abgeholt werden, wo die Erneuerbare-Energie-Anlagen stehen. "Wenn es uns gelingt, die Energie, die hier produziert wird, auch vor Ort zu veredeln – beispielsweise in Form von Wärme und das dann günstiger an die Bürger weiterzugeben, dann ist es der Schlüssel zum Erfolg", so Schilling.
Politische Rahmenbedingungen stehen noch nicht
Seit 2020 läuft der Windwärmespeicher der Firma Enertrag bereits in Nechlin. Viele im Ort heizten bei dato mit Öl. Auch Christa Wenzel setzte früher auf fossile Energien. Seit fast drei Jahren hängt sie am Windwärmespeicher des Dorf.
Sie freut sich nicht nur über das klimafreundliche Heizen, sondern auch über die Entlastung im Geldbeutel. "Wir haben eine Ersparnis von 1.000 Euro im Jahr und zahlen einen monatlichen Abschlag. Ich habe noch nie nachzahlen müssen und bekommen immer was zurück", sagt sie. Zudem müsse sie sich nicht mehr um Öllieferungen kümmern. Das warme Wasser kommt jetzt direkt aus dem Speicher auf ihr Grundstück. Eine super Lösung, findet sie.
Dörfer mit Windenergie zu heißen, könnte eine gute Alternative zum Erdgas oder Öl sein. Außerdem: In Zeiten, wo fossile Energieträger immer teurer werden, wären Windwärmespeicher eine echte Alternative. Doch noch stehen die politischen Rahmenbedingungen dafür nicht.
Nechlin könnte Schule machen
Nechlin könnte Schule machen, denn die Enertrag ist sich sicher, dass nach diesem Modell ungenutzter Windstrom im ganzen Nordosten Deutschlands zum Heizen eingesetzt werden könnte. Anstatt Windenergieanlagen bei Überproduktion einfach abzuschalten, könnte wertvolle Wärme klimaneutral hergestellt werden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 03.07.2023, 15:40 Uhr
Mit Material von Riccardo Wittig