Baerbock in der Uckermark - Außenministerin diskutiert im Prenzlauer "Glashaus" mit Jugendlichen

Di 26.09.23 | 06:10 Uhr | Von Hanno Christ
  67
Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin spricht in Brandenburg mit Schüler:innen. (Quelle: rbb)
Bild: rbb

Trotz prallem Terminkalender tourt Außenministerin Annalena Baerbock einmal im Monat als Bundestagsabgeordnete durch Brandenburg. Diesmal traf sie in der Uckermark Jugendliche. Und wurde auch dort schnell von der Weltpolitik eingeholt. Von Hanno Christ

Eben war sie noch den USA, nun steht Annalena Baerbock inmitten eines ehemaligen Opel-Autohauses im uckermärkischen Prenzlau. Rein örtlich gesehen könnte der Besuch der Außenministerin wohl keinen größeren Kontrast aufweisen. Das einstige Autohaus trägt heute den Namen "Glashaus" - und ist mittlerweile Veranstaltungsort und Treffpunkt.

Die Grünen-Politikerin Baerbock - in hellgrauem Stoffmantel - steht zum sogenannten Townhall-Gespräch in der Mitte mehrerer Stuhlreihen, um sie herum mehr als 70 Jugendliche aus der Region, darunter Vertreter des Kinder- und Jugendrates. Eine Stunde lang können sie hier über das reden, was die Jugendlichen bewegt und über das, was eine der einflussreichsten Politikerinnen der Republik vielleicht bewegen sollte.

Sorge um Proteste von Rechtsextremen

Baerbock hat in Brandenburg ihren Wahlkreis. Einmal im Monat legt sie einen Brandenburg-Tag ein - zum einen, um sich zu erden, wie sie sagt, zum anderen, um zu signalisieren, dass sie auch als Außenministerin Zeit für ihre Wählerinnen und Wähler findet.

Nun ist es an diesem Montag die Uckermark geworden. Am Vormittag war sie beim Energieunternehmen Enertrag, danach in dem ehemaligen Prenzlauer Autohaus. Aus Sorge vor Anfeindungen aus dem Lager der AfD und der rechtsextremen Szene war der Termin nur diskret kommuniziert worden. Tatsächlich bleibt es entgegen der Befürchtungen der Organisatoren am Montag aber ruhig.

Migration beherrschendes Thema

Statt über vermeintlich klassische Jugendthemen wie Orte für Freizeit und Sport, Schule oder vielleicht sogar den Klimawandel steigen die Schülerinnen und Schüler steil ein in die Migrationsdebatte wie sie auch die Republik beschäftigt. In der Region wird seit Monaten die Errichtung einer neuen Unterkunft für Geflüchtete diskutiert. Die AfD sammelte Unterschriften dagegen, auch die CDU versuchte sich an einer eigenen Unterschriftenaktion. Die geplante neue Unterkunft trifft auf viel Ablehnung. Zusätzlich sorgten in der Vergangenheit Zwischenfälle mit tschetschenischen Familien immer wieder für Aufregung. Es sind zwei Themen, die nun auch im "Glashaus" beim Besuch der Außenministerin zusammenfallen.

Jugendliche sorgen sich um Sicherheit in der Region

Wie könne das Sicherheitsgefühl in Prenzlau verbessert werden? Man sei an vielen Stellen überlastet. Was will Baerbock dagegen tun, fragen die Schülerinnen und Schüler. Ein junger Mann spricht davon, dass es auf seiner Schule "ganz schlimm" sei. Er empfange Geflüchtete "mit offenen Armen", aber wenn sie mit Waffen zur Schule kämen und andere Schüler bedrohten, laufe etwas schief.

Die Außenministerin wirkt für einen Moment überrumpelt, gesteht aber ein, dass die Kommunen derzeit eine große Last zu tragen hätten. Sie warne aber vor Schwarz-weiß-Malerei. "Ich habe Sorge, wenn wir nur sagen: Alles geht oder gar nichts geht", so Baerbock. "So sehr die Sorge da ist. Ich habe Angst davor, dass sich jeder in Deutschland seinen eigenen Sündenbock sucht."

Die Schüler bleiben mit mehreren Nachfragen beim Thema. Und Baerbock bei ihrer Haltung. Sie wirbt für Europa und eine gerechte Verteilung von Geflüchteten. Sie räumt aber ein: "Wir müssen viel stärker an der EU-Außengrenze kontrollieren. Wir sehen, dass die Kommunen große Herausforderungen haben. Wir sind in der Verantwortung, wie wir die Migrationszahlen senken können." Politik könne auch Lösungen bieten. Gerade bei Menschen aus Tschetschenien schaue der Staat genauer hin. Aber auch dort gäbe es Menschen, die verfolgt würden.

Baerbock kann Kriegsgeschichten nicht ausblenden

Eine junge Frau wirft ein, Kinder in Prenzlau hätten Angst rauszugehen, Eltern hätten Sorge ihre Kinder rauszuschicken. So viel politische Ortskenntnisse kann auch Baerbock nicht aufweisen. Sie wisse nicht, was die Politik hier falsch gemacht habe. Für Straftaten aber gäbe es ein Strafrecht und das müsse angewendet werden.

Später legt sie doch den Schalter um, von der Bundestagsabgeordneten zur Außenministerin, und erzählt von ihrer Arbeit. "Ich war in vielen dieser Länder, wo Menschen herkommen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Ich stehe in diesen Lagern, wo Mädchen leben, die von IS-Kämpfern vergewaltigt worden sind und werde gefragt, ob ich nicht helfen kann", erzählt sie. Die gerechte Verteilung von Geflüchteten gehöre zum Menschsein dazu. "Ich kenne so viele Kriegsgeschichten, ich kann die nicht einfach ausblenden", so die Ministerin weiter. Die Moderatorin des Jugendbeirates zieht irgendwann einen Strich unter die Debatte. Man komme hier offenbar nicht weiter.

Baerbock will Debatte um Asyleinschränkung nicht kommentieren

Thema wird dann auch nochmal der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Ein junger Mann fragt, ob Deutschland da nicht sein Geld verschwende. Gelegenheit für Baerbock, für ihren Kurs in der Ukraine-Politik zu werben. Gäbe man der Ukraine kein Geld mehr, würde es in Zukunft für Deutschland noch schwieriger werden - und noch teurer.

Die Runde schwenkt um auf Bildungspolitik und die Anbindung an Bus und Bahn. Die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, ein Thema, bei dem die Grüne Baerbock einen Stich machen kann und dafür wirbt, zur Wahl zu gehen. Die Jugendlichen sollten sich genau überlegen, welche Partei den öffentlichen Nahverkehr ausbauen will und welche eher auf das Auto setze, so die Ministerin.

Am Ende gibt es trotz kontroverser Themen Applaus. Manche verlassen das "Glashaus" so zügig als hätte es zur Pause geklingelt, andere nehmen sich Zeit für Selfies mit Baerbock. Zum Abschluss hält die Außenministerin ihr Mitbringsel in die Höhe: mehrere Ausgaben des Grundgesetzes. Es ist wohl auch ein verstecktes Statement in der Debatte um Zuwanderung und eine mögliche Einschränkungen des Asylrechts.

Baerbock lässt auf Nachfragen von Journalisten am Rande nicht erkennen, wie sie über Änderungen denkt, die nun in der Diskussion sind. Nur soviel: Das Grundgesetz seien die Spielregeln unseres Landes, sagt sie. "Das sollten wir jeden Tag leben."

Beitrag von Hanno Christ

67 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 67.

    Mir ist es lieber, dass Herr Krüger darauf sachlich reagiert. Er kann das besser. Es ist ja nicht leicht. Weil in der Frage die ganze Widersprüchlichkeit deutlich werden kann.

  2. 66.

    Diskutiert oder indoktriniert? Warum machen das keine AfD Politiker? Ohhhh Wespennest.

  3. 65.

    Ihr alberner Kommentar wird auch nicht sachlicher, wenn Sie ihn dreimal posten...

  4. 61.

    "Vergessen Sie bitte nicht die kulturelle Prägung. Die bringt jeder mit, die hält sich über Generationen. Heißt teils eben auch: körperliche Auseinandersetzung statt Diskussionskultur, Einteilung von Menschen in Gruppen mit bestimmten "Werten", z. B. Frauenmissachtung."

    Es gibt zahlreiche, oft unterfinanzierte Projekte gegen Rechtsextremismus. Aber einfach ausweisen lassen sich Rechtsextremisten nicht.

  5. 60.

    Vergessen Sie bitte nicht die kulturelle Prägung. Die bringt jeder mit, die hält sich über Generationen. Heißt teils eben auch: körperliche Auseinandersetzung statt Diskussionskultur, Einteilung von Menschen in Gruppen mit bestimmten "Werten", z. B. Frauenmissachtung.

    Solches zu ignorieren oder nicht in die Integrationsmodelle einzubeziehen, geht nach hinten los, und nicht nur jetzt, wie offensichtlich, sondern besonders in 10 bis 30 Jahren. Das vermisse ich auch in den polit. Programmen, gleich welcher Farbe. Alles ist zu kurzfristig gedacht und immer erst handelnd, wenn der Laden quasi brennt.

    "Scholzen" ist in diesem Zusammenhang als neues Wort entstanden.

  6. 59.

    Laut der Bundesnetzagentur hat Deutschland im Aug 23 soviel Strom importiert wie noch nie, 6505 Gigawatt Std Rekord. Der Stromimport aus Frankreich hat um + 147,8 % zugelegt die Hälfte ist Atomstrom.
    Vom Stromimport Deutschlands sind ca 46 % aus konventionellen Strom, also Atom, Kohle, Gas usw.
    Deutschland hat 2023 1150 Gigawatt Std mehr importiert als exportiert.
    Wissen Sie Carl Gustav Jung hat mal gesagt, eigentlich heißt es "Die Menschen...., ich verändern es mal das es in die heutige Zeit passt, " Politiker *innen könnten aus ihren Fehlern lernen, wenn sie nicht so damit beschäftigt wären sie zu leugnen. "

  7. 58.

    Habe ich schon öfters geschrieben, einfach auf Smard.de gehen. Dort wird alles anschaulich dargestellt.
    Dort werden die Europäischen Strommarktpreise, die jeweilige Erzeugerleistung und der Import und Export angezeigt. Man muss nur verstehen was das Minuszeichen vor dem Wort Nettoexport bedeutet.

  8. 57.

    Es war hier auf Frankreich Deutschland bezogen. Wir importieren durch den Atomausstieg mehr erneuerbaren Strom aus dem Ausland, weil dieser billiger ist. Das ist kein Atomstrom aus Frankreich.

  9. 56.

    Seit Abschaltung der Atomkraftwerke gab es keinen einzigen Monat, in welchem Deutschland Nettostromexporteur war! Unser Land hat in jedem einzelnen Monat mehr Strom importiert, als exportiert.

  10. 55.

    Komisch das wir 2023 trotzdem mehr Strom nach Frankreich exportiert haben als andersrum. Die Atommeiler scheinen nicht so richtig wirtschaftlich zu laufen. Würde auch gerne mal wissen, wie die Atomkraftwerke laufen sollen, wenn das Wasserproblem dort weiter anhält.

  11. 54.

    Gut, dass geredet wird.Ich schätze das sehr.und das rechne ich Frau Baerbock sehr an. Auch wenn ich nicht alles gut finde, wie entschieden wird. Aber wer ist schon unfehlbar?

  12. 53.

    wenn die Ampel Deutschland so schlecht regiert, wie manche Kommentatoren es suggerieren, müßten sich logischerweise sämtliche Flüchthlinge und Zuwanderer weigern deutschen Boden zu betreten. Oder rechnet sich die afd Chancen aus, Deutschland zu diesem Zweck vrsauen zu können?

  13. 52.

    Ach, Sie sind so bemüht. Fakt ist, daß in F der Strom immer noch rund ein Drittel billiger ist als in D (Stand 2022). Warum das so ist ist mir als Endkunde piepegal. Und da Sie so gut erklären können haben Sie bestimmt auch eine Erklärung dafür, das in Ungarn der Strom nur ein Drittel gegenüber D kostet, trotz der Gasmarktmanipulation eines Herrn Putin.
    Und da wir die Restwärme unserer WP nicht zur Sonne zurückschicken ist da auch nichts erneuerbar. Die Energie ist für die Sonne futsch, auch wenn die das erst in einigen Milliarden Jahren merkt...

  14. 51.

    Da kann man nur lachen, wenn eine Grüne nach den letzten Jahren ernsthaft aufs Grundgesetz verweist. Gilt das nur manchmal, oder wie?

  15. 50.

    Ihnen ist bekannt, dass der teilweise staatlich festgelegte Preis für französischen Atomstrom bei den Betreibern zu großen Problemen für Instandhaltung und Rückbau führt?
    Die Probleme der französischen AKWs im letzten Jahr trafen ziemlich genau zeitgleich auf die russischen Gasmarktmanipulationen. Somit wurde es für quasi alle Europäer letzten Sommer teuer diese beiden Probleme auszubaden.
    Ich würde Putin zutrauen, auf den Zeitpunkt gewartet zu haben.
    Ansonsten funktionieren Wärmepumpen auch mit dem deutschen Strommix sehr gut.
    Den Zusammenhang zu EE wollen Sie erklärt haben?
    Die meiste Wärme die nutzbar hinten rauskommt, wird nunmal aus der Umgebung gewonnen, sprich von dem was uns die Sonne jeden Tag von neuem sendet. Daher auch erneuerbar.
    Der Stromanteil für den Verdichter speist sich dann ja noch aus den >50% EE im deutschen Strommix mit steigender Tendenz.

  16. 49.

    Wie bitte? Rechtskonservativ war die rechtsextreme AfD evt. mal unter Lucke, inzwischen hat der Flügel den Haufen übernommen und der ist ganz klar faschistisch und völkisch-national.

    Krah, Höcke, Berndt und Kalbitz um nur ein paar Führungsfiguren zu nennen.

  17. 48.

    Eine gerechte Verteilung der Menschen innerhalb Europas ist schon deshalb praktisch illusorisch, weil die meisten sowieso wieder in Deutschland landen werden.
    Wer möchte denn als potentieller Migrant in Polen, Dänemark, Rumänien oder Portugal bleiben, wenn in Deutschland die soziale Vollversorgung winkt! Ist doch ein menschliches Verhalten, oder!!

Nächster Artikel