Baerbock in der Uckermark - Außenministerin diskutiert im Prenzlauer "Glashaus" mit Jugendlichen
Trotz prallem Terminkalender tourt Außenministerin Annalena Baerbock einmal im Monat als Bundestagsabgeordnete durch Brandenburg. Diesmal traf sie in der Uckermark Jugendliche. Und wurde auch dort schnell von der Weltpolitik eingeholt. Von Hanno Christ
Eben war sie noch den USA, nun steht Annalena Baerbock inmitten eines ehemaligen Opel-Autohauses im uckermärkischen Prenzlau. Rein örtlich gesehen könnte der Besuch der Außenministerin wohl keinen größeren Kontrast aufweisen. Das einstige Autohaus trägt heute den Namen "Glashaus" - und ist mittlerweile Veranstaltungsort und Treffpunkt.
Die Grünen-Politikerin Baerbock - in hellgrauem Stoffmantel - steht zum sogenannten Townhall-Gespräch in der Mitte mehrerer Stuhlreihen, um sie herum mehr als 70 Jugendliche aus der Region, darunter Vertreter des Kinder- und Jugendrates. Eine Stunde lang können sie hier über das reden, was die Jugendlichen bewegt und über das, was eine der einflussreichsten Politikerinnen der Republik vielleicht bewegen sollte.
Sorge um Proteste von Rechtsextremen
Baerbock hat in Brandenburg ihren Wahlkreis. Einmal im Monat legt sie einen Brandenburg-Tag ein - zum einen, um sich zu erden, wie sie sagt, zum anderen, um zu signalisieren, dass sie auch als Außenministerin Zeit für ihre Wählerinnen und Wähler findet.
Nun ist es an diesem Montag die Uckermark geworden. Am Vormittag war sie beim Energieunternehmen Enertrag, danach in dem ehemaligen Prenzlauer Autohaus. Aus Sorge vor Anfeindungen aus dem Lager der AfD und der rechtsextremen Szene war der Termin nur diskret kommuniziert worden. Tatsächlich bleibt es entgegen der Befürchtungen der Organisatoren am Montag aber ruhig.
Migration beherrschendes Thema
Statt über vermeintlich klassische Jugendthemen wie Orte für Freizeit und Sport, Schule oder vielleicht sogar den Klimawandel steigen die Schülerinnen und Schüler steil ein in die Migrationsdebatte wie sie auch die Republik beschäftigt. In der Region wird seit Monaten die Errichtung einer neuen Unterkunft für Geflüchtete diskutiert. Die AfD sammelte Unterschriften dagegen, auch die CDU versuchte sich an einer eigenen Unterschriftenaktion. Die geplante neue Unterkunft trifft auf viel Ablehnung. Zusätzlich sorgten in der Vergangenheit Zwischenfälle mit tschetschenischen Familien immer wieder für Aufregung. Es sind zwei Themen, die nun auch im "Glashaus" beim Besuch der Außenministerin zusammenfallen.
Jugendliche sorgen sich um Sicherheit in der Region
Wie könne das Sicherheitsgefühl in Prenzlau verbessert werden? Man sei an vielen Stellen überlastet. Was will Baerbock dagegen tun, fragen die Schülerinnen und Schüler. Ein junger Mann spricht davon, dass es auf seiner Schule "ganz schlimm" sei. Er empfange Geflüchtete "mit offenen Armen", aber wenn sie mit Waffen zur Schule kämen und andere Schüler bedrohten, laufe etwas schief.
Die Außenministerin wirkt für einen Moment überrumpelt, gesteht aber ein, dass die Kommunen derzeit eine große Last zu tragen hätten. Sie warne aber vor Schwarz-weiß-Malerei. "Ich habe Sorge, wenn wir nur sagen: Alles geht oder gar nichts geht", so Baerbock. "So sehr die Sorge da ist. Ich habe Angst davor, dass sich jeder in Deutschland seinen eigenen Sündenbock sucht."
Die Schüler bleiben mit mehreren Nachfragen beim Thema. Und Baerbock bei ihrer Haltung. Sie wirbt für Europa und eine gerechte Verteilung von Geflüchteten. Sie räumt aber ein: "Wir müssen viel stärker an der EU-Außengrenze kontrollieren. Wir sehen, dass die Kommunen große Herausforderungen haben. Wir sind in der Verantwortung, wie wir die Migrationszahlen senken können." Politik könne auch Lösungen bieten. Gerade bei Menschen aus Tschetschenien schaue der Staat genauer hin. Aber auch dort gäbe es Menschen, die verfolgt würden.
Baerbock kann Kriegsgeschichten nicht ausblenden
Eine junge Frau wirft ein, Kinder in Prenzlau hätten Angst rauszugehen, Eltern hätten Sorge ihre Kinder rauszuschicken. So viel politische Ortskenntnisse kann auch Baerbock nicht aufweisen. Sie wisse nicht, was die Politik hier falsch gemacht habe. Für Straftaten aber gäbe es ein Strafrecht und das müsse angewendet werden.
Später legt sie doch den Schalter um, von der Bundestagsabgeordneten zur Außenministerin, und erzählt von ihrer Arbeit. "Ich war in vielen dieser Länder, wo Menschen herkommen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Ich stehe in diesen Lagern, wo Mädchen leben, die von IS-Kämpfern vergewaltigt worden sind und werde gefragt, ob ich nicht helfen kann", erzählt sie. Die gerechte Verteilung von Geflüchteten gehöre zum Menschsein dazu. "Ich kenne so viele Kriegsgeschichten, ich kann die nicht einfach ausblenden", so die Ministerin weiter. Die Moderatorin des Jugendbeirates zieht irgendwann einen Strich unter die Debatte. Man komme hier offenbar nicht weiter.
Baerbock will Debatte um Asyleinschränkung nicht kommentieren
Thema wird dann auch nochmal der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Ein junger Mann fragt, ob Deutschland da nicht sein Geld verschwende. Gelegenheit für Baerbock, für ihren Kurs in der Ukraine-Politik zu werben. Gäbe man der Ukraine kein Geld mehr, würde es in Zukunft für Deutschland noch schwieriger werden - und noch teurer.
Die Runde schwenkt um auf Bildungspolitik und die Anbindung an Bus und Bahn. Die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, ein Thema, bei dem die Grüne Baerbock einen Stich machen kann und dafür wirbt, zur Wahl zu gehen. Die Jugendlichen sollten sich genau überlegen, welche Partei den öffentlichen Nahverkehr ausbauen will und welche eher auf das Auto setze, so die Ministerin.
Am Ende gibt es trotz kontroverser Themen Applaus. Manche verlassen das "Glashaus" so zügig als hätte es zur Pause geklingelt, andere nehmen sich Zeit für Selfies mit Baerbock. Zum Abschluss hält die Außenministerin ihr Mitbringsel in die Höhe: mehrere Ausgaben des Grundgesetzes. Es ist wohl auch ein verstecktes Statement in der Debatte um Zuwanderung und eine mögliche Einschränkungen des Asylrechts.
Baerbock lässt auf Nachfragen von Journalisten am Rande nicht erkennen, wie sie über Änderungen denkt, die nun in der Diskussion sind. Nur soviel: Das Grundgesetz seien die Spielregeln unseres Landes, sagt sie. "Das sollten wir jeden Tag leben."