Konventionelle Landwirtschaft ohne Pestizide? - Der Druck zum Spritzen
Konventionelle Landwirtschaft ohne Pestizide ist technisch kein Problem. Dennoch wollen viele Brandenburger Bauern nicht auf sie verzichten. Es tobt ein Kampf um Preise, Emotionen und Wörter. Von Raphael Knop und Max Ulrich
Man kann das Fungizid noch riechen. Vor wenigen Sekunden hat die sogenannte Spritze am Feldrand bei Finsterwalde (Elbe-Elster) gewendet. Die Spritze - das ist ein Traktor mit großem Tankbehälter und vielen kleinen Düsen am Ende. Der noch junge Roggen soll vor Pilzbefall geschützt werden. Landwirt Frank Neczkiewicz von der Landwirtschafts-GmbH Finsterwalde ist aufgebracht. Das Wort "Pestizid" ist gefallen. "Das tut mir jedes Mal weh. Wenn ihr zum Arzt geht, und Tabletten verschrieben kriegt, was machen die Tabletten? Die töten die Viren! Genauso machen wir es mit den Pflanzen. Die halten wir gesund. Das ist Pflanzenschutz!", sagt er. Deshalb spricht Neczkiewicz konsequent von "Pflanzenschutzmitteln".
"Es geht nicht ohne"
Neben seinem Chef Frank Neczkiewicz steht Max Krause. Er soll mal den Feldanbau übernehmen, hat in Dresden Agrarwirtschaft studiert. "Es geht nicht ohne", sagt auch er. “Wenn wir in den Winterraps dahinten schauen: Wir haben von Herbst bis Frühjahr einen Schädlingsdruck. Und ohne die Mittel können die Insekten die ganze Ernte vernichten", so Krause.
Neczkiewicz und Krause haben einen Milchkuhbetrieb. Das Getreide von ihren Feldern landet entweder im Futtertrog ihrer Kühe oder auf dem Weltmarkt - und der ist knallhart.
In anderen Ländern würde mit Pflanzenschutzmitteln gearbeitet, die hier nicht mehr zugelassen werden, sagt Max Krause. "Und die können mehr Menge produzieren und drücken den Preis. Wenn wir gänzlich auf Pflanzenschutzmittel verzichten, wären wir nicht mehr konkurrenzfähig. Nicht mal ansatzweise."
Pflügen statt sprühen
Auf eines von 380 in der EU zugelassenen Pflanzenschutzmitteln müssen sie wohl verzichten: Glyphosat. "Das wirkt auf alle grünen Pflanzen. Die reifen dann ab", erklärt Agrarwirtschaftler Krause. “Abreifen” - das bedeutet so viel wie: Die Pflanzen sterben ab. Und das Feld ist anschließend frei für eine neue Aussaat.
Ende des Jahres soll Glyphosat in Deutschland Geschichte sein. Ob das Verbot wirklich kommt, steht noch nicht fest. Denn in der EU könnte Glyphosat auch 2024 weiter zugelassen werden. Für diesen Fall prüft das Bundeslandwirtschaftsministerium ein nationales Anwendungsverbot.
Neczkiewicz und Krause sind auf ein Glyphosat-Verbot vorbereitet: Sie haben einen Pflug gekauft. Der kämpft sich zehn Autominuten vom frisch gespritzten Feld durch den schweren Brandenburger Boden.
"Das Pflügen ist eine natürliche Form der Unkrautvernichtung. Das Unkraut ist danach so tief eingegraben, dass es nicht an die Oberfläche kommt", erklärt Max Krause vor der frisch aufgeworfenen Erde.
"Die Nachteile sind: Wir haben einen höheren Arbeitsaufwand. Es kostet viel Maschinenkraft, also Diesel. Wir haben Geräteverschleiß. Und ein Pflug ist viel schmaler als eine Pflanzenschutzspritze."
Die Spritze bearbeitet 36 Meter breite Feldbahnen. Der Pflug schafft sechs Meter.
Locked-In-Syndrom der Landwirtschaft
Ein sanierter Hinterhof in Berlin Mitte, das Büro von Foodwatch.
Wenn man einen Ort sucht, der im größtmöglichen Kontrast zur Spritze auf dem Feld bei Finsterwalde steht: Hier ist er. Es gibt einen eigenen Raum für Fernseh-Interviews, mit perfektem Licht und schlichten Möbeln. Aktuell klagt Foodwatch zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe gegen die Zulassung von fünf Pestizid-Produkten.
Doch Lars Neumeister, Pestizid-Experte für foodwatch, zeigt auch Verständnis für konventionelle Landwirte wie Neczkiewicz und Krause aus Südbrandenburg. Nicht die Bauern würden den Preis bestimmen, sondern der Markt.
"Das ist, als wenn sie einem Fliesenleger sagen: Du fließt mir das Bad, aber ich bestimme, was es kostet. Der Fliesenleger muss das Bad dann in nur drei Stunden fertig fliesen, sonst rechnet es sich nicht."
Neumeister vergleicht das Problem mit dem Locked-In-Syndrom - einer Krankheit, bei der der Patient bei vollem Bewusstsein ist, sich aber nicht bewegen kann. Übertragen auf die Landwirtschaft heißt das: Die Bauern wissen, dass Pestizide giftig sind, müssen sie aber trotzdem benutzen, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können.
Doch die Kosten dafür sind laut Neumeister hoch. "Das sind Stoffe, die ins Grundwasser gehen und dortbleiben. Für Jahrzehnte", sagt er. Als Beispiel nennt er das Herbizid Atrazin, das in Deutschland 1991 verboten wurde.
"Atrazin ist das teuerste Herbizid der Welt. Denn es ist immer noch im Grundwasser zu finden. Und es muss jedes Jahr von Wasserbetrieben rausgefiltert werde. Das kostet jedes Jahr Millionen Euro", so Neumeister.
Hafermilch aus Brandenburg?
Was wäre die Alternative? Neumeister weiß, dass konventionelle Landwirtschaft ohne Pestizide für die Bauern schwierig ist. "Wir wollen den Landwirten nicht erklären, wie sie ihren Job zu machen haben", betont er. Man müsse die Rahmenbedingungen ändern, damit die Landwirte auch ohne Pestizide Geld verdienen können.
Doch wie soll das in Brandenburg oder Deutschland gehen, wenn doch der Weltmarkt alles bestimmt?
"Man muss aus dem Vermarktungssystem aussteigen. Vielleicht kann man einen großen regionalen Bäcker finden. In Baden-Württemberg gibt’s das. Da gibt es große Mühlen und Bäckereien, die nehmen den konventionellen Bauern Getreide ab, das ohne Pestizide erzeugt wurde, und zahlen mehr dafür", so Neumeister.
Außerdem fordert er eine größere Fruchtfolge. Also, dass auf einem Feld nicht nur Getreide, Mais und Raps, sondern beispielsweise auch Sonnenblumen, Lein, Buchweizen und Hafer angebaut werden. Das verhindere Schädlingsbefall auf natürliche Weise. “Warum macht nicht ein Landwirt in Brandenburg Hafermilch? Warum muss das ein Berliner erfinden? Die ist viel billiger herzustellen als Kuhmilch!”
130 Kilometer weiter südlich in Finsterwalde hat der Kuhmilch-Landwirt Max Krause darauf eine klare Antwort: “Für Nischenprodukte fehlt hier der Absatzmarkt.“
Einen großen Absatzmarkt gibt es hingegen für Fleisch. Und daher landen rund 70 Prozent des mit Pestiziden behandelten Getreides in Brandenburg auch gar nicht auf unsere Teller, sondern im Futtertrog.
Sendung: Brandenburg aktuell, 25.04.2023, 19:30 Uhr