Strukturwandel - Leerstand in Berliner City West greift um sich
Ob am Ku'damm oder in Nebenlagen der Berliner City West: Der Strukturwandel hinterlässt Lücken. Die Krisen der vergangenen Jahre haben viele zum Aufgeben gezwungen. Läden stehen leer, Nachmieter machen sich rar. Von Johannes Frewel
Links ein Blumenladen, rechts ein Weinlokal. Vor dem Schaufenster dazwischen ein weißer Rollladen. Sprayer haben ihre Spuren hinterlassen. Hier war früher ein Einzelhandelsgeschäft, jetzt steht der Laden leer.
Doch nicht nur in der Kantstraße wird der Strukturwandel in der Berliner City West sichtbar. Gleich nebenan in der Uhlandstraße sind Dutzende Meter einer langen Schaufensterfassade mit weißer Folie verklebt. Das Eingangsportal wird von edlem Chromstahl und polierten Steinplatten gesäumt. Es ist verrammelt, mit grober Bauplane verhängt. Am Steinplatz gehörte das Restaurant Filmbühne für viele einst zum Anlaufpunkt eines Berlin-Bummels. Aus geborstenen Glasscheiben wächst dort inzwischen ein kleines Bäumchen.
Leere oder überklebte Schaufensterscheiben – wo vor Kurzem noch Geschäftsleben für Umsätze sorgte, ist die Ladentür jetzt verschlossen. Der stark wachsende Leerstand mache auch vor Premiumlagen nicht halt, beobachtet das Einzelhandels-Team der Wirtschaftsförderung Berlin Partner. Statistisch ging dem Einzelhandel ohne Lebensmittel im Vorjahresvergleich mehr als jeder fünfte Euro verloren, beklagen die Wirtschaftsförderer.
Multi-Krisen zwingen Einzelhändler zum Aufgeben
Das seien die Folgen "zweier sich überlagernder Krisen", resümiert Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Zum einen seien die Hilfemaßnahmen zum Ausgleich der Lockdownfolgen in der Pandemie zu spät gekommen. "Da hat der Einzelhandel besonders viel leiden müssen und besonders wenig Unterstützung und Entschädigung bekommen, das rächt sich jetzt", beklagt er.
Krise Nummer zwei: der Einbruch der Konsumlaune durch die Inflation und die veränderten Konsumgewohnheiten durch den Onlinehandel. Und Krise Nummer drei steht schon vor der Tür: Wenn Händler der Babyboomer-Generation in Rente gehen, finden sie oft keine Nachfolger. Der Trend im Einzelhandel sei unumkehrbar umgeschwenkt, heißt es bei Berlin Partner nach Gesprächen mit mehreren Hundert Händlern. Der Handelsverband beziffert den Leerstand je nach Kiez auf zehn bis 15 Prozent.
Nachfrage nach Läden stark eingebrochen
"Wir sehen, dass die Nachfrage deutlich eingebrochen ist", stellt Busch-Petersen fest. "Wenn ein Makler früher für einen leeren Laden 20 Interessenten an der Hand hatte, sind es jetzt oft nur noch zwei". Gerade in den Top-Lagen und Einkaufs-Centern, die auf bestimmte Marken und Ladenketten setzen, liege der Leerstand auch über 15 Prozent. Nicht nur der Kaufhaus-Konzern Galeria, auch große Ketten vor allem im Textilhandel stecken in der Insolvenz oder im Schutzschirm-Verfahren.
Handel zieht sich zurück – Umbau zu Büroetagen
Berlin Partner erwartet einen grundlegenden Nutzungswandel: Wo einst Läden waren, dürften künftig Dienstleistung, Gewerbe und im besten Fall Kultur die ehemaligen Ladenflächen erobern.
"Ich gehe davon aus, dass es künftig deutlich weniger Einzelhandels-Flächen geben wird", sagt auch Uwe Timm, Vorstand der Westberliner Händler-Lobby AG City. "Großflächen gehen nicht mehr", beobachtet er. Auch er sieht den Trend zur Umnutzung: Wo sich der Handel in Kernlagen einst ganze Obergeschosse erobert hätte, würden künftig Büros einziehen. In Nebenlagen sehe die Situation anders aus: "Kleinere Einzelhändler bekommen zuerst Probleme". Und dort gebe es auch größeren Leerstand.
Während in Luxuslagen Mietsteigerungen durchgesetzt würden, seien die Ladenmieten in Nebenlagen bereits um rund 20 Prozent eingebrochen, beschreibt Timm die ambivalente Entwicklung. Was die Kernlage der City West rette, sei sogenanntes Erlebnis-Shopping, der Einkaufsbummel als Event.
"Manchmal wird es keine andere Lösung geben"
Doch ein struktureller Schlag ins Kontor der Einzelhändler ist nach wie vor das kriegsbedingte Ausbleiben kaufkräftiger russischer Touristinnen und Touristen. Auch die Rückkehr asiatischer Besucher aus China nach den dortigen Lockdowns braucht Zeit. Die begehrten Shopping-Touristen aus Russland und China gaben bis zu zehnmal mehr aus als Besucher:innen aus Europa und Deutschland. Auch deshalb kämpfen einige Berliner Händler ums Überleben.
Das Gesicht von Einkaufslagen werde sich künftig wohl ändern - auch zu seinem Leidwesen, bilanziert Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg: "Ich spaziere ungern durch eine Straße, wo ich die Wahl habe, beim Nagelstudio, beim Ergotherapeuten oder Zahnarzt durch die abgeklebte Scheibe zu gucken. Aber manchmal wird es keine andere Lösung geben."
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.08.2023, 07:10 Uhr
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