Opernkritik | "Tristan und Isolde" in Cottbus - Der Glaube an die große Liebe

So 29.01.23 | 12:22 Uhr | Von Maria Ossowski
  1
Bei einer Probe für Richard Wagners «Tristan und Isolde» stehen Bryan Register (Tristan, l-r), Catherine Foster (Isolde) und Annika Schlicht (Brangäne) auf der Bühne des Staatstheaters Cottbus. (Quelle: dpa/F. Hammerschmidt)
Audio: rbbKultur | 30.01.2023 | Maria Ossowski | Bild: dpa/F. Hammerschmidt

Tristan und Isolde - zu Wagners Lebzeiten galt das Werk als unaufführbar. In den großen Opernhäusern wie Berlin, Stuttgart oder München ist das Epos bereits eine Herausforderung - aber am Staatstheater Cottbus? Von Maria Ossowski

Eine uralte Frage: Gibt es sie eigentlich, die unendliche Liebe? Diese Leidenschaft, die Raum und Zeit überwindet? Diese Seligkeit, zu verschmelzen und zwei Seelen in Ewigkeit miteinander schwingen zu lassen? Das moderne Regietheater, so der Eindruck, ist skeptisch. Da wird Tristan zur Todesoper oder gar ins Pflegeheim verlegt.

Die erste Überraschung dieser Inszenierung am Staatstheater Cottbus: Regisseur Stephan Märki glaubt an die große Liebe. Der Intendant verlegt die Story um den Helden Tristan und die irische Maid Isolde gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Philipp Fürhofer ins Weltall.

Bei einer Probe für Richard Wagners «Tristan und Isolde» stehen Bryan Register (Tristan, l-r), Annika Schlicht (Brangäne) und Andreas Jäpel (Kurwenal) auf der Bühne des Staatstheaters Cottbus. (Quelle: dpa/F. Hammerschmidt)
| Bild: dpa/F. Hammerschmidt

Kein billiger Anklang an Star Wars

Das Raumschiff, mit seinen Formen der abgerundeten großen Fenster eingepasst in die Jugendstilarchitektur des Hauses, gleitet durch die Sternennacht. Es schwebt losgelöst von den Mühen des Tagwerks durch Milchstrassen, an funkelnden Sternen vorbei, die rasch verlöschen. Kein billiger Anklang an Star Wars oder Raumschiff Enterprise stört den Liebeszauber, den Tristan und Isolde entfachen.

Damit sind wir bei Überraschung zwei. Sie lieben einander ohne alle Verfremdung. Die britische Sopranistin Catherine Foster hat diese Partie bereits in Bayreuth gesungen. Welch ein Unterschied. Stand sie auf der Festspielbühne meist im weißen Hemdchen mit radikal unerotischer roter Topfschnittfrisur herum, erscheint die Foster hier als geheimnisvolles Märchenwesen, das spielt und liebt und wütet und leidet und das alles endlich textverständlich, die gesamten viereinhalb Stunden hinreißend warm im kraftvollen Ton.

Darsteller glänzen - Kostüme sind Kunstwerke

An ihrer Seite der amerikanische Tenor Bryan Register mit wunderschönem Timbre, das bei dieser Killerpartie hin und wieder an seine Grenzen gerät, aber er fängt sich in den monströsen Anstrengungen des dritten Aufzugs. Da sitzt er, tödlich verwundet, im Raumschiff und vor ihm im Weltall droht das große schwarze Loch, wenn er alleine stirbt.

Aber Isolde kommt in letzter Minute, und statt zu sterben, nehmen beide einander an den Händen und schreiten, selbst zu Sternen werdend, ins Weltall. Beobachtet von ihrer Liebestrankmischerin und Warnerin Brangäne, der wieder einmal umjubelten Annika Schlicht. Die ehemalige Absolventin des Opernstudios an der Staatsoper Berlin gehört in den Kreis der international gefeierten Wagnerstars. Ebenso wie der russische Bass Dimitry Ivashchenko als König Marke. Marke und Brangäne altern in der Dunkelheit des Alls, während Tristan und Isolde sternenmäßig ewigjung glitzern.

Damit sind wir bei Überraschung drei: Die Kostüme sind erstaunliche Kunstwerke. Sie leuchten aus sich heraus, wenn die Liebe alles überstrahlt. Die Mäntel am Schluss, mit Dutzenden kleinen Lämpchen verziert, werden selbst zu Sternschnuppen, die der Szene entgegenglänzen. Kitsch? Mitnichten, einfach nur schön.

Orchester über längere Phasen zu laut

Überraschung vier ist das Ensemble des Staatstheaters, Chor und Kurwenal und Melot und alle fügen sich hervorragend ein in die Riege der internationalen Wagnerstars.

Bevor wir zur fünften Überraschung kommen, sei diese kleine Kritik angemerkt: Alexander Merzyn, Generalmusikdirektor des Hauses, hat es geschafft, dieses überbordende Werk zusammenzuhalten. Das ist bei der Länge und der Kraftanstrengung für jede und jeden immer ein Wunder. Dafür gebühren ihm und dem Orchester aller Dank. Leider hat die Dynamik gelitten. Über längere Phasen klang das Orchester schlicht zu laut. Ein Sängerdirigent muss spüren, wann Tristan im zweiten Aufzug den akustischen Raum braucht, um sich zu entfalten. Diese Empathie fehlte.

Und damit sind wir bei Überraschung fünf: dem Cottbusser Publikum. Als Berliner Kritikerin verneige ich mich. Wütet in der Hauptstadt die ungezügelte Buh- und Bravosucht, die meist wenig mit den musikalischen und inszenatorischen Leistungen zu tun hat, so regieren in Cottbus Höflichkeit, Anstand und Achtung vor einer bravourösen Leistung.

Dieser grandiose Abend hat genau das verdient: Standing Ovations und einen langen, in rhythmischem Klatschen endenden Applaus. Auch den angereisten Berliner Wagnerverband hat’s gefreut. Wagnerianer und Wagnerfans weltweit, dies gilt euch: Reist in die Lausitz und genießt diesen Abend am Staatstheater Cottbus.

Sendung: rbbKultur, 30.01.2023, 11:00 Uhr

Beitrag von Maria Ossowski

1 Kommentar

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 1.

    Nun bin ich nachweislich kein Freund der Beiträge von Maria Ossowski, dennoch möchte ich meine aufrichtige Anerkennung zum Ausdruck bringen. Diese, ihre Kritik über den Cottbus-Tristan erfreut und beglückt mich mit jedem Wort. Warmherzig, rhetorisch brillant, kompetent, nuancenreich und wunderbar zielführend hin zum finalen Satz. Bravo! Derartige Kritiken sind bei häufigem Selbstdarstellungsbewusstsein der Kritikerriege heutzutage Seltenheit geworden. Danke für diese anregende Schilderung dieser Aufführung.

Nächster Artikel