Quentin Tarantino im Admiralspalast - Lesung als veritable One-Man-Show
Star-Regisseur Quentin Tarantino hat im Berliner Admiralspalast sein neues Buch vorgestellt. Eine funkelnde Performance, die auch Lust auf die Filme macht, von denen er so mitreißend erzählt. Von Anke Sterneborg
Gerade ist Quentin Tarantino 60 geworden, er hat aber bereits seinen Ruhestand als Filmregisseur angekündigt: Nach seinem nächsten, dem zehnten Film soll Schluss sein. Unterdessen bereitet er seine neue Karriere als Autor vor: 2021 hat er parallel zu seinem Film "Es war einmal in Hollywood" einen Roman unter demselben Titel veröffentlicht und Ende vergangenen Jahres folgte mit "Cinema Speculation" eine Art Autobiografie in Filmen, über die Filme, die er in den 1970er Jahren als kleiner Junge gesehen hat und die ihn bis heute als Filmemacher prägen.
Nachdem er das Buch Ende März bereits auf großen Bühnen in London, Paris und Barcelona vorgestellt hat, war Tarantino am Mittwochabend auch im Berliner Admiralspalast zu erleben.
Der Künstler bittet um einen handyfreien Abend
Alles ist etwas anders, als man es von der klassischen Wasserglas-Lesung eines Autors kennt - schon angefangen damit, dass sich der Künstler eine handyfreie Veranstaltung ausbedungen hat. Ganz strikt wurden nach der Ticket-Kontrolle noch vor dem Einlass alle Handys in kleine Handy-Safes gepackt, versiegelt und erst beim Verlassen des Theaters wieder geöffnet.
Steven Gätjen erläuterte als Conferencier des Abends, dass man doch viel ungezwungener und freier sprechen könne, wenn nichts aufgezeichnet werde, und dass es ja auch eine viel unmittelbarere Erfahrung sei, wenn man nicht ständig aufs Handy schaue. Stimmt alles, dient aber auch der Mythenbildung. Tarantino ist zwar bekannt dafür, selbst kein Smartphone zu haben, und sie auch strikt von seinen Sets zu verbannen. Und - ganz Kind der analogen 1970er Jahre - schwört er auch auf echtes Filmmaterial und feiert das wahre Kinoerlebnis.
Aber das Ganze hat auch den Nebeneffekt, dass die Exklusivität des Ereignisses erhöht wird, wenn es nachher keine Youtube-Filmchen gibt, wenn man wirklich dabei gewesen sein muss, um zu erfahren wie es war. Womit sich wiederum Rockstar-Ticketpreise von 65 bis 99 Euro rechtfertigen lassen. Man ahnt: Quentin Tarantino leitet hier eine lukrative Vortrags-Karriere nach dem Vorbild von Clinton und Obama ein, nur eben nicht nach der Präsidentschaft, sondern nach der Regie-Karriere.
Weniger brave Lesung als funkelnde Performance
Der Abend war weniger Lesung als veritable One-Man-Show. Tarantino hat ein ausladendes Bühnen-Ego und liefert eine richtige Performance, ist vor allem auch ein mitreißender Erzähler. Wenn er mit verteilten Rollen in verschiedenen Stimmlagen und Betonungen spricht, sich quasi selber ins Wort fällt, dann schimmern die schlagfertigen Dialoge seiner Filme durch, etwa der Verbal-Clinch von Samuel L. Jackson und John Travolta in "Pulp Fiction".
So bietet der Auftritt en passant einen Blick in die Tarantino-Werkstatt des Filmemachens und Drehbuchschreibens. Zugleich wirkt der Meister aber auch sehr unmittelbar und authentisch, lässt die Funken seiner eigenen Kinoleidenschaft überspringen, macht Lust, die Filme zu sehen, von denen er so mitreißend spricht.
So ähnlich erzählt er auch im Buch von seinen ersten prägenden Kindheitskinoerlebnissen, auf der Bühne macht er sie plastisch erfahrbar. Er nimmt die Zuschauer im nicht ganz ausverkauften, aber vollen Admiralspalast mit hinein in die Erfahrungswelt des kleinen Quentin, der seine Mutter und ihre wechselnden Freunde mit sechs oder sieben abends begleiten darf - nicht nur ins Kino, sondern auch in Bars und Diners, in Filme, für die er eigentlich viel zu jung war. Immer unter der Voraussetzung, dass er nicht nörgelt, den Abend nicht mit Kinderfragen stört, auch mal einen für ihn langweiligen Film klaglos aushält.
Heimspiel
Berlin war nach Paris, London und Barcelona der Abschluss von Tarantinos Europa-Tournee, doch von Routine oder Abnutzungserscheinungen keine Spur. Natürlich ist es auch kein Zufall, dass Berlin den Schlusspunkt bildet, die Stadt, die einen besonderen Stellenwert im Leben und Schaffen von Quentin Tarantino hat. Hier hat er monatelang gelebt und gearbeitet und dabei viele Freundschaften geschlossen, als er "Inglorious Basterds" vorbereitet und zu großen Teilen in Babelsberg gedreht hat, den ersten Film seiner Trilogie über alternative Geschichtsschreibungen, dieses verwegene Spiel mit einem geglückten Attentat auf Adolf Hitler. Entsprechend gefeiert wurde Tarantino an diesem Abend, mit frenetischem Jubel und mehreren Standing Ovations.
Eine ungewöhnliche Kindheit unter Erwachsenen
Fast könnte man vergessen, dass der Anlass für den Auftritt, die Promotion des neuen Buches von Quentin Tarantino ist: "Cinema Speculation" hat autobiografische Züge, ist aber keine klassische Autobiografie. Vor allem geht es um die Filme, die er in den 1970 er und frühen 1980er Jahren gesehen hat, die ihn geprägt und die sein Werk inspiriert haben, zum Teil bis in akribisch nachgestellte Szenen.
Im Buch wechselt er immer wieder zwischen den Gefühlen, die ihn damals beim ersten, kindlich unschuldigen Sehen übermannt haben und einer Neubeurteilung aus heutiger Perspektive. Nicht nur sein eigenes Urteil unterzieht er einer Revision, sondern auch die Filme selbst: Wie beispielsweise würde der legendäre Film "Taxi Driver" aussehen, wenn nicht Martin Scorsese, sondern Brian de Palma ihn gedreht hätte?
Vor allem gibt es tolle Geschichten aus seiner ungewöhnlichen Kindheit, mit einer sehr jungen Mutter und ihren wechselnden Freunden, über diese doppelte Initiation, ins Kino und in die Welt der Erwachsenen, deren Reaktionen er hier unmittelbar erleben konnte. Und immer wieder schwärmt er davon, wie toll es war, damals aus erster Hand die Kinorevolution des New Hollywood zu erleben, die das klassische Hollywood mit ihren wilden, rohen, düsteren Geschichten aufgemischt hat.
Hommage an einen traurigen Helden der Kindheit
Am Ende des Abends hat Tarantino dann noch das letzte Kapitel aus seinem Buch gelesen, natürlich nicht steif am Podium stehend, sondern mit Buch und Mikrophon in der Hand über die Bühne tigernd, gestikulierend, sprudelnd. Es ist eine Hommage an einen Freund seiner Mutter, Floyd, der selber nicht viel zustande gebracht hat, ihn oft enttäuscht hat, weil er Kino-Verabredungen vergessen hat, letztlich aber doch der war, der die entscheidenden Impulse auf dem Weg zum Drehbuchschreiben gegeben hat.
Das Kapitel ist eine liebevolle Hommage an einen erfolglosen Taugenichts, dessen Saat in ihm aufgegangen ist, ihn zum ersten Oscar für das Drehbuch von "Pulp Fiction" geführt hat, und dem er den ersten Funken verdankt, die Grundidee für das ebenfalls mit dem Oscar ausgezeichnete Drehbuch von "Django Unchained", den zweiten Film seiner Trilogie über alternative Geschichtsschreibungen.
Ein berührender Schlusspunkt des Abends, an dem es übrigens auch keinen Bücherstand und keine Signierstunde gab. Da saß der Meister vermutlich schon längts wieder in einem einschlägigen Restaurant und diskutierte mit seinen deutschen Freunden über die Filme, die ihn zuletzt begeistert haben.
Sendung: rbbKultur, 13.04.2023, 7:45 Uhr