Konzertkritik | Paul Kalkbrenner in Berlin - DJ-Set trifft Konzert-Dramaturgie
Beim einzigen Solo-Konzert des Berliners Techno-DJs Paul Kalkbrenner in der Wuhlheide war Volksfeststimmung angesagt. Was mit einer kleinen Panne begann, entwickelte sich zur gewohnt mitreißenden Performance - mit knalligem Ende. Von Alexander Soyez
17.000 Fans tummeln sich auf den Rängen und vor der Bühne der komplett ausverkauften Wuhlheide. Bestens eingestimmt wird das Publikum an diesem Sonntagabend von dem in Berlin lebenden Techno-Musiker Monolink. Dann sollte für den großen Auftritt Paul Kalkbrenners nur noch der Vorhang fallen, der dann eher heruntergerissen werden muss, weil er sich verhakt hatte.
Gemischtes Publikum statt Techno-Jünger
Die kleine Panne sorgt für einen sympathischen Auftakt: Sowohl Paul Kalkbrenner als auch die Fans in der Wuhlheide nehmen es mit Humor. Fans, die keine Techno-Jünger sind, sondern ein großes, gemischtes Publikum, das man auch bei jedem anderen Pop-Konzert hätte treffen können. Denn spätestens seit seinem Erfolgssong "Sky and Sand", den er gemeinsam mit seinem kleinen Bruder Fritz als Titelsong für den Kultfilm über die Technoszene "Berlin Calling" produziert hat, ist er aus dieser überschaubaren Szene herausgewachsen.
Bis heute ist "Sky and Sand" Kalkbrenners bekanntestes Stück. Eingängiger noch als seine anderen elektronischen Kompositionen, die allerdings auch nicht unbedingt die berühmt-berüchtigte Techno-Härte mit sich bringen, gefälliger, salonfähiger, etwas poppiger sind, auf die beste Art und Weise Mainstream, aber auch eigenständig und kunstvoll in ihren rhythmischen Klang- und Soundschöpfungen.
Soundinstallation als Performance
Auch wenn jedes Stück, jeder Song naturgemäß aus der Konserve kommt, zusammengesetzt ist aus vorprogrammierten, vorgefertigten Samples, Aufnahmen, elektronischen Beats und Klängen, die er buchstäblich auf Knopfdruck abspielen könnte, ist jeder seiner Live-Autritte ein Unikat. Ein zusammenhängendes Set, das er vor Ort fast wie in einer Art musikalischer Trance erschafft - eine Sound-Installation aus seinen Hits, ein Live-Remix seines eigenen Werks.
Genau das macht auch in der Wulheide wieder den Reiz des Abends aus, die spezielle Mischung aus DJ-Set und Konzert-Dramaturgie. Umringt von drei Leinwänden, die - abgesehen von ein paar grelleren Lichteffekteinlagen - hauptsächlich ihn zeigen, steht Paul Kalkbrenner auf seinem Mischpult-Altar und bedient hunderte kleine Regler, während sich seine Musik selbstvergessen in seinem Gesicht, seinem Körper und in jeder seiner Gesten spiegelt.
Vom Schunkel- in den Tanzmodus
Es ist eine Kalkbrenner-Show, die sich in in dem mehr als zweistündigen Auftritt immer weiter steigert, während er das Publikum langsam und gekonnt immer mehr antreibt und mitreißt. In der noch hellen ersten Hälfte des Abends puristisch und fast nur auf die Musik konzentriert, in der aufkommenden Dunkelheit schließlich mit Feuer-, Funken- und Nebeleinlagen, die den einsetzenden Nieselregen vergessen lassen und mit immer dringlicheren Beats die Wuhlheide aus dem Schunkel- in den Tanzmodus treibt. Bis zur Ekstase hat es zwar nicht ganz gereicht, aber immerhin zu einer herrlich schwebenden Techno-Meditation.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.07.2023, 6:55 Uhr