Theaterkritik | "Death Drive" - Das Leben, nichts als Hasenkacke
Der 28-jährige belgische Performer, Countertenor und Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe hat an der Volksbühne sein Deutschland-Debüt gefeiert. Ein opulenter Bilderreigen mit Live-Band, aber wenig Inhalt. Von Barbara Behrendt
Schade, dass Benjamin Abel Meirhaeghe nicht selbst auf der Bühne steht. Denn die Musik des Countertenors, die man auf Spotify hören kann, ist eine schöne Mischung aus dunklem Synthie-Pop und experimentellen Klangbildern. Doch beim Deutschland-Debüt an der Volksbühne ist Meirhaeghe lediglich Regisseur – und dieses "in Szene setzen" eines Ensembles gerät ihm allzu flach.
Seit vergangenem Jahr gehört der 28-Jährige zur künstlerischen Leitung des Toneelhuis Antwerpen, eines der drei großen Stadttheater Flanderns. Seine bisherigen Arbeiten werden als Mischung aus klassischer Musik, klassischem Tanz und Pop beschrieben – wobei er gern die Rollen verkehrt, die Sänger:innen tanzen und die Tänzer:innen singen lässt. Damit stellt er die Perfektion der Bühnenkunst infrage. Und möchte anscheinend auch den klassischen Kanon für die Gegenwart neu befragen.
"Death Drive – everything everyone ever did" heißt der neue Abend – und das Großspurige im Titel findet sich denn auch in den opulenten Bildern und der Musik wieder. Der Text dagegen beschränkt sich in 100 Minuten auf drei schmale Seiten.
Urknall, Schöpfung und der Mensch
Beim Betreten des Zuschauer:innenraums sitzen sechs Musiker mit grauen Kapuzen wie Geister im Orchestergraben: Diese Brass Band "Beat'n Blow" spielt gleich einen dramatischen Trauermarsch, dazu dampft die Nebelmaschine, in der ersten Reihe nur Skelette. Nach dem Urknall mit einem pinken Knaller, der über die schwarze Bühne fliegt, folgt schon gleich der Mensch: Ein schwarzer und ein weißer Tänzer betreten mit perfekten Körpern nackt die Bühne und führen höchst kunstvoll Kopulationsszenen vor. Wie Schwäne tanzen sie umeinander, ihre Schatten huschen über die Wände.
Danach ziehen sie ein großes, aufgebrochenes Ei auf die Bühne, daraus entsteigen die Schauspieler:innen wie junge Küken. Benny Claessens muss erst laufen lernen, fällt bald darauf wieder auf alle Viere und suhlt sich im dort bereiteten Erdhaufen. Nach der Schöpfung hier nun als das Werden und Vergehen. Dann geht es quer durch die Zivilisationsgeschichte: Stöcke werden zu kleinen Hütten aufgebaut, Eier darin platziert, der Vorhang fällt, Barock und Renaissance beginnen.
Und spätestens dann gleitet die Kunst-Installation inhaltlich ins Läppische.
Läppisch: Ohrfeigen mit Eierkuchen
Wie zu Da-Vincis-Zeiten sitzen die Schauspieler:innen um ein wissenschaftliches Instrument. Bei ihrem mystischen Ritual werden Benny Claessens die Kleider vom Leib gerissen. Hernach ohrfeigt man sich mit Eierkuchen. Als der Teller aus Knochen in ihrer Mitte zur Pizza mutiert, gehen die ersten Zuschauer:innen.
Musikalisch spielt die Band mit Trompete, Tuba und Schlagwerk schöne, jazzige Neuinterpretationen vom Barock bis ins Heute. Bach und Vivaldis "Vier Jahreszeiten", Strawinskys "Sacre du Printemps". Dazu tanzt das Ensemble wie eine Hasenfamilie umeinander und zitiert Gesten aus Pina Bauschs Ballett. Welchen Mehrwert die Verulkung kanonischer Tänze haben soll, erschließt sich wahrlich nicht.
Schöne Bilder, magerer Inhalt
Ästhetisch ist das mitunter wunderschön. Etwa die meditative Szene, in der minutenlang Glitzerstaub oder Eisflocken vom Himmel segeln, kein Mensch auf der Welt, nur Sounds von knackendem Eis und Wasserrauschen. Das Thema des Abends ist überdeutlich: Der Kreislauf des Lebens wird exerziert, von Frühling bis Winter, von der Evolution bis zur Apokalypse – ohne, dass das Leben einen Sinn ergäbe. Im Text heißt es lapidar: "Es war einmal ein Mann, der nicht mehr leben konnte, ohne zu wissen, was am Ende der Straße lag. Und was fand er dort? Er fand einen Haufen Kaninchenscheiße am Ende dieser Straße."
Die Auftritte des prominenten Schauspiel-Ensembles, neben Benny Claessens sind das Kathrin Angerer, Inga Busch und Susanne Bredehöft, gehen neben den Bildern allerdings unter. Claessens räkelt sich, tänzelt über Bühne – abendfüllend ist das nicht. Und Meirhaeghe scheint mit dem Ensemble wenig anfangen zu können. Zuletzt spielt die Band "The Final Countdown" und "I Did It My Way". Ein plumpes Ende für diese bildschöne, aber gedanklich magere Performance.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.11.2023, 08:55 Uhr