Interview | Theater mit Demenzkranken - "Sobald sie mit uns sind, kommt das Leuchten in den Augen"

Sa 29.06.24 | 11:52 Uhr
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Symbolbild: ältere Frau unterhält sich mit jemanden.(Quelle: picture alliance/Zoonar/Channel Partners)
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Audio: rbb 88,8 | 21.06.2024 | Interview mit Christine Vogt | Bild: picture alliance/Zoonar/Channel Partners

Christine Vogt macht inklusives Theater mit dementen Bewohnern eines Berliner Pflegewohnheims. Im Fokus steht unter anderem das Spiel mit Erinnerungen. Mit dem Theater-Ensemble "Pappillons" feiert Vogt ihre sechste Inszenierung.

rbb|24: Frau Vogt, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Theater mit Demenzerkrankten zu machen?

Christine Vogt: Meine Eltern haben die letzten Jahre im Pflegeheim verbracht. Zum Glück sind sie nicht dement geworden. Aber eine ehemalige Mitarbeiterin meines Vaters, die im gleichen Heim lebte, hat ihn immer in seinem Wohnbereich aufgesucht. Und weil ich meinen Vater auch sehr gerne besuchte, stand diese Dame ganz oft vor mir und schaute mich an. Es war ihr nicht klar, ob sie mich kennt oder ob sie mich nicht kennt. Und dieses dazwischen von "da" und "nicht da" interessierte mich, und zwar künstlerisch.

Zur Person

Und deshalb haben Sie das Grenzbereiche-Theater daraus gemacht. Welche Menschen sind das, mit denen Sie arbeiten?

Es sind elf beziehungsweise 13 "Papillons". Das sind Menschen im Alter von um die 80 bis 94 Jahren. Sie leben allesamt im Pflegewohnheim vom Union Hilfswerk in Kreuzberg.

In deren Leben wird es auch viel Langeweile geben. Jetzt sind sie plötzlich Schauspieler. Wie reagieren sie?

Auf jeden Fall freuen sie sich auf jede Theaterprobe. Manche kommen eine halbe Stunde früher. Sie sind sehr begeistert, obwohl das sehr kurzzeitig ist. Aber die Begeisterung muss immer wieder neu entfacht werden. Sobald sie mit uns sind, kommt das Leuchten in den Augen.

Welche Effekte hat das Theaterspielen für die Erkrankten und deren Angehörige? Was vermittelt sich dem Publikum?

Ja, das ist sehr spannend. Es geht nicht um Tricks, sondern um einen Zugang zu diesem Gedächtnis, was weitgehend verschwunden ist. Da lassen wir uns tatsächlich eben immer wieder neue Sachen einfallen.

Kinder spielen auch eine Rolle und zwar als Schutzengel.

Ja, die Kinder haben sich gemeldet in der tiefsten Pandemie. Wir haben einen Brief bekommen, dass Berliner Kinder aus einer Neuköllner Schule sich für uns interessieren mit der Frage: Wie geht es den alten Menschen in der Pandemie? Wir haben uns per Videotalks zusammengeschaltet und daraus auch gleich ein Stück gemacht. Wir arbeiten jetzt im vierten Jahr mit ihnen zusammen und jetzt im zweiten Jahr auch wieder live. Es sind neun Kinder im Alter von 7 bis 13 Jahren.

Was ist besonders wichtig an Ihrer Arbeit?

Das Wichtigste ist, dass wir eine sinnstiftende Arbeit veranstalten oder ein sinnstiftendes Werk, und es hat nichts mit Beschäftigungstherapie oder sonstwas zu tun, aber mit Unterhaltung. Sie haben das Gefühl, für das Berliner Publikum wichtig zu sein.

Es ist aber auch eine schwere Arbeit, es hört sich immer so ein bisschen leicht, schmetterlingshaft an - das ist natürlich mitnichten der Fall. Ich werde sehr toll unterstützt durch das Pflegeheim. Leicht ist es nicht.

Inwiefern profitieren die Kinder davon?

Die Kinder stellen viele Fragen, zum Beispiel nach Fluchterfahrungen: Was ist das, wie war die Flucht aus den Masuren oder aus Vorpommern? Das findet wiederum auch auf der Bühne statt. Wir haben peripher auch ein bisschen kulturwissenschaftlichen Unterricht.

Ich liebe sehr den Begriff des kollektiven Gedächtnisses, und ich als Kulturwissenschaftlerin bin da besonders interessiert, dass wir einen Transfer organisieren - von den Alten zu den Kindern und von den Kindern zu unseren heterogenen Zuschauern.

Das neue Stück heißt "Die Anprobe" und da geht es darum, dass alle noch mal ein Lieblingskleidungsstück präsentieren dürfen.

Ja, es ist noch mehr. Ich habe den Darstellerinnen und Darstellen zwei Leitfragen gestellt: In welchem Kleid möchtest du in Erinnerung bleiben, wenn du einmal nicht mehr bist? Wie stellst du dir das Jenseits vor. Aus diesen beiden Antworten gab es unendlich viele und sehr spannende Antworten. Die Kostümbildnerin und ich haben gemeinsam das Stück entworfen und ich hab es geschrieben. Es basiert auf den Wünschen, auf den Erfahrungen, auf den Songs der alten Menschen.

Wie sehen die Vorstellungen über das Jenseits aus?

Da ist ziemlich viel vertreten: von der schwarzen Hölle, funkelndem Himmel bis zum Fegefeuer. Was ich noch hinzufügen möchte: Ich hatte immer so ein bisschen Bammel, mit den Kindern über das ganze Thema zu sprechen. Und als ich diesen Bammel überwunden habe und die Kinder nach ihren eigenen Erfahrungen mit Verstorbenen gefragt haben, da war das dann plötzlich ganz einfach. Das fand ich ganz interessant. Sie sagten, das sind einfach die verlorenen Seelen, was ist daran komisch?

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Christine Vogt führte Ingo Hoppe, rbb 88,8.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

2 Kommentare

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  1. 2.

    Liebe Christine Vogt: Danke für Ihre Arbeit, Danke für diese berührend offenen Einblicke im Interview.

  2. 1.

    Mit rein technischen Begriffen allein sind die persönlichen Anliegen nicht zu fassen; Kinder haben eine Ahnung davon, in Demenzbetroffenen ist diese Ahnung stabil. Was unbeholfen als "emotionales Gedächtnis" bezeichnet wird, verschwindet als Allerletztes, wenn überhaupt.

    Danke für diese kreative Arbeit !

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