Juli Zeh wird 50 - Unter, über, zwischen Bestseller-Autorinnen

So 30.06.24 | 08:16 Uhr | Von Corinne Orlowski
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Die Autorin Juli Ze (Quelle: dpa/Jens Kalaene)
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Audio: rbb24 Inforadio | 01.07.2024 | Corinne Orlowski | Bild: dpa/Jens Kalaene

"Unterleuten", "Über Menschen", "Zwischen Welten" - so heißen Buchtitel von Juli Zeh. Sie ist eine Ausnahme-Erscheinung im deutschen Literaturbetrieb, eine streitbare Stimme im öffentlichen Diskurs - und Pferdeliebhaberin. Am 30. Juni wird sie 50 Jahre alt. Von Corinne Orlowski

Bei öffentlichen Auftritten kann man Juli Zeh streitlustig und kritisch erleben. Sie freue sich, gehört zu werden, sagt die Autorin - selbst wenn sie eigentlich Bühnenangst habe.

Im Moment kann man Juli Zeh als die erfolgreichste deutsche Schriftstellerin bezeichnen - zumindest wenn man auf die Verkaufszahlen schaut. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt mehrere Millionen Exemplare. Da ist es erstaunlich, dass Zeh noch nie den Deutschen Buchpreis oder den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat - sie stand noch nicht mal in der engeren Auswahl. Dabei war schon ihr Debütroman "Adler und Engel" im Jahr 2001 ein Welterfolg. Die als Thriller getarnte Liebesgeschichte wurde in 35 Sprachen übersetzt.

Clash of Civilizations: Stadt vs. Land

Juli Zeh - bürgerlich Julia Barbara Finck - wurde 1974 in Bonn geboren, als Tochter eines späteren Direktors beim Deutschen Bundestag. Sie studierte Jura und war bei ihrem Staatsexamen Ende der 1990er Jahre Jahrgangsbeste in Sachsen. Seit 2018 ist Zeh ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg. Doch hauptberuflich hat sich Zeh für die Literatur entschieden. In ihren sprachlich präzisen Erzählungen verarbeitet sie aktuelle politische und soziale Fragestellungen. Gern lässt sie Ost und West, Stadt und Land aufeinanderprallen. Seit 20 Jahren wohnt Juli Zeh selbst auf dem Dorf, in Barnewitz (Havelland) im Westen Brandenburgs. Dort dreht sich alles um Pferde.

Seit sie in die Provinz gezogen ist, habe sie festgestellt, dass das Leben auf dem Land ein eigenes Universum sei, das vom Leben in einer Stadt wie Berlin letztlich nicht weiter entfernt sei als das in einer anderen Hauptstadt, wie Tokio oder New York am anderen Ende der Welt, so Juli Zeh. Die wahren Kulturräume würden sich nicht mehr geografisch verorten, sondern eigentlich über die Alltagsbedingungen, "wie die Leute leben, welche Probleme sie haben, welche Wünsche daraus auch resultieren. Da findet schon mal ein kleiner Clash of Civilizations auf engstem Raum statt", sagt die Schriftstellerin.

Streitbare Intellektuelle

Die Brandenburger Lakonie bringt Zeh in ihren Büchern meisterhaft auf den Punkt. Nah am Puls der Zeit und mit überraschenden Perspektiven gelingt es Zeh Themen und Tendenzen des 21. Jahrhunderts mit literarischen Mitteln aufzunehmen. Zeh ist eine Vielschreiberin, Schreiben ein verschriftlichtes Selbstgespräch. Zu ihrer Schreibpraxis gehöre es, 20 oder 50 Seiten zu schreiben, bis sie den Text wieder aufgebe, um sich dem nächsten zu widmen, sagt Zeh. Normalerweise mache sie sich dabei wenig Gedanken, lasse sich von der Geschichte davontragen und wisse nicht, wohin die Reise gehe. Mitunter sind die Texte auch fertig, doch sie entscheide sich dann gegen eine Veröffentlichung.

Viele ihrer Romane werden für die Bühne und fürs Fernsehen adaptiert. 2016 veröffentlicht Zeh ihren Gesellschaftsroman "Unterleuten". Anderthalb Jahre steht das Buch auf der Top 50 Bestsellerliste des "Spiegel". Der Roman "Corpus Delicti" ist in vielen Bundesländern in diesem Jahr Thema im Deutsch-Abitur. Das Buch handelt von einem Staat, der sich von einer Demokratie in eine Gesundheitsdiktatur verwandelt. Zuletzt erschien "Zwischen Welten", zweistimmig geschrieben mit dem Autor Simon Urban: ein moderner Briefroman und satirischer Spaß über die Verrohung der Debattenkultur.

"Politik ist keine Pädagogik"

In die Debatten mischt sich die Bestseller-Autorin auch gern selbst ein, weil sie sich, wie sie in einem "Spiegel"-Interview 2023 sagte, für den Diskurs zuständig fühle. "Ich bilde mir ein, zu merken, wenn ein Diskurs nicht offen genug, vielstimmig und vielschichtig genug ist und auch nicht immer ehrlich genug, wie ich es eigentlich für einen demokratischen Staat für unverzichtbar empfinde."

Doch ihre Meinungen können durchaus polarisieren. In Interviews unterstreicht sie regelmäßig die Überheblichkeit der Städter oder zeigt Verständnis für die Bauernproteste. Politisch ist Zeh seit 2017 selbst als SPD-Mitglied aktiv und scheut sich nicht, auch mal gegen Parteigenossen auszuteilen. Wie im Gespräch im Januar 2024 mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz, präsentiert vom rbb24 Inforadio: Dort sagt Zeh vor 700 Gästen im Potsdamer Nikolaisaal, die Menschen wollen nicht "abgeholt werden wie Kinder, die nicht allein von der Kita nach Hause finden" von "Kümmerern" mit "Doppel-Wumms". Politik sei keine Pädagogik.

Auch wenn sie wegen ihrer polarisierenden Äußerungen als "umstrittenste Schriftstellerin Deutschlands" tituliert wird: Juli Zeh ruft zum Nachdenken und zur Besonnenheit auf. Nicht zuletzt dafür wurde sie 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Und deswegen ist sie als literarisch formbewusste und kritische Stimme auch nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2024, 08:10 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

20 Kommentare

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  1. 20.

    So kann man es sich wieder im Sofa bequem machen, weil man kann ja sowieso nichts ändern, richtig?

  2. 19.

    Ihr Buch „ Zwischen Welten“ liest sich wie eine gewollte Provozierung.
    Dann aber bei der weiteren Vertiefung in ihre Zeilen, dachte ich: „Genau das ist in unserer Zeit sehr wichtig“ und angebracht. Polarisieren gehört dazu. Die sprachliche Spitze über Politik beherrscht diese Autorin ausgezeichnet.

  3. 18.

    Vor allem kritisiert sie zurecht die Diskursverengung im Land. Ich teile die Beobachtung, dass der Diskurs in vielen Bereichen nicht offen, vielstimmig und vielschichtig genug ist.

  4. 17.

    Jeder Extremismus bringt viel Leid über die Menschen. Auch Ihre "extrem radikale Klimapolitik", die obendrein kaum Einfluss aufs Weltklima haben dürfte.

  5. 16.

    Wichtig, dass es Menschen wie Juli Zeh gibt, die öffentlich betonen, dass es nicht ausreicht, die "Politik den Menschen besser zu erklären" und die auch deren Kita-Sprache ("Doppel-Wumms") kritisiert.

  6. 15.

    Na immerhin haben Sie endlich mal die AfD erwähnt. Dachte schon da kommt keiner mehr.

  7. 14.

    Sicherheitsverwährung ist ein Verbrechen das gegrn die Menschenrechte verstößt .

  8. 13.

    Unter Leuten und ein paar andere Bücher habe ich gern gelesen.
    Aber lustigerweise seit Corona habe ich das Gefühl, dass ihre Zeit vorbei ist.
    Das interessante war nicht nur Corona, sondern auch die Zeit danach. Es ist eine Zeitenwende.

    Viele Menschen verharren in der Vergangenheit und in bekannten Strukturen. Aber wir brauchen jetzt eine 180° Wende.
    Damit meine ich nicht die AFD, sondern genau das Gegenteil. Eine extrem radikale Klimapolitik ist die Lösung für die nächsten Jahre.

  9. 12.

    Herzlichen Glückwunsch! Und weiter so.
    Wer wissen will, wie es der Landwirtschaft geht, kann bei Frau Zeh nachlesen.

  10. 11.

    Gilt aber umgekehtrt genauso, in Berlin mit Erstwohnsitz gemeldet, und dienstlich für längere Zeit im Westen tätig, ergo die Einkommensteuer geht an Berlin.
    Also was soll das?

  11. 10.

    Der Zensus 2022 sagt aus : Viele Menschen wohnen, leben und arbeiten in Berlin/in Ostdeutschland, die aber in den ,,Alten Bundesländern,, bzw. im Ausland gemeldet sind und dort ihre Steuern zahlen.
    Darüber könnte man auch mal ein Buch schreiben :
    ,,Wie der Osten benutzt und negativisiert wird,,

  12. 9.

    Und polarisierend ist sie für mich auf alle Fälle unterwegs. Warum sonst sollte sie in ihren Interviews z.B. immer wieder die Überheblichkeit der Städter unterstreichen? Allerdings frage ich mich immer, was Sie wohl erreichen will. Ich bin mir sicher, dass sie damit eine gewisse Intension verfolgt. Ich würde zu gerne wissen, welche das ist. Denn bei einem bin ich mir absolut sicher: sie ist eine verdammt schlaue Frau. ;)

    Trotz meiner Kritik ist sie eine wirklich tolle Schriftstellerin und ich wünsche ihr alles Gute zu ihrem 50. Geburtstag.

  13. 8.

    Ich schließe mich den Kommentaren von Michael W. und Tastatur an. Es geht mir ähnlich. Mich stört dabei nicht unbedingt was Sie sagt, sondern eher auf welche Art und Weise sie es tut. Es klingt für mich teilweise sehr an der Grenze zur Überheblichkeit und belehrend. Ihre Worte bestätigen dabei mein Gefühl:

    "Ich bilde mir ein, zu merken, wenn ein Diskurs nicht offen genug, vielstimmig und vielschichtig genug ist und auch nicht immer ehrlich genug, wie ich es eigentlich für einen demokratischen Staat für unverzichtbar empfinde."

    Das ist es, was ich meine. Es hinterlässt bei mir ein Gefühl, dass Sie denkt, dass sie weiter wäre, als viele andere und so verhält sie sich meiner Meinung nach auch. Als Schriftstellerin finde ich sie gut, gar keine Frage. Ich habe allerdings einige Diskussionsrunden mit ihr gesehen, wo ich mich gefragt habe: wie redet sie eigentlich mit ihrem Gegenüber? Von oben herab oder auf der gleichen Ebene? Und deswegen bin ich sehr hin- und hergerissen.

  14. 7.

    Das muss ich gewissermaßen eine Zustimmung verteilen, weil mir das auch aufgfallen ist.
    Sie spricht das aus, was sie denkt - ist aber nicht am Amt, Politik zwecks Einigung und vertretbarer Kompromisse machen zu müssen. Denn dazwischen liegen Welten! Das sollte sie -wie ich meine - nach Voll-Juristin wissen. Daher bleibt es dabei, manches Mal finde ich sie gut, ein anderes Mal eben zu wenig -- lösungsorientiert? Warum? Trägt sie konkret Verantwortung? Ich finde, von der Außenlinie zu pfeifen, das ist für eine, wie ich meine, Frau v. diesen Format ein bisschen wenig. Und das generell dem Bürger zu überlassen - dafür sind die Menschen noch nicht soweit, das sollte sie eigentlich aus ihrer Arbeitspraxis wissen.

  15. 6.

    Also für mich ist sie durchaus "umstritten" (gelinde ausgedrückt), auch wenn ich einige ihrer Bücher gerne gelesen habe. Wer vorbehaltlos die unsäglichen (teilweisen braun "angehauchten") Bauernproteste unterstützt, braucht sich darüber nicht zu wundern.

  16. 5.

    Auch so: "selbst ernannt" und "wir", "unser(e)".
    unser(e)Demokratie, unser(e)Bevölkerung (Im Namen der Bevölkerung) usw.

  17. 4.

    Ach, "umstritten" ist doch inzwischen ein Qualitätssiegel. Da gibt es von Marcus Klöckner (als Herausgeber) schon ein ganzes Buch drüber.

  18. 3.

    Das ist die Vorstufe, bevor man die Person diffamiert.
    Die Corona-Zeit zum Beispiel zeigte, wie schnell aus einer "umstrittenen Person" ein Querdenker, Corona-Leugner, ... gemacht wurde.
    Eine eigene Meinung heutzutage zu haben, kann gefährlich werden.
    Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag. Bleiben Sie wehrhaft, kritisch, nachfragen.

  19. 2.

    Ich habe das Buch“Über Menschen“ in der Corona Zeit gelesen und war im Kopf bildlich in diesem schön beschriebenen Brandenburger Dorf.Heimlich kommt die Protakonistin nach Berlin und besucht Papa.Super geschrieben. Ich mag diese Art von Büchern.Auch bei politischen Veranstaltungen,scheut sie sich nicht ihre Meinung zu äußern.

  20. 1.

    Umstritten?
    Wieso denn dieses Branding?
    Wer ist denn nicht umstritten?
    Also da finde ich doch ganz andere Leute viel eher umstritten.
    Diese würden in den Medien aber nie als umstritten betitelt werden, weil sie nicht vom Mainstream abweichen.
    Also ich finde Juli Zeh klasse - auch wenn ich nicht jede Meinung teile. Aber das ist doch kein Problem.
    Bei mir ist sie jedenfalls ganz und gar nicht umstritten.
    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

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