Interview | Frankfurter OB Wilke zu Parteiaustritt - "Für mich hat der Krieg in der Ukraine viel verändert"
Nach 24 Jahren ist Oberbürgermeister Wilke aus der Partei Die Linke ausgetreten. Im Interview spricht er über seine Beweggründe, Differenzen, die künftige Zusammenarbeit und die Trennung mit einer Partei, der er viel zu verdanken habe.
rbb|24: Herr Wilke, im Kern zusammengefasst: Was war der entscheidende Grund, die Partei Die Linke zu verlassen?
René Wilke: Ich glaube, es hat jetzt nicht mehr so viele überrascht. Es ist seit vielen Monaten, Jahren so, dass es ja immer wieder auch zu Differenzen kam - auch in öffentlichen Auseinandersetzungen mit der Partei. Positionen - gerade bei bundespolitischen Fragen - haben sich in einem Maße unterschieden, dass man das auch nicht mehr mit Pluralismus schönreden kann. Da sind die Differenzen zu groß geworden - Und das war jetzt auch der entscheidende Punkt gewesen. Ich habe es nach der Kommunalwahl gemacht, um nicht der Partei noch zusätzlich Schaden zuzuführen.
Ist der Ukraine-Krieg ein solches Thema, bei dem Sie nicht die Sichtweise der Bundespartei teilen?
Es gibt ganz verschiedene Themen. Es beginnt bei der Frage der Balance zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dabei habe ich immer mehr die Auffassung auch über die letzten Jahre meiner Arbeit gewonnen, das Soziales ohne Wirtschaft nicht gelingt. Oder beim Thema Umgang mit Sozialpolitik. Ich glaube schon fest an ein Sicherheitsnetz, das notwendig ist, aber das auch eine Balance braucht und nicht zur Hängematte werden darf. Und das "Fordern" und "Erwartungshaltung äußern" eben auch mit dazugehört.
Es betrifft auch tatsächlich das Thema Krieg und Frieden. Für mich hat der Krieg gegen die Ukraine viel verändert. Und die Frage von Pazifismus, den die Partei ja noch so hat, die kann ich für mich so nicht mehr beantworten, wie das vielleicht noch vor einiger Zeit der Fall war.
Gibt es diese unterschiedlichen Positionen zwischen Ihnen und Ihrer Partei schon länger?
Ich habe sehr früh in meiner Amtszeit entschieden, dass wenn ich Themen beantworte, Vorschläge mache oder Entscheidungen treffe, dass ich die nach meinem Wertekanon mache und nach den Prinzipien, die ich für die Stadt für wichtig halte - nicht nach parteipolitischen Erwägungen.
Das zeigte sich erst kürzlich wieder nach dem Gespräch in der Sendung von Markus Lanz und den Reaktionen darauf – auch von Leuten aus der bundesweiten Partei. Die meinten, damit bewege ich mich weit außerhalb dessen, was in der Linken vertreten wird. Das sind alles so Dinge, die sich über die Jahre so weiterentwickelt haben.
Sie hinterlassen naturgemäß Enttäuschung im Landesverband. Was entgegnen Sie dem Argument, dass Sie lange unterstützt und gefördert wurden und in gewisser Hinsicht dieser Partei verpflichtet sein müssten?
Ich glaube, es ist immer auch eine gegenseitige Verpflichtung. Und wenn wir uns anschauen, was ich auch die letzten Jahrzehnte für die Partei geleistet habe - als ihr Kreisvorsitzender, als Fraktionsvorsitzender, auf kommunaler Ebene in vielen ehrenamtlichen Strukturen, als Landtagsabgeordneter, als Oberbürgermeister - dann kann man mir, glaube ich, nicht den Vorwurf machen, dass ich das nicht mit Engagement, mit Arbeitskraft, mit Zeit und Energie zigfach zurückgegeben haben, was andere mir mitgegeben haben.
Letztlich sollten Menschen nicht jemanden für ein Amt unterstützen, weil er die gleiche Partei hat, sondern weil man glaubt, dass es die richtige Person in der Funktion ist. Ich nehme wahr, dass für sehr viele der Linken auch vor Ort und sehr viele der Wählerinnen und Wähler die Frage immer noch genauso mit "Ja" beantwortet wird, ob ich nun Parteibuch habe oder nicht.
Sie sind jetzt parteilos- zumindest für den Moment. Viele Ihrer einstigen Parteimitglieder sind zu dem Bündnis Sarah Wagenknecht gewechselt, Ihnen wird sogar eine Nähe zur SPD nachgesagt. Ist eine neue Partei eine Option für Sie?
Für mich war das jetzt wirklich ein schwerer Schritt. Das sagt sich so leicht dahin, aber es ist einfach so. Ich war 24 Jahre Mitglied dieser Partei, mehr als die Hälfte meines Lebens. Das macht etwas mit einem. Das ist nichts, was man jetzt mal eben leichtfertig tut.
Insofern ist mein aktueller Bedarf an Mitgliedschaft und Entscheidungen dieser Art erst einmal gedeckt. Und ich glaube, es ist auch ganz gut so, dass ich jetzt erstmals als parteiloser Oberbürgermeister weitermache.
Ich kann kein Versprechen für die nächsten Jahrzehnte abgeben - das ist glaube ich auch klar. Ich hätte auch vor ein paar Jahren nicht gedacht, dass ich heute hier stehe und die Antworten so gebe. Aber es gibt keine Gespräche dieser Art. Es gibt keinen Plan, irgendwie in eine andere Partei zu wechseln.
Glauben Sie, dass es für Sie schwieriger oder sogar einfacher wird, in der Stadtverordnetenversammlung mit verschiedenen Fraktionen und anderen Parteien ohne die Unterstützung Ihrer früheren Partei zusammenzuarbeiten?
Ich glaube, tendenziell wird es eher schwieriger. Und zwar deshalb, weil tatsächlich die große Rückendeckung der Fraktion vielleicht nicht mehr in dem Maße gegeben sein wird. Aber ich glaube auch, dass sich die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen so fortsetzen könnte wie bisher, weil wir bis dato gut zusammengearbeitet haben. Diese Zusammenarbeit hat sich weniger an Parteilinien orientiert, sondern an pragmatischen Lösungen für die Stadt.
Für die anderen Fraktionen wird sich im Praktischen nicht so viel ändern, weil ich schon von Anfang an das Amt sehr parteiübergreifend geführt habe; also auch mit allen Fraktionen im Gespräch war und geguckt habe, wo es so ein gemeinsamer Nenner gibt. Und insofern glaube ich für diejenigen, die bisher aus den anderen Fraktionen mit mir gearbeitet haben, ändert sich nicht wirklich viel.
Unabhängig von Ihrem Parteiaustritt hat Die Linke deutlich an Prozenten eingebüßt. Warum erreicht die Partei Ihrer Meinung nach nur noch so wenig Menschen?
Die Gründe sind vielschichtig. Natürlich haben manche Auseinandersetzungen der Partei nicht gutgetan. Ich halte viel von der Trennung zwischen dem Wagenknecht-Lager und der Partei, weil das so weit auseinander war, dass man als Wählerinnen und Wähler ja nicht mehr wusste, was bekommt man denn, wenn man seine Stimme für die Linke gibt. Da waren die Differenzen zu groß. Das könnte jetzt auch eine Chance sein, sich neu zu sortieren.
Ich muss aber auch sagen, dass die Positionen, die die Linke vertritt, keine klassischen Positionen von einer Mehrheit der Bevölkerung sind. Die Partei legt einen besonderen Fokus auf Themen, auf bestimmte Personengruppen. Und das ist auch gut so. Deswegen sage ich auch, es ist wichtig, dass es die Linke weitergibt. Es ist wichtig, dass es eine Stimme für genau diese Themen gibt. Dem Land würde etwas fehlen, wenn das wegbrechen würde. Aber die Linke braucht eben auch Leute, die das mit Überzeugung vertreten können. Und dazu gehöre ich jetzt eben nicht mehr.
Sie haben lange mit sich gerungen. Wie geht es Ihnen damit jetzt? Fühlen Sie sich eher schuldig oder eher erleichtert?
Zuletzt habe ich immer einen Vergleich gezogen, der sich authentisch angefühlt hat, auch wenn es vielleicht etwas komisch im politischen Spektrum wirkt. Es fühlt sich so ein bisschen an wie bei einer Trennung. Wie wenn man von einer Beziehung weiß, das haut nicht mehr hin. Trotzdem mag man die andere Person, möchte ihr auch keine Schmerzen zufügen. Man möchte eigentlich, dass es nicht irgendwie schlimm wird. Merkt aber zugleich, dass es miteinander nicht mehr funktioniert und dass eine Trennung der richtige Weg für beide Seiten ist. Und so ist es auf der einen Seite schmerzhaft, weil es kein leichter Schritt ist und ich auch Menschen wehtue, die mir wichtig sind. Auf der anderen Seite ist es befreiend und fühlt sich als Schritt an, der sich richtig anfühlt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Michel Nowak für rbb|24
Sendung: Brandenburg Aktuell, 01.07.2024, 19:30 Uhr
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