Autokorso-Teilnahme oder Posen? - Tödlicher Autocrash in Berlin-Neukölln wirft weitere Fragen auf

Fr 28.06.24 | 20:24 Uhr | Von Sami Chahbani und Georg-Stefan Russew
Ein Polizist nimmt Bilder vom Unfallwagen in der Nacht zum 27.06.2024 auf.(Quelle:Morris Pudwell)
Bild: Morris Pudwell

Mittwochnacht kam ein Mann in Berlin-Neukölln bei einem Crash mit einem 500-PS-Boliden ums Leben - kurz nach dem Einzug der Türkei ins EM-Achtelfinale. Noch immer sind viele Fragen offen. Von S.Chahbani und G.-S. Russew

Fast zwei Tage nach dem Tod eines 67-jährigen Fußgängers bei einem Verkehrsunfall in Berlin-Neukölln laufen die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei auf Hochtouren. Mögliche Zusammenhänge mit einem Autokorso oder einer sogenannten Poserfahrt stünden hierbei im Fokus.

"Wir können nicht ausschließen, dass aus dem fahrenden Auto Fahnen gezeigt wurden", sagte Polizeisprecherin Anja Dierschke am Freitag dem rbb. Es hänge sicherlich mit dem Ausgang des EM-Spiels der Türkei zusammen. "Inwieweit dieses Fahrzeug aber Teil des Jubelkorsos aus der City-West gewesen sein könnte, ist Teil der Ermittlung. Letztlich ist das Zeigen von Fahnen sicherlich auch nicht das entscheidende Moment."

Getöteter soll kurdischer Abstammung sein

In der Regel sei es so, dass sich Autokorsos sehr langsam bewegen, und eine Fahne sei noch kein Beleg für eine Korso-Teilnahme, sagt auch Benjamin Jendro von der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). Aber "wenn man sich 500-PS-Boliden ausleiht - den braucht man nicht um von A nach B zu kommen - da geht es schon ein Stückweit ums Posen - immer."

Bei dem getöteten 67-Jährigen soll es sich nach Angaben von Civaka Azad (Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit) um einen Mann kurdischer Abstammung handeln. "Trotz des tragischen Todes von Sait T. setzten die türkischen Fans ihre Feierlichkeiten bis spät in die Nacht in ganz Deutschland fort", hieß es in einer Civaka Azad-Mitteilung.

Mercedes-Cabrio brauste mit überhöhter Geschwindigkeit über Hermannstraße

Nach dem Einzug der türkischen Nationalmannschaft in EM-Achtelfinale war am Mittwochabend ein großer Autokorso von Türkei-Fans in Berlin unterwegs. Augenzeugen berichteten, dass kurz vor Mitternacht ein hochmotorisiertes Mercedes-Cabrio - der Unfallwagen - in der Hermannstraße mit überhöhter Geschwindigkeit in Richtung Karl-Marx-Straße gerast sei.

Dabei soll der Wagen mehrere andere Fahrzeuge überholt und den 67-Jährigen dann frontal erfasst haben. Das Opfer wurde nach Augenzeugen-Berichten mehrere Meter durch die Luft geschleudert. Trotz sofortiger Reanimationsversuche durch Passanten und die Feuerwehr konnte er nicht gerettet werden. Er verstarb noch am Unfallort.

Fahrer und Mitinsassen des Cabrios flohen zunächst. Doch eine Stunde nach dem Unfall - am frühen Donnerstagmorgen - stellte sich ein 26-jähriger Mann der Polizei in Neukölln und gab an, der Unfallfahrer zu sein. Nachdem der Tatverdächtige erkennungsdienstlich behandelt und vernommen wurde, kam er wieder auf freien Fuß.

Archivbild:Ein Polizist setzt AMrkierungen am Unfallort in der Nacht zum 27.06.2024.(Quelle:Morris Pudwell)
Bild: Morris Pudwell

Unfallexperte sieht anderes Muster

Unfallexperte Siegfried Brockmann von der Björn-Steiger-Stiftung warnte davor, die Feierstimmung als Ursache für den Unfall festzumachen. Zwar sei die Euphorie ein Teilaspekt, der die Fahrer ablenke, doch er spricht von einem bekannten Muster.

"Wir haben hier eher ein grundsätzliches Täterprofil, was wir auch bei Profilierungsfahrten bei illegalen Autorennen immer wieder sehen: Sehr PS-starke Autos mit sehr jungen Fahrern, die sich der Verantwortung ganz offenbar nicht bewusst sind", sagte Brockmann dem rbb.

Insofern müsse man eigentlich an den Menschen, an diesen Tätern arbeiten. "Wir müssen noch einmal klar sagen, dass diese Menschen charakterlich ungeeignet sind zum Führen eines Kraftfahrzeugs, und zwar grundsätzlich und dann für alle Zeit", so der Unfallforscher.

Zweifelhafte Autovermietungen, 500-PS-Boliden und Fahranfänger

Polizeisprecherin Dierschke bestätigte allerdings, dass es sich bei dem Cabrio um einen Mietwagen handelte. In Richtung Autovermietungen erklärte GdP-Sprecher Jendro, dass "wir einmal mehr sehen, dass das Posen mit 500-PS-Boliden hochgefährlich" sein kann.

Man müsse ernsthaft darüber nachdenken, warum es weiterhin möglich ist, selbst als junger Fahranfänger derartige Fahrzeuge ohne große Hürden anzumieten. "Wer sich hinter das Steuer setzt, weiß, dass er eine Waffe unter dem Hintern hat, mit der man Menschen töten kann."

Sendung: rbb24 Abendschau, 27.06.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Sami Chahbani und Georg-Stefan Russew

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