Interview | Chefjurorin Filmfestival Cottbus - "Ich habe den Eindruck, dass es hier ein stetiges Wachstum gibt"
In Cottbus geht das Filmfestival zu Ende - am Samstag werden hier die Preise verliehen. Mit dabei ist Sonora Broka, die Chefjurorin. Im Interview spricht sie über das diesjährige Festival und auch über die Reize der Stadt.
rbb|24: Frau Broka, Sie stehen der diesjährigen Festivaljury in Cottbus vor. Wie auch das Filmfestival ist die Jury international besetzt, Sie selbst kommen aus Lettland und leiten dort ein Filmfestival in Riga. Sind Sie zufrieden mit den Filmen im Cottbuser Festivalprogramm?
Sonora Broka: Es ist tatsächlich eine gute Filmauswahl, die einen Einblick in diese spezifische Region bietet. Ich würde sagen, die Filme unterscheiden sich ziemlich hinsichtlich ihrer bildlichen Stilmittel. Es gibt Debüt-Filme, aber auch Filme von bereits gut etablierten Regisseuren. Aber man kann die Verbindung zwischen den Filmen auch sehen, sodass sie ein Bild des Wettbewerbs ergeben. Es handelt sich um zeitgenössisches Kino, das die Tendenzen in heutigen Filmen widerspiegelt. Und es ist ein Vergnügen, sich die Filme anzusehen.
Gibt es bestimmende Themen in den Filmen?
Man kann die Filme zum Beispiel danach unterscheiden, ob die Länder, aus denen sie stammen, in der Sowjetunion waren - so wie kasachische Filme im Programm oder "Under the vulcano", ein Film aus der Ukraine. Das sind Filme, die auch eine politische Richtung einschlagen. "Under the vulcano" dreht sich um den Krieg, der jetzt gerade in der Ukraine stattfindet, aber andere Filme behandeln ebenfalls das Thema der freien Rede, des Ausdrückens der eigenen Meinung. Ich finde es auch wichtig, dass die Filme Ereignisse reflektieren, die jetzt gerade auf der Welt passieren.
Darüber hinaus freue ich mich aber auch über Filme wie "Good Children", ein kleiner Film, der nur zwei, an einem Punkt mal drei Schauspieler hat und nur in einem Gebäude statfindet. Aber er behandelt wichtige Themen des Alterns, des Verlustes und unsere Fähigkeit, dieses Gefühl von Leere mit unserem Leben vereinbaren zu können.
Ich bewerte es sehr hoch, dass es diese kleinen Filme neben den großen gibt - und dass keiner davon wichtiger als der andere ist. Ich war zum Beispiel auch von dem tschechischen Film "Our lovely pig slaughter" beeindruckt, der stark mit der Tradition verbunden ist, Schweine bei sich zu Hause zu töten. Es ist wie ein Familienritual mit den engsten Verwandten und der Film dreht sich um dieses Zusammenkommen und das Festmahl am Ende. Aber das ist nur die Grundlage. Dahinter sieht man das eigentliche Thema des Films und das sind die Beziehungen innerhalb einer Familie. Es geht um das Patriarchat, um die Rolle der Frauen in der Familie und in der Gesellschaft. Es ist ein sehr starkes Debüt des Regisseurs.
Wird in der Jury viel diskutiert?
Wir können uns glücklich schätzen, in der diesjährigen Jury in guter Gesellschaft zu sein. Wir haben unterschiedliche Hintergründe, ich stehe beispielsweise für das Thema Festival. Ein anderer Juror repräsentiert den Vertrieb, andere die Filmschaffenden. Wir schauen die Filme aus unterschiedlichen Blickwinkeln an. Das heißt auch, dass wir manchmal unterschiedlicher Meinung sind, aber das ist nicht immer der Fall.
Das Wissen über das Kino allgemein und die Fähigkeit, es zu analysieren, ist da. Und wir haben sehr interessante Gespräche und Diskussionen. Es ist ein schöner Prozess. Selbst, wenn wir unterschiedlicher Meinung über die Filme sind, sind wir in der Lage, darüber zu diskutieren und interessante Aspekte dabei herauszufinden.
Sie sind die Künstlerische Leiterin eines Filmfestivals in Riga, das den Fokus auf nordeuropäischen Film legt. Inwiefern gibt es Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zum Cottbuser Festival?
Wir haben einen anderen Fokus, wenn es um die Region geht, aus der wir die Filme auswählen. In Riga haben wir einen Fokus auf baltisches und nordeuropäisches Kino. Deshalb ist es sehr interessant, nach Cottbus zu kommen und sich Filme aus Zentral- und Osteuropa anzusehen, das mache ich nämlich nicht oft. Aber ich würde sagen, dass es Gemeinsamkeiten im Programm gibt, vor allem bei den Schwerpunkten des zeitgenössischen Kinos - sowohl ästhetisch als auch thematisch. Ich finde das Cottbuser Festivalprogramm sehr interessant und erfrischend.
Was ist Ihr Eindruck von der Stadt, ist es Ihr erstes Mal in Cottbus?
Es ist mein zweites Mal in Cottbus, das erste Mal ist aber schon eine Weile her. Ich musste die Straßenkarte also neu kennenlernen. Es ist ein schöner Ort, um herumzuwandern und ihn zu entdecken. Beim Festival habe ich den Eindruck, dass es hier ein stetiges Wachstum gibt, sowohl beim Programm, als auch bei "Connecting Cottbus" (eine Networking-Plattform für Filmproduzenten im Rahmen des Festivals, Anm. d. Red.).
Cottbus ist nicht Riga, aber ich komme aus einer Stadt mit einer ähnlichen Größe. Ich finde es leichter, die Festivalatmosphäre in einem kleineren Ort zu spüren. Das Festival ist das Hauptereignis, das hier gerade stattfindet. Man sieht die Festivalleute durch die Straßen gehen und wie sie an den Spielorten zusammenkommen. Es gibt hier eine echte Festivalatmosphäre und die Veranstaltungen sind sehr einladend.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anke Blumenthal für Antenne Brandenburg. Für die Online-Fassung wurde es übersetzt, gekürzt und redigiert, inhaltlich aber nicht verändert.
Sendung: Brandenburg aktuell, 09.11.2024, 19:30 Uhr