Zwischen Gabentisch und Konsumschlacht - "Schenken ist der Kitt, aus dem unsere sozialen Beziehungen entstehen"

Do 21.12.23 | 18:19 Uhr
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Symbolbild: Zwei Personen reichen sich ein weihnachtlich verpacktes Geschenk. (Quelle: dpa/Fotostand)
Bild: dpa/Fotostand

Weihnachten gleicht für viele einer regelrechten Konsumschlacht. Unter dem Eindruck von Krisen und Geldsorgen fragen sich etliche: Wozu machen wir das alles? Können wir drauf verzichten? Nicht unbedingt, meint Wirtschaftssoziologe Sascha Münnich.

rbb|24: Herr Münnich, warum schenken wir Menschen eigentlich etwas?

Sascha Münnich: Wir schenken und helfen uns gegenseitig immer im Rahmen von sozialen Beziehungen – im Freundeskreis, in der Familie oder in Liebesbeziehungen. Wenn ich jemandem geholfen habe, erwarte ich auch, dass er mir zurückhilft. Das ist der Kitt aus dem unsere sozialen Beziehungen entstehen. Wir achten dabei sehr darauf, dass das nicht ökonomisch wird, also nicht: "Du hast mir drei Stunden geholfen, jetzt helfe ich dir auch drei Stunden." Stattdessen bleibt man gerne beieinander verschuldet, denn so wird die Beziehung aufrechterhalten. Das ist der sogenannte reziproke Tausch: Tausch, der nicht als Äquivalententausch stattfindet, also Geld gegen Ware. Sondern ein Tausch, bei dem die Gabe mit Zeitverzögerung irgendwann als Gefallen zurückgegeben wird. Das sind die ältesten Formen von Wirtschaft – traditionelle Gemeinschaften, die sich gegenseitig Geschenke machen, häufig weit über das hinaus, was sie sich leisten können.

zur person

Sascha Münnich

... ist Professor für Soziologie der Wirtschaft an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und ehemaliger John F. Kennedy Memorial Fellow der Harvard University. Zuvor war er unter anderem Professor für Allgemeine Soziologie mit dem Schwerpunkt Soziologische Theorie an der Georg-August-Universität Göttingen. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er auch als Vermittler soziologischer Perspektiven auf Wirtschaft und Politik in die öffentliche Debatte engagiert.

Geschenke sind also Ausdruck von Beziehungen?

Ja, Geschenke sind genau auch dafür da, dass sie eben nicht sofort erwidert werden und eine Beziehung aufrechterhalten. Das machen wir das ganze Jahr über, und an Weihnachten machen wir das hochgradig ritualisiert. Das ist älter als die Marktwirtschaft und da kommt man nur schwer raus, indem man sagt: Wir schenken uns nichts.

An Weihnachten wird sozusagen sozial "abgerechnet". (lacht) Da definiert man auch: Wer sind denn "die Lieben"? Bei einem engen Freund fällt mir ein Geschenk nicht schwer. Der als unangenehm empfundene Weihnachtsstress hat damit zu tun, dass man auch Leuten was schenken soll, mit denen man sich gar nicht verbunden fühlt. Da bedient man Erwartungshaltungen oder schenkt nur deshalb was, damit andere nicht schlecht von einem denken. Beim Schenken wird somit signalisiert, wie es um die Beziehung steht.

Was löst denn das Schenken bei mir als Schenkender aus?

Wir fühlen uns integriert, empfinden soziale Anerkennung. Die Erwartungen sind erfüllt, vielleicht sogar übererfüllt, es wird dann kommunikativ durch die Freude, die Umarmung, den Dank. Es wird bestätigt, dass man zu dieser Beziehung gehört und sie aufrechterhält. Darin liegt auch das besondere Problem für jene, die an Weihnachten Einsamkeit und Isolation erfahren. Alle anderen signalisieren sich gegenseitig Anerkennung und Zugehörigkeit. Es ist dann besonders schwierig, wenn man das nicht erleben kann.

Ist das Geschenk auch ein Marker des soziales Status'?

Absolut. Zum Schenken gehören drei: Derjenige, der schenkt, der Empfänger und derjenige, der zuschaut. Wenn bei der Bescherung alle auf dem Sofa sitzen und dann kommt: "Mensch, ist das ein schönes Geschenk!" Dadurch kriegt das Schenken dann noch einmal Bestätigung.

Diese Art von demonstrativem Konsum nennt man "conspicuous consumption" (deutsch: Geltungskonsum). Es ist ein wichtiger Aspekt der meisten unserer alltäglichen Konsumentscheidungen, und das umso stärker, wenn es wie an Weihnachten in Gruppenrituale eingebettet ist.

Es gibt in der Weihnachtszeit die Beobachtung – und damit oft auch den Vorwurf – dass besonders ärmere Menschen über ihre Kosten konsumieren und schenken. Was steckt dahinter?

Es gibt hier ein großes gesellschaftliches Missverständnis. Nämlich, dass wir alle primär ökonomisch denken würden. Das stimmt so nicht: Soziale Beziehungen triumphieren immer über die ökonomische Situation. Wir sind durchaus bereit, uns für die soziale Integration in eine für uns relevante soziale Gruppe ökonomisch zu ruinieren - für eine Hochzeit oder für die Zukunftschancen unserer Kinder beispielsweise.

Ein zentrales Thema der Armut ist die soziale Exklusion. Wer arm ist, hat zu vielen Dingen keinen Zugang. Schenken oder ein Exzess, den man sich eigentlich nicht leisten kann, geben einem aber das Gefühl, sozial integriert zu sein, das ist in gewisser Weise eine Ermächtigung. Wer von Armut betroffen oder bedroht ist, macht zudem Ohnmachtserfahrungen – dass man an seiner Lebenssituation nicht viel ändern kann und abhängig von anderen ist. Dagegen tut es gut, wenn man Geld hat, um sich handlungsfähig zu fühlen.

Die Deutschen schenken an Weihnachten am liebsten Geld und Gutscheine. Entwertet das nicht das Schenken?

Wenn es entwertet wäre, würden die Leute es nicht machen. Natürlich kann man das persönlich so empfinden. Geschenktes Geld von meiner Oma würde ich wahrscheinlich nicht für die Stromrechnung verwenden, sondern würde überlegen, was ich Schönes davon kaufe. Das ist dann sozial markiertes Geld auf einer Art gedanklichem Extra-Konto, und da mache ich große Unterschiede, wie ich das verwende.

Man kann auch nicht einfach unterm Weihnachtsbaum das Portemonnaie zücken: "Hier haste 100 Euro." Man macht ein Schleifchen dran und signalisiert so: "Das ist nicht einfach nur Geld. Das ist jetzt ein Geschenk." Dasselbe gilt für Gutscheine, die auch zuletzt immer beliebter wurden. Das hat genauso viel Bedeutung für unsere sozialen Beziehungen, denn auch damit wird gesagt: "Das ist jetzt nicht einfach Geld."

Entlastet man sich in Krisenzeiten, indem man sagt: Lass uns dieses Jahr nichts schenken?

Es kommt drauf an. Eine Beziehung, die sagt: "Wir wollen uns nichts schenken", funktioniert wunderbar, wenn sie andere Praktiken hat, um sich aufrechtzuerhalten. Es darf aber nicht der Verdacht aufkommen, dass man sich nicht richtig um die Beziehung kümmern will. Stattdessen sollte man überlegen, ob man zum Beispiel etwas gemeinsam unternimmt. Verbringt man ohnehin viel Zeit miteinander, dann braucht man das vielleicht nicht. Der generelle Trend ist, dass man ab einem bestimmten Lebensstandard eher Geld als Zeit hat. Da wird auch was anderes als Wertschätzung verlangt. Ich glaube, das ist absolut äquivalent und wahrscheinlich auch sogar nachhaltiger als sich was zu schenken. Aber man sollte nicht unterschätzen, dass man etwas tun muss. Auch wenn man auf Geschenke verzichtet, bleibt die Aufgabe bestehen, die soziale Beziehung aufrechtzuerhalten. Das ist dann aber das ganze Jahr über der Fall, nicht nur an Weihnachten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sylvia Lundschien für rbb|24

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 24.12.2022.

23 Kommentare

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  1. 23.

    Es ist gut, dass wir über arm und reich nachdenken, warum aber sind wir dann nicht für höhere Löhne und gönnen anderen das Bürgergeld? Warum sind wir dann nicht für die Reichensteuer, für Steuergerechtigkeit, gegen Lobbyismus und Steuervermeidung? Warum wählen 30% jene, denen arme Menschen eine Last bedeuten? Wir können etwas ändern, indem wir aktiv für tarifgebundene Verträge kämpfen, miteinander, nicht arm gegen arm. Man will die Leute demnächst bis 74 arbeiten lassen und begründet das mit steigender Lebenserwartung. Schauen wir uns die Realität an, ist die Lebenserwartung der Deutschen im Sinkflug, die geringste überhaupt in Westeuropa. Gegen den Sozialabbau müssen wir zusammenhalten, jammern und klagen wir nur, ändert sich nichts und jene, die nur mit ihrem Geld arbeiten, bauen den Sozialstaat immer mehr ab.
    Besinnen auf das, was wichtig ist, zugunsten aller. Solidarität der Reichen wäre gut mit dem Weihnachtsgedanken vereinbar.

  2. 22.

    Ein Buch? Aber Oma, ich habe bereits ein Buch! ;)

    Essbare Sachen sind generell gut und werden hoffentlich zeitnah vertilgt

  3. 21.

    Wer nahezu kein Geld hat, wird arm und krank; wer unermesslich viel Geld hat und garnicht mehr weiß, wohin mit allem, der auch. Nur auf anderer, faktisch "innerer" Ebene, mit ganz wenigen Ausnahmen. ;-

  4. 20.

    " Dagegen tut es gut, wenn man Geld hat, um sich handlungsfähig zu fühlen. "

    was für eine Binsenwahrheit , reich und gesund ist besser als arm und karnk

  5. 19.

    Na ja, der gute Mann ist Professor für Soziologie der Wirtschaft an einer kulturwissenschaftlichen Fakultät.

    Da ist eben beim Schenken alles und wirklich alles drin, fern aller privater und persönlicher Überzeugung, i. S. einer bloßen Beschreibung.

  6. 18.

    Das haben Sie einfach nur wunderschön geschrieben und dem schließe ich mich voller Überzeugung an. Mir sind die Geschenke schon lange nicht mehr wichtig, sondern ich genieße einfach die Zeit mit allen, die mir lieb sind.

  7. 17.

    Das haben Sie einfach nur wunderschön geschrieben und dem schließe ich mich voller Überzeugung an.

  8. 16.

    " und nicht unterm Tannenbaum liegen "

    zustimmung, weil Sie nicht den Tannenbaum im Ruheforst meinen

  9. 15.

    wie schön, dass endlich ein Professor für Soziologie der Wirtschaft erklärt, warum wir uns was schenken. Bisher dachte aus Freude an Christi Geburt oder Freude am eigenen Geburtstag . übrigens, seit wann existiert denn dieser Brauch ?

  10. 14.

    Das beste Geschenk liegt in der Überraschung und im persönlichen Gesehen-Werden. Alle definierte Vorbestellung und dann folgend die geflissentliche Abarbeitung des Bestellzettels hat mit dem eigentlichen Schenken überhaupt nichts zu tun.



  11. 13.

    Weihnachten ist, wenn die besten Geschenke am Tisch sitzen und nicht unterm Tannenbaum liegen

  12. 12.

    Zeit für die Familie und Freunde kann auch eine Selbstverständlichkeit sein, und kein Wehnachtsgeschenk.

  13. 11.

    Genauso ist es. Als wir vor ein paar Jahren unseren "Lieben" erklärt haben, dass wir keine Geschenke mehr wollen (weil man eh alles hat, und den Kitschkrams nicht will) hieß es "gute Idee" aber eine Kleinigkeit kann es doch wohl trotzdem sein. Nein, es soll gar nichts geschenkt werden - das hat ungefähr nochmal 10 Jahre gedauert, bis dass jetzt wirklich angekommen ist. Wie "Sternchen" schon schrieb - nett beisammen sitzen und lecker essen, und das alles ohne Streit - das ist Weihnachten. Besinnliche Weihnachten allen ;-)

  14. 10.

    Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Frohe Wihnachten

  15. 9.

    "Eine Beziehung, die sagt: "Wir wollen uns nichts schenken", funktioniert wunderbar, wenn sie andere Praktiken hat, um sich aufrechtzuerhalten."
    Ja, man lebt ganz einfach miteinander ohne zu "klammern" oder dem Anderen die Luft zum Atmen zu nehmen. Gegenseitiges Vertrauen, Ehrlich- und Gradlinigkeit, Empathie, Augenhöhe z.B. und wenn man das Bedürfnis hat einem Partner, Freund, Familienangehörigen eine Freude mit einem Geschenk zu machen - eine Veranstaltung wo man weiss "Der/Die steht drauf." ist bspw. auch ein schöner "Anlass", - oder "einfach nur so." - weil ich dich mag - nicht nur an Weihnachten.

  16. 8.

    Zeit für Familie, Freunde... zu haben und zu geben, ist ebenfalls ein Geschenk.

  17. 7.

    Schöner Artikel und etwas zum Grübeln.

  18. 6.

    Auch ich habe Geschenke gekauft, aber ich denke mit viel "Liebe" ausgesucht. Geld und Gutscheine gibt es bei uns nicht....eher doch etwas "Persönliches" und dazu meine selbstgemachten Pralinen:-)
    Euch allen ein schönes Weihnachtsfest und lasst es euch gut gehen.

  19. 5.

    Ich hasse diese Schenkerei und habe sie abgeschafft. Das ging nicht ohne Beleidigtsein ab und einige ignorieren es.
    Zu oft habe ich mich geärgert, wenn irgendwer entweder Geld, welches ich besser für den Wocheinkauf hätte gebrauchen können, in Plunder ("niedliche Plastikuntersetzer mit Eichhörnchen drauf") investiert hat, mich mit gruseligen Eigenkrationen "beglückt", die man dann auch noch anstandshalber ne Weile horten muss oder mich im Vorweihnachtstrubel dazu nötigt, bei irgendeinem Paketshop anzustehen, um das blöde Paket abzuholen, das der Zusteller lieber gleich da abgegeben hat, anstatt mal zu klingeln.
    Da ich das auch anderen nicht antun möchte, sage ich: wer mir unbedingt was schenken möchte, fragt mich bitte, was ich benötige (es sind meist notwendige Alltagsgüter!) - oder lässt es bleiben.
    Noch was: es ist beschämend, wenn man nicht "mithalten" kann, was den Wert angeht. Geschenke also sind für mich reines Ärgernis.

  20. 4.

    Wir schenken also quasi, weil wir uns nicht mehr gegenseitig lausen^^

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