Immer weniger Bewerber - Wie die Berliner Polizei den fehlenden Nachwuchs finden will
Die einen gehen auf "Nachwuchsfahndung", die anderen deuten "ACAB" in "All Cops Are Beautiful" um. Um an Nachwuchs zu kommen, springen Polizeibehörden mächtig über ihre Schatten. Überbordenden Erfolg haben sie bislang nicht. Von A. Bordel und G.-S. Russew
Im Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs müssen sich auch die Polizeibehörden von Bund und Ländern mehr anstrengen als noch vor Jahren. In etlichen Bundesländern haben sich 2022 weniger Männer und Frauen für die Laufbahn im Polizeivollzugsdienst beworben als in den Jahren zuvor. So haben sich bei der Berliner Polizei im vergangenen Jahr 10.636 Personen für eine Ausbildung beworben, das sind knapp 1.000 Bewerber weniger im Vergleich zu 2020. Das geht aus Zahlen der Polizei hervor, die rbb|24 vorliegen. Eingestellt wurden 2022 letztendlich 1.138 von ihnen. Platz in der Berliner Ausbildung wäre aber für 1.248 Anwärterinnen und Anwärter, sodass nur 90 Prozent der Ausbildungsplätze besetzt werden konnten. Mindestens seit 2018 werde die maximale Auslastung in der Ausbildung in Berlin nicht erreicht.
Körpergröße und Mindestalter angepasst
Nach Angaben der Innenressorts verschiedener Länder wurde als Reaktion auf sinkende Bewerberzahlen die Mindestkörpergröße, die in mehreren Bundesländern noch gilt, in den vergangenen fünf Jahren vielerorts gesenkt. Das Höchstalter für Bewerber ist parallel dazu angehoben worden. Damit wuchs der Kreis der potenziellen Bewerber. In Berlin und Brandenburg sowie beim BKA und bei der Bundespolizei wurde die Mindestgröße bei der Polizei abgeschafft. Das bedeutet, dass sich hier jeder bewerben kann – unabhängig davon, wie groß derjenige ist.
Die Altersgrenze für Studierende, die beim BKA ohne vorheriges Bachelor-Studium Kriminalkommissar werden wollen, liegt inzwischen bei 42 Jahren. In Berlin gilt für den mittleren Dienst bei Einstellung ein Mindestalter von 15 Jahren und acht Monaten. Das Höchstalter bei Einstellung liegt bei 39 Jahren. Im gehobenen Dienst darf man bei Einstellung höchstens 35 sein.
Slowik macht bei Fitness und Sprachkenntnissen keine Abstriche
Abstriche bei Fitness und sprachlichen Fähigkeiten kommen für Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik aber nicht infrage. Im vergangenen Jahr hatte sie in diesem Kontext erklärt, dass Berlin eine wasserreiche Stadt sei. Daher könne man es sich nicht erlauben, Polizisten auf die Straße zu schicken, die nicht in der Lage seien, jemand aus einem Gewässer zu retten, weil sie nicht gut genug schwimmen könnten, so Slowik. Gutes Deutsch sei wiederum in der alltäglichen Arbeit mit Gesetzen und dem Schreiben von Berichten absolut wichtig.
750 bis 800 ältere Polizisten gehen laut Slowik jedes Jahr in Pension. Gleichzeitig beginnen rund 1.100 bis 1.200 pro Jahr mit ihrer Polizeiausbildung. Zusätzlich, und das gehöre zur Wahrheit, verlöre die Polizei in der Ausbildung einige Anwärterinnen und Anwärter. Slowik gibt ihre Zahl mit etwa 17 Prozent an, die wieder ausstiegen oder scheiterten.
Berlin müsse sich nach Ansicht von Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin, aber etwas einfallen lassen, wenn man die Vorgaben erfüllen wolle, ab 2024 etwa 19.000 Beamtinnen und Beamte im Dienst zu haben. Bis 2030 soll dann weiter auf 20.000 Beamtinnen und Beamte aufgestockt werden. Derzeit liege die Anzahl der Vollzugsbeamten in Berlin bei rund 18.700. Das möge zwar dicht am Ziel 19.000 liegen, so Jendro. Man dürfe aber nicht vergessen, dass pro Jahr rund 800 Kollegen in Pension gingen und auch nicht alle Anwärterinnen und Anwärter ihre Ausbildung erfolgreich abschlössen, betonte er.
Verklärtes Berufsbild bei Jugendlichen
Aus der Sicht der Berufsberaterin Cindy Forte von der Berliner Arbeitsagentur, die Schülerinnen und Schüler einer Charlottenburger Oberschule begleitet, beeinflusse das Image der Polizei Jugendliche bei ihrer Berufswahl weniger. Jugendliche hätten generell gesprochen Interesse am Polizisten-Beruf. Etwa sieben bis zehn Prozent "ihrer" Jugendlichen, die in der zehnten Klasse seien, planten eine entsprechende Bewerbung, erklärte Forte.
Zu berücksichtigen sei aber auch, dass einige der Schülerinnen und Schüler einen verklärten Blick auf das Berufsbild Polizist hätten. Einige hätten einen "Cobra-11-Blick" darauf, erwarteten im Berufsalltag Action und Verfolgungsjagden. Aus Fortes Sicht seien potenzielle Bewerberinnen und Bewerber oftmals ernüchtert, wenn sie feststellten, was der Beruf eigentlich beinhalte.
Zur Wahrheit zähle aber auch, so Forte, dass Jugendliche oft bei der Umsetzung ihrer Bewerbungen scheiterten, auch weil sie sich schlecht auf das Bewerbungsverfahren vorbereitet hätten und dann die Tests nicht schafften.
Polizei selbst sieht kein Image-Problem
Ein Image-Problem sieht die Berliner Polizei nicht. In der Berufswerbung seien die Herausforderungen aktuell allerdings vielfältig, teilte die Berliner Polizeisprecherin Beate Ostertag auf Anfrage mit. "Neben der Bewältigung der Folgen der pandemischen Lage seit 2020 stellt die erhebliche Konkurrenzsituation zu einer Vielzahl anderer großer Arbeitgeber in Berlin sowie anderen Landespolizeien und der Bundespolizei eine besondere Herausforderung dar".
Auch nach Meinung von Jendro haben die rückläufigen Bewerberzahlen nichts mit dem Ruf der Sicherheitsbehörde zu tun: "Das Image der Polizei in der Gesellschaft ist sicher sehr vielschichtig, aber an sich hat die Polizei einen guten Ruf", so Jendro.
Dass es auch Fehlverhalten einzelner Beamten gebe, wolle er gar nicht verhehlen. Aber medial erfahre dies sehr viel Raum. Über erfolgreiche Polizei-Einsätze werde dagegen eher weniger berichtet, sagt Jendro gegenüber rbb|24. Auch in der politischen Diskussionen - beispielsweise im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses werde nach Großlagen immer lang und breit darüber diskutiert, was schiefgelaufen sei. In der Folge könne dies massive Auswirkungen auf die Sicht in der Gesellschaft als auch auf die Bewerberlage haben, so der Gewerkschaftssprecher weiter.
GdP fordert Berlin auf, sich nachhaltig etwas einfallen zu lassen
Viele Jugendliche würde sich bei verschiedenen Polizeibehörden bewerben und dann dahin gehen, wo sie bessere Bedingungen vorfänden, ergänzte Jendro. "Das Thema Geld spielt schon eine Rolle", sagte er und verwies beispielsweise auf den mittleren Dienst. In Brandenburg würden Absolventen eine Gehaltsklasse höher, in die A8 anstatt in die A7, eingestuft. Wenn man nicht unbedingt an Berlin gebunden sei und auch woanders hingehen könne, könne man bei der Bundespolizei beispielsweise 400 Euro im Monat mehr verdienen, gab Jendro zu bedenken.
Image-Kampagnen wie die aktuelle der Bundespolizei, die mit "All Cops Are Beautiful" wirbt, finde Jendro - losgelöst vom Slogan - gut. Etwas ähnliches habe die Berliner Polizei auch schon gemacht. Jedoch müsse man im Vergleich mit anderen Sicherheitsbehörden auch finanziell mithalten.
Berlin wirbt seit 2015 auf Social Media um Nachwuchs
Ostertag erklärte, dass die Berliner Polizei im Bereich der Nachwuchsgewinnung seit einiger Zeit neue Wege gehe. So sei man schon seit 2015 auf sozialen Netzwerken unterwegs. Berufswerbung via Social Media sei so zu einem festen Bestandteil der Nachwuchsrekrutierung geworden, erklärte sie.
So sei man seit Januar 2021 auf TikTok und Instagram mit dem Einsatz eines Polizeibeamten als sogenannter Corporate Influencer vertreten. "Über einen eigenen offiziellen behördlichen Instagram-Kanal hat der Beamte den unmittelbaren Kontakt zur Zielgruppe, beantwortet dort Fragen, führt Live-Berufsberatungen durch, stellt verschiedene Dienststellen vor, verknüpft die digitale und die analoge Welt bei seinen Berichterstattungen von Berufsmessen", so Polizeisprecherin Ostertag gegenüber rbb|24.
"Die beste Werbung sind die Polizisten selbst"
"Das ist schon ganz ordentlich", sagte Gewerkschaftssprecher Jendro. "Die beste Werbung sind die Polizisten selbst. Heute sind wir viel weniger im Kiez auf der Straße anzutreffen als früher. Das muss wieder mehr werden. Polizisten in Schulen und auf die Straßen im Kiez, damit die Menschen, die Einsatzkräfte kennen. Das ist aber zunehmend schwierig wegen Personalmangel."
Er räumte gleichwohl ein, dass die Nachwuchssituation schon prekär sei. "Aber immerhin ist Berlin als Einsatzort spannender als Schafe auf einer Alm zu zählen."
Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Polizeibewerber müssten in Berlin eine Mindestgröße aufweisen. Diese Vorraussetzung hat die Berliner Polizei aber mittlerweile abgeschafft.