Sommer in Berlin - "Endlich" wieder draußen saufen

Sa 24.06.23 | 17:56 Uhr | Von Laura Kingston
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Biergarten Haus Zenner im Treptower Park
Biergarten Haus Zenner im Treptower Park | Bild: IMAGO / Joko

Die Tage sind lang, die Sommernächte lau, das Bier fließt. Alkohol zu trinken gehört zum Berliner Sommer. Laura Kingston über den Stoff, der alle soziale Schichten und jeden Winkel der Stadt erreicht.

Vielleicht sage ich, dass ich morgen früh raus muss. Oder dass ich Antibiotikum nehme? Bei der Hitze ist mir schwindelig - deswegen trinke ich nur Wasser? Ausreden wie diese wälze ich in meinem Kopf hin und her, während ich Richtung Berlin-Mitte laufe. Berlin feiert Fete de la Musique. Ich auch, will aber keinen Alkohol trinken. Sollte einfach sein, denke ich.

Der Berliner Sommer ist die Entschädigung für den Berliner Winter. Egal, in welchem Kiez - die Berliner feiern das Leben und damit die Tatsache, einen weiteren Winter überlebt zu haben. Und womit könnte das besser gefeiert werden als mit einem Aperölchen (it's Spritz a'clock), einem kühlen Bier ("Kein Bier vor vier" gilt im Sommer nicht) oder einem Prosecco, der auch gerne zum "Boozy Brunch" (zu Deutsch: beschwippstes Frühstück) gereicht wird. Was im Winter als Erkennungszeichen für Obdachlose gilt, ist im Sommer auch Hobby der Gutbetuchten: Trinken in der Öffentlichkeit.

Alkohol überwindet soziale Schichten

So schlendere ich also entlang der Kastanienallee, an endlosen Tischen mit lachenden Menschen vorbei. Vor ihnen: Bier, Wein, Cocktails - und ich stelle meine Entscheidung, heute Abend keinen Alkohol zu trinken, direkt in Frage. Was kann das schon für schlimme Folgen haben?, denke ich, als ich an den gutgelaunten, trinkenden Menschenpulks vorbeilaufe. Nicht nur die schicken Prenzlberger, auch die Bauarbeiter mit dem Feierabendbier fallen mir ins Auge. Menschen mit Kinderwagen, andere mit Buch und alleine in der Kneipe. Alkohol ist für alle da - ob reich arm, schick, verranzt, Arbeiterklasse oder Bildungsbürgertum.

Schon wenig Alkohol schadet dem Gehirn

Studien zu Alkohol gibt es viele. Die ergeben hin und wieder, dass Rotwein gesund fürs Herz und Bier super für einen ruhigen Schlaf ist. Allerdings ziehen viele Studien, gerade in den letzten Jahren, eher eine andere Bilanz: Alkohol schadet dem Gehirn schon in kleinen Mengen [psych.ox.ac.uk, Studie der Universität Oxford, 2022]. Ernüchternd. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Kater macht selbst den schönsten Sommertag kaputt

Nicht nur weil ich diese Infos habe, möchte ich jetzt mal auf Alkohol verzichten. Ich möchte vor allem darauf verzichten, weil ich merke, dass ich nicht den gleichen Stoffwechsel habe wie noch vor zehn Jahren und jeden Morgen - nach einem der klassischen Berliner Sommerabende - Kopfweh habe und eher die seelische Verfassung, die zum Berliner Winter passt. Die Erinnerung an den letzten Kater krame ich hervor, als ich durch den Weinbergpark laufe, dessen Geräuschkulisse neben Geräuschen von spielenden Kindern und lachenden Trinkern durch das Klirren der Pfandsammler gespickt ist. Hier gibt es kein vornehmes Glas Wein, sondern das ehrliche Späti-Bier - gesoffen wird so oder so.

Wie viel Alkohol ist normal?

Zurück zu der ernüchternden Erfahrung, dass schon ein bisschen Alkohol dem Körper schädigt. Ab wann wird es kritisch? Ab wann ist man Alkoholiker? Wie viele Späti-Biere im Park und Bio-Weine in der Bar sind "normal"?

Einen sogenannten riskanten Alkoholkonsum hatten 2019/20 etwa 5,8 Prozent der Berlinerinnen und gut ein Fünftel (19,6) aller Berliner. Das besagt eine Erhebung der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege [berlin.de]. Riskant bedeutet in dem Fall, "sie trinken umgerechnet mehr als 100 Gramm Reinalkohol pro Woche". 100 Gramm Reinalkohol - das sind circa fünf große Biere oder anderteinhalb Flaschen Wein.

Alkohol als soziales Gleitmittel

30 Minuten und etliche sich Zuprostende und Trinkende später bin ich am Treffpunkt. Ich umarme meine Freundin, die mich mit einem Cocktail in der Hand begrüßt, und entscheide mich, einfach unkommentiert zu lassen, dass ich an dem Abend nicht trinken werde. Ich hole mir ein lauwarmes Wasser und lasse die Musik auf mich wirken. Eine Freundin wird von einem Mann umarmt und stellt ihn mir vor. Seine erste Frage: Willst du einen Drink? Ich zeig auf mein Wasser und sage "Nein, danke!" Sein Blick: enttäuscht.

Ich versuche ein Smalltalk-Thema zu finden, bei dem ich mitreden kann. Die schlechten Drinks, über die die beiden reden, kann ich ja nicht beurteilen. Ich schaue mich um in der Masse an Leuten, alle jung, alle hip, alle mit Sekt in der Hand. Ich fühle mich wie eine Flasche 4711 Kölnisch Wasser in einem Raum voll Chanel. Unwohl, unpassend. Jetzt wechselt der DJ. Meine Freundin lehnt sich zu mir rüber und sagt: Wir brauchen wohl ne Menge Prosecco, um diese Musik zu ertragen. Ich grinse ein steifes Grinsen.

Zahl der Alkoholiker steigt in Berlin

Wer auch mal Wochen mit "riskantem " Konsum hat (Erinnerung: mehr als fünf große Bier in einer Woche), der ist noch nicht gleich Alkoholiker. Alkoholmissbrauch ist nach Definition der Caritas jeder Alkoholkonsum, der zu körperlichen, seelischen und/oder sozialen Schäden führt [www.caritas.de]. Für die Diagnose Alkoholabhängigkeit müssen nach dem Klassifikationssystem ICD-10 mindestens drei der dieser Kriterien erfüllt werden: unbezwingbares Verlangen, Alkohol zu trinken, verminderte Kontrollfähigkeit, Entzugssymptome, Toleranzentwicklung, Einengung auf den Substanzgebrauch, Konsum trotz schädlicher Folgen.

Die Zahl der diagnostizierten Alkoholiker in Berlin steigt seit Jahren. Nach einer Studie der Krankenkasse Barmer sind es im vergangenen Jahr sechs Prozent mehr gewesen als noch vor sechs Jahren. 64.000 Menschen haben 2022 in Berlin die Diagnose "Alkoholismus" bekommen. Damit liegt das Land 25 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Mehr Alkoholiker gibt es nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bremen und Hamburg.

Die schwierigen vier Buchstaben: "Nein"

Alkoholiker gab es in meiner Familie, aber das ist schon lange her und wird vehement totgeschwiegen. Zu lecker schmecken die gemeinsamen Drinks an Weihnachten und Geburtstagen, als dass wir uns die Stimmung von alten Kamellen der alkoholkranken Großeltern versauen lassen wollen. Daran denke ich also selten - auch nicht bei der Fete de la Musique, bei der ich seit einer Stunde an einem Wässerchen und einem Lutscher rumgenuckelt habe. Ich gehe auf Toilette, denke, ich gehe gleich - macht doch alles keinen Spaß hier. Musik zu schlecht, Leute zu aufgedreht für meine Stimmung. Als ich zurückkomme, steht da meine Freundin an der Bar und sagt: Ich hab dir einen Sekt bestellt. Ich trinke ihn - ohne Gegenwehr.

Beitrag von Laura Kingston

45 Kommentare

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  1. 45.

    Ich hab die ersten 5 Zeilen gelesen und kam ins Grübeln. Mein letztes Glas war Glühwein Heilig Abend, also warte ich noch ein bißchen.

    Das schlimme ist der menschliche Verfall. So viele relativ junge Menschen im Pflegeheim. Jung heißt vor Altersrente. Gruselig zu sehen, wie Alkohol den Körper zerstört und Menschen dement werden lässt.

    Aber wem die Einsicht fehlt, dem ist nicht zu helfen.

  2. 44.

    Eigentlich habe ich die ganze Zeit darauf gewartet das Sie auch mal all die Tabletten Abhängigen erwähnen unter Zuhilfenahme von Fachärzten denen es schnurz egal ist wieviel Tabletten Ihr Patient zu sich nimmt. Noch schlimmer finde ich all die Tabletten Cocktails die allesamt täglich geschluckt werden sollen zur Besserung der körperlichen Befindlichkeit wegen oder einer chronischen Krankheit. Morphiumtabletten lassen schön grüßen. Nebenwirkungen oder eine Medikamentenunverträglichkeit davon wollen Ärzte meistens nichts wissen. Ich weiß wovon ich hier schreibe. Die Pharmaindustrie weiß weshalb sie rigoros gegen eine Legalisierung von Cannabis ist. Selbst an Demenz erkrankte Personen ( siehe Israel) kann eine gezielte Verabreichung von Cannabis gut tun. Besser als all die chemischen Mittel mit denen sie ruhig gestellt werden, besonders auf den Pflegestationen.

  3. 43.

    Wenn ich hier die Kommentare lese, muss meine Uroma, schwer bewaffnet mit Apfelwein zum Mittagessen und am Sonntag nach der Kirche zwei Eierlikörchen intus das Paradebeispiel einer alten Säuferin gewesen sein. Ich hatte sie in guter Erinnerung...aber jetzt!? Ich behalte sie in guter Erinnerung und lege den kompletten Fanatismus fast schon militanter Antialkoholiker ad acta. Das tut ja schon weh. Niemand zwingt Ihnen Alkohol auf.

  4. 42.

    ... übrigens, angesichts mancher Kommentare ....

    Streiten auch die angehenden Drogenabhängigen oft nicht nur die Schädlichkeit der Droge ab, sondern sind auch davon überzeugt mit eben dieser perfekt umgehen zu können und krank werden davon nur die Anderen.

  5. 41.

    Alkohol ist eine Droge, warum sollte man Drogen nicht verteufeln?

    In Deutschland sterben jährlich ca. 20.000 Menschen an den Folgen von Alkoholsucht.

    Zum Vergleich: an den Konsum illegaler Drogen starben im Jahr 2022 1.990 Menschen.

    Bei über 35.000 Verkehrsunfällen ist Alkohol im Spiel.

    Aber Alkohol wird nun mal weiter verharmlost, weil es ja Steuern einbringt, im Jahr 2022 waren es 2,2 Milliarden Euro.

    Alkohol ist nun mal Teufelszeug und senkt die Hemmschwelle zum Konsum harter Drogen .

  6. 40.

    Wie kommen sie darauf das der Artikel "kritsch" sein soll? Wohl selbst schon zu tief ins Glas geschaut?

  7. 39.

    Alkohol schon in kleinsten Mengen schädigt das Gehirn. Dem kann ich nur zustimmen, wenn jemand so einen blödsinnigen Artikel zum Besten gibt. Ich trinke grundsätzlich das was ich will. Wenn eine so "starke " Frau das nicht kann, dann sollte sie einfach zu Hause bleiben.

  8. 38.

    Besser wie auf der Straße kleben und kurbelt die Gastro an

  9. 37.

    Wie sagte Opa immer? " Halb besoffen ist weggeschmissenes Geld."
    Es gab, gibt und wird auch künftig Menschen geben, die nicht merken, wenn's genug ist.
    Die ewige Meckerei sollte im Biergarten ersäuft werden, heute wird wegen Alkohol lamentiert und morgen wegen Kneipensterben. Aber eine Kneipe schenkt Bier aus und keine Hafermilch.

  10. 36.

    Was für eine Heldentat - für die Berliner Annalen;-)(setzen sie sich mal im Dezember vor den 20-Stunden-Imbiss zu den Hardcore!) - auch dieser Artikel. Und nun nächsten Sonntag 3 Seiten für die Gegenrede bitte. Von einer 'grünen' Mama, gerne mal besäuselt Lastenfahrrad, ob dessen zur Sicherheit auf dem Gußgängerweg, zurück zum Sabbatical-Papa, die ihm dann von dem wunderbaren Ökoanbau-Wein aus Australien (klimaschädlicher Flug hin o. her) schwärmt u. ob des Hungers zur selbtgemachten Rumkugel greift. Hoffentlich belästigt sie ihrn Mann weder körperlich noch verbal mit ihrer Fahne. Also nicht nur man kann die Welt ziemlich verbiestert und besserwisserisch erziehend sehen.

  11. 35.

    Was ist das hier? Die ehemalige Zitty/Tip-Befindlichkeitecke für Zugezogene? Das "Club-der-einsamen-Herzen"-Portal? Die Werbeunterbrechung bei "Fisch-sucht-Fahrrad"? Das "Wort zum Sonntag"? Oder war die Autorin womöglich "zugezogen"?
    In dem Sinne: ein Prost aus dem Wedding/Prenzlauer Berg.

  12. 34.

    Warum und bei wem sollte ich mich entschuldigen wenn ich nichts trinke? Ich hab auch so Spaß und muss niemandem auch nur irgendwas beweisen. Vermissen tue ich nichts.

  13. 33.

    Leider sind sehr viele Menschen "zu dumm", um auch Grenzen des Alkoholkonsums zu kennen/zu akzeptieren. Heute ist es nicht mehr das Komasaufen, lieber der stetig steigende Pegel" um gut chillen zu können. Ohne Suff können viele das Leben nicht genießen.

  14. 32.

    Vielen Dank für diesen Artikel. Ich finde, der allumfassende Alkoholkonsum wir viel zu selten kritisch thematisiert. Ich muss auch viel erklären, seit ich keinen mehr trinke! Der krasse Konsum überall wird so unheimlich (im wahrsten Sinne) normalisiert.

  15. 31.

    >“ Schwer, im Biergarten zu sitzen und nur Wasser zu trinken.“
    Deswegen heißt dieser ja auch Biergarten. Wer Biertrinker nicht sehen mag und lieber Wasser trinken möchte, der gehe in einen Wassergarten. ;-))

  16. 30.

    ">“ Ein gesundes Ego braucht keine Drogen.“"
    Absolut richtig.

    "Ein Genussmittel wird zur Drogen, wenn man regelmäßig zu viel davon konsumiert und ohne diese nicht mehr leben kann!"
    Ein Genußmittel wird zur Droge, wenn diesem von Konsumenten eine Funktion zugeordnet wird, bzw. ein gewünschtes, oft positiv behaftetes, Ereignis vermeindlich erleichtet wird.
    Was sie meinen ist Drogenabhängigkeit. Zwei verschiedene Schuhe - aber des selben Paares.

  17. 29.

    Stimmt genau!
    Bei mir flog mit der ersten Schwangerschaft Alkohol vom Einkaufszettel und ich vermisse rein gar nichts. Auch bei Feierlichkeiten jedweder Art kann mich seitdem niemand mehr 'überzeugen'. Alles eine Sache der eigenen Standhaftigkeit.

  18. 28.

    Ich trinke seit mehreren Jahren nichts mehr. Gehe zum Fußball, Punkrock Festivals und Konzerte, auf Partys usw usw. Mir kam es nie in den Sinn wegen des Nichttrinkens so ein Fass auf zu machen. Außerdem muß ich mich vor meinen Freunden weder verstecken noch schämen.
    Aber klar, wenn man in der Denke gefangen ist, was werden die Anderen von mir halten, wenn ich nichts trinke, dann sollte man mit saufen oder an seinem Selbstwertgefühl arbeiten.
    Prost......

  19. 27.

    Der Beitrag ist in Ordnung.
    Man sollte sich nur nicht die gute Laune nehmen lassen!

  20. 26.

    So ähnlich wie Ihnen geht's mir auch: allerdings mit dem Rauchen. Hab vor Wochen damit aufgehört. Vom Freundeskreis kommt da nur Bewunderung. Wer da mit seinem Bekanntenkreis Probleme hat,wenn man nicht mehr Raucht oder/und Alkohol trinkt ,sollte sich fragen, mit was für Leuten man sich da abgibt.

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