Fußball-Zweitligist Hertha - Das Reese-Comeback rückt näher – so könnte er den Fiél-Fußball vollenden
Das Comeback ist für Fabian Reese, Hoffnungsträger von Hertha BSC, nach langer Verletzungspause in Sichtweite. Was bedeutet das für den Fußball von Trainer Fiél und welche Rolle könnte er beim Kampf um den Aufstieg einnehmen? Von Marc Schwitzky
"Keiner würde sich mehr darüber freuen, wenn er zurück wäre, als ich. Aber das dauert einfach noch seine Zeit", mahnte Cristian Fiél, Trainer von Fußball-Zweitligist Hertha BSC, vor der Begegnung mit dem Karlsruher SC am Samstag zur Geduld. Unter der Woche hatte zuvor eine Meldung der Berliner für große Euphorie gesorgt – und das war nicht einmal Vertragsverlängerung der sportlichen Führung um Benjamin Weber und Andreas "Zecke" Neuendorf.
Nein, Publikumsliebling und Leistungsträger Fabian Reese drehte seine ersten Runden auf dem Schenkendorffplatz. Es war die Rückkehr ins individuelle Training nach drei Monaten Verletzungspause. Reese war am 16. Juli im Testspiel bei Energie Cottbus (2:2) grob gefoult worden und hatte sich dabei eine Verletzung von Syndesmose und Innenband zugezogen. Drei Tage später musste er operiert werden und stand Hertha seitdem nicht mehr zur Verfügung.
Ein Blitz-Comeback, wie noch in der vergangenen Saison nach seiner Atemwegserkrankung, wird es jedoch nicht geben. "Was er gerade macht, ist mit dem Rehatrainer draußen in Richtung Ball zu gehen. Aber das ist von Mannschaftstraining etwas weit weg. Deshalb müssen wir uns gedulden", erklärt Fiél.
Deshalb fehlt Reese so sehr
Dass der Berliner Übungsleiter überhaupt klarstellen musste, dass ein Spieler nur eine Woche nach einer dreimonatigen Ausfallzeit nicht direkt sein Comeback gibt – viele Fans hatten bereits auf einen Einsatz im Pokal gegen den 1. FC Heidenheim gehofft – unterstreicht die Hoffnungen, die das blau-weiße Umfeld in den Flügelspieler steckt. Der Glaube, dass Reese die "alte Dame" zurück in die erste Liga führen kann - somit auch die Ungeduld bezügliches seines Comebacks - ist riesig.
Reese hat den Hauptstadtklub in der vergangenen Saison im Sturm erobert und beinahe schon außerirdisch gute Zahlen produziert. In 35 Pflichtspielen sammelte er mit 13 Toren und 17 Vorlagen atemberaubende 30 direkte Torbeteiligungen. Doch auch die darunterliegenden Werte zeichnen das Bild eines Spielers, der der zweiten Liga eigentlich entwachsen ist.
In der abgelaufenen Zweitligaspielzeit war Reese nicht nur der Spieler mit den meisten Vorlagen, er absolvierte auch die meisten progressiven Läufe mit Ball – und zwar mit einem Wert, der fast doppelt so hoch war wie der von Platz zwei. Zudem gewann der 26-Jährige ligaweit mit großem Abstand die meisten Offensivzweikämpfe.
Kein Spieler führte den Ball öfter ins letzte Angriffsdrittel oder den gegnerischen Strafraum, mit 5,38 schusserzeugenden Aktionen pro Spiel bewegte sich Reese in den obersten neun Prozent aller (!) Spieler in den 14 besten Ligen außerhalb der Top fünf (die ersten Ligen Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Englands und Italiens).
Hier liegt Herthas größtes Problem
Die beeindruckenden Statistiken des Außenbahnspielers zeigen vor allem zwei Dinge: Fabian Reese ist zum einen herausragend darin, den Ball in die gefährlichen Zonen zu tragen. Zum anderen münzt er jene Aktionen aber auch erstaunlich oft effizient zu Toren und Vorlagen um. Sein Tempo, Dribbelstärke und seine körperliche Robustheit machen es äußerst schwer, ihn zu verteidigen. Durch seine Übersicht und Flankenqualität verkommen seine Dribblings jedoch nicht zur brotlosen Kunst. Jene Kombination machen Reese zu einem, für Zweitligaverhältnisse, Ausnahmespieler.
Es sind genau jene Fähigkeiten, die Hertha derzeit so schmerzlich vermisst und die Reese zum womöglich fehlenden Puzzleteil machen. Nahezu alle Statistiken weisen darauf hin: Keine Mannschaft in der 2. Bundesliga kombiniert sich so kontrolliert bis in das letzte Angriffsdrittel. Die mutige wie anspruchsvolle Spielidee Fiéls sickert immer besser in die Köpfe der Spieler ein, der Spielaufbau funktioniert bereits enorm gut.
Dennoch ist der Hauptstadtklub bei weitem nicht der torgefährlichste Klub der Liga, den Berlinern fällt es bislang sichtlich schwer, all den Ballbesitz in konkrete Torchancen umzumünzen. Bei den statistisch erwartbaren Toren steht Hertha nach zehn Spieltagen nur auf Rang 14. Doch wie kann das sein?
Scherhant und Thorsteinsson zu ineffektiv
Nach Reeses Verletzung musste Hertha personell umdisponieren. Zunächst wurde Derry Scherhant der direkte Nachfolger, Fiél vertraute dem 21-Jährigen in bislang elf Pflichtspielen neun Mal einen Platz in der Startelf an, sieben Mal als Linksaußen. Mit insgesamt drei Treffern hat Scherhant zwar selbst zur Torausbeute beigetragen und in einigen Spielen sein Talent mehr als angedeutet – doch der Qualitätsverlust im Vergleich zu Reese ist dennoch immens. Scherhant liegt bei erfolgreichen Dribblings pro 90 Minuten nur auf Rang 71 der 2. Liga, bei Schlüsselpässen auf Rang 97.
Konkurrent Jon Dagur Thorsteinsson konnte bislang sogar noch weniger beisteuern: In sieben Spielen (vier von Beginn an) war der Isländer an keinem Treffer direkt beteiligt. Der 25-Jährige wechselte erst sehr spät nach Berlin, hatte keine gemeinsame Vorbereitung mit der Mannschaft – und fremdelt trotz sichtbarer Anlagen noch merklich. Bei erfolgreichen Dribblings pro 90 Minuten rangiert er immerhin auf Rang 60, doch bei Schlüsselpässen auf Rang 165.
Beide Flügelangreifer sind in ihrem Spiel eklatant ineffektiver als Reese. Beiden fällt es bislang überaus schwer, im letzten Angriffsdrittel die richtige Entscheidung zu treffen und eigentlich vielversprechenden Vorstöße produktiv zu einem Torschuss von sich selbst oder einem Mitspieler zu vollenden. Teilweise fehlt die Ruhe am Ball, teilweise der Mut, mit Tempo in das Dribbling zu gehen. So verlieren Herthas Angriffe zu oft das Momentum. Die schwache Qualität der Hereingaben sorgt zudem dafür, dass die in Position gelaufenen Mitspieler zu selten brauchbar bedient werden. Reese könnte hier für deutlich mehr Ertrag sorgen.
Reese wird Zeit brauchen
Bei Hertha ist daher eine der ältesten Tugenden gefragt: Es braucht Geduld. Zum einen bei Reeses Rückkehr. Der Außenstürmer ist drei Monate ausgefallen und erst seit einer Woche wieder im individuellen Training. Eine alte Sportweisheit sagt: Um wieder bei 100 Prozent Leistungsfähigkeit anzukommen, brauchst du in etwa so lange, wie du verletzt ausgefallen bist.
Selbst bei einem Modellathleten wie Reese wird jener Prozess viele Wochen brauchen – zum einen, um überhaupt wieder ins Mannschaftstraining und den Spieltagskader zu kommen, zum anderen, um auf dem Platz zu gewohnter Stärke zu finden. In der Hinrunde, die noch zwei Monate anhält, ist nicht mehr mit Reese in alter Form zu rechnen. Der 26-Jährige wird die Zeit vor allem dafür nutzen, in der Rückrunde voll angreifen zu können.
Es braucht Geduld
Zum anderen braucht es auch Geduld bei seinen Vertretern. Scherhant ist mit bald 22 Jahren noch sehr jung, der gebürtige Berliner spielt erst seine zweite volle Saison im Profi-Männerbereich. Der zweifache deutsche U20-Nationalspieler hat sein Leistungsvermögen in bereits mehreren Partien andeuten können und ist unter Trainer Fiél sichtlich gewachsen. Ihm ist eine gute Entwicklung zuzutrauen.
Neuzugang Thorsteinsson verdient ebenfalls Zeit, schließlich ist er spät in eine neue Liga gewechselt. Bei Oud-Heverlee Leuven, seiner vorherigen Station, konnte er in der ersten belgischen Liga mit 31 Torbeteiligungen in 76 Pflichtspielen seine Qualität nachhaltig nachweisen.
Mit 17 Punkten aus zehn Partien und nur drei Zählern Abstand auf die Tabellenspitze zeigt Hertha, dass womöglich nicht viel fehlt, um wirklich oben angreifen zu können. Es braucht im Aufstiegsrennen einen langen Atem – mindestens bis Reese zu alter Form gefunden hat.
Sendung: rbb inforadio, 29.10.2024, 22 Uhr