Rückzugsräume für marginalisierte Gruppen - Was einen Safe(r) Space ausmacht
Immer wieder ist von "Safe Spaces" die Rede. Doch was ist das eigentlich? Wer braucht sie, was können sie leisten und welche gibt es in Berlin? Außerdem: Warum die Bezeichnung schon gar nicht mehr ganz richtig ist. Von Sabine Priess
Der erste Safe Space ist oft das eigene Kinder- oder vielmehr Jugendzimmer. "Elternfreie Zone", steht dann vielleicht an der Tür. Spätestens dann sind diese angehalten, die Privatsphäre ihres heranwachsenden Kindes zu respektieren. Auch die erste eigene Wohnung oder das WG-Zimmer kann dann ein Safe Space sein. Aber längst nicht allen in Deutschland lebenden Menschen genügt das.
Wer einer marginalisierten oder diskriminierten Gruppe angehört, kann auch darüber hinaus das Bedürfnis nach geschützten Räume haben. Das kann für Schwarze oder PoC gelten, für Queers, für Juden, für Frauen, für Menschen mit Gewalt- und Fluchterfahrungen und für Obdachlose oder Menschen mit Essstörungen. Die Liste ist mit dieser Aufzählung mitnichten vollständig.
Im Safe Space geht es um Empowerment
Auch der Safe Space selbst kann vieles sein. Es geht um reelle, aber auch digitale und soziale Orte und Räume, in die sich Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zurückziehen können. Warum? Dort können sie sich austauschen, organisieren und empowern. "Safe Spaces sind vor allem Orte, wo ein Austausch über Diskriminierungserfahrungen ohne Anwesenheit der Unterdrücker:innen erfolgen kann. Wir kennen das aus der feministischen Bewegung sehr gut. Da wurden in den frühen 80er Jahren Frauenräume erschlossen, in die Männer nicht eingeladen waren", sagt die Soziologin Natasha A. Kelly rbb|24.
Denn genau das gehört auch zu einem Safe Space: Diejenigen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, sind nicht eingeladen. Wenn auch zumeist nicht explizit ausgeladen. In den 80er Jahren hätten die Männer deswegen auch laut aufgeschrien, sagt Kelly. Doch der Safe Space sei notwendig, um Dinge anzusprechen, die in Anwesenheit der Unterdrücker nicht zu Wort gekommen wären.
"Wir schaffen keine Safer Spaces um Menschen zu ärgern, sondern um unsere Kinder zu schützen, sie zu lehren, dass sie geschützt sind und um sie zu empowern", sagt Kelly.
Vielfältige Safe Spaces in Berlin
In Berlin bietet eine Organisation Ferienreisen und Ausflüge für Schwarze Kinder an, damit diese Zeit in der Natur ohne Rassismuserfahrungen verbringen können. Ein Safe Space. Nachdem das Magazin Der Spiegel [spiegel.de/Bezahlschranke] darüber im Mai berichtet hatte, brach eine Empörungswelle los. Menschen fühlten sich ausgeschlossen, benachteiligt und provoziert. Die Veranstalter erhielten massive Drohungen und Hassbotschaften. Für den Veranstalter zeigt das einmal mehr, "wie wichtig es ist, geschützte Räume für Schwarze Kinder zu haben", wie er im "Tagesspiegel" Mitte Juni sagte.
Soziologin Kelly, selbst schwarz, sagt rbb|24, dass sie glaubt, dass die deutsche Gesellschaft explizit ein Problem habe, wenn es um Schwarze deutsche Belange geht. Denn die Geschichte Schwarzer deutscher Menschen sei weitgehend unsichtbar geblieben und deshalb werde oftmals nicht verstanden, warum Schutzräume für Schwarze Menschen nötig seien.
Für Menschen aus der queeren Community sind queere Partys, Clubs und Bars in Berlin vielfach ein Zufluchtsort. Schmerzlich zu spüren [lsvd.de] bekamen deren Verlust die Betroffenen in der Corona-Zeit während der der Lockdowns. Alles war dicht, die Isolation wuchs – insbesondere, da viele queere Menschen nicht in klassischen Familienstrukturen leben.
Doch in der ansonsten komplett sanierten Kastanienallee in Prenzlauer Berg gibt es das "Tuntenhaus" [kastanie86.net]. Seit 1990 wohnen hier schwule, queere und trans Menschen. Für viele von ihnen ist das Haus erklärtermaßen ein Safe Space, in dem sie vor alltäglicher Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung geschützt leben können.
In der Nähe des Berliner Alexanderplatzes soll ein ganzer Neubau als Frauen-Wohnprojekt entstehen. "Hier sollen Lesben und queere Frauen in einer diskriminierungsfreien und nachbarschaftlichen Umgebung ein gutes Leben führen und ihr Alter genießen können", hieß es in der gemeinsamen Mitteilung [berlin.de] der federführenden kommunalen Wohnungsbaugesellschaft WBM und der gemeinnützigen "Rad und Tat gGmbH". Es gebe ein großes Bedürfnis, noch mehr solcher Schutzräume zu schaffen, sagte Verena Diehl aus dem Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSDV) Berlin-Brandenburg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) [rnd.de].
Immer mehr Institutionen schaffen Safe Spaces
Dass Institutionen Safe Spaces anbieten ist nicht neu und geschieht immer öfter. In Friedrichshain-Kreuzberg ist im Januar ein Modellprojekt namens Safe Place [berlin.de] vorgestellt worden, dass sich an obdachlose Menschen richtet. Der Bezirk will sichere Orte und geschützte Flächen für sie bieten. "Little Homes" sollen ein Mindestmaß an Privatsphäre bieten, die Menschen zudem vor Witterungseinflüssen, gewaltsamen Übergriffen und Diebstahl schützen.
Safe Spaces werden kritisch diskutiert
Janna Mareike Hilger ist Philosophin. Sie hat für ihre Doktorarbeit zum Thema Safe Spaces geforscht. Sie sagte rbb|24, es sei zu beobachten, dass der Begriff der Safe Spaces derzeit immer weiter ausfranse. Und er auch in Kontexten vorkomme, die keiner dezidierten Verbindung mit Marginalisierung ständen.
Dadurch und durch die zunehmende Institutionalisierung bestehe unter anderem die Gefahr, dass Safe Spaces auf eine reine Wohlfühlebene reduziert werden, wo es eigentlich eher eine Kritik an bestehenden Strukturen bräuchte. "Es kann auch ein Instrument sein, um einen kritischen Impuls einzugrenzen, so nach dem Motto 'Ihr habt doch hier euren Raum und ihr dürft doch jetzt da über eure Probleme reden – geht rein, Tür zu!'", sagte Hilger dem Studentenmagazin Edit [edit-magazin.de] im Mai.
Safer Spaces statt Safe Space
Safe Spaces werden zudem kritisch diskutiert, weil kein Raum jemals komplett ohne Gewalt und Diskriminierung sein kann. "Mittlerweile hat sich auch die Bezeichnung 'Safer Space' eingebürgert, um zu signalisieren, dass es sich dabei um einen machtreduzierten, aber niemals machtfreien Ort handelt", sagt Philosophin Hilger. Das unterstreicht auch Soziologin Kelly. Sie sagt, dass sich jeder Safe Space immer innerhalb gegebener Machtstrukturen befinde und es daher auch dort rassistische, sexistische und heteronormative Einflüsse gibt. Auch sie verweist auf den 'Safer Space'-Begriff. Räume, so sicher wie nur irgend möglich.