Ersatzfreiheitsstrafen - Wieder mehr Straftäter kommen ins Gefängnis für nicht gezahlte Geldstrafen

Sa 05.08.23 | 12:13 Uhr
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Wachtum und Mauer der JVA Tegel in Berlin. (Quelle: dpa/Bildagentur-online/Schoening)
Bild: dpa/Bildagentur-online/Schoening
  • Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen nach Corona-Pandemie steigt wieder - in Berlin und in Brandenburg
  • Oft Fahren ohne Fahrschein im ÖPNV

Wieder mehr Menschen in Berlin verbüßen eine Gefängnisstrafe als Ersatz für nicht gezahlte Geldstrafen. Im ersten Halbjahr 2023 kamen deswegen 1.606 Betroffene ins Gefängnis, wie die Senatsjustizverwaltung auf dpa-Anfrage sagte.

Angenommen, die Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen entwickelt sich im zweiten Halbjahr 2023 vergleichbar wie in den ersten sechs Monaten, wird das Niveau von Zeiten vor der Pandemie erreicht. 2018 kamen 3046 Menschen ersatzweise in Haft, 2019 waren es 2.781. In den Jahren waren es 1418 (2020) und 1.645 (2021).

Während der Pandemie war die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen für längere Zeiträume ausgesetzt. Dies sei bis in das vergangene Jahr hinein der Fall gewesen, hieß es.

Häufig sind Menschen betroffen, die ohne Fahrschein öffentliche Verkehrsmittel genutzt haben und wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden sind. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres war das laut Justizverwaltung in 317 Fällen so. Im gesamten Jahr 2022 betraf es demnach 414 Menschen; 2018 waren es 788.

Auch in Brandenburg sitzen mehr Menschen Ersatzfreiheitstrafen ab

Auch in Brandenburger Gefängnissen hat der Anteil der Insassen mit einer Ersatzfreiheitsstrafe im vergangenen Jahr zugenommen. "2022 lag die durchschnittliche Belegung in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg bei 891 Gefangenen, wovon 150 Gefangene eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten", erklärte ein Sprecher des Justizministeriums auf dpa-Anfrage. Im Vorjahr waren es 110 Fälle und 2020 sogar nur 76. Vor der Pandemie lagen die Zahlen mit 149 im Jahr 2019 und 121 im Jahr 2018 ähnlich hoch.

Diskussion um Fahren ohne Fahrschein

Seit langem wird darüber diskutiert, ob beispielsweise Fahren ohne Fahrschein (§ 265a StGB) nicht von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden sollte. Aus Sicht der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) könnte das Sinn ergeben wegen der Verhältnismäßigkeit im Vergleich zu anderen Straftaten. "Ich gebe dabei aber zu bedenken, dass die erhoffte Justizentlastung Augenwischerei ist und nicht das tragende Argument sein sollte", sagte sie kürzlich in einem Interview der "Legal Tribune Online". Die Belastung werde dann in den Ordnungsbehörden entstehen.

Wer eine Geldstrafe nicht zahlt, sitzt die Summe alternativ im Gefängnis ab. Die Zahl der Tage, die der Betroffene hinter Gitter verbringen muss, entspricht den Tagessätzen, zu denen er verurteilt wurde.

Kein Automatismus

Doch eine nicht gezahlte Geldstrafe führt nicht automatisch zu einer Ersatzfreiheitsstrafe: Zunächst werde der Verurteilte auf die Möglichkeit von Zahlungserleichterungen hingewiesen, betonte der Brandenburger Ministeriumssprecher. Sei demjenigen eine sofortige Zahlung aufgrund seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten, könne ihm mitunter mehrmals eine Zahlungsfrist eingeräumt oder Ratenzahlung gestattet werden.

Die Gefängnistage können auch durch gemeinnützige Arbeit wie Pflege von Parks und Grünanlagen ausgeglichen werden. Gemeinnützige Arbeit ist bei Einrichtungen möglich, die eine Vereinbarung mit den Sozialen Diensten der Justiz geschlossen haben. Das spart auch der Justiz Kosten. Im vergangenen Jahr seien die Gesamt-Tageshaftkosten mit 229,12 Euro veranschlagt gewesen, hieß es von der Berliner Justizverwaltung. 2022 saßen demnach rund 8.360 Menschen in den sieben Berliner Gefängnissen ein.

Tagessätze legt Gericht fest

Im Übrigen werden Geldstrafen vom Gericht mit Tagessätzen festgelegt, die sich am Einkommen des Betroffenen orientieren. Die Anzahl der Tagessätze richtet sich nach der Schwere des Vergehens. Eine Gesetzesänderung sieht vor, dass die Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe halbiert wird. Bisher entsprach die Zahl der Tage, die jemand für das Nichtbezahlen einer Geldstrafe hinter Gitter musste, den Tagessätzen, zu denen er verurteilt wurde. Künftig ist es nur noch die Hälfte der Tagessätze.

49 Kommentare

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  1. 49.

    Frage in die Runde: Welche Gefühle (z. B. zur Motivation) sollen in Menschen aufkommen, wenn sie schnallen, dass sie ein Leben lang kaum über die Runden kommen werden und dass danach die Alters-Armutsgrundsicherung wartet? Ich komme darauf, weil kürzlich durch die Medien ging, wie kümmerlich die Rente für einen 40-J.-Einzahler durchschnittlich ausfällt, bei Frauen ists nochmals schlimmer, denn sie erhalten für das Aufziehen der Kinder, den Erhalt des tgl. Lebens und die Pflege von Familienmitgliedern kein Einkommen.

    Ihnen wie auch anderen Ausgegrenzten (die so "dumm" waren, nicht zu studieren oder jung ein Kind zu bekommen oder …) bleibt ausschließlich der Mindest"lohn", mit lebenslanger Knappheit/H4-Aufstockung und garantierter Ausgrenzung und Armut im Alter.

    Welches Lebensgefühl erachten wir als Gesellschaft hier als "unantastbar würdig"? Und wie würden Sie selbst wohl fühlen, denken, handeln, wenn Sie der Nicht-Teilhabe und Armut gewiss wären?

  2. 48.

    Was, wenn alle frei ihren Talenten und Neigungen folgen würden, und nicht den immer wechselnden Prognosen, um dann Arbeitsstellen hinterherzuziehen und bei Abwanderung eben wieder alles auf Anfang. Es würde sich zurechtruckeln, wie überall in der Natur. Ihre Herangehensweise hat die Marktmechanismen als Naturersatz-Gesetz aufgesogen.

  3. 47.

    Ich denke, da ticken wir ganz ähnlich. Zeit ist die Währung. Würde nach Zeit und nicht nach anderen Kategorien bezahlt, hätten Sie die Freiheit, jeden Beruf auszuüben, denn die Bezahlung wäre gleich.

  4. 46.

    Das ist ja alles schön und gut, Sie blenden allerdings aus: Wer Rechte verlangt, soll auch Pflichten erfüllen.
    Zum Thema freie Berufswahl: Stellen Sie sich mal vor, sämtliche Schulabgänger der letzten 25 Jahre wollten unbedingt Friseur werden und zwar alternativlos. Dann hätten wir jetzt 3% Friseure und 97%, die sich keinen Friseurbesuch leisten können, weil sie ja schon kein Geld für ein Sozialticket haben. Ist das die Option? Nee, nee!

  5. 45.

    Antwort auf Tom
    Ich höre Neid aus Ihrem Kommentar.
    Zur Ihrer Info ich habe abgeschlossene Ausbildung mit Weiterbildung über Abendschule als Abschluss Industriemeister Metall Kraftwerk aber trotz doppelten Verdienst als zuvor habe ich diese Tätigkeit wieder dankend abgelehnt und arbeite lieber als Angestellter und zufriedener Mensch mit weniger Verdienst. Geld ist nicht alles aber für einige schon .
    Ich habe lieber Zeit für meine Familie.

  6. 44.

    Antwort auf Thorsten
    Ein Pflichtfahrgebiet wie zb. in Berlin da gibt es drei verschiedene Fahrtickets alle haben gemeinsam ab Entwertung 2 Stunden Gültigkeit in einer Fahrtrichtung mit mehreren Umsteigen.
    Tarif A BETRIFFT ÜBERWIEGEND Mitte und angrenzende Bezirke Tarif B betrifft den Korridor zwischen Mitte und den Aussenbezirken bis zu einem bestimmten Punkt und dann Tarif C die angrenzenden Aussenbezirke mit darüber hinaus ins Umland führenden ÖPNV.
    Das ist jetzt einfach erklärt .

  7. 43.

    Antwort auf Neenee
    Gut geschrieben dem kann und möchte ich mich anschließen.
    Was ist daran so verwerflich wenn man arbeiten kann es auch zu müssen machen schließlich die meisten.

  8. 42.

    Sie wissen doch ziemlich genau, was bzw. wie ich es meine und wir drehen uns im Kreis.
    Warum sind manche Länder gleicher als andere?
    - Kita/Schulhort/Mittagessen: kostenlos - kostenpflichtg
    - Arbeiten im Knast: Pflicht oder nicht
    - selbst bei den "Aktivisten" der LG gibts Unterschiede

    Was halten Sie denn davon:
    1. "Ausnahmen vom Verbot der Zwangsarbeit ...
    Arbeit, die dem unmittelbaren Wohl der Gemeinschaft dient ..."

    2. "Strafrecht
    Grundsätzlich sind Gefangene verpflichtet, Arbeit, die ihren körperlichen Fähigkeiten angemessen ist, auszuüben ... Das deutsche Grundgesetz erklärt bei Freiheitsentziehung explizit Zwangsarbeit als zulässig.
    Die Verpflichtung zu Arbeitsleistungen im Jugendstrafrecht als Auflage hat Strafcharakter und bleibt im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 und 3 GG verfassungsgemäß, so wie auch die Arbeitspflichten gemäß § 56b StGB nicht gegen Verfassung und Menschenwürde verstoßen. ..."

  9. 41.

    "Genervt sein ist nun mal keine Kategorie".

    Sich immer auf das Grundgesetz sich zu berufen ist zu einfach um Probleme zu lösen.

  10. 40.

    Aber genau das widerspricht ja den durch Verfassung garantierten Freiheiten, zB freie Berufswahl. Ihre Ansichten fürhrten bereits in der Vergangenheit in den Abgrund.

    "Die" Arbeit"geber", "der" Markt – sollen bestimmen, wer welche Arbeit ergreifen darf? Und wenn sie beschließen, nun alles digital, und dann alles totalüberwacht und dann … schaffen Sie so die Demokratie und Freiheit ab.

    Bürger brauchen keine Papiertiger-Rechte, sondern die konkrete Feiheit und Möglichkeit, ihre Rechte wahrzunehmen.

  11. 39.

    Susy, bitte machen Sie sich die Mühe und lesen im Gesetz nach, das unsere Verfassung ist https://de.wikipedia.org/wiki/Grundrechte_(Deutschland)#Katalog_der_Grundrechte_und_grundrechtsgleichen_Rechte_im_Grundgesetz Art. 12

    Daumen hoch–runter ist Willkür, die ist durch die Verfassung ausgeschlossen. Daher: Einschränkungen, wie hier besprochen, nur für alle gleich oder für keinen.

    Genertvt sein ist nun mal keine Kategorie.

  12. 38.

    Außer in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Brandenburg besteht in Gefängnissen Arbeitspflicht. Wer sich weigert, kann an den Unterbringungs- und Verpflegungskosten mit 360€/mtl. beteiligt werden.
    Schön wäre eine Statistik, die uns verrät, wie alt und welchen sozialen Hintergrund Schwarzfahrer haben. Ich habe schon öfter erlebt, wenn kontrolliert wurde und die Personen ohne oder ohne gültiges Ticket waren weder im Rentenalter noch sahen sie aus wie Obdachlose. Sie sahen eher so aus, als könnten sie mit Arbeit Geld verdienen und dann keinen Sozialtarif mehr nötig haben. Was Zwangsarbeit betrifft, wie im 3. Reich, bin ich dagegen. Was eine Arbeitspflicht für Arbeitsfähige betrifft, bin ich dafür und zwar nicht Jobs zum Aussuchen, was Ihro Gnaden so gerade in den Kram passt, sondern generell und ungeachtet vom Bildungsgrad. Auch das ist das Solidarprinzip einer Gesellschaft und Arbeit schändet nicht! Punkt.

  13. 37.

    Muss für alle gleich sein "?
    Dann wäre das ja "Zwangsarbeit" im Einerlei mit Druck von oben.

  14. 36.

    Muss für alle gleich sein ... es nervt langsam ...

    Taxifahrten für Jugendliche - Warum nicht auch für alte?
    Friseur teuer - Darf nicht sein, ist kein Luxus!
    Sozialticket - Warum nicht für alle kostenlos?
    Diskriminierung - Weil ich "stink normal" bin?
    usw. usw.

    Wenn ich mich nicht an geltende Beförderungskosten halten, muss ich halt in den Knast oder Arbeiten = Sozialstunden. Punkt.

    P.S. "zum Beispiel eine Aufräumaktion nach Erdbeben oder Hochwasser"
    Braucht es doch wohl keine "verpflichtende Arbeit" oder sind wir heute schon so weit, dass keiner mehr bei solchen Katastrophen FREIWILLIG und UNEIGENNÜTZIG hilft?

  15. 35.

    Verpflichtende Arbeit muss für alle gleich sein und ist überhaupt nur in außerordentlichen Notfällen überhaupt möglich, zum Beispiel eine Aufräumaktion nach Erdbeben oder Hochwasser, wenn die vorgesehenen Strukturen wie THW nicht ausreichen, s. Grundgesetz, Art. 1-20.

  16. 34.

    Bis letztes Jahr kostete das Sozialticket 27,50€ und was soll ein Pflichtgebiet sein?

  17. 33.

    Eine soziale Ersatzstrafe ist nicht gleich mit Zwangsarbeit zu verstehen, so wie manche Deutsche sie noch von früher verstehen. Ich nenne es nicht Zwangsarbeit, wenn der Richter bei Gericht anstelle von Haft eine soziale Sonderarbeit anordnet. Es gibt zum Beispiel die Auferlegung von Sozialstunden im Jugendstrafgericht. Beim Erwachsenen sieht man es anders? Beim abgeschafften Pflichtwehrdienst, wurde bei Verweigerung der soziale Zivildienst eingeführt. War das Zwangsarbeit? Zwangsarbeit ist verboten jemand zum Arbeiten zu zwingen, der generell nicht arbeiten gehen will. Wer lieber in Haft geht soll es machen. Somit ist er vorbestraft mit Makel. Umdenken ist gefragt, keine Sturheit. Soll die Gesellschaft Straftäter noch belohnen ?

  18. 32.

    Darüber muss man ja wohl heute nicht mehr diskutieren ... es steht außer Frage!
    Es ging doch um eine ganz "andere Art Zwangsarbeit".

  19. 31.

    "Jemand wird zu einer Geldstrafe verurteilt und hat dann die Optionen: Bezahlen, abarbeiten , oder eben Gefängnis."
    Damit stimme ich dir vollkommen zu.
    Ich hatte aber auch nichts anderes geschrieben!

  20. 30.

    Das hast Du nicht richtig verstanden. Selbstverständlich ist es keine Zwangsarbeit, wenn jemand seine Strafe freiwillig abarbeitet. Zwangsarbeit wäre es aber wenn jemand zur Arbeit verurteilt wird, das ist in Deutschland nicht möglich. Jemand wird zu einer Geldstrafe verurteilt und hat dann die Optionen: Bezahlen, abarbeiten , oder eben Gefängnis.

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