Debatte um Buch "Oh Boy" - Wenn ein Täter seine Tat eingesteht - und damit erneut das Opfer verletzt

Sa 19.08.23 | 10:00 Uhr | Von Laura Kingston
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Symbolbild: Die Silhouette von feiernden Menschen in einem Tanzclub. (Quelle: imago images/N. Dahhan)
Bild: imago images/N. Dahhan

In "Oh Boy" beschreibt Buchautor Valentin Moritz, wie er gegenüber einer Frau sexuell übergriffig geworden ist. Das mutmaßliche Opfer sagt rbb|24, dass das gegen ihren Willen geschehen sei. Eine Geschichte über den Umgang mit Täterschaft. Von Laura Kingston

"Ich habe eine Grenze überschritten", schreibt Valentin Moritz. Der Berliner ist Mitherausgeber und einer der Autoren des Sammelbands "Oh Boy" - einem Buch, das sich mit Männlichkeit auseinandersetzt - und mit männlicher Täterschaft. Darin berichtet er davon, gegenüber einer Frau sexuell übergriffig geworden zu sein: "Ich berührte ihren Körper in einer Situation, in der ich hätte ahnen können, dass sie das nicht wollte, und als sie sich meinem Willen entzog, habe ich mich feige und wortlos davongemacht", heißt es in seinem Text "Ein glücklicher Mensch".

Valentin Moritz u. Donat Blum, Autoren von "Oh Boy: Männlichkeit*en heute" (Quelle: Kanon Verlag)
Valentin Moritz, links, und mitherausgebende Person Donat Blum | Bild: Kanon Verlag

"Oh Boy" erfreut sich guter Rezensionen

Auf Anfrage von rbb|24 sagt der Autor zu seinem Motiv, sein Text "Ein glücklicher Mensch" sei ein Versuch, mit seinem "Anteil an der Rape-Culture möglichst verantwortungsvoll umzugehen." Das Buch, das mitsamt seines Textes am 12. Juli im Kanon-Verlag veröffentlicht wurde, feiern die Feuilletons der Zeitungen und Kulturredaktionen der Rundfunkanstalten - inklusive des rbb.

Im SWR wird die Anthologie als "vielschichtiger Beitrag" in der aktuellen Debatte um das Thema Männlichkeit beschrieben. Die Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal schreibt im Nachwort, sie sei "so froh über dieses Buch." Quasi der feministische Abschiedssegen des Buchs, zusätzlich zu den meist positiven Reaktionen in Netz und Fernsehen.

Rabea, die auf eigenen Wunsch nicht mit richtigem Namen genannt werden will, fühlt sich derweil verprügelt, wie sie rbb|24 sagt. Jedes Lob für einen fortschrittlichen Diskurs, jede Buchvorstellung oder Rezension sei für Rabea ein Schlag ins Gesicht. Die Veröffentlichung des Buchs am 12. Juli: ein Tritt in die Magengrube, der bis heute nachhallt, wie sie sagt. Sie sei diejenige, so sagt sie, die von Valentin Moritz angefasst wurde, die Person, um die es in seinem Text "Ein glücklicher Mensch" gehe.

Die Berührung, von der der Autor schreibt, sei in einem Club passiert; "Ich habe versucht, seine Hand weg zu ziehen, bin aber total auf Widerstand gestoßen."

Valentin Moritz besteht indes darauf, in seinem Text werde "an keiner Stelle über einen konkreten Vorfall oder eine konkrete Person gesprochen". Das sagt er auf rbb|24-Anfrage.

Es ging immer nur um ihn.

Rabea, Opfer von sexueller Gewalt

Die Konfrontation

Nach dem Vorfall im Club, im Mai 2022, zieht Rabea sich zurück, weiß nicht, ob sie das Thema ansprechen soll. Sie setzt sich schließlich mit ihrer Schwester zusammen und schreibt Moritz einen Brief, mit dem sie ihm ihre Gefühle über das Geschehene näherbringen will, wie sie sagt.

Bei dem Gespräch sei es auch um das Buchprojekt gegangen, so Rabea, das Moritz schon 2021 gestartet hatte. Es sei in dem Gespräch sogar zum großen Teil darum gegangen, wie es mit dem Buchprojekt weitergehen könne: "Und es ging immer nur um ihn", sagt Rabea. Der Autor habe alles umgedreht und sich zum Opfer gemacht. Er habe auf ihren Vorschlag, das Buchprojekt ruhen zu lassen, gefragt, wovon er dann leben solle. "Dann müsste er irgendwie Arbeitslosengeld beantragen."

Kurz nach dem Treffen im August 2022 schreibt Rabea eine Handynachricht an Valentin Moritz, die rbb|24 vorliegt: "Ich möchte nicht, dass du den Übergriff, egal wie anonymisiert auch immer, benutzt. [...] Wie auch schon während des Gesprächs formuliert - du kannst keinen Profit aus deiner Täterschaft machen und mich zusätzlich auch noch belasten." Moritz habe ihr sein Bedauern mitgeteilt und geschrieben, er habe den anderen Beteiligten des Buchprojekts von seiner Täterschaft erzählt und seine Rolle in Frage gestellt.

Der Boykott

Zehn Monate später die Veröffentlichung. Die Frau, an der sich Valentin Moritz vergangen hat: anonymisiert. Rabea schäumt vor Wut, wie sie rbb|24 sagt. Sie habe ihm daraufhin bei Instagram geschrieben, dass er erneut eine Grenze überschritten habe. Moritz habe in seiner Instagram-Antwort darauf verwiesen, dass weder die in seinem Text erwähnte Person noch die Tat, genauer zeitlich und räumlich beschrieben seien.

Rabea ruft zum Boykott auf, indem sie unter den Posts des Autors und des Kanonverlags kommentiert. Ersterer habe die Kommentare gelöscht und sie später blockiert, sagt Rabea. Der Verlag lässt die Kommentare stehen, nimmt aber keinen Bezug darauf.

Auf rbb-Anfrage, wie Kanon damit umgehen wolle, schreibt der Verleger von "Oh Boy": Über den Instagram-Account seien "unzutreffende Vorwürfe gegen Valentin Moritz und seinen Text 'Ein glücklicher Mensch' vorgebracht worden." [...] "Der Verlag kann nicht auf unzutreffende Vorwürfe reagieren, wenn diese anonym vorgebracht werden", schreibt der Verleger am 15. August.

Rabea sucht sich ab Anfang August schließlich Hilfe bei dem Instagram-Account von "Keine Show für Täter", der ebenfalls unter Posts des Verlags und Autors zum Boykott aufruft.

Kanon-Verlag und Autor weisen Vorwürfe erst zurück

Auf die Frage, ob sich Valentin Moritz das Einverständnis beim Opfer seiner Tat geholt habe antwortet er rbb|24: "Da in meinem Text kein Geschehen geschildert wird, das in Verbindung zu einer konkreten Person steht, bedurfte es keiner Einwilligung, diesen zu veröffentlichen."

Der Verlag antwortet auf dieselbe Frage: "Wir können nur abermals betonen: In 'Ein glücklicher Mensch' wird, anders als von Ihnen angedeutet, nicht über einen konkreten Vorfall oder eine konkrete Person gesprochen. Es ist ein literarischer Text, in dem die Privat- und Intimsphäre möglicher Betroffener durchgehend gewahrt bleibt."

Der Rückzug

Bis zum Donnerstag bleiben sowohl der Verlag als auch der Autor bei ihren Standpunkten. Dann kündigt Moritz in einem Instagram-Post seinen Rückzug aus dem Projekt an. Als Begründung dafür nennt er einen "anonymen Boykottaufruf", der das ganze Buch treffe. Es tue ihm leid, dass sich "diese Person von [s]einer Veröffentlichung derart getroffen fühlt."

In einem Statement des Kanonverlags vom Donnerstag heißt es: "Wir nehmen diese Kritik sehr ernst." Lesungen des Autors im September seien bereits abgesagt.

Was bleibt

Rabea sagt, sich zur Wehr zu setzen, habe sie bestärkt. Sie habe es nicht "stehen lassen [wollen], dass [Valentin Moritz] sich so profiliert und als ein reflektierter Typ gilt und abgefeiert wird." Vom Verlag fordert sie, dass er den Text von Moritz in der zweiten Auflage - sollte es eine geben - herausnimmt und den Prozess beschreibt, der dazu geführt hat, dass dieser Text keinen Platz mehr in dem Buch findet. Und vom Täter wünscht sie sich, "dass er einfach aufhört, sich auf irgendwelche Bühnen zu stellen."

Sendung: Radioeins, 27.07.2023, 10:10 Uhr

Beitrag von Laura Kingston

27 Kommentare

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  1. 27.

    Ich bin der Meinung, dass man autobiografische Ereignisse veröffentlichen darf und sich nicht die Erlaubnis von Leuten, die darin vorkommen, einholen muss. Da hat die betroffene Dame dann leider Pech gehabt.
    Klingt hart, aber ist so.
    Allerdings finde ich auch, dass Autoren nicht immer mit irgendwelchen Lesungen und so was durch die Lande tingeln müssen. Soll der Mann doch sein Buch veröffentlichen und gut is.

  2. 26.

    Und warum? Weil solche Typen arme Würstchen sind, die sich nur auf diese Art sexuelle Befriedigung holen können! Diese Typen sind im Grunde ganz erbarmliche Kreaturen!
    Doch ich muss auch Kritik an den Medien äußern, die dieses Buch besprochen haben, anstatt es der Staatsanwaltschaft zu übergeben.

  3. 25.

    Sie finden die Tat als harmlos und bezeichnen meinen Tect als Verleumdung? Ihr erster Text spricht Bände und als Jurist sind mir genügend Urteile bekannt wo ein solches Verhalten als sexuelle Nötigung gewertet wird. Sie scheinen es mit der sexuellen Selbstbestimmung Dritter wohl nicht genau zu nehmen!

  4. 24.

    Wenn Sie genau lesen habe ich mich korrigiert, da ich als Mann ein solches Verhalten nicht gutheißen kann und zutiefst verachte. Dieser Schreiberling ist für mich ein schwacher Mensch der meint er müsse alles mit Gewalt sich nehmen. Das widerspricht meiner Erziehung. Intime Berührungen und erst recht Beziehungen beruhen auf gegenseitigem Einverständnis und Vertrauen dass der Partner keine keine Grenze überschreitet oder um klar ausdrücken Nein heißt Nein und Ja heißt Ja dazwischen gibt es nichts wenn es um Intimitäten geht oder Berührungen in Intimzonen!

  5. 23.

    Boaar, ganz schön viel interpretation von Ihnen, für meine eine Zeile, bishin zur Beleidigung! Ich habe in keinster Weise eine Täter Opfer Umkehr geäußert! Ich habe lediglich ihren ´Strafwunsch´ kritisiert. WEnn Sie nicht wissen, welche Kinderstube ich genossen habe, lieber den Mund halten. So klug, zum Erahnen dieser, sind Sie dann offenbar doch nicht! Sie erinnern mich mit ihrem ´Eifer´ sehr an einen Inquisitor... da hilft auch kein verklärter nick
    Nochmal konkret: Ich finde es gut das Rabea sich wehrt und ziemlich mies, vom Autoren, aus diesem Vorfall Aufmerksamkeit und Profit zu ergattern!


  6. 22.

    "Kavaliersdelikt" als Benennung dessen ist das Gegenteil von Achtung gegenüber anderen.

  7. 21.

    Was ER früher, jetzt oder später fühlt/e ist egal. Die Frau hat sich nicht verkrochen, sie wurde aktiv, auch wenn sie anonym bleiben will. Allein diese Gegenwehr ist schon gut für ihr Selbstbewusstsein und ihre Seele. Genau das müssen Alle verstehen und ich hoffe sehr, dass diese Geschichte den Opfern sexueller Übergriffe Mut macht und sie sich wehren.

  8. 20.

    So verkauft man Bücher...

  9. 19.

    „Just a little bit respect!“ forderte Aretha Franklin einst. Nicht jede übergriffige Handlung ist strafbar, aber sie ist in jedem Fall respektlos. Schön, wenn ein Täter einsieht, dass er sich übergriffig verhalten hat. Aber seine Reue dann öffentlich zu zelebrieren - und das, obwohl das Opfer dies ausdrücklich nicht möchte - ist ebenfalls respektlos und lässt einen die Glaubhaftigkeit der Reuebezeugung bezweifeln. Ein Verlag, der daraus auch noch Kapital schlägt, ist der Gipfel der Respektlosigkeit. Ein wenig Demut würde vielen guttun. Vor allem aber sollten wir mehr Respekt einfordern. Wenn es sein muss, auch lautstark.

  10. 17.

    Sie haben wohl nicht begriffen, dass der Intimbereich Tabu ist und hier eine sexuelle Nötigung vorliegt und Kavaliersdelikt! Welche Kinderstube haben Sie genossen, dass Sie solche Sprüche von sich geben und das Verhalten quasi auch noch gut heißen? Es ist mal wieder die typische Täter-Opfer-Umkehr! Was das Opfer durchmacht ist für Sie wohl anscheinend eine Lapalie! Menschen wie Sie sollten mal eine Pflichtkurs bekommen in Benimm gegenüber Frauen!

  11. 16.

    So ein Blödsinn! Dazu braucht Mann kein THC. Vor sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen setzen Typen wie der schon lange K.-o.-Tropfen ein!

  12. 15.

    Nicht nur der hat den Schuss nicht gehört. Der Verlag und Medien auch nicht. Allein die Rezension auf radioeins von Geza Ufer ist schon widerlich, auch wenn sie V. Moritz nur als Autor erwähnt. Die Rezensentin versucht nicht mal, das Buch aus feministischer Sicht zu beurteilen! Wieso müssen Männer, egal aus welcher Sicht, für das, was sie von sich geben und was bei Frauen als normal angesehen wird, immer noch in den Himmel gehoben werden?
    Mein Fazit: Wir leben (immer noch) in einer Männergesellschaft, wo sich Täter durch Täter-Opfer-Umkehr eine weiße Weste verschaffen können und damit auch noch Geld verdienen können. Und solange Frauen dieses Theater mitmachen, wird sich daran auch nichts ändern.

  13. 14.

    Ich bin von Hause aus Jurist. Sowohl während des Studiums als auch während des Referendariates wurde und gesagt, dass Sexualsstraftäter und Täter die Straftaten gegen Frauen und Kinder begangen haben im Gefängnis von den Gefangenen als „Fußabtreter“ genutzt werden. Nach dem „Ehrenkodex“ der Strafgefangen haben diese Täter sich an Menschen vergriffen die Aussicht der Strafgefangen nicht angetastet werden dürfen; sie bedürfen im Knast sogar den Schutz der JVA-Beamten, das sagt wohl alles!

  14. 13.

    Sie wünschen jemanden Knast plus Vergewaltigung wegen einer unsittlichen Berührung!? Man..., kanns auch übertreiben!

  15. 12.

    Wie gut, dass wir das GG haben, Gewaltenteilung – Justiz statt Selbst-/Lynchjustiz à la "Solche Täter werden im Gefängnis noch ihre zusätzliche Strafe durch die Mitgefangenen erhalten und lernen, was es heißt erniedrigt zu werden!"

  16. 11.

    Ich habe gar nicht gefunden, dass "Rabea" Anzeige erstattet hat. Habe ich das überlesen? Ich würde immer Anzeige erstatten in so einem Fall.

  17. 10.

    Sehr gut, dass „Rabea“ so ausdauernd gekämpft hat. Typen, die so tun, als seien sie Wunder wie aufgeschlossen-liberal etc., sind armselige Würstchen, die sich helfen lassen sollten. Sie sehen nur ihren eigenen Bauchnabel als den Nabel der Welt. Sehr beschränkter Horizont.

  18. 9.

    Mir fehlen die Worte bei einer solchen Eiskälte des Täters. Leider geht aus dem Artikel nicht hervor, ob das Strafverfahren schon abgeschlossen. Ein solchen Täter, der sich auch daran „aufgeilt“, dass er das Opfer noch durch sein Buch verhöhnen kann, der sollte für etliche Jahre in den Bau.
    Das Buch sollte entweder verboten werden oder die Tantiemen an das Opfer gezahlt werden, am besten mit einem hohen Aufschlag.
    Solche Täter werden im Gefängnis noch ihre zusätzliche Strafe durch die Mitgefangenen erhalten und lernen, was es heißt erniedrigt zu werden!

  19. 8.

    Wie, keine konkrete Person? Gab es da etwa mehrere übergriffige Handlungen durch den Autor, dass da so allgemein und nicht zu der einmaligen Tat gegenüber "Rabea" geschrieben wird? Die Frau hat Recht! Gegen ihren Willen Geld mit der damaligen Tat zu machen, in dem diese in einem Buch als "Nebenhandlung" vorkommt und er sich noch damit als "toller Typ, der zu seinen Fehlern steht" produzieren kann ist einfach nur widerwärtig!

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