Strukturwandel in der Lausitz - Vereinsleben in Altdöbern trotzt dem Wandel
Vor 30 Jahren endete der Braunkohleabbau. Seither sind viele aus Altdöbern weggezogen. Auch der geplante Tourismus lässt auf sich warten. Das Leben pulsiert trotzem: in den Vereinen. Von Margarethe Neubauer
"Das gibt’s doch nicht. Wieder ’ne Ratte!", ruft Margitta Hegemer. Ihre Kugel verschwindet in der Metallrinne neben der Kegelbahn. Umgefallene Kegel: null. Das nennen sie hier, beim KSV Altdöbern, eine "Ratte". Margitta Hegemer, Anfang sechzig, rote Turnschuhe, leuchtend rote Haare, ist erst seit fünf Jahren wieder im Team, pendelt dafür aus Vetschau nach Altdöbern. In die alte Heimat.
Jeden Mittwoch trifft sich die Frauenmannschaft auf der Kegelbahn im Vereinshaus. Die jüngste Keglerin ist 28, die älteste, Birgit Michlick, ist 67. Nach dem Training stehen zwei Flaschen, Pralinen und Salzgebäck auf dem Tisch. "Ich pflege hier meine sozialen Kontakte, komme auch wegen der Geselligkeit. Das findest du sonst nirgends in Altdöbern", sagt die Rentnerin Birgit Michlick. Denn Kneipen und Gaststätten gibt es hier kaum noch.
Vereinsstrukturen halten Gesellschaft zusammen
Seit 1994 stehen im naheliegenden Tagebau Greifenhain die Bagger still. Damals zählt das Amt Altdöbern, zu dem die gleichnamige Gemeinde gehört, noch fast 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner, heute sind es etwa 5.700. Als der einstige Tagebau Ende der Neunziger geflutet wird, entstehen Pläne für die touristische Nachnutzung: Seeterrasse, Bootsanleger, Camping, Strände. Aber noch jetzt, 2024, heißt es: Baden verboten. Das Grundwasser steigt langsamer als erhofft, und der Altdöberner See wird voraussichtlich erst Anfang der 2030er Jahre gefüllt sein. Größere Industrieansiedlungen: bisher keine.
Auf den ersten Blick lässt sich in Altdöbern die Geschichte eines gescheiterten Strukturwandel-Projekts erzählen. Doch ein zweiter Blick auf die Bevölkerungsentwicklung zeigt: In den vergangenen zwei Jahren ist die Einwohnerzahl in Altdöbern wieder leicht gestiegen. Bis zum Sommer 2024 entsteht eine neue Kita, denn auch Betreuungsplätze sind wieder gefragt. Insbesondere das Vereinsleben hält die Gemeinschaft zusammen, gibt ihr neuen Aufschwung.
"Die Jugend ist ja da. Es verändert sich was"
Der größte Verein im Ort ist der Sportverein SSV Alemannia Altdöbern, der seit 1990 besteht. Vorläufer gab es schon in den Fünfzigern. Dass der Verein bestehen bleibt, habe vor allem mit einer Sache zu tun, sagt der Vorsitzende Franz Schiementz: Freundschaft. Er selbst, 39, Ur-Altdöberaner, spielt seit der 4. Klasse, kam mit 18 zu den Herren, hat Abstiege und Aufstiege miterlebt und vor einigen Jahren den Vorstand mit Freunden neu aufgestellt.
"Für unsere Liga sind wir eine relativ alte Mannschaft", gibt Schiementz zu. Aktuell sei deshalb die Verletztenquote hoch, man habe einige Kreuzbandrisse und kaputte Knöchel im Team. "Aber die Jugend ist ja da. Und es verändert sich was: Es wollen nicht mehr alle studieren, die Jungs hier machen Ausbildungen in der Region. Schule, Kindergarten, Ärzte und vor allem deine Freunde - wenn du was brauchst, hier findest du alles."
Zusammenhalt über Generationen hinweg
Franz Schiementz selbst wollte nie weg aus Altdöbern. Der selbstständige Bauingenieur ist auch in der Gemeindevertretung, im Angel- und Karnevalsverein aktiv. Das Vereinsleben sei wichtig für den Zusammenhalt über die Generationen hinweg und die Lebensqualität im Ort. "Wir haben mehrere Kindermannschaften. Wie viele Eltern da bei den Spielen am Wochenende sitzen und rumschreien, das ist schön zu sehen. Und wir bieten eine Plattform, damit die Jugend nicht hinter der Garage sitzt und sich einen Joint dreht."
Windkraft bringt Geld für Vereine
Auch, wenn es an Treffpunkten im Ort und großer Industrie mangelt : Dass die Region abgehängt sei, können die Fußballer der ersten Herrenmannschaft des SSV Alemannia Altdöbern nicht bestätigen. Zwar hat die Gemeinde wenig Geld, um das Vereinsleben zu unterstützen. Bei größeren Anschaffungen oder Reparaturen helfen jedoch Einnahmen aus einem Windpark.
Seit 2015 drehen sich 24 Windräder im Chransdorfer Forst zwischen Altdöbern und Großräschen. Die Windkraftanlagen mitten im Wald stoßen damals auf Protest der Anwohnerinnen und Anwohner. Auch Bürgermeister Peter Winzer (SPD) war erst nicht begeistert.
Aber der Bürgermeister verhandelte mit dem Windparkbetreiber, der PNE AG. Heraus kam ein Vertrag über 20 Jahre: Ein fünfstelliger Betrag jährlich für den neugegründeten Bürgerverein, der das Geld nach Antrag an die Vereine verteilt. "Sonst wäre das Vereinsleben hier schon ausgelöscht", sagt Peter Winzer. Die Männer des SSV Alemania Altdöbern sind hier in der Umgebung mit ihren Vereinen aufgewachsen. Einige haben Jobs beim Energiekonzern LEAG oder beim Chemieunternehmen BASF, pendeln nach Cottbus, Großräschen oder Schwarzheide.
"Wo hast du das denn, dass 18-Jährige mit 40-Jährigen zusammensitzen?"
Zwar ist die Arbeitslosenquote im Landkreis Oberspreewald-Lausitz mit 7,1 Prozent im landesweiten Vergleich überdurchschnittlich hoch, jedoch werden auch hier Fachkräfte händeringend gesucht. Aktuell sind mehr als 1.200 Stellen ausgeschrieben, in den Online-Jobbörsen werben Unternehmen um Metallbauer und Erzieherinnen, Controllerinnen und Lokführer.
Der 18-jährige Tom ist gerade frisch aus der A-Jugend in die Herrenmannschaft gewechselt und will im Herbst eine Ausbildung in Senftenberg beginnen. In die Großstadt ziehen? Nein, danke. "In Berlin oder so würde ich nicht wohnen wollen. Ich will ja mit genau denen hier Fußball spielen." Daran kann auch der Abstieg aus der Landesklasse nichts ändern, der den Fußballern sicher bevorsteht. "Die Hauptsache ist, dass die Jungs zusammenbleiben, egal in welcher Liga", sagt Trainer Toni Ruckdäschel nach dem Auswärtsspiel in Bad Liebenwerda.
"Wo hast du das denn, dass 18-Jährige mit 40-Jährigen zusammensitzen?" Denn auch, wenn die Kneipe schon zu hat - in der Sportlerklause oder in der Laube des Mannschaftskapitäns kommen am Ende des Tages alle zusammen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.6.2024, 7:25 Uhr