Interview | HIV-Experte -
"Die Hoffnung ist da, in der eigenen Lebenszeit eine HIV-Heilung zu erreichen"
Mi 24.07.24 | 18:32 Uhr | Von Yasser Speck
Der Charité ist es gelungen, einen zweiten Menschen von HIV zu heilen. Am Mittwoch stellte der Arzt Christian Gaebler den Fall auf der Welt-Aids-Konferenz vor. Im Interview erläutert er die Hintergründe und inwieweit er Hoffnung auf Heilung macht.
rbb|24: Der Berliner Charité ist es erneut gelungen, einen Menschen von HIV zu heilen. Eine medizinische Sensation. Können Sie erklären, wie Sie das geschafft haben?
Christian Gaebler: Es ist wirklich etwas ganz Besonderes. Es gibt bislang nur sieben Fälle, in denen das gelungen ist. Das sind in der Regel Patienten, die nicht nur eine HIV-Diagnose bekommen haben, sondern auch Blutkrebs entwickelt haben. Und wenn diese zwei Dinge zusammenkommen und für den Blutkrebs eine Stammzelltherapie benötigt wird - da kam vor gut 15 Jahren ein Krebsarzt auf die Idee, bei der Stammzell-Transplantation auch ein Immunsystem zu übertragen, dass eine Immunität gegenüber der Virusinfektion HIV hat. Um zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen. In Europa ist schätzungsweise ein Prozent der Menschen immun gegen HIV.
In dem aktuellen Fall haben wir auch wieder eine Stammzell-Transplantation angewandt - allerdings mit einem etwas veränderten Ansatz: In diesem Fall haben wir kein resistentes Immunsystem übertragen.
Wir haben im Körper immer zwei Kopien bestimmter genetischer Informationen. Beim Spender war nur eines der Oberflächenrezeptoren immun gegen HIV, nicht beide. Dass es dennoch geklappt hat, den Patienten von Blutkrebs und von HIV zu heilen, macht diesen Fall so besonders. Es war sehr überraschend.
Zur Person
Charité/Sebastian R. Tromm
Christian Gaebler
Dr. Christian Gaebler ist Arzt und HIV-Experte an der Charité in Berlin. Er ist Arbeitsgruppenleiter an der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin der Charité und dem Berlin Institute of Health. Er hat den Fall des geheilten Patienten aus infektiologischer Sicht analysiert.
Dass diese Heilung gelang, war ein Überraschungserfolg. Dürfen sich trotzdem andere Menschen mit HIV Hoffnung machen, dass sie auch geheilt werden können?
Man sollte, glaube ich, vorsichtig sein, jetzt zu versprechen, dass wirklich eine breite HIV-Heilung vor der Tür steht. Der Ansatz der Stammzell-Transplantation ist sehr nebenwirkungsbehaftet und mit einer hohen Sterblichkeit versehen. Man kann ihn nur dann anwenden, wenn eine Blutkrebsdiagnose zusätzlich zur HIV-Diagnose besteht.
Aber wir sollten auch nicht zu pessimistisch sein. Diese Fälle geben uns Hinweise und Hoffnung. Wir sehen einfach, dass es möglich ist.
Wenn wir verstehen können, was in diesem Fall dazu geführt hat, dass die Virus-Reservoirs reduziert oder sogar komplett beseitigt wurden, dann hoffen wir, daraus Rückschlüsse ziehen zu können, die wir dann auf alternative Therapiewege übertragen können. Virus-Reservoirs sind die Orte, wo sich HIV in den Immunzellen versteckt hält.
Sie befinden sich aktuell auf der Welt-Aids-Konferenz in München und haben dort diesen Fall vorgestellt. Wie war das Echo aus der Fachwelt?
Das war wirklich toll. Wir hatten gerade eben eine Vortrags-Session im großen Vortragssaal, wo mehrere tausend Menschen anwesend waren. Der Fall stößt auf großes Interesse - sowohl in der Community als auch auf wissenschaftlicher Ebene. Und das ist toll, weil wir die Aufmerksamkeit für das Thema HIV schärfen müssen. Denn diese Epidemie ist nicht beendet. Es braucht Wissenschaftler und Fördermittel für dieses Thema. Und deswegen ist es sehr positiv, dass wir hier in München auf dieser Welt-Aids-Konferenz wirklich Aufmerksamkeit schaffen und mit unseren wissenschaftlichen Arbeiten dazu beitragen können, dass auch diese sehr hoffnungsvoll stimmenden Heilungsfälle ein breites Echo erfahren.
Erstmals seit rund 30 Jahren kommt die Welt-Aids-Konferenz wieder nach Deutschland. In der Zeit ist die HIV-Forschung weit vorangekommen. Doch noch immer gibt es jedes Jahr 1,3 Millionen neue Infektionen weltweit, warnt Infektiologe Christoph Spinner.
Können Sie auf so einer Konferenz mit Ihrem Wissen und Ihren Daten - und dem Wissen und den Daten anderer Expertinnen und Experten - Symbiosen formen, die Hoffnung machen für die Zukunft?
Auf jeden Fall. Die wichtigsten Gespräche auf diesen Konferenzen finden meist nicht während der Vorträge statt, sondern mit der Kaffeetasse in der Hand. Und Sie sagen es genau richtig: Man trifft hier Leute, die man im wissenschaftlichen Austausch schon kennt, aber dann auch mal in Person trifft. Ich werde von dieser Konferenz mit mehr Fragen nach Hause gehen, als ich Antworten bekomme. Aber das ist genau das Ziel.
Wir wollen einen wissenschaftlichen Prozess, wir wollen weiterkommen. Wir wollen Wissenschaft nicht nur machen, um über Fälle zu berichten, die ein großes Echo bekommen, sondern wir wollen wichtige weitere Schritte gehen. Und dafür ist dieser Austausch mit unseren Kollegen oder der Gemeinschaft an Menschen mit HIV ungemein wichtig.
In der Charité gibt es einen "zweiten Berliner Patienten", bei dem trotz abgesetzter Therapie das HI-Virus nicht mehr nachgewiesen werden kann. Vor 15 Jahren hatte es schon einmal einen solchen Fall gegeben.
Blicken wir gemeinsam in die Zukunft: Wann kann die Welt mit einem dritten "Berliner Patienten" rechnen?
Wie gesagt, diese Fälle, die wir jetzt sehen, sind sehr selten. Das liegt daran, dass diese zwei Dinge zusammenkommen müssen. Wir wollen aber wirklich verstehen, was dort passiert und daraus lernen. Und dann wollen wir diese Erkenntnisse umsetzen und in dieser Form hoffentlich in anderen Therapiewegen zugänglich machen.
Die Hoffnung ist da, in der eigenen Lebenszeit eine HIV-Heilung zu erreichen. Da bin ich auch sehr hoffnungsvoll. Wenn man hier anwesend ist, auf dieser Konferenz, und sieht, wie viele Menschen am gleichen Ziel arbeiten, dann ist das beeindruckend zu sehen und lässt einen wirklich hoffen, dass wir auch in Zukunft auf einem guten Weg zur HIV-Heilung sind.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Yasser Speck, rbb|24
Ein Kampf gegen Krankheit und Ausgrenzung
Bild: dpa/Dieter Klar
1981 beschreiben Ärzte in den USA zum ersten Mal das Auftreten einer neuen Krankheit bei zuvor gesunden, jungen, homosexuellen Männern. Ein Jahr später werden auch die ersten Fälle in Deutschland bekannt. Den Auslöser der tödlich verlaufenden Erkrankungen fanden Forscher jedoch erst später.
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Im Mai 1983 entdecken Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi das Humane Immundefizienz-Virus, kurz HIV. Es breitete sich schnell im Körper der Infizierten aus, schwächte das Immunsystem und führte fast immer zum Ausbruch der tödlichen Erkrankung Aids.
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Im Juni 1983 informierte der "Spiegel" die Öffentlichkeit über die "rätselhafte Krankheit". Auf dem Cover waren zwei nackte Männer bei einer sexuellen Handlung zu sehen. Dieses Bild verdeutlicht die Stigmatisierung von homosexuellen Männern, die im direkten Zusammenhang mit HIV und Aids zu diesem Zeitpunkt gesehen werden. Um Betrofffenen helfen zu können, wird am 23. September 1983 in Berlin die Deutsche Aids-Hilfe gegründet.
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Am 1. Juli 1985 beziehen die neu gegründete Berliner Aids-Hilfe und die Deutsche Aids-Hilfe am Bundesplatz gemeinsame Beratungsräume. 24 Stunden am Tag ist das anonyme Beratungstelefon erreichbar. Hier ist Erhard Angermann, der erste Vollzeitbeschäftigte des Vereins, am Telefon zu sehen.
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Weltweit laufen in den 80er-Jahren Forschungsprojekte im Zusammenhang mit HIV. Im September 1986 wird in der Technischen Universität Berlin (TU) der weltweit erste virulogische Test auf Basis synthetischer Peptide zur Diagnose vorgestellt. Ab 1. Oktober 1986 ist es Pflicht, Blutprodukte auf HIV-Antikörper zu testen.
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Die 1986 amtierende Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) setzte auch auf Prävention durch Aufklärung und eigenverantwortliches Handeln. Im November 1986 eröffnet sie in Berlin in dem Zusammenhang den Internationalen Aids-Kongress.
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Es folgte ein bundesweite Aufklärungskampagne unter dem Titel "Gib AIDS keine Chance", die die Bevölkerung für die Infektionskrankheit sensibilisieren sollte. Die Aufklärung bezog sich insbesondere auf die möglichen Übertragungswege.
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HIV wird sexuell und bei intravenösem Drogenkonsum übertragen. Kondome schützen bei sexueller Übertragung vor einer Ansteckung und sie reduzieren zudem das Risiko, sich mit anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken.
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Vier Jahre nach den ersten bekannten Fällen wurde in Deutschland schließlich das Aids-Medikament Azidothymidin (AZT) zugelassen. Das Medikament wirkt der Vermehrung des HI-Virus entgegen, hatte anfangs aber noch schwere Nebenwirkungen.
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Trotz Aufklärungskampagnen und Fortschritten in der Behandlung: Die Stigmatisierung blieb. In Bayern versuchte der CSU-Politiker und Staatssekretär Peter Gauweiler Zwangsuntersuchungen für Fixer und Prostituierte beiderlei Geschlechts einzuführen. Auch eine Testpflicht für einwanderungswillige Nichteuropäer, ein Einstellungsstopp für infizierte Beamtenbewerber und ein Kondomzwang im Bordell sollten durchgesetzt werden.
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Im Zweifelsfall wollte man Infizierte sogar "wegsperren" lassen. Dagegen gehen Müncherinnen und Münchner im März 1987 auf die Straße.
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Anfeindungen, Ausgrenzung und Abwertungen waren allerdings in ganz Deutschland zu beobachten. Hier sprüht ein Aktivist Ende der 80er-Jahre zum Protest "Mensch mit Aids" in West-Berlin auf den Bürgersteig.
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Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth setzte sich auch deswegen immer wieder in der Öffentlichkeit für eine menschenwürdige Politik im Umgang mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken ein. Dabei trat sie auch als Mitautorin des Sachbuchs "Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen" auf.
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1991 wird die "Rote Schleife" von der New Yorker Künstlergruppe Visual AIDS geschaffen. Bis heute ist sie ein weltweit verstandenes Zeichen für Solidarität mit Betroffenen.
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Bereits 1989 hatte in der Schöneberger Großgörschenstraße das "Café PositHiv" eröffnet - eine sichere Begegnungsstätte für Infizierte, Angehörige und Freunde.
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Inzwischen ist HIV relativ gut behandelbar. Im August 2016 hat die Europäische Kommission unter Auflagen die Zulassung von Medikamenten zur so genannten Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) erteilt. Seitdem dürfen Ärzte gesunden Erwachsenen mit hohem Infektionsrisiko ein Medikament verordnen.
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Das Medikament soll bei Kontakt mit dem HI-Virus eine Vermehrung im Körper verhindern. Unter dem Motto "Ich weiss was ich tu" informiert die Deutsche Aids-Hilfe seit 2016 mit einer großen Kampagne über die PrEP und Behandlungsmöglichkeiten bei bestehender HIV-Infektion.
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Auch der Einsatz gegen Stigmatisierung und Diskriminierung hält an - auch wenn sich Feiern und Demonstrieren inzwischen miteinander verbunden haben, wie ein Wagen der Berliner Aids-Hilfe auf dem Christopher-Street-Day zeigt.