Interview | 2. Staffel Podcast "Springerstiefel" - "Die waren nie wirklich weg"

Sa 10.08.24 | 08:08 Uhr
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Springerstiefel: Don Pablo Mulemba und Hendrik Bolz (Quelle: Moise Youmba)
Audio: Radioeins | 06.08.2024 | Interview mit Don Pablo Mulemba | Bild: Moise Youmba

Partyhits mit Nazi-Sprüchen, rechtsextreme Parolen: Für die zweite Staffel "Springerstiefel" sind die Podcaster Hendrik Bolz und Don Pablo Mulemba auf Spurensuche in Ostdeutschland gegangen. Immer öfter sagen die Menschen dort: Die 90er sind zurück.

rbb: Herr Mulemba, die 90er sind zurück, so lautet der Untertitel der zweiten Staffel "Springerstiefel". Woran machen Sie das fest? Welche Geschichten haben Sie gehört, dass Sie sich an diese Nachwendezeiten im Osten erinnert haben?

Don Pablo Mulemba: Wir haben die Medienberichterstattung der letzten Monate beobachtet. Es gab vermehrt rechtsextreme Übergriffe, Gewaltdelikte. In Grevesmühlen wurde zum Beispiel eine schwarze Familie angegriffen oder dieses Video mit diesen unsäglichen Gesängen auf Sylt. Tatsächlich waren diese Gesänge nicht zum ersten Mal vorgekommen, sondern auf zahlreichen Dorffesten - auch in Ostdeutschland.

Und das ist auch tatsächlich das, was uns von vielen unserer Hörer der ersten Staffel gespiegelt wurde: Sie beobachten auch heute wieder, dass es für Jugendliche cool sei, einen Hitlergruß auf offener Straße zu zeigen und 'Ausländer raus' zu brüllen.

Sie konzentrieren sich auch in dieser Staffel wieder auf den Osten. Warum?

Wir haben uns auf den Osten bezogen, weil sowohl Hendrik [Anm. d. Redaktion: Hendrik Bolz, Host des Podcasts "Springerstiefel"] als auch ich im Osten verwurzelt sind. Hendrik kommt aus Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern, ich aus Eberswalde in Brandenburg. Uns liegt diese Region einfach besonders im Herzen. Es war uns wichtig, eine ostdeutsche Erzählung zu finden, wo zwei Ostdeutsche über den Osten sprechen, mit den Menschen vor Ort. Das ist ja auch oftmals eine Sache, die von vielen Menschen aus dem Osten kritisiert wird, dass tendenziell eher über den Osten gesprochen wird. Wir dachten uns, okay, wir müssen darüber sprechen, weil es wichtig ist. Man kann diese Region nicht den Rechten und Menschenfeinden überlassen.

Die Neonazis aus den 90ern konnten irgendwann das Neonazi-Sein von sich wenden, ihre Springerstiefel an den Nagel hängen und das war es dann. Die Aufklärungsarbeit wurde den Betroffenen überlassen.

Don Pablo Mulemba

Es gibt auch Menschen zum Beispiel in Zittau, die den Rechten die Straßen nicht überlassen wollen, aber die regelrecht Angst haben, auf die Straße zu gehen. Wie ist die vielbeschworene Zivilgesellschaft da aufgestellt?

Es wäre nicht fair gegenüber den Menschen, die sich im Osten gegen Rechts engagieren. Denn es gibt einige davon. Das Problem ist nur, dass die öffentliche Aufmerksamkeit oftmals nur auf den Osten gerichtet wird, wenn es solche Übergriffe gibt, wenn solche Horrorschlagzeilen auftauchen. Danach ist diese Aufmerksamkeit meist weg.

Ich glaube, ganz viele Menschen, die sich im Osten gegen Rechts engagieren, fühlen sich oftmals auch alleine gelassen. Denn es gibt dort viele mutige, tapfere Menschen, die sich tagtäglich gegen Rechts engagieren. Wenn man den Menschen mehr zuhört und auch Unterstützung anbieten würde, dann könnte man dem Problem ordentlich entgegentreten.

Podcast

Sie selbst äußern im Podcast etwas Unbehagen mit dem Untertitel, die 90er sind zurück. Das suggeriert, dass es in den Nullerjahren besser geworden sei. War es das nicht?

Ich bin 1995 geboren. In der ersten Staffel gehen wir in die 90er und in die Nachwendezeit. Ich habe zum ersten Mal mit meinen Eltern gesprochen, wie es ihnen erging. Es gab eine ausufernde Straßengewalt von Rechts und nachdem das Morden im Osten aufgehört hat, hieß es noch lange nicht, dass es den Menschen vor Ort besser ging.

Nur weil man nicht mehr Angst vor Mord und Totschlag haben muss, heißt das noch lange nicht, dass man nicht mehr im Supermarkt bespuckt wird oder dass es irgendwelche Kommentare gibt, dass man auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt benachteiligt wird.

All diese Sachen spielten für viele Menschen noch lange Zeit eine große Rolle und das haben wir auch in der zweiten Staffel herausgefunden.

Liegt vielleicht darin auch das Versagen, dass es nach den gewalttätigen 90ern eben kaum Aufarbeitung gab, dass die Täterinnen und Täter sich einfach unbehelligt in ein bürgerliches Leben zurückgezogen haben und das Ganze weiter vor sich hin gesimmert hat?

Ja, das kann man so sagen, weil das war auch unsere große Erkenntnis aus der ersten Staffel.

Die Neonazis aus den 90ern konnten irgendwann das Neonazi-Sein von sich wenden, ihre Springerstiefel an den Nagel hängen und das war es dann. Die Aufklärungsarbeit wurde den Betroffenen überlassen.

Ich weiß, dass viele von diesen Neonazis an Pegida-Demos teilnehmen oder sich in rechten Netzwerken engagieren. Die waren nie wirklich weg.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Don Pablo Mulemba führte Frauke Oppenberg, Radioeins. Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch ist oben im Audio-Player abrufbar.

Sendung: Radioeins, 06.08.2024, 16:10 Uhr

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107 Kommentare

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  1. 107.

    Na das ist ja wohl ein Widerspruch in sich. Sie geben zumindest zu, dass EINE Wahrheit, basierend auf wissenschaftlichen (OBJEKTIVEN) Fakten existiert, sprechen aber selbigen Ding im gleichen Atemzug die Objektivität ab und retten sich über die subjektive Beliebigkeit wieder in die individuelle Wahrheit, die Beliebigkeit.
    Nur auf dieser Metaebene kann jeder alles behaupten und jeder hätte Recht. Also ganz ehrlich, meine Vorstellung vom inneren Wesen ist immer noch die Erkennbarkeit der objektiven, also auch ohne unsere Existenz, bestehenden Dinge und damit Wahrheiten. Allerdings muss man dann, wenn man sie identifiziert hat, auch zu diesen stehen und sie verteidigen, dass ist meist das Schwierige und Unangenehme an Wahrheiten.

  2. 106.

    Sie allerdings werten aber ganz schön viel, wenn es um Opfer des Rechtsextremismus geht. Kann es sein, dass Sie auf dem rechten Auge blind sind und für Sie diese beiden Ostdeutschen, mit der Wahrheit nicht in Ihre Blase passen? Aber das ist Ihr persönliches Problem und hat mit der Realität nichts gemein. Wer Rechtsextremismus relativiert ist genau wss und wer?

  3. 105.

    Sie allerdings werten aber ganz schön viel, wenn es um Opfer des Rechtsextremismus geht. Kann es sein, dass Sie auf dem rechten Auge blind sind und für Sie diese beiden Ostdeutschen, mit der Wahrheit nicht in Ihre Blase passen? Aber das ist Ihr persönliches Problem und hat mit der Realität nichts gemein. Wer Rechtsextremismus relativiert ist genau wss und wer?

  4. 104.

    Wenn Ihnen die Wahrheit nicht gefällt, warum suchen Sie nicht andere Kanäle, die Ihrer Wahrheit entsprechen. Es ist unerträglich, diese selbstgefälligen und starren Kommentare zu lesen, die immer dann aufflammen, wenn Wahres ausgesprochen wird. Wollen Sie sagen, Sie würden es tatsächlich besser wissen? Alle Opfer sind gar keine Opfer, weil es Ihnen nicht in den Kram passt?

  5. 103.

    "Sie wollen doch die NDPD nicht als rechtsextreme Partei charakterisieren. " Gegründet wurde die NDPD vorallem, um die Konkurrenz zur SED breiter zu machen (oder zu zersplittern), da die ersten Wahlen in der SBZ nicht so berauschend waren für die SED. Aber die NDPD war auch ein Auffangbecken für ehemalige NSDAP-Mitglieder gedacht, damit diese eingebunden werden konnten in den neuen Staat. Das wurde ja auch bei der NVA so gemacht - sollten Sie gdient haben (vielleicht sogar drei Jahre, weil Sie studieren wollten), dann kennen Sie ja den preußischen Ton bei der NVA, der nach älteren Jahrgängen sehr an die Wehrmacht erinnerte - denken Sie auch daran, daß Feldmarschall Paulus in der DDR lebte als Nachbar vom Bastler vom Weißen Hirsch.

  6. 102.

    Oha, ist das ernst gemein - "Oder ist es besser, dass ich mich einer Einheitsmeinung beugen soll?"
    "Einheitsmeinung" soll was bedeuten?
    Das in den Kommentaren hier, das was die Wahlprognosen hergeben, das was am Stammtisch gesagt wird, das was die Generation "Z" bewegt?

  7. 101.

    Es gibt eine wissenschaftliche Wahrheit, die auf nachgewiesenen Fakten beruht. Aber es gibt keine objektive Wahrheit, da Wahrnehmung immer subjektiv ist.

  8. 100.

    Sie wollen doch die NDPD nicht als rechtsextreme Partei charakterisieren.
    Die DDR war halt nicht das wofür sie heute, dank Propaganda ,gehalten wird. Es gab ein Meinungsspektrum in dem auch bürgerliche Ansichten geäußert werden konnten, solange man die führende Partei nicht in Frage stellte.
    Stand ja dann auch in der Verfassung, immerhin in einer Volksabstimmung bestätigt, was sich der Westen nie getraut hat.

  9. 99.

    Ihre Erfahrungen sind nicht die alleinige Wahrheit. Als Kind und Jugendliche war nicht nur ich der Überzeugung, dass wir die Guten sind. Entsprechend schockiert war ich dann, als ich mich das erste Mal mit Altnazis konfrontiert sah.

  10. 98.

    Bei 12 Landkreisen im Schwarzwald, die 4 Stadtkreise nicht berücksichtigt, müssen Sie wohl im attraktivsten davon (Arbeitsplätze, Wohnsituation etc.), wenn nicht gar dem attraktivsten in BW gearbeitet haben. Sonst wären „tausende DDR-Bürger“ sicherlich nicht „dort hin gekommen“.
    Für 1990 gibt das statistische Landesamt BW insgesamt einen Zuzug von etwa 49000 Bürgern aus der ehemaligen DDR in die 36 Landkreise und 9 Stadtkreise in BW an.
    Üble Zeiten kommen wohl wieder, bei einem solch ganz üblen Kommentar wird mir mehr als ganz übel.




  11. 97.

    Haben Sie schon vergessen, daß es in der DDR auch die NDPD gab? Warum gab es die wohl? Das war doch wohl jedem DDR-Bürger vollkommen klar. Es waren zwar Blockparteien, aber die DDR bestand halt nicht nur aus SED.

  12. 96.

    Also glücklicherweise leben wir weder in der Welt der Quanten noch bewusst im Multiversum.
    Also um das Ding mal gerade zu rücken.
    Es existiert nur eine objektive Wahrheit. Nur die zu erkennen, fällt uns, aufgrund vielschichtiger Befindlichkeiten, unterschiedlichen Informationsständen und geistigen Ausprägungen, unterschiedlich schwer.
    Deswegen haben wir „gelernt“, im Sinne des friedlichen Miteinanders, lieber darüber demokratisch zu debattieren.
    Aber mit der Existenz der Wahrheit hat das alles herzlich wenig zu tun.

  13. 95.

    "Wenn man Vater mir vom 2. Weltkrieg berichtete, war ich nicht Zeitzeuge des Krieges, aber Zeitzeuge dessen, was der Krieg aus Menschen gemacht hat." Dito. Aber ich würde mir nie deshalb eine Meinung dazu erlauben oder versuchen es zu werten, da ich mich nicht wirklich in die Vorgeschichte versetzen kann, die ich halt nicht selber erlebt habe.

  14. 94.

    Seinerzeit hat man die Augen vor neonazistischen Auswüchsen verschlossen, denn wir waren doch die guten Deutschen und die bösen Bonner Ultras saßen im Westen.

    Da ist was dran. Auch in der SED gab es viele Kleinbürger und Karriereristen. Aber sie dürfen auch nicht vergessen, dass man immer von den noch nicht überwundenen Wurzeln im alten System
    sprach. Die strafrechtlichen Rahmen waren jedenfalls klarer gezogen als im Westen und wurden auch durchgesetzt.
    Skinheads beispielsweise (eindeutig aus dem Westen herübergeschwappt) konnte man aber nicht wegen des Tragens bestimmter Kleidungsstücke verbieten. Die Gründung offizieller Vereine war aber, im Gegensatz zum Westen, definitiv unmöglich!

  15. 93.

    Die beiden leben jetzt zur gleichen Zeit, wie ein Teil der Menschen die (schon) in den 90er aktiv waren. Sie können immer noch sehen und erleben wie diese jetzt agieren und gleichen das mit den Erfahrungen anderer Menschen von damals ab. Sie sind also Zeitzeuge einer Entwicklung.
    Wenn man Vater mir vom 2. Weltkrieg berichtete, war ich nicht Zeitzeuge des Krieges, aber Zeitzeuge dessen, was der Krieg aus Menschen gemacht hat.

  16. 92.

    "Sie können also nur für sich sprechen " Das ist richtig. Aber nach Sichtung der Kommentare, sehen das wohl viele so, die wirklich in der Zeit gelebt haben. Die beiden Künstler tragen dagegen nur Geschichten von Dritten weiter und das auch noch sehr selektiv ausgewählt.

  17. 91.

    Das ist der einzige "Vorteil" heute, sie können das Siechtum dieses
    Landes noch mal verlängern, indem sie den wahren Verantwortlich en für das Erstarken alternativer Parteien weiter die Macht in die Hände legen. Also mir haben da die letzten Jahrzehnte gereicht.

  18. 90.

    Mal sehen, ob der rbb es jetzt zuläßt.
    Bei: "In Grevesmühlen wurde zum Beispiel eine schwarze Familie angegriffen" sehen Sie doch schon die zweifelhafte Argumention dieser beiden Künstler, da es ja nicht so war, wie sie hier im Interview darstellen und das aber bald auch bekannt wurde, nach der ersten Aufregung in den Medien. Warum also verwenden sie dieses eher schlechte Beispiel dann immer noch. Das kann man nur als Polemik verstehen von den Künstlern.

  19. 89.

    "Kurzform: zu polemisch, zu pauschalisierend, zu einseitige Informationsquellen (oder nur selektiv zugehört) da Null eigene Erfahrung aus der Zeit, nur begrenzt Übereinstimmung mit meiner Lebenswirklichkeit aus dieser Zeit."

    Das Problem dabei ist aber: Es gibt nicht nur Ihre Lebenswirklichkeit, sondern die von ganz vielen anderen auch noch. Sie können also nur für sich sprechen

  20. 88.

    Deine eigene Erfahrung/Meinung ist nicht allgemeingültig und steht nicht über den Erfahrungen/Meinungen anderer. Du kannst unrecht haben, auch Du!

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