Interview | Enkelin NS-Widerstandskämpfer - 20. Juli 1944: "Er ist für das eingetreten, was er für richtig hielt"
Fabian von Schlabrendorff ist einer der wenigen Widerständler des 20. Juli 1944, der den Naziterror überlebte. Seine Enkelin berichtet im Interview von weiteren gescheiterten Attentatsversuchen - und vom Wirken ihres Großvaters bis zu seinem Tod.
Nur wenige der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 kamen mit dem Leben davon. Einer von ihnen war Fabian von Schlabrendorff. Im rbb-Gespräch erzählt seine Enkelin Annette von Schlabrendorff von seinem lebenslangen Einsatz für die Nachfahren der Widerstandskämpfer.
rbb: Frau von Schlabrendorff, Ihr Großvater Fabian von Schlabrendorff war in die Umsturzpläne des 20. Juli eingeweiht. Was war er für ein Mensch?
Annette von Schlabrendorff: Es heißt, dass mein Großvater ein sehr streitbarer Charakter war. Viele haben ihn als unangenehm empfunden, er hat gern geschwiegen und zugehört - und dann oft sehr spöttische, ironische Antworten gegeben. Er war sehr belesen, sehr politisch, historisch interessiert und eher unbequem in dem Sinne, dass er nicht die Mehrheitsmeinung vertreten hat.
Welche Rolle spielte er beim gescheiterten Attentat vom 20. Juli?
Er hatte eine vermittelnde Rolle, er war wie das Telefon, das Nachrichten überbringt und er hat darauf geachtet, dass die Informationen nicht den Falschen in die Hände fallen. Er hat verschiedene Widerstandskreise miteinander vernetzt und dafür gesorgt, dass man den Zeitpunkt für das Attentat findet.
Es gibt auch Kritik an den Widerständlern des 20. Juli 1944: Der Widerstand sei zu spät gekommen, die Offiziere seien lange selbst Profiteure des Nazi-Regimes gewesen. Wie blicken Sie darauf?
Die Kritik, dass der 20. Juli zu spät kam, kommt oft zur Sprache. Die Menschen, die das sagen, sind sich aber nicht bewusst, was es davor schon für Versuche gab. Wir sprechen von einer Zeitspanne, die 1938 - wenn nicht früher - beginnt. Wenn man dann auch noch überlegt, dass die Aktion, die man plant, wirkungsvoll sein soll, muss man in Betracht ziehen, dass das deutsche Volk wahrscheinlich jahrelang nicht dazu bereit gewesen wäre. Das wäre eine Art von Aufstand gewesen, dem sich vielleicht niemand angeschlossen hätte. Zum Zweiten fällt es wahrscheinlich schwer, einem Regime, das so vernetzt und so totalitär aufgestellt ist, wirklich in die Speichen zu greifen, wenn man nicht Teil dieses Systems ist.
Ihr Großvater verübte schon 1943 einen Versuch, Hitler umzubringen. Was wissen Sie darüber?
Die Widerstandsgruppe um Henning von Tresckow in der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront ist nach langem Hin und Her zu dem Schluss gekommen, dass es am meisten Sinn ergibt, ein Sprengstoffattentat in der Luft zu wagen. Hitler war in dieser Zeit schon viel in seinem Hauptquartier eingeschlossen und bekam gar nichts von der Hauptfront mit. Sie wollten Hitler dazu motivieren, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen - als Vorwand. Sie haben ihn öfter eingeladen und irgendwann hat er tatsächlich zugesagt. Sie haben dann einen Offizier beim Mittagessen gefragt, ob er etwas für sie transportieren könne. Sie sagten, es handle sich um Cognacflaschen, die als Wettschulden am Zielort des Fluges einzulösen seien. Dabei handelte es sich aber um zwei Sprengstoffkörper.
Sie haben den Zünder auf 30 Minuten eingestellt. Als das Flugzeug abgeflogen war, saßen sie vor ihren Funkgeräten. Die halbe Stunde verging und sie haben nichts gehört. Zwei Stunden später hieß es, das Flugzeug sei sicher gelandet.
Was war passiert?
Im Nachhinein haben sie es sich so erklärt, dass es englischer Sprengstoff war, der auf die europäischen Wetterverhältnisse ausgerichtet war und nicht auf die russische Kälte. Vielleicht war es dann so, dass es im Bauch des Flugzeuges gefroren ist.
Mein Großvater ist dann mit dem nächsten Kurierflugzeug hingeflogen, um das Paket mit dem Sprengstoff gegen echte Cognacflaschen auszutauschen. Er hatte Glück, dass er nicht für den Umsturzversuch detektiert wurde.
Ihr Großvater war verheiratet. Was wissen Sie über die Rolle Ihrer Großmutter Luitgarde von Schlabrendorff im Widerstand?
Lange habe ich gedacht, dass meine Großmutter nichts wusste und dass sie die Hausfrau im Hintergrund war. Ich habe aber rausbekommen, dass sie beteiligter war, als ich das dachte. Mein Großvater hat Ende der 1930er Jahre eine vermeintliche Hochzeitsreise genutzt, um mit England Kontakt aufzunehmen, um die Alliierten zu einem konsequenteren Durchgreifen gegen das Regime zu bringen. Sie waren dann unter anderem bei Churchill.
An diesen Kontakt ist er wohl vor allen Dingen durch meine Großmutter gekommen, sie war eine geborene von Bismarck. Churchill hat sich wohl sehr für die Familiengeschichte der Bismarcks interessiert und bei diesem Gespräch ist wohl das Eis gebrochen. Und erst dann ging's um die wirklich wichtigen Dinge in dieser Zeit. Dadurch, dass sie da überall involviert war und auch daneben saß bei dem Gespräch muss sie doch sehr viel mehr gewusst haben, als in der Familie transportiert wurde.
Ihr Großvater war einer der wenigen sogenannten Verschwörer des 20. Juli, der die NS-Justiz überlebte. Wie hat er die Jahre nach dem Krieg verbracht?
Er hat gemeinsam mit anderen das Hilfswerk 20. Juli gegründet, der Nachfolger ist die Stiftung 20. Juli. Aber es war tatsächlich als Hilfswerk gegründet, denn die Witwen haben unter großer Geldknappheit gelitten.
Die Witwe von Roland Freisler (Anmerkung der Redaktion: Strafrichter im nationalsozialistischen Deutschland) hat lange vom deutschen Staat eine gute Witwenpension bekommen, während die Frauen der Widerständler ihren Anspruch auf Witwenrente ganz hart juristisch erstreiten mussten. Das hat mein Großvater auch getan, er ist für sie eingetreten.
Warum war ihm das wichtig?
Mein Großvater hat sich stark verpflichtet gefühlt, für die Witwen und Kinder seiner Freunde zu sorgen. Wenn man sich vorstellt, dass man etwas Konspiratives in diesem Ausmaß plant, dann sind das natürlich enorm enge und tiefe Freundschaften.
Vielleicht hat ihm das ermöglicht, den Menschen wieder nahe zu sein. Und er wollte natürlich auch zeigen, dass das, wofür sie gekämpft haben, gut und richtig war.
Bewundern Sie Ihren Großvater?
Ich bewundere ihn absolut für seinen kritischen Charakter. Dass er sich nicht darum geschert hat, was andere von ihm denken. Das zeigt die Stärke seiner Persönlichkeit: Er ist für das eingetreten, was er für richtig hielt, und hat sich nicht durch andere beeinflussen lassen. Und ich denke, das ist etwas, das heute auch sehr viele Leute bräuchten - auch ich habe diese Stärke nicht. Aber deswegen bewundere ich ihn total.
Frau von Schlabrendorff, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Marie Röder, Radio3
Sendung: Abendschau, 20.07.2024, 19:30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 21.07.2024 um 11:24 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.