#Wiegehtesuns? | Arbeitnehmerin in Teilzeit - "Ich suche mir die Jobs aus, auf die ich gerade Lust habe"

Di 29.08.23 | 06:05 Uhr
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Heike Senger (Quelle: privat)
Bild: privat

24 Jahre im selben Job sind eine lange Zeit. Das dachte sich die Berlinerin Heike Senger. Erst ging sie auf Weltreise, inzwischen hat die Chemielaborantin in Teilzeit gewechselt. Nun jobt sie und macht eine Ausbildung zur Sterbebegleiterin. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Heike Senger (49) lebt in Berlin-Westend, ist Chemielaborantin und arbeitet seit 24 Jahren im selben Unternehmen. Seit 2022 allerdings in Teilzeit. Um noch andere Dinge machen zu können, auf die sie Lust hat.

Ich bin immer offen für neues und sehr spontan. Im Moment geht es mir großartig. Ich bin vor anderthalb Jahren in die Teilzeit – von acht auf fünf Stunden täglich - gegangen. Erst einmal befristet für zwei Jahre, um zu schauen, wie ich finanziell klarkomme. Inzwischen weiß ich, dass mir das gut gelingt. Ich arbeite aber auch noch nebenbei. Doch bei den Jobs, die ich da mache, geht es mir nicht um den Stundenlohn. Sie sorgen eher dafür, dass ich wieder motiviert bin, Spaß daran habe und möglichst viele neue Dinge kennenlerne. Ich finde diese Jobs über ein Portal, wo man sich über eine App Tätigkeiten suchen kann. Das ist mal die Supermarktkasse, mal was im Einzelhandel oder auch ein Job im Servicebereich. Da gibt es eine große Bandbreite. Dabei verdiene ich zwar nicht wahnsinnig viel, auch wegen der Steuern.

Aber ich hatte mir mit der Teilzeit ja auf die Fahne geschrieben, dass es nicht am Geld hängen soll. Ich habe mich ja für weniger entschieden. Ein bisschen auch für härter arbeiten für weniger Geld. Ich habe da auch schon Jobs gehabt, wo ich acht Stunden Currywürste gedreht habe. Ein bisschen verliebt habe ich mich in den Job bei einem Open-Air-Veranstalter. Da habe ich auch gerade einen Minijob angenommen. Dort bereite ich Getränke zu und zapfe Bier. Und dann gibt’s noch ein Geschäft im Einzelhandel, da verkaufe ich Kleidung, wo mich die Arbeit sehr glücklich macht.

Aber das ist nicht alles, was ich mache. Ich habe vor 22 Jahren meine Mutter verloren. Dadurch war ich mit dem Tod und dem ganzen Prozess drumherum schon vertraut. Vor zwölf Jahren kam über Umwege schon einmal das Thema Kinderhospiz zu mir. Da habe ich schonmal drüber nachgedacht, mich da zu engagieren. Ich habe das aber zu dem Zeitpunkt noch einmal beiseitegeschoben.

Aber da ich jetzt mit der Teilzeit etwas mehr Zeit habe, habe ich das in Angriff genommen. Mir war nie klar, ob ich das kann oder nicht – und das finde ich ja nur heraus, indem ich es ausprobiere. Ich mache seit März eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin bei der Caritas. Das hat mich vom ersten Tag an total abgeholt. Wir sind da zwölf Persönlichkeiten, die sich ein Mal in der Woche treffen, und jeder hat ja seine Gründe, warum er oder sie das macht. Ich muss sagen, dass diese ehrenamtliche Tätigkeit auch Persönlichkeitsentwicklung ist. Denn ich muss ja auch immer schauen, wie es mir geht. In diesem Zuge habe ich auch alles für mich selbst geklärt. Also wie ich gehen möchte. Jetzt merke ich, dass ich gut im Jetzt leben kann.

Ich begleite eine ältere Dame, die im Sterben liegt. Da bin ich sehr präsent, wenn ich da bin. Wenn ich bei ihr war, nehme ich mir für den restlichen Tag oder Abend auch nichts mehr vor. Da brauche ich Ruhe.

Bei den Jobs, die ich nebenbei mache, geht es mir nicht um den Stundenlohn. Sie sorgen eher dafür, dass ich wieder motiviert bin, Spaß daran habe und möglichst viele neue Dinge kennenlerne

Heike Senger

Ich muss sagen, dass ich mein Leben Schritt für Schritt verändert habe. 2017 habe ich mir Urlaub genommen und bin um die Welt geflogen. Als ich wiederkam, habe ich ein Ein-Jahres-Sabbatical – neun Monate voll arbeiten und drei Monate frei haben – gemacht. Da war ich monatelang in Afrika unterwegs. Als ich wiederkam, kam Corona.

Und um dann wieder neuen Input zu bekommen und auch im Job weiter Motivation zu haben, kam mir die Idee mit der Teilzeit. So bin ich jetzt wirklich glücklich. Ich arbeite von 6 bis 11 Uhr, dann mache ich manchmal Yoga, ein bis zwei Mal gehe ich zusätzlich arbeiten – aber da suche ich mir die Jobs aus, auf die ich gerade Lust habe. Hinzu kommt das Ehrenamt.

Ich habe die Teilzeit jetzt um weitere zwei Jahre verlängert. Wenn ich fertig bin mit der Sterbebegleitungs-Ausbildung würde ich das erst einmal gern machen und sehen, was es mit mir macht. Vielleicht mache ich dann auch noch eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Aber da werde ich meinen Weg schon finden. Auf den Bundesfreiwilligendienst hätte ich auch noch Mal Lust. Da müsste aber auch mein Arbeitgeber wieder mitspielen. Der hat es mit mir ja ohnehin nicht ganz leicht, mit den vielen Wünschen, die ich habe.

Gesprächsprotokoll: Sabine Priess

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.08.2023, 9:40 Uhr

53 Kommentare

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  1. 53.

    An Schauli, "was wäre, wenn Alle das in Deutschland ihr nachtun. ,"
    Das wäre ganz klar großartig: 24 Jahre eine qualifizierte Tätigkeit und sich dann ehrenamtlich engagieren und in Teilzeit bleiben, es ginge unserem Land deutlich besser. Trauerbegleitung ist übrigens eine ehrenvolle und dringend benötigte Tätigkeit in diesem Land. Der Bedarf daran ist seit Corona enorm und viele Menschen sind lange auf Wartelisten um in Trauergruppen zu gelangen. Von wegen soziale Hängematte..

  2. 52.

    Ja ganz genau. Ich verstehe die Bemerkungen des Herrn Driver auch nicht. Vor allem macht er sich Gedanken über ungelegte Eier.

    Ansonsten, ein schöner Bericht über eine Dame die einfach das macht woran sie Spass hat - Respekt. Auch deswegen, weil ich das so gut Nachvollziehen kann und es ebenfalls so mache - und das kurz vor der Rente.

  3. 51.

    Caritas ist ein Wesen der Kirche, sie bildet ehrenamtliche Sterbebegleiter aus. Interessant wäre schon zu wissen, welche Konfession Frau Senger besitzt. Als gläubige Sterbebegleiter würde es schwierig werden, Konfessionslose zu begleiten, die evtl. nicht selbst den Begleiter aussuchen konnten, sondern ausgesucht wurde vom Staat, wenn keine Angehörige vorhanden sind. Bei den Pflegestufen ist es egal bei Caritas, wer einer Pflege benötigt.

  4. 50.

    „Der hat es mit mir ja ohnehin nicht ganz leicht, mit den vielen Wünschen, die ich habe.“
    Diese Aussage von Frau Senger klingt reflektiert. Warum sollte sich diese Selbstreflexion einzig auf ihre Anstellung beschränken? Sie wird sich bestimmt Überlegungen über ihre finanziellen Möglichkeiten im „Alter“ und eigene Ansprüche daran gemacht haben. Wie diese finanzierbar sind. Übrigens. 24 Jahre im gleichen Job sind gleichbedeutend mit „langjähriger Arbeit“. Alle weiteren Aussagen Ihrerseits (toberg) empfinde ich als absolut anmaßend.
    Noch was. Mein Arbeitgeber unterstützt solche Teilzeitregelungen sehr gerne und aufmerksam. Trägt nämlich feststellbar zur Motivation bei und bindet Fachkräfte.
    Alles Gute, Frau Senger.


  5. 48.

    Ich wollte eigentlich nicht näher darauf eingehen, aber Ihre Frage ist berechtigt. Um Afrika- Kinder dort im Busch eine Schulbildung zu ermöglichen, dazu bedarf es bei bestimmten Projekten ein längerer Aufenthalt. Team- Projekte müssen dort abwechselnd überwacht werden zum guten Gelingen. Das bedeutet im Schweiße des Angesichtes, kein Hotel, lebe dort im Busch. Selbstständig zu sein mit vielen Überstunden ermöglichen eine Auszeit von/ bis 12 Wochen. Ich habe mir diese Lust zum Helfen ausgesucht, was nachhaltig viele Menschen auch tun. Dazu muss man kein Promi sein. Dem DE- Staat gehen damit meine Steuerabgaben nicht verloren. Ich klatsche somit drei Fliegen. Im Winter brauche ich keine teure Heizung, bin hier weg, lebe dort billig und kann helfen mit guten Gewissen - anonym!

  6. 47.

    Meine ursprüngliche Einlassung zur Beitragsbemessungsgrenze war ja auch nur, dass Teilzeit nicht zwingend zu einer geringeren Rente führen muss. Dass dies auf einen Großteil der Beitragszahler nicht zutrifft, ist ja unbestritten. Es muss ja auch nicht zutreffen und solange die trotz Teilzeit zu erwartende Rente trotzdem oberhalb der Mindestrente liegt, entsteht der Gesellschaft daraus auch kein Nachteil. Es ist dann eine legitime persönliche Entscheidung auf eine Beschneidung der künftigen finanziellen Ressourcen zu Gunsten der Work-Live-Balance.

  7. 46.

    "Aufgrund der näheren Thematik decken die Leitsätze logischerweise nicht das hier diskutierte Feld ab." Muss es ja auch gar nicht. Es beschreibt aber schon mal sehr gut die Grundauffassung des BVerfG und seine hohe Bemessung des Gleichheitsgrundsatzes. Eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und damit höhere Beiträge (nicht Steuern, das ist ein anderes Thema) ohne gleichzeitige Anpassung des Rentenanspruchs wäre ein klarer Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine Bevorzugung bei den Rentenpunkten aufgrund Kindererziehung verstößt dagegen gegen den Grundsatz nicht, weil hier eine gesellschaftliche Aufgabe "vergütet" wird. Ist doch gar nicht so schwer zu verstehen.

  8. 45.

    Ich arbeite zur Zeit 16h die Woche und zahle trotzdem noch den Höchstsatz in die Rentenkasse ein. Kommt halt drauf an was man in der Teilzeit macht.

  9. 43.

    Ganz genau! Glück hat ziemlich viele Farben! Einseitiges Sicherheitsdenken macht nicht glücklich ,ich erkenne das total an, was die Frau macht; sich selbst- Wünsche, Träume, SINNHAFTIGKEIT hinterfragen und Handeln...

  10. 42.

    >"Der hat es mit mir ja ohnehin nicht ganz leicht, mit den vielen Wünschen, die ich habe."
    Bei aller Spezialkräfteknappheit... Irgendwann ist beim AG dann aber auch mal Schluss, wenn sich die Arbeitskraft vor lauter ich will mal das probieren und das probieren... nicht mehr rechnet. Immer nur zubuttern mit einem Minus vor dem Lohnkonto des Arbeitnehmers macht kein AG auf Dauer mit.
    Es stellt sich bei solchen Lebensschilderungen für mich auch immer die Frage, wann die Leuts denn mal ihren Lebensmittelpunkt mit langjähriger Arbeit, Bekanntenkreis, evtl. ehrenamtlichen Tätigkeiten und langjähriger Wohnanschrift finden wollen. Man bleibt nicht immer jung und flexibel. Dann kommt der Knall, dass man mit 60 zu alt für den Arbeitsmarkt ist und so richtig für ein normales Einkommen ohne Aufstockung reichts dann auch nicht. Aber Hauptsache, die Leuts hatten ihren Spaß und ihre Selbstverwirklichung und andere dürfen deren Auskommen finanzieren.

  11. 41.

    Und Sie wissen genau, wie viel Rentenpunkte sie bereits erworben hat? Diese Frau arbeitet!!! Sie bezieht nicht, seit sie die Schule verlassen hat, Sozialleistungen. Sie ist fest angestellt und sie hat einen qualifizierten Beruf mit entsprechendem Gehalt.

  12. 40.

    Die Renteninfo kommt schon jetzt alle 2 Jahre, da kann es kaum Überraschungen geben.

    Die Dame macht alles richtig, das ist erst seit dem Fachkräftemangel möglich, ihr Arbeitgeber braucht sie unbdingt, ansonsten könnte er ja sagen "Verwirkliche Dich gern selbst mit Deinen Extrawünschen, aber nicht mehr bei mir."

  13. 39.

    Sehr unwahrscheinlich, dass die Frau als Chemielaborantin bei 30h + gelegentliche Nebenjobs 7.300 Euro brutto monatlich überschreitet.

  14. 38.

    "Diese Frau arbeitet, und zwar ziemlich viel."

    Na ja, eher nicht. Sonst ergäbe der Artikel doch überhaupt keinen Sinn. ;-) Wenn die Schatulle leer ist geht die Frau jobben, ansonsten 30h. Mit 30h + 450er kommen keine Rentenpunkte zusammen, die Abrechnung kommt mit dem Rentenbescheid. Müssen sie nicht glauben. ;-)

  15. 37.

    17 mal für 3 Monate in Afrika. Um Familien zu helfen. Klingt gut. Aber wie ist das möglich wenn man Vollzeit arbeitet?
    Weswegen sollte das besser sein als die Frau im Bericht mit Teilzeit.
    Sehr merkwürdige Ansicht.
    Ich fand den Bericht über Teilzeit und Sterbebegleitung sehr interessant und inspirierend.

  16. 36.

    „ Soll jeder so leben wie er möchte, aber später bitte nicht auf die niedrige oder nicht vorhandene Rente schimpfen.“
    Da stimme ich Ihnen zu. Jeder kann sich nur leisten, was er sich leisten kann!

  17. 35.

    Immerhin, ein themennaher Link im Sinne der Diskussion eines Themas aus der Sozialversicherung. Aufgrund der näheren Thematik decken die Leitsätze logischerweise nicht das hier diskutierte Feld ab. Können doch dann wohl auch nicht umfassende und abschließende Maßgabe sein oder?

  18. 34.

    Wie viel Neid und Missgunst hier doch in vielen Kommentaren mitschwingen! Kennen Sie alle die Frau persönlich, dass Sie so genau wissen, dass Sie sich jetzt ein Luxusleben gönnt, um sich später das Alter von Ihnen finanzieren zu lassen? Auf mich macht sie eher den Eindruck, als hätte sie alles gut überlegt und durchgerechnet. Diese Frau arbeitet, und zwar ziemlich viel. Sie ist bereit, immer wieder neu zu lernen. Was ist dabei, wenn jemand nach einem Job sucht, der ihn erfüllt und glücklich macht? Menschen, die mit ihrer Arbeit glücklich sind, arbeiten oft weit über den Renteneintritt hinaus. Was ist daran egoistisch oder verursacht einen Schaden für die Gesellschaft. Ich selbst hatte einen erfüllenden Beruf, konnte ihn aber nicht so ausüben, wie ich es gern getan hätte, da ich eine Familie ernähren und daher auf das Geld achten musste. Als Rentnerin kann ich ihn nun wieder so ausüben, wie ich es mag. Und das erfüllt mich mehr, als ein volles Konto es getan hätte.

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