#Wiegehtesuns | Flüchtlingshelfer - "Es darf nicht sein, dass wir von öffentlicher Seite ständig so gefrustet werden"

Fr 28.04.23 | 18:12 Uhr
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Rainer Steußloff (l.) und Karl-heinz Kohrt stehen vor dem Übergangswohnheim für Geflüchtete in Schönwalde-Glien. (Quelle: rbb/Amelie Ernst)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 28.04.2023 | Michael Schon | Bild: rbb/Amelie Ernst

Viele Menschen in Deutschland engagieren sich, um Geflüchteten zu helfen. Auch Rainer Steußloff und Karl-Heinz Kohrt aus Schönwalde-Glien sind seit Jahren aktiv. Doch die Freiwilligen fühlen sich von der Verwaltung allein gelassen. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Rainer Steußloff und Karl-Heinz Kohrt sind seit sieben Jahren in Schönwalde-Glien in der Flüchtlingshilfe aktiv. In dieser Zeit haben sie und die Initiative "Neue Nachbarn" viel mit aufgebaut - Kleiderkammer, Kinderspielgruppe, Fahrradwerkstatt, ein Imkerei-Projekt, Musikgruppen, Selbstbehauptungsworkshops und Deutsch-Kurse. Doch was mal als 100-Leute Projekt begann, hat inzwischen nur noch 20 aktive Mitstreiter. Die Freiwilligen fühlen sich von der Verwaltung allein gelassen, müssen oft vor der Bürokratie kapitulieren. Angesichts der erwarteten Flüchtlingszahlen in diesem Jahr haben sie im März einen offenen Brief an die Mitglieder des Landtags und des Kreistags Havelland geschrieben.

Rainer Steußloff: Wir hatten in den letzten Monaten mehrere Gespräche mit der Verwaltung – vom Kreis aus oder auch in der Gemeinde, mit den Sozialdezernenten. Überall sind wir eigentlich gegen eine Mauer gestoßen. Denn von den avisierten 1.600 bis 2.000 Flüchtlingen, die in diesem Jahr noch kommen sollen, sollen 160 nach Schönwalde kommen. Aber ohne, dass uns gesagt wurde, wie diese Menschen betreut werden sollen. Wir haben dann gesagt, wir brauchen Sozialarbeiter, bevor die Leute kommen, nicht erst wenn alles voll ist, wie das in den letzten Jahren gewesen ist. Darauf haben wir keine Antwort bekommen. Wir haben gefragt, wie das aussieht mit Deutschkursen. Da wurde uns gesagt: "Wenn ihr Deutschkurse wollt und wir das bezahlen sollen, dann müssen wir bei den Frauenhäusern sparen." Da wurde versucht, uns gegeneinander auszuspielen - was wir so nicht stehen lassen können.

Da haben wir irgendwann gesagt, jetzt ist mal gut - jetzt müssen wir die Politik darauf aufmerksam machen, dass hier dringend Hilfe nötig ist. Jenseits dieser ganze Flüchtlingsgipfel, die sie veranstalten. Da geht es nur um interne Sachen: Wer kriegt was, wer verschiebt wen nach wo. Aber die konkrete Hilfe vor Ort, die wir hier freiwillig machen seit sieben Jahren - die bleibt dabei völlig außen vor.

Karl-Heinz Kohrt: Wenn ich beim Jobcenter mit dabei bin und sehe, wie die Menschen einfach nur von der Bürokratie erschlagen werden – "Hier hast du das Formular, fülle es aus". Das Formular ist auf Deutsch, hier sind aber Afghanen, die kein Deutsch sprechen. Es gibt kaum Übersetzer oder Hilfen. Ich will die Flüchtlinge nicht in unterschiedliche Klassen einteilen, aber als die ukrainischen Flüchtlinge kamen, hatten wir innerhalb von 14 Tagen ukrainische Formulare und Übersetzer in den Jobcentern. Bis heute gibt es keinen afghanischen Übersetzer dort.

Die Kinder werden in der Schule relativ gut integriert, haben Freunde, gehen in den Sportverein. Das funktioniert alles. Wenn sie dann hierherkommen, müssen sie für die Eltern übersetzen, das können sie aber teilweise nicht. Da sind sie natürlich heillos überfordert. Also warum gibt es keinen afghanischen Übersetzer, der in Rathenow sitzt und den man anrufen kann, wenn man ihn braucht?

Rainer Steußloff: In Spandau gäbe es die. Wir haben bei unserem letzten Treffen mit der Verwaltung des Havellandes gefragt, ob wir die Spandauer Übersetzer mitbringen könnten. Und da war die Verwaltung völlig überfordert. Sie wussten es einfach nicht. Wir haben nur gefragt: "Können wir sie mitbringen? Wird das anerkannt, was sie übersetzen?" Das kann ja nicht jeder. Dann hat [man] gesagt: "Ja, vielleicht, ich weiß es nicht." Mit so einer Antwort müssen wir auskommen und das überfordert unsere Freiwilligen.

Viele springen auch nach einer Weile ab, weil sie sagen, ich schaff' das nicht mehr. Wir sind größtenteils Menschen im Rentenalter oder kurz davor. Auch einige Jüngere, die nach ihrer Arbeit mithelfen, aber die Älteren sind irgendwann komplett ausgelaugt und ausgestiegen. Wir waren mal 100 Leute – jetzt sind wir noch 20 Aktive. Für die alltägliche Arbeit wird es ganz schwierig, Leute zu bekommen. Gerade die Corona-Zeit hat gezeigt, wie wir allein gelassen werden. Es gab hier niemanden, der sich um die infizierten Menschen gekümmert hat. Hier war eine ganze Etage abgesperrt, da waren die Infizierten. Das waren 60 Leute. Und wir als Initiative – damals noch ungeimpft – mussten für sie einkaufen. Schutzmaßnahmen wie Plastikscheiben, die haben wir besorgt und eingebaut. Wir haben hier Masken produziert. Vom Land oder Landkreis hat sich niemanden blicken lassen.

Karl-Heinz Kohrt: Es sind zwei Sozialarbeiter hier für fast 300 Menschen. Eigentlich sollte es ein Sozialarbeiter für 80 Bewohner sein. Selbst diese Quote ist schon eine Zumutung.

Rainer Steußloff: Wir haben keinen Einfluss darauf, wer hierherkommt. Die Menschen werden zugewiesen, mal sind es viele Familien, im Moment sind es viele junge Männer. Und diese jungen Männer müssen auch in irgendeiner Form beschäftigt werden. Denn hier stehen auch manchmal tiefergelegte Mercedes in Gold und Silber, die die Leute dann anlocken und ihnen eine "Perspektive" bieten, die wir ihnen eigentlich bieten müssten. Und sich dann zu wundern, dass die in Berlin in irgendeinem Park stehen und Drogen verkaufen … das ist einfach eine Folge davon. Hier gibt es keine Leute, die mit den Menschen Sport machen, es gibt niemanden, der sich wirklich um sie kümmert. Das können wir mit unseren 20 Leuten kaum leisten.

Karl-Heinz Kohrt: Trotzdem machen wir ja weiter. Weil uns die Menschen am Herzen liegen. Und das macht auch Spaß. Gestern die Deutschstunde hat Spaß gemacht, es waren viele Leute da, die interessiert sind. Da blüht man auch auf und das ist der Grund, warum wir das tun: Weil wir nicht nur die Arbeit, sondern auch die Erfolge sehen.

Rainer Steußloff: Die Erfolge haben wir letztes Jahr dokumentiert. Wir haben zehn unterschiedliche Menschen befragt, begleitet, fotografiert – die Ausstellung dazu läuft im Moment im Rathaus in Schönwalde. Wo man einfach sieht, es hat sich gelohnt, sich für die Menschen einzusetzen. Einer hat angefangen zu studieren, einer hat innerhalb eines Jahres die Stufe C in Deutsch geschafft, um an der Uni aufgenommen zu werden und hat nach fünf Jahren seinen Master gemacht.

Karl-Heinz Kohrt: Oder ich gehe ins Krankenhaus und werde begrüßt: "Hallo, ich bin hier jetzt Pfleger." Solche Geschichten gibt es auch.

Rainer Steußloff: Wenn man das dann sieht, kann man sagen "Wow, da haben wir wirklich was geschafft." Aber es muss jemand tun, muss dranbleiben. Da darf es nicht sein, dass man von öffentlicher Seite ständig so gefrustet wird, mit dieser überbordenden Bürokratie.

Gesprächsprotokoll: Amelie Ernst

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 28.04.2023, 19:30 Uhr

7 Kommentare

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  1. 7.

    Folge der unbegrenzten Zuwanderung sind immer mehr "Brennpunktschulen". Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf Privatschulen. Die vier Kinder der Habecks gehen in Flensburg auf die dänische (Privat-)Schule!

    In Deutschland wird das Niveau der Schulen auch aufgrund des Einflusses der Gründen immer schlechter. Nun sind diese Schulen für „grüne“ Kinder also nicht mehr gut genug!.

    Bei den führenden Sozialdemokraten siehts ähnlich aus. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Anteil der Schüler an Privatschulen in den zurückliegenden zehn Jahren auf etwa elf Prozent verdreifacht. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig lässt ihren ältesten Sohn auf eine Privatschule gehen. Offensichtlich hat Schwesig kein grpßes Vertrauen auf die öffentlichen Schulen ihres Bundeslandes.

  2. 6.

    Unkontrollierte Einwanderung ist einfach. Diese für Monate ausgelegten provisorischen Unterkünfte sind menschenverachtend. Das sollte sich Faeser mal anschauen. Von fehlenden Deutschkursen, mangelnder Integration, fehlenden Kita/Schulplätzen, fehlenden Lehrern+Kita-Betreuern da hört man von gesamter Ampel besonders Faeser und den Grünen (Göring Eckhart, Ricarda Lang keine Antwort. Wir haben Platz, das Leben wird bunter, das sind doch keine Lösungen für diese unwürdigen Unterbringungen.

  3. 5.

    Den Frust und vor allem die Überforderung von Helfern in ländlicheren Regionen kann ich gut nachfühlen. Großartig, dass sie trotzdem weitermachen. Es ist ungemein wichtig für die Geflüchteten und nützt nicht nur diesen. Sie stärken die Zivilgesellschaft vor Ort, sie sorgen für Menschlichkeit in ihrem Umfeld, sind Vorbild und leisten damit noch viel mehr, als was sie ohnehin schon Tolles tun. Nicht aufgeben, kann man ihnen nur zurufen.

  4. 4.

    DANKE, dass Sie nicht aufgeben! Wie dankbar wären wir, wenn wir flüchten müssten, wie viele unserer Eltern im 2. Weltkrieg erlebt haben?! Sie retten das was wir brauchen um friedlich miteinander zu leben. Und wir brauchen so dringend junge arbeitende Menschen mit einer Perspektive. Zeigen wir es ihnen!

  5. 3.

    Das ist sehr traurig. Diese hilfsbereiten Menschen sind ehrenamtlich tätig und werden vom Landkreis und der Gemeinde allein gelassen?
    Deutschkurs oder Frauenhaus - beides zusammen geht nicht?
    Liest man den Artikel, hat man den Eindruck, dass staatlicherseits nicht genug für die Geflüchteten getan wird. Das passt zum allgemeinen Lehrermangel. Aber auch zu den unterbesetzten Veterinärbehörden, die für die Kontrolle der Ställe zuständig sind, da war jetzt ein Bericht auf RBB. Polizisten gibt es ja auch zu wenig und Sozialwohnungen. Die Liste kann man fortsetzen.
    Dabei heißt es doch immer, Deutschland sei ein reiches Land.
    Vielleicht bräuchten wir mal eine offene Diskussion über Deutschlands finanzielle Fähigkeiten?
    Und noch eins :
    Wenn die Politik einerseits tönt, man brauche Zuwanderung, andererseits die Geflüchteten nicht mit Sprachunterricht versehen werden, passt das nicht zusammen.

  6. 2.

    Ganz einfach. Den ungebremsten Strom an Flüchtlingen sinnvoll eingrenzen, also nicht jeden aufnehmen. Wer kein Bleiberecht hat, abschieben. Im Endeffekt entlasten wir dadurch auch die Kommunen, Verwaltungen und wir können es einfacher handeln. Und die finanziellen mittel können sinnvoll und zielgerichtet eingesetzt werden.

  7. 1.

    Tolle Arbeit und vielen Dank für das Engagement. Solche Berichte können die Region stärken und in ein positiveres Licht stellen. Schade, dass es von 100 nur noch 20 Aktive sind.

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