Zahlen der AOK zu "Gender Care Gap" - Frauen in Berlin und Brandenburg pflegen Angehörige dreimal häufiger als Männer

Mi 30.11.22 | 06:29 Uhr
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Symbolbild: Eine Frau hilft der Frau im Rollstuhl beim Anziehen (Quelle: dpa/Daniel Ingold)
Audio: rbb 88.8 | 30.11.2022 | Michael Ernst | Bild: dpa/Daniel Ingold

Wer sich zuhause um einen Angehörigen mit einem Pflegegrad kümmert, leistet enorme Arbeit. Zahlen der AOK für Berlin und Brandenburg zeigen, dass diese Arbeit noch immer vor allem Frauen übernehmen.

Die Pflegearbeit bei Angehörigen leisten in Berlin und Brandenburg noch immer hauptsächlich Frauen. Diesen Schluss legt eine Auswertung der AOK Nordost nahe, die rbb|24 vorliegt. Die Krankenkasse hatte als Grundlage die Daten von 19.600 bei ihr versicherten Pflegepersonen untersucht. Das sind Menschen, die mindestens zehn Stunden pro Woche einen Angehörigen mit mindestens Pflegegrad zwei zu Hause pflegen.

Laut der Auswertung liegt der Frauenanteil in Berlin hier bei 72,5 Prozent, in Brandenburg bei 76,5 Prozent. Am deutlichsten ist dieses sogenannte "Gender Care Gap", also die Lücke zwischen den Geschlechtern, in der Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren: Hier sind es in Berlin zu 75,5 Prozent Frauen, die sich als Pflegepersonen um Angehörige mit einem Pflegegrad kümmern, in Brandenburg fast 80 Prozent.

Solche Pflegepersonen erhalten Vorteile in der Rentenversicherung, dürfen im Gegenzug aber höchstens 30 Stunden pro Woche arbeiten. Zu der Frage der Aussagekraft und somit Relevanz der Daten sagte ein Sprecher am Montag, in Berlin seien rund ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner bei der AOK Nordost versichert, in Brandenburg rund ein Viertel.

Den gleichen Rechtsanspruch auf "Familienpflegezeit" - eigentlich

Die Zahl solcher Pflegepersonen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, was zunächst daran liegt, dass es mehr pflegebedürftige Menschen gibt - eine Folge des demografischen Wandels. In Berlin stieg sie laut der Erhebung der AOK zwischen 2017 und 2021 um rund 30 Prozent. Der Anteil der Männer, die ihre Angehörigen pflegten, stieg dabei lediglich um 1,2 Prozentpunkte. In Brandenburg sank er sogar leicht.

Ein wichtiger Grund für die deutliche Lücke zwischen Frauen und Männern ist vor allem das Geld. Zwar haben beide Geschlechter seit 2015 den gleichen Rechtsanspruch auf 24-monatige Arbeitszeitreduzierung für eine sogenannte "Familienpflegezeit". Dieser Anreiz könnte zuerst mal ein weiterer Grund dafür sein, dass die Zahl der Pflegepersonen so stark gestiegen ist. Aber die damit verbundenen Einkommensverluste können Pflegende aktuell nur durch ein zinsloses Darlehen ausgleichen, das sie später in der Regel zurückzahlen müssen.

Weil dieser Einkommensverlust bei Männern im Schnitt größer ausfällt als bei Frauen, entscheiden sich viele Männer gegen die Pflege - auch hier macht sich bemerkbar, dass Frauen in vielen Berufen noch immer weniger verdienen. "Männer können sich die monetären Einbußen einer Arbeitszeitreduzierung oftmals einfach nicht erlauben. Denn durch die Pflegesituation sind eher mehr Mittel nötig, sodass weniger Einkommen die Probleme noch verschärft. Das ist eine echte Gender-Falle, in die Frauen und Männer dabei durch die vorherrschende Arbeitsteilung geraten", sagt Dag Schölper, der Geschäftsführer des Interessensverbandes "Bundesforum Männer".

Ein Indiz: Besonders im Lebensalter zwischen 30 und 49 Jahren, Jahre, die für die weitere berufliche Karriere oft entscheidend sind, klafft das "Gender Care Gap" am breitesten. Was logischerweise berufliche Folgen für Frauen bedeutet, die in diesen Jahren nicht so präsent im Job sein können. Noch immer ist die Regel: Männer übernehmen im Schnitt mehr Erwerbsarbeit, Frauen mehr unbezahlte Pflege-, Haushalts-, Kinderbetreuungsarbeit [diw.de].

Unterschied zwischen Berlin und Brandenburg schwindet mit dem Alter

Die Berliner Versicherten, deren Daten die AOK für ihre Pflegepersonen-Erhebung analysierte, waren im vergangenen Jahr im Schnitt rund 47 Jahre alt, durchschnittlich vier Jahre älter als der Schnitt der Gesamtbevölkerung Berlins. Rund die Hälfte der pflegenden Angehörigen in Berlin ist zwischen 50 und 64 Jahre alt, rund 40 Prozent sind zwischen 30 und 49 Jahre alt. In Brandenburg, wo sich die Krankenkasse die Daten von 21.800 pflegenden Versicherten ansah, lag der Altersschnitt bei 53 Jahren. Hier waren rund zwei Drittel der Pflegepersonen zwischen 50 und 64 Jahre alt.

Beim Anteil der männlichen Pflegepersonen zeigt sich nochmal ein Unterschied zwischen Berlin und Brandenburg: In der Hauptstadt sind besonders jüngere Männer häufiger in der Pflege eines Angehörigen vertreten, bei den 15- bis 29-Jährigen liegt der Anteil in Berlin bei 34,2 Prozent, in Brandenburg bei 23 Prozent. Dieser Unterschied löst sich aber mit zunehmendem Alter auf. Bei den Pflegepersonen über 65 Jahren liegt der Männeranteil in Brandenburg leicht vor dem in Berlin.

Sendung: rbb 88.8, 30.11.2022, 10:00 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    Die Frage ist aber eben auch, wie diese Zahlen überhaupt ermittelt werden. Nur weil die beantragende Pflegende weiblich ist, heißt das noch lange nicht, dass die Pflegearbeit in der Familie nicht aufgeteilt wird. Letztlich ist dies nicht in erster Linie ein Thema für Politik und Gesellschaft sondern eine Absprache innerhalb der Familie. Allein schon aus finanziellen Erwägungen wird zum Beispiel derjenige im Bedarfsfall beruflich zurückstecken, der weniger verdient. Aufgabe der Gesellschaft kann es deshalb ausschließlich sein, Pflege angemessen zu vergüten, denn es ist letztlich auch ein Dienst für die Gesellschaft. Trotzdem erhalten rund um die Uhr Zuhause pflegende Angehörige bei gleichem Pflegegrat nur einen Bruchteil der Vergütung, die ein Pflegedienst erhält, der nach wenigen Minuten Fließband-Pflege wieder weg ist. Kann man ja mal drüber nachdenken...

  2. 16.

    Vielen Dank für Ihren Beitrag.
    Sie beschreiben voller Dankbargeit die eigene Sitution, die früher auch hierzulande selbsverständlich war, und heute in anderen Ländern immer noch selbsverstänlich ist.

    Deutschland hat die Old School des familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens weitgehend hinter sich gelassen und erprobt sich in "modernität".

  3. 15.

    Schade das die Altersgruppe ab 15 bis 29 nicht detaillierter dargestellt wird. Wie viele Jugendliche bis 18 Jahre pflegen ihre Eltern oder Großeltern? Die Young Carers sind doch am stärksten belastet. Und die Dunkelziffer der sich nicht meldenden Young Carers ist wahrscheinlich extrem hoch. Leider ein vergessener Anteil in unserer Gesellschaft!

  4. 14.

    Unnötige Sexualisierung eines wichtigen Themas, wobei Einkommenseinbußen durch Pflegezeit ein altes Lied sind.
    Aber die Politik hat ja scheinbar wichtigeres zu tun.

  5. 13.

    Ich finde es sehr interessant, dass Pflegende nicht mehr als 30 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Wenn ich für meinen Mann 20 Stunden in der Woche Pflegearbeit leiste, bleiben mir also noch 10 Stunden für die Arbeit im Haushalt. Für Erwerbsarbeit bleibt also gar keine Zeit mehr.
    Oder war hier mit den 30 Stunden die Erwerbsarbeit gemeint? Dann könnte man das auch so schreiben.

  6. 12.

    @hennybehm
    Vielleicht ist es auch so, dass die Pflegenden einfach nicht darüber reden. Ich bin bettlägerig seit 2 1/4 Jahren, kann das Bett nicht selbst verlassen. Ich werde von der ganzen Familie betreut, zusätzlich zum Pfleged. Alle wechseln sich ab ohne darüber zu sprechen. Wie ich von Pflegenden gehört habe, ist es vielfach so. Da haben sie keine Zeit, hier noch zu schreiben. Das überlassen sie anderen.Ich bin allen unendlich dankbar und schmunzle nur über Leute, die über den Wehrd.jammern.

  7. 10.

    Laut Statistik liegt der Vorsprung der Männer bei knapp zwei Prozent. Frauen sind da oft nicht sichtbar, weil auch dort die "Führung" häufiger in den Händen der Männer liegt.

  8. 9.

    Sie haben vergessen an Geburten, Kindererziehung und Haushaltsarbeit zu denken. Die wird bis zu 80 Jahre lang zu dreiviertel von Frauen geleistet, die Geburten selbstverständlich zu 100 %. ;-)

    Dann haben Sie auch nicht bedacht, daß die letzten zwanzig Jahre eines langen Lebens nicht mehr die Qualität haben wie die davor liegenden. Ich gehe davon aus, daß eine 80jährige anders lebt als eine 30jährige, meinen Sie nicht auch?
    Übrigens leben Frauen auch deshalb länger, weil sie in Deutschland weniger Raubbau an ihrer Gesundheit üben.

  9. 8.

    Die Geburt eines Kindes ist kein verlorenes Jahr. Weder für Kind, Mutter oder Vater. Es ist ebenso unsäglich, die Geburt eines Kindes in Geld aufzuwiegen.
    Es ist ausschließlich ein verlorenes Jahr für die Gewinnmaximierung der Unternehmen.

  10. 7.

    Unschön zu sehen, wie wenig Menschen das Thema interessiert. Schaut man in die Kommentare zur möglichen Erlaubnis, Fahrräder und motorisierte Zweiräder kostenlos auf Autoparkplätzen abstellen zu dürfen, ist das doch beschämend.

    Vermutlich brauchen die meisten BerlinerInnen keine Hilfe im Alter und die Männer suchen eh' den ganzen Parkplatz?

  11. 6.

    Und Männer verlieren kein wichtiges ganzes Jahr (und mehr) weil sie ein oder mehere Kinder bekommen... so what? Abgesehen davon arbeiten die Männer nach der Geburt eines Kindes auch nicht in Teilzeit, wie es Frauen oft tun (müssen).

  12. 5.

    Das Frauen „noch immer weniger verdienen“ ist verboten. Beispiele?
    Oder liegt es an den ausgesuchten Lebensweg/Berufen? Für Löhne ist die Politik nicht zuständig. Für ungleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit aber schon.

  13. 4.

    Liebe Dagmar,

    Sie haben völlig recht, danke für den Hinweis. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

    Ihre Redaktion

  14. 3.

    Das ist bekannt, dass Frauen mehr pflegen. Wie sieht es beim Ehrenamt aus? Umgedreht?

  15. 2.

    Naja, Frauen leben i.d.R. auch 10 Jahre länger, und haben in Jungen Jahren kein wichtiges ganzes Jahr an den Wehrdienst verloren!

    Damit haben sie mehr Lebenszeit -> wenn man alles Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern aufheben will, muss auch diesem Umstand irgendwie Rechnung getragen werden! - Entweder 11% weniger Lohn, ein späterer Renteneintritt, oder weniger Rentenpunkte - überall das gleiche zu fordern wie Männer, aber dann keinen Wehrdienst leisten, und 10 Jahre länger die Rentenkasse belasten, das ist in der Summe auch nicht gerecht.

    Die Angehörigenpflege gleicht die 11 Jahre unterschied i.d.R. nicht annährend aus!

  16. 1.

    Liebes rbb24-Team, „Pflegestufen“ gibt es schon seit fast sechs Jahren nicht mehr. Kurz in die Materie einlesen, bevor man irgendwas zusammenkloppt, würde vielleicht nicht schaden.

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