Zuviel Fett, Zucker, Salz - Bund will Kinder-Werbung für ungesunde Lebensmittel einschränken
Fast ein Siebtel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig - besonders in den ostdeutschen Flächenländern wie Brandenburg ist der Anteil hoch. Die Bundesregierung will Minderjährige nun besser vor Werbung für Dickmacher schützen.
Die Bundesregierung will Werbung für ungesunde Lebensmittel einschränken, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Was viel Fett, Zucker oder Salz enthält, soll zwar weiter hergestellt und beworben werden dürfen, aber nicht mehr zielgerichtet Kindern angepriesen werden. Er sei kein Gegner von freiwilligen Regelungen, sagte Cem Özdemir (Grüne), der Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, am Montag in Berlin. Aber bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen hätten versagt. "Warum lassen wir es zu, dass Kinder im Schnitt täglich 15 Werbespots für Zuckerbomben, für salzige und fettige Snacks sehen?", fragte Özdemir. Kinder seien besonders empfänglich für Werbung, die sie oft auch nicht als solche erkennen könnten.
In Zukunft sollen zum einen entsprechende Werbespots, die sich besonders an Kinder unter 14 Jahren richten, zwischen 6 und 23 Uhr nicht mehr gezeigt werden. Dazu zählen auch Werbeclips, die in sozialen Netzwerken wie YouTube, Instagram oder TikTok abgespielt werden, beispielsweise von sogenannten Food-Influencern, die dafür von Herstellern bezahlt werden. Zum anderen soll Außenwerbung für vergleichsweise fette, süße oder salzige Kalorienbomben in einem Umkreis von 100 Metern zu beispielsweise Schulen, Kitas oder Schwimmbädern nicht mehr plakatiert werden dürfen.
Laut einer Studie der Universität Hamburg bezieht sich 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, auf die Vermarktung von Lebensmitteln, die viel Fett, Salz und Zucker enthalten. Dass eine Werbung an Kinder gerichtet ist, lässt sich laut Ministerium etwa an Kindern als Darstellern und Produkten mit Farben und Kindermotiven festmachen. Im Fernsehen sind mit der langen Zeitspanne von 6 bis 23 Uhr auch Familienfilme oder Fußballspiele im Abendprogramm eingeschlossen. Vom Verbot umfasst sein sollen Spots für Salziges und Fettiges in der Halbzeit dann auch, wenn sie nicht mit Kinderoptik gestaltet sind.
Corona hat das Problem offensichtlich verschärft
Laut des Bundesministeriums für Ernährung sind 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen in Deutschland übergewichtig, sechs Prozent adipös – also krankhaft übergewichtig. Laut einer RKI-Studie von 2020 essen Kinder doppelt so viel Süßigkeiten wie von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen - und nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen.
Durch Corona scheint sich das Problem noch verschärft zu haben: Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft veröffentlichte eine Untersuchung mit der TU München, nach der jedes sechste Kind seit Beginn der Pandemie dicker geworden, jedes vierte mehr Süßigkeiten gegessen habe. Eine derart drastische Gewichtszunahme habe man zuvor "noch nie gesehen", sagte eine beteiligte Ärztin. Kinder aus sozial schwächeren Familien sind besonders häufig von krankhaftem Übergewicht betroffen. Die Chancen, gesund aufzuwachsen hängen nachweislich auch von Einkommen und Bildung der Eltern ab.
Folgenschwer daran ist: Im Kindes- und Jugendalter legen sich Ess- und Bewegungsgewohnheiten langfristig fest. Später ist es enorm schwer, diese Muster wieder aufzubrechen. Adipöse Menschen haben ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem steht Adipositas in Zusammenhang mit einem guten Dutzend Krebsarten, zum Beispiel Dick- und Enddarmkrebs, sowie als einer der größten Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes. Laut der AOK verursacht Adipositas in Deutschland gesellschaftliche Folgekosten von 63 Milliarden Euro pro Jahr. Beim Anteil übergewichtiger Erwachsener liegen die sogenannten neuen Bundesländer alle auf den vorderen Plätzen. Brandenburg hat den vierthöchsten, Berlin dagegen den zweitniedrigsten Anteil, vor Hamburg.
Überschreiten Produkte die Limits der WHO, dürfen sie nicht beworben werden
Verbraucher- und Medizinverbände dringen schon seit längerem zum Handeln beim Marketing für Kinderprodukte. SPD, FDP und Grüne haben solche Werbebeschränkungen auch grundsätzlich im Koalitionsvertrag vereinbart. Nun legte Özdemir Punkte für einen Gesetzentwurf dazu vor, die zunächst in der Bundesregierung weiter abgestimmt werden sollen - und Tücken dürften dabei noch in einigen Details liegen.
Als Messlatte, ab wann Produkte "zu viel" Salz, Fett und Zucker enthalten, sollen Nährwertprofile der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen, die auf Regulierungen für Kinder zielen. Dabei handelt es sich um Höchstwerte für mehrere Kategorien, die beispielsweise bei Frühstückscerealien wie Müslis nicht mehr als 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm vorsehen. Überschreiten Produkte die empfohlenen Profile, dürfen sie also nicht mehr für Kinder angepriesen werden. Nicht tabu sein soll laut Ministerium Werbung für Milch und normale Obstsäfte.
Krankenkassen und Verbraucherverbände loben, Industrie und Werbung kritisieren
Mehrere Krankenkassen, das Deutsche Kinderhilfswerk, Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, der Verbände und medizinische Fachgesellschaften angehören, sowie der Verbraucherzentrale Bundesverband bezeichneten Özdemirs Ansatz am Montag als "Meilenstein für die Kindergesundheit". Die Verbraucherorganisation Foodwatch hob hervor, Özdemir mache endlich Schluss mit dem lange erfolglosen Prinzip der Freiwilligkeit.
Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft dagegen kritisierte eine "untaugliche Verbotspolitik", die in Kauf nehme, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb auszuschalten. Die Werbewirtschaft profitiert schließlich davon: Tatsächlich gibt die Süßwarenindustrie vergleichsweise viel Geld für Marketing aus. Laut Daten der Marktforschungsfirma Nielsen zahlten Unternehmen in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres 680 Millionen Euro für Süßwarenwerbung, berichtete "Die Zeit". Das war mehr als für Autos und Versicherungen. Der Süßwarenkonzern Ferrero liegt von allen Firmen beim Budget auf Platz zwei hinter dem Waschmittelhersteller Procter & Gamble.
Ungeachtet dieser vergleichsweise hohen Ausgaben argumentierte die Branche bisher gegen Regulierungspläne damit, es sei ja gar nicht bewiesen, welchen Einfluss diese Werbung überhaupt habe. Die Interessenvertretung Lebensmittelverband Deutschland wies Özdemirs Vorwurf am Montag zurück, die Lebensmittelwirtschaft verdiene Geld damit, in dem sie die Gesundheit der Kinder ruiniere. Statt Werbung zu beschränken, solle die Bundesregierung lieber daran arbeiten, Kinder und Jugendliche zu mehr Bewegung zu animieren. Das von der Regierung als Positivbeispiel erwähnte Werbeverbot in Großbritannien habe keinen Effekt gehabt. Dort seien heute nicht weniger Kinder und Jugendliche übergewichtig, als vor dem Beginn der Maßnahmen vor mehr als 15 Jahren, argumentiert der Lobbyverband.
Potsdamer Kinderärzte äußern sich skeptisch
Dass die Datenlage wackelig ist, sagt auch Susanne Wiegand, sie leitet den Bereich Adipositas an der Berliner Charité. Wissenschaftlich belastbare Daten zum Einfluss von Social Media auf das Essverhalten von Kindern gebe es kaum, sagte Wiegand am Montag. Der präventive Ansatz sei aber einer von mehreren Punkten, an denen man ansetzen müsste. Denn die Pandemie habe die Situation noch verschärft. "Die Jugendlichen und Kinder, die kommen, sind eben noch einmal deutlich stärker übergewichtig, als das noch vor zwei, drei Jahren der Fall war. Mit entsprechenden Ko-Morbiditäten, also Begleiterkrankungen, die dazu kommen: Fettstoffwechselstörung, Zuckerkrankheit, hohe Blutdruckwerte - all das kommt dazu", sagt Wiegand. Genauso wichtig sei aber auch die Versorgung von adipösen Kindern: Derzeit kämen auf ein Kind in Behandlung 20 weitere, die nicht in ärztlicher Aufsicht wären.
Zwei Potsdamer Kinderärzte äußerten sich im Gespräch mit dem rbb skeptisch, was die Erfolgsaussichten der Pläne der Regierung angeht. "Man muss einen anderen Ansatz finden. Man muss einfach die Eltern mit ins Boot holen und muss ihnen beibringen, wie sie ihre Kinder ernähren, dass sie sie gesund ernähren, dass sie sie abwechslungsreich ernähren", sagte der Kinderarzt Andreas Knoblauch am Montag.
Auch Knoblauchs Praxiskollege Steven Rohbeck kritisiert eine Einschränkung von Werbung. "Meiner Meinung nach beschäftigen sich dann Eltern noch weniger mit Ernährung, weil sie denken: dann ist ja alles gut. Ich denke, die Regierung sollte eher in Schulen und Vereine investieren, sprich: Aufklärung da betreiben, wo auch Bewegung stattfindet", sagte Rohbeck dem rbb. Kontinuierliche Bewegung sei neben der richtigen Ernährung das Wichtigste überhaupt.
Erstmal muss die Ampel zustimmen
Dass eine Einschränkung von Werbung nur einer von mehreren Bausteinen ist, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen, betonte auch Özdemir am Montag. Komplette Werbeverbote oder eine sogenannte Zuckersteuer, wie es sie bereits seit Jahren in Großbritannien gibt, bezeichnete er als kein Thema. "Wir machen kein allgemeines Werbeverbot. Und schon gar nicht verbieten wir irgendwelche Lebensmittel. In Deutschland darf weiterhin geworben werden, es darf weiterhin Schokolade produziert und Chips gegessen werden", sagte er. Werbung bleibe möglich - aber entweder nicht an Kinder gerichtet, oder aber mit einer neuen Rezeptur der Produkte, so dass sie nicht so ungesund sind.
Dass noch viele strittige Punkte zu klären sind, räumte Özdemir am Montag ein. Wie konsequent die Einschränkungen am Ende sind, ist noch völlig offen. Er werde nun die Ressortabstimmung einleiten, sagte der Minister - und er rechne durchaus mit "Widerstand".
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 27.02.2023, 19:30 Uhr