Rekommunalisierung der Berliner Energienetze - Macht Berlin bei der Fernwärme halbe Sachen?
Der Berliner Senat will die Fernwärme kaufen und mehrheitlich bei der Gasag einsteigen. Mit an Bord sollen aber die Energiekonzerne Eon und Engie bleiben. Kritiker warnen vor den Risiken dieser Kooperation. Die Stadt Hamburg ist einen anderen Weg gegangen. Von Jan Menzel
Was möglich ist, wenn eine Stadt sich voll und ganz der Energiewende verschreibt, kann Christian Heine von seinem Schreibtisch aus bestaunen. Heine ist Chef der Hamburger Energiewerke.
Sein Unternehmen gehört zu 100 Prozent der Stadt Hamburg und versorgt rund 500.000 Wohnungen mit Fernwärme. Noch wird dafür im Heizkraftwerk Tiefstack Kohle verfeuert. Doch von seinem Büro aus sieht Manager Heine zu, wie vor der hellgrauen Kraftwerks-Kulisse die Zukunft der erneuerbaren Energieversorgung Gestalt annimmt.
Seit einigen Wochen steht dort ein leuchtend orangener Bohrturm. "Eine erste Bohrung ist gerade in der Abteufung, und das macht ganz, ganz große Freude", sagt Heine. Gebohrt wird bis auf 1.300 Meter in eine wasserführende Sandsteinschicht tief unter Hamburg. In dieser Schicht soll künftig überschüssige Abwärme aus der Industrie und aus der Müllverbrennung gespeichert werden. Als Speichermedium dient das unterirdische Thermalwasser.
Ein Speicher so groß wie die Elbphilharmonie
Das Prinzip dahinter gleicht dem einer Thermoskanne: Im Sommer wird das Heißwasser in den unterirdischen Speicher geleitet. Im Winter, wenn es in Wohnungen und Büros zum Heizen gebraucht wird, holt man es wieder heraus. Dass Hamburg dafür in den Untergrund gehen muss, erklärt Heine so: "Wenn wir einen großen oberirdischen Wasserspeicher aufbauen würden, der für die Fernwärme relevant wäre, dann hätte der die Größe der Elbphilharmonie."
Der Erdspeicher ist nur eines von vielen Projekten der Hamburger Energiewende "Wir investieren in den nächsten Jahren 1,7 Milliarden Euro in die Dekarbonisierung der Fernwärme", sagt Energiewerke-Chef Heine. Allerspätestens in sieben Jahren soll mit Tiefstack das letzte Hamburger Kohlekraftwerk abgeschaltet und die notwendige Wärme klimaneutral erzeugt werden.
Hamburg gehören alle Netze zu 100 Prozent
Hamburg könnte so gesehen Pate stehen für das, was Berlin beim Klimaschutz und bei der Energiewende vorhat. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen der Haupt- und der Hansestadt. Hamburg gehören bereits die Energienetze, also Strom, Gas und Fernwärme. Berlin hat bislang nur das Stromnetz zurückgekauft. Die Fernwärme wird noch vom schwedischen Vattenfall-Konzern betrieben, der dieses Geschäft aber abstoßen will. Die Gasag hat mit Vattenfall, Eon und dem französischen Konzern Engie derzeit sogar drei private Anteilseigner.
Erklärtermaßen will der Senat nun bei der Fernwärme zuschlagen und am liebsten auch beim Traditionsunternehmen Gasag einsteigen. Dort soll es eine Partnerschaft mit den bisherigen Anteilseignern Eon und Engie geben. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) hat vor geraumer Zeit den Anspruch so formuliert: "Wir wollen in den Driver Seat kommen." Berlin will also die Kontrolle und die Mehrheit an den Netzen.
Im Prinzip findet Christoph Rinke von der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin diesen Kurs des Senats richtig. "Die Zeit drängt. Wir müssen schnell vorankommen mit der Energiewende", sagte Rinke. Der Zugriff auf alle Netze sei essentiell.
Dafür müsse aber nicht alles zwingend zu 100 Prozent in Landeshand sein, gibt sich Rinke pragmatisch, schränkt aber ein: "Solange das Land dort nicht Minderheiten bestimmende Rechte einräumt." Berlin soll also gegenüber den Privaten am längeren Hebel sitzen.
CDU: Rekommunalisierung macht Fernwärme nicht günstiger
Für Verhandlungen mit Vattenfall und eine Beteiligung des Landes an der Fernwärme spricht sich auch die oppositionelle CDU aus. Letztlich sei aber der Preis für einen Einstieg des Landes "der springende Punkt", warnt der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Er fordert volle Transparenz über die Pläne des Senats: "Denn eins ist klar: Es wird für alle Steuerzahler und Kunden Milliarden kosten. Es ist ein vollkommener Irrglaube, es ist auch gelogen, den Menschen gegenüber zu sagen, dass es günstiger wird, weil der Staat einsteigt, weil auch der muss es refinanzieren."
Gräff ist auch vor diesem Hintergrund dagegen, dass die Netze mehrheitlich oder gar ganz rekommunalisiert werden. "Es reichen 25 Prozent plus 1, damit wir eine Sperrminorität haben. Wir wollen unbedingt, dass privates Know-How, das Wissen, wie man Energiewende macht, da bleibt", bricht der CDU-Politiker eine Lanze für die privaten Energiekonzerne.
FDP warnt vor Teilprivatisierung zu Lasten des Landes
FDP-Haushaltspolitikerin Sibylle Meister hält dagegen sowohl die Senatspläne als auch die Forderung der CDU für unausgegoren. Private und das Land in einem Unternehmen als Eigentümer zusammenzubringen, erinnere sie doch "in vielen Strecken an die misslungene Teilprivatisierung der Wasserbetriebe", sagt Meister. Die Wasserbetriebe waren 1999 teilweise verkauft worden. Dabei wurde privaten Anteilseignern eine Rendite vertraglich garantiert. Der Fall ist als Musterbeispiel einer Privatisierung bei der Staat und Bürger nur draufzahlen in die Berlin-Annalen eingegangen.
Statt nun Kredite für einen Kauf der Netze in die Hand zu nehmen, für die spätere Generationen aufkommen müssten, sollte man lieber Unternehmen die "Herausforderung" der Energiewende überlassen, schlägt Meister vor. Deshalb rät die FDP-Politikerin dazu, die Finger vom Fernwärmenetz zu lassen: "Wir möchten es nicht zurückkaufen. Hier setzt die Koalition einen falschen Schwerpunkt."
Fernwärme ganz oder gar nicht
Was bei einer Liberalen wie Sibylle Meister kaum verwundert, überrascht allerdings bei Carl Wassmuth umso mehr. Wassmuth ist Sprecher des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand und in dieser Funktion einer der lautesten Lobbyisten für eine öffentliche Daseinsvorsorge. Doch im Fall der Fernwärme liegt er zumindest im Ergebnis ganz auf Linie der FDP, wenn er davor warnt, als Land mit den Energieunternehmen gemeinsame Sache zu machen.
Wenn die Stadt jetzt nicht das nötige Geld habe oder eine vollständige Übernahme von Fernwärme und Gas nicht möglich sei, müsse man eben warten, findet Wassmuth. Das Land habe schließlich die Möglichkeiten, als Regulator in den Wärmemarkt einzugreifen. So könnten die Gewinne von Konzernen beschränkt werden. Das reduziere automatisch den Wert der Fernwärmesystems und dann sei der Zeitpunkt gekommen, um als Staat über den Kauf zu diesen Konditionen nachzudenken, findet Wassmuth.
Das was der Senat mit seinem Kooperationsmodell anstrebe, geißelt er als "eine neue Form der Privatisierung". Denn ein solches Konstrukt bedeute, dass immer auch die Renditeerwartungen der Privaten erfüllt werden müssten. Wassmuths Fazit: "Das ist durchaus ein Etikettenschwindel, eine Schein-Rekommunalisierung".
Hamburg hat einige Jahre Vorsprung
In Hamburg hat man diese Sorgen und Abwägungen längst hinter sich gelassen. Die Stadt ist Berlin bei den Energiefragen ein paar Jahre voraus. Als letztes der drei Netze kaufte die Hansestadt 2019 das Fernwärmenetz zurück – zu 100 Prozent wie zuvor auch schon die Infrastruktur für Gas und Strom. Für den Chef der Hamburger Energiewerke Christian Heine waren das genau die richtigen Weichenstellungen. "In vielen Großkonzernen ist es doch so, dass das Geld dorthin geht, wo die höchsten Renditen erzielt werden", gibt der Manager zu bedenken.
Ratschläge für Berlin, möchte Heine aber nicht geben. Jede Stadt sei historisch anders gewachsen. Die Herausforderungen der Wärmewende seien vielerorts aber sehr ähnlich. In Hamburg würden die Entscheidungen über Netzplanung und die Investitionsentscheidungen jedenfalls gemeinsam, zügig und ohne Reibungsverluste getroffen. "Das geht eigentlich nur in enger Abstimmung mit der Kommune", sagt der Energiewerke-Chef.