Neue Wohnraumförderung - Wie der Senat den Sozialwohnungsbau in Berlin ankurbeln will
Mit einer Milliardensumme will die schwarz-rote Koalition die private Bauwirtschaft überzeugen, mehr Sozialwohnungen zu bauen. Ein nun beschlossenes neues Förderprogramm verspricht erstmals auch Zuschüsse. Ob die Rechnung aufgeht, ist fraglich. Von Thorsten Gabriel
Eigentlich ist die Idee simpel: Der Staat bietet der Bauwirtschaft günstige Kredite an und die baut damit Wohnungen. Als Gegenleistung für die Vorzugskonditionen dürfen diese neuen Wohnungen für einige Jahrzehnte nur an Menschen mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden – zu festgelegten, günstigen Preisen. Fertig ist der soziale Wohnungsbau – zumindest in der Theorie.
In der Praxis ist es komplizierter. Da nämlich macht die private Bauwirtschaft bislang um die staatlichen Förderprogramme einen großen Bogen. Zu niedrig waren über viele Jahre die Zinsen am Kapitalmarkt, als dass man sich Geld vom Staat leihen und damit auch noch bei den Mietpreisen binden lassen wollte. Deshalb sind es seit Jahren fast ausschließlich die landeseigenen Wohnungsunternehmen, die die Förderung nutzen und Sozialwohnungen bauen.
Immer weniger Sozialwohnungen – trotz Neubaus
So entstanden zwar durchaus Wohnungen, die sich auch Menschen mit niedrigen Einkommen leisten können – allerdings deutlich weniger als sich die aktuelle und auch schon Vorgängerregierungen zum Ziel gesetzt hatten: 5.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr lautet unverändert das Ziel. Über die 3.000er-Schwelle war man in früheren Jahren schon gekommen.
Zuletzt aber, 2022, wurde nicht einmal mehr der Bau von 2.000 Sozialwohnungen beantragt und bewilligt. Es sind kaum mehr als Tropfen auf den heißen Stein. Denn allein auf den „klassischen“ Wohnberechtigungsschein (WBS) haben in Berlin rund 530.000 Haushalte Anspruch. Ihnen stehen nur etwas weniger als 100.000 Sozialwohnungen gegenüber – Tendenz fallend, trotz Neubaus. Denn es verlieren mehr alte Sozialwohnungen nach und nach ihre Mietpreisbindung als neue Wohnungen gebaut werden.
Immer mehr Menschen haben Anrecht auf eine Sozialwohnung
Gleichzeitig erweiterte der Senat in den vergangenen Jahren kontinuierlich den Kreis derjenigen, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Waren es 2014 nur Haushalte mit Anrecht auf einen sogenannten WBS140 (Einkommensgrenze für Singlehaushalte: 1.400 Euro netto monatlich), für die neue Sozialwohnungen gebaut werden sollten, kamen in den Jahren danach auch Förderprogramme für Wohnungen für WBS160- und WBS180- Berechtigte hinzu.
Beim WBS180 liegt die Einkommensgrenze für Singles bei 1.800 Euro monatlich, für eine Familie mit zwei Kindern bei 2.850 Euro. Doch obwohl bei diesen geringfügig besser Verdienenden auch etwas höhere Mieten verlangt werden dürfen, zündeten die Förderprogramm bislang bei Privaten nicht. Verschärft wird die Situation nun auch noch durch die globale Baukrise mit ihren explodierenden Materialkosten und steigenden Zinsen: Die private Bauwirtschaft legt den Wohnungsbau generell weitgehend auf Eis.
Ein unwiderstehliches Angebot an die Bauwirtschaft?
Doch gerade diese Krise versucht die schwarz-rote Koalition nun als Chance zu sehen: Wo Banken den Unternehmen kein Geld mehr hinterherwerfen, könnten staatliche Kreditangebote wieder attraktiv wirken, lautet das Kalkül. Aus Sicht des Senats ist die neue Wohnungsbauförderung, die der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses am Mittwochabend zur Kenntnis genommen hat, deshalb quasi ein unwiderstehliches Angebot an die Bauwirtschaft:
- Die Kreditsumme pro Quadratmeter erhöht sich deutlich. Wurde bislang damit kalkuliert, dass im Schnitt pro Sozialwohnung rund 170.000 Euro Fördergelder fließen, so wird in der neuen Förderrichtlinie nun mit durchschnittlich 300.000 Euro pro Wohnung kalkuliert.
- Erstmals gibt es zusätzlich zum Kredit einen Zuschuss an Bauunternehmen, der nicht zurückgezahlt werden muss: 1.800 Euro pro Quadratmeter.
- Unterm Strich soll es privaten Unternehmen möglich werden, neue Sozialwohnungen zwar mit obligatorisch 20 Prozent Eigenkapitalanteil, aber ohne weitere Bankkredite zu bauen. Das ist aus Sicht der Bauverwaltung deshalb wichtig, weil sich Sozialwohnungsbauten bei Banken nicht gut beleihen lassen wegen ihrer nur geringen Mieterwartungen.
Neue Zielgruppe im Fokus: die Mittelschicht
Die Einstiegsmieten, die verlangt werden dürfen, wurden angehoben. Für WBS140-Haushalte liegt sie nun bei 7 Euro netto kalt pro Quadratmeter (in den bisherigen Förderprogrammen lag sie seit 2014 bei 6,50 Euro), Für WBS180-Berechtigte bei 9,50 Euro (zuvor: 9 Euro). Außerdem gibt es nun einen weiteren Förderweg für eine zusätzliche Zielgruppe: Investoren können jetzt auch geförderte Wohnungen bauen für Haushalte, die Anrecht auf einen "WBS220" haben. Damit haben auch Single-Haushalte mit bis zu 2.200 Euro Nettoeinkommen oder Familien mit zwei Kindern mit maximal 3.465 Euro monatlichem Einkommen Anrecht auf eine Sozialwohnung – aber eben auf eine, die erst noch gebaut werden muss.
Die Einstiegsmiete für diese Einkommensgruppe liegt bei 11,50 Euro. Besonders dieses neue Segment ist der schwarz-roten Koalition wichtig: Bezahlbare Wohnungen für die Mittelschicht, für Busfahrerinnen und Erzieher etwa – also für jene, deren Einkommen zu hoch ist, um Anrecht auf eine klassische Sozialwohnung zu haben, und die gleichzeitig aber auch nicht in der Lage sind, mit sehr viel vermögenderen Wohnungssuchenden auf dem Markt zu konkurrieren. Doch solange es grundsätzlich zu wenige Sozialwohnungen gibt und für diese neue Zielgruppe noch gar keine, ist das vorerst nur eine Hilfe auf dem Papier.
Verhaltenes Echo aus der Bauwirtschaft
Hört man sich in der Bauwirtschaft um, ist das Echo auf die neue Förderrichtlinie bislang verhalten. Die angebotenen Summen seien mit Blick auf die Marktlage zwar einigermaßen realistisch, aber das allein mache in der derzeitigen angespannten Lage das Bauen noch nicht attraktiver, ist da zu hören. Zu unsicher sei die Lage insgesamt. Erst Ende Januar hatte beispielsweise der größte deutsche Wohnungskonzern, Vonovia, verkündet, er habe alle für dieses Jahr geplanten Neubauprojekte gestoppt. Dass er wegen neuer Förderrichtlinien im Land Berlin eine Kehrtwende vollziehen könnte, erscheint eher unwahrscheinlich.
Auch im Hauptausschuss wusste Baustaatssekretär Alexander Slotty (SPD) auf Nachfrage von Grünen und Linken nichts von Zusicherungen aus der Bauwirtschaft zu berichten. "Der internationale Kapitalmarkt ist in Wallung, Investoren verändern ihre Strategien", übte er sich in Optimismus. Wie die Laune der privaten Investoren konkret ist, kann der Senat schon in wenigen Wochen herausfinden: Mitte Juli soll es eine weitere Runde des noch von der vormaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) initiierten Wohnungsbündnisses mit der Privatwirtschaft geben. Es könnte der erste Stimmungstest für die neuen Förderprogramme werden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.06.2023, 07:00 Uhr